Dr. Andreas Eiynck

 

Die Sputnik-Generation

 

Daß der Niedergang der niederdeutschen Sprache mit einem Ereignis im Weltall zusammenhängen könnte, mag auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheinen. Als aber im Herbst 1957 die Sowjetunion die beiden Satelliten Sputnik I und II mit der Polarhündin Leika in den Weltraum katapultierte, wurde dieses Ereignis zu einem wesentlichen Auslöser der bildungs- und gesellschaftspolitischen Diskussionen und Reformen der 60er Jahre. Es entstand die sogenannte „Sputnik-Generation”, die mit Kurzschuljahren in das Bildungssystem eingeführt, mit der Abschaffung der Volksschule und der Zwergschulen weiterbetreut und schließlich, nun schon in den 70er Jahren, mit der Einführung der reformierten Oberstufe beglückt wurde. Mengenlehre, englische Sprache und nicht zuletzt die Popmusik haben das Denken (und Handeln?) dieser Generation geprägt, zu der zu zählen auch ich mich glücklich schätzen darf

Denn eigentlich, das muß man offen bekennen, fehlte es uns, den Kindern und Ju¬gendlichen der 60er und 70er Jahre, an nichts. Alles konnten wir werden, haben, erreichen, nur eines war verpönt – die plattdeutsche Sprache und die damit verbundene traditionelle Lebenswelt auf dem Lande, die als ein entscheidender Hemmschuh für „fortschrittliche Entwicklung” von Bildung uni Gesellschaft und vor allem bei der korrekten Erlernung der schwierigen hochdeutschen Sprache angesehen wurde.

Auch in unserem münsterländischen Landstädtchen vermieden es unsere Eltern ganz bewußt, ihre überlieferte Mundart an uns weiterzugeben. Aus uns sollte schließlich etwas werden: Lehrer, Beamter oder gar Ingenieur. Plattdeutsch konnte bei solchen Bildungszielen nur hinderlich sein.

So plagten wir uns mit „mir” und „mich” oder „wem” und „wen”, wobei den Möglichkeiten zur grammatikalischen Hilfestellung durch unsere Erzieher gelegentlich enge Grenzen gesetzt waren. Nur wer Glück hatte, konnte bei Großeltern, Verwandten oder Nachbarn auch plattdeutsche Grundkenntnisse aufschnappen – und das in der Heimat von Augustin Wibbelt und Karl Wagenfeld, Anton Aulke und Natz Thier.

Aber – ehrlich gesagt – so richtig vermißt haben wir als Kinder und Jugendliche das Plattdeutsche damals nicht. Ganz sang- und klanglos verschwand innerhalb einer Generation das Plattdeutsche aus vielen Familien und aus der Öffentlichkeit.