Der Niederländer Hennie Engelbertink

 

Beiderseits der Grenze eine Sprache

Als Ausländer – vom deutschen Standpunkt aus gese­hen – bin ich froh, daß auch ich als Autor für dieses Buch angesprochen wurde. Allerdings fühle ich mich in dieser Angelegenheit gar nicht als Ausländer, denn ich spreche die gleiche Sprache, ich gehöre zum gleichen Sprachgebiet: Der Nordosten der Niederlande und der Norden Deutschlands haben im Platt keine Verständi­gungsprobleme.

Ich bin geboren auf einem Bauernhof in Rossum in der Torenter Gegend. Auf dem Lande war es selbstverständlich, daß die Eltern platt mit ihren Kindern sprachen. In den Schulmeisterfamilien wurde allerdings schon niederländisch geredet, denn Terwey hatte 1885 in seiner Grammatik für zukünftige Lehrer geschrieben: „Die Sprache, die von gebildeten Landsleuten gesprochen und geschrieben wird, ist Niederländisch. Die Sprache der ungebildeten Niederländer ist Mundart.” Als Fünf­jähriger kam ich in den Kindergarten und hatte damit die erste Berührung mit dem Niederländischen. Natürlich machte das Schwierigkeiten. In der Schule erlernte ich dann den klaren Unterschied zwischen Niederländisch und Twents.

Als viele Eltern meinten, in dieser Zeit auch niederländisch mit ihren Kindern spre­chen zu müssen, kam dieser klare Unterschied nicht zustande. Was man da hören mußte, war kein Niederländisch und kein Platt, es ging alles durcheinander. Das Ergebnis war, der Dialekt schwindet und das Niederländische wird schlechter.

Als ich 1970 meine Frau heiratete, haben wir überlegt, welche Sprache wir mit un­seren Kindern sprechen sollten. Wir haben uns für Twents entschieden. Mit wel­chen Auswirkungen? Meine Tochter (heute 25) hatte Freundinnen, die schlecht niederländisch sprachen. Ihre Hochsprache leidet noch heute darunter. Sie hat bei ihren Altersgenossinnen Unmut erzeugt, wenn sie das richtige Niederländisch, wie sie es zu Hause und in der Schule erlernt hatte, anwandte. Unser Sohn (22) ist ganz anders, er hat in seiner Freizeit immer twents gesprochen. Die tägliche Wirk­lichkeit zeigt uns, daß Jungen eher platt sprechen als Mädchen.

Meine Frau und ich hatten mit unserer Entscheidung für den Dialekt auch eine bessere Verständigung unserer Kinder im niederländisch-deutschen Grenzraum erwartet. Leider habe ich damit schlechte Erfahrungen gemacht: Als wir einmal auf dem Isterberg waren, sprach mein Sohn einen deutschen Jungen auf Platt an, der konnte jedoch nur hochdeutsch.

Als ich etwa 20 war, wollte ich in Nordhorn auf Hochdeutsch einen Weg erfragen. Der Gefragte antwortete: „Doo mer röstig Platt”. Für mich bedeutete es, als wäre ich in meinem eigenen Land. Deshalb bin ich auch als Niederländer viel in Deutschland, ich würde sogar sagen, daß Deutschland mein zweites Land ist, fast so wie die Niederlande.

Als ich im Lehrerstudium war, bekamen wir die Möglichkeit, die Altendorfer Schule in Nordhorn zu visitieren. Meine besondere Vorliebe galt schon damals dem Fach Heimatkunde. Allerdings war ich in Nordhorn enttäuscht, was die Un­terrichtsinhalte dieses Faches anging. Insbesondere fehlten mir die Behandlung und der Umgang mit dem Dialekt. Ich habe den Kindern an folgendem Tafelsche­ma aufgezeigt, wie verwandt die Regionalsprachen diesseits und jenseits der Gren­zen sind:

Deutsch                 Nordhorns             Rossums                Niederländisch

Maulwurf               Vroot                     Vroot                     mol

Grünkohl               Moos                      Moos                     boerenkool

Raupe                     Rup                        Rup                        rups

Hose                      Boks                      Boks                         broek

manchmal             mangs                    mangs                 soms

Holzbündel           Busche                   Busche                   takkenbos

Gewitter                Grommelschur       Grommelschur       onweer

Iltis                         ülk                         ülk                         bunzing

rauchen                 roakn                     roakn                     roken

Nach meinem Diplom habe ich mich ab 1967 auch der Ahnenkunde zugewandt. Dabei stieß ich auf Namensverwandte auch auf deutscher Seite, wie zum Beispiel im Münsterland, im Artland (Groß Mimmelage), in Suddendorf und Haftenkamp in der Grafschaft. Es ließen sich gemeinsame Vorfahren nachweisen. Ich kam mit diesen Namensvettern in Kontakt, überall konnte ich in der gleichen Sprache mit ihnen sprechen. Das war eine sehr positive Erfahrung: überall dieselbe Mentalität, ruhige, zuverlässige, nette und freundliche Menschen.

Nachdem ich viele Unterlagen gesammelt hatte, haben wir am 7. November 1995 ein Namenstreffen gemacht, an dem Tag, als der Erzbischof Engelbert von Köln in früherer Zeit ermordet wurde. Zu diesem Anlaß habe ich das Buch „Kroniek Engelbertink” vorgestellt. Da ich ein Buch für Deutsche und Niederländer schreiben wollte, habe ich twents Platt gewählt.

Mir ist klar, daß der Dialekt eine Sprechsprache ist, aber ich finde, daß man eine Mundart auch auf eine höhere Ebene bringen kann durch das Schreiben, die Ver­wendung in der Schule und im Radio (geschieht in Friesland und anderen Gegen­den). Allerdings fehlt es bei uns völlig im Fernsehen, und wir sind eifersüchtig auf “Talk up Platt” auf deutscher Seite.

Die Mundart hat meinen Beruf bestimmt. Als ich etwa 11 Jahre alt war, las ein Lehrer aus einem Buch über Sagen und Legenden manchmal Twents vor. Davon War ich jeweils so begeistert, daß ich das später ebenfalls als Lehrer übernommen labe. Unser Grundschulunterrichtsgesetz läßt den Gebrauch der Mundart zu, deshalb habe ich es auch regelmäßig – auch wenn mein Schuldirektor heftig dagegen war – etwa jede Woche eine halbe Unterrichtsstunde praktiziert.

Insgesamt bin ich pessimistisch und denke, daß unser Säksisch (Platt) verlorengeht.

‘Fazit: In Deutschland propagiert man, niederländisch zu sprechen, und in den Niederlanden macht man Werbung für die deutsche Sprache. Wäre es nicht besser, unsere gemeinsame säksische Muttersprache zu fördern?