Platt lehrt se van sülms
,,Platt lehrt se van sülms”, das war wohl die regelmäßige fast schon rechtfertigend vorgebrachte Begründung meiner Eltern, wenn sie im Dorf gefragt wurden, warum denn mit den beiden noch nicht schulpflichtigen Kindern zu Hause nur hochdeutsch gesprochen werde.
Es war Mitte der 50er Jahre in einem Dorf wie Dörpen geradezu naturgegeben, daß jedermann platt sprach. Selbstverständlich wurde auch mit der. Kleinkindern zu Hause platt gesprochen, immerhin würde diesen das Hochdeutsche schon beizeiten auf der Schule vermittelt werden. Auch hätte die Umstellung auf Hochdeutsch den einen oder anderen Elternteil in Schwierigkeiten gebracht Meine Eltern sollten recht behalten. Zum einen war es schulisch gesehen ein gewisser Vorteil, schon des Hochdeutschen altersentsprechend mächtig zu sein. Zum anderen aber bewirkte das Aufwachsen in einer dörflichen Gemeinschaft, daß Ich wie von ab lebe Plattdeutsch mitlernte. Diese eigenständige Sprache, die mehr ist als ein Dialekt, spreche ich bis auf den heutigen Tag oft und gerne.
Geboren 1952, fielen meine Kinderjahre in eine Zeit, da das Emsland sich daran machte, sich aus dem über Jahrhunderte gefristeten Schattendasein, begleitet von wirtschaftlicher Not, zu befreien und Anschluß an die moderne Zeit zu gewinnen. Ich will diese Zeit, und das nicht nur wegen der begonnenen Emsland-Erschließung, als die emsländischen Gründerjahre bezeichnen. Die Zielsetzung nahezu aller war, es insgesamt besser haben zu wollen als die Generationen zuvor. Fine besondere Bindung ist in solchen Zeiten auch die gemeinsame Sprache, die viel Übereinstimmung und gegenseitiges Verständnis befördert. Ein Eindruck war schon damals, daß eine große Gemeinsamkeit etwaige Unterschiede zwischen den Menschen in der Regel nur milde auftreten fiel. Gesellschaftliche, berufsständische, wirtschaftliche oder bildungsmäßige Abstände wurden kaum ausgelebt beziehungsweise konträr ausgetragen. Zumal ohnehin der bäuerliche Stand – egal ob groß oder klein – dominierte, ließ überdies der Gebrauch der plattdeutschen Sprache die letzten Unterschiedlichkeiten weichen. Nicht umsonst fällt der plattdeutsch Sprechende sehr leicht in das „Du” und redet sein Gegenüber mir dem Vornamen an. Das respektvolle „Sie” (Platt Ih) wird allenthalben auf Honoratioren oder ältere Personen angewandt.
Diese melodische Sprache hat auch die wunderbare Eigenschaft, daß durch ihren Gebrauch Dinge – zuweilen harte Wahrheiten – ausgesprochen und verulktet: wer den können, die auf Hochdeutsch gesagt dem Adressaten oft die Zornesröte ins Gesicht steigen ließen. Jedenfalls war und bin ich froh, im täglichen Umgang schon früh diese Sprache gelernt zu haben. Dies schließt zum Teil von Dorf zu Dorf gegebene leichte Unterschiede beim gesprochenen Platt ein. Für das nördliche Emsland bedeutet dies bei bestimmten Ausdrücken oder Betonungen Unterschiede zwischen Hümmlinger Platt und Ems-Platt beziehungsweise auch wieder zwischen dem Platt rechts und links der Ems, zum Teil mit Einschlägen sowie Verwandtschaften zum holländischen oder ostfriesischen Platt
In den 60er und 70er Jahren fiel mir auf, daß manche Mitbürger, die zweifelsfrei mit Platt aufgewachsen waren, in Zeiten wachsenden Wohlstands ihre plattdeutsche Vergangenheit abstreifen wollten. Plötzlich konnte so manche Hausfrau an der Ladentheke nicht mehr auf Platt eine Bestellung aufgeben, manche Männer drückten sich beim Behördengang ebenso geschraubt wie unverständlich auf Hochdeutsch aus. Diese Zeit scheint mir aufgrund eines gewachsenen Selbstbewusstseins überwunden. Wer es kann, spricht heute gerne Platt, und zwar bei fast jeder Gelegenheit. Manch einer brilliert selbst bei hochoffiziellen Anlässen mit einer auf Plattdeutsch gehaltenen Ansprache. Manch anderer würde gern platt sprechen können und sucht nach einer Gelegenheit, es zu lernen. Wie selbstverständlich unterhalten sich die Landwirte, die Arbeiter in den Fabriken, die Handwerker auf den Baustellen untereinander auf Platt Auch in meinem Beruf als Rechtsanwalt und Notar oder auch als Politiker stelle ich regelmäßig fest, daß der Gebrauch der plattdeutschen Sprache von vornherein eine bessere Verständigung, ein vertrauliches Verhältnis und eine bessere Arbeitsbasis schafft.
Hoffentlich gelingt es uns auch im Hinblick auf nachwachsende Generationen – das sage ich als Emsländer -, diesen die Bedeutung zweier wichtiger Säulen für den Aufstieg und Erfolg des Emsiandes zu vermitteln. Einmal ist es das besondere Gefühl für Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, zum anderen ist es die Bindung durch eine lebendige Sprache: unser Platt.