Johann Hinrich Derr

Plattdeutsch ist Anker

„Nun sprecht doch endlich wieder hochdeutsch! Ich kann das Plattdeutsche ja nicht verstehen”, so maulte ich als Dreikäsehoch, wenn wir aus Ostfriesland, der Heimat meiner Eltern und wo auch ich das vielzitierte „Licht der Welt” erblickte, nach dem Besuch meiner Großeltern am Dollart ins Emsland zurückkehrten. Als Zöllner hatte mein Vater dort an der holländischen Grenze seinen Dienst zu verrichten und den Schmugg­lern das Handwerk zu legen.

Mutter und Vater, plattdeutsch aufgewachsen, spra­chen hochdeutsch, um mir, so meinten sie, später Schwierigkeiten im Deutsch­unterricht in der Schule zu ersparen. So wuchs ich also „Hochdeutsch” auf. Natür­lich waren die Omas und Opas bei ihren Besuchen bemüht, mit ihrem Enkel „duits tau proaten”. Nicht selten war es „Missingsch”, bereitete die „Übersetzung” platt­deutscher Ausdrücke ins Hochdeutsche Schwierigkeiten, und oft wurde bei Mißverständnissen herzhaft gelacht.

Nun, in der Volksschule in Aschendorf und Papenburg und später am Gymnasium der Kanalstadt, war Plattdeutsch „Fremdsprache”, ein Buch mit sieben Siegeln. Ne­ben Latein, Englisch und Französisch hatte Plattdeutsch nichts zu suchen. Und im Deutschunterricht? Althochdeutsch ja, doch Plattdeutsch wurde ignoriert.

Mein Interesse am Plattdeutschen in Wort und Schrift wurde geweckt, als ich nach Jahren des Krieges und der Gefangenschaft im Juli 1948 heimkehrte. Meine Eltern hatte es über Hannover – „nach dort versetzt, um ausgebombt zu werden”, pflegte mein Vater zu sagen – in die Zollwohnung im Kloster Frenswegen bei Nordhorn verschlagen. Durch meine journalistische Tätigkeit lernte ich nicht nur Land und Leute kennen, sondern auch die plattdeutsche Sprache.

Die Klosterbauern machten mich mit ihrem „utmekaar” (auseinander), „dörme-kaar” (durcheinander), „vörmekaar” (in Ordnung) und manch anderem „…mekaar” neugierig. Auch mußte ich mich, hatte ich auf dem Lande zu tun, mit den Leuten unterhalten. Und da brach das Plattdeutsche das Eis dem Fremden gegenüber. Plötzlich war ich nicht mehr der neugierige Zeitungsmann, sondern einer von ih­nen.

Wie im Grafschafter Land erging es mir später auch im südlichen Emsland. Sprach­barrieren gab es nicht, nur Unterschiede im Dialekt. Kurzum, ich lernte die platt­deutsche Sprache mehr und mehr schätzen, und gern las ich, was plattdeutsche Autoren in der Heimatliteratur zu Papier brachten.

Mein Fazit: Plattdeutsch ist gewachsene Sprache, alt und vertraut, deftig und kräf­tig, doch niemals gemein. Voller Wärme ist sie und voll Gemüt, verwachsen mit Land und Leuten. Plattdeutsch darf als Brücke von der Vergangenheit zur Gegen­wart nicht zusammenbrechen, nicht untergehen, nicht zerstört werden. Platt­deutsch ist Teil der Geschichte des Raumes und seiner Menschen, hat Tradition. Die Überlieferung gilt es zu wahren. Die Pflege des Plattdeutschen kann und soll­te dazu beitragen, die alte Muttersprache zu erhalten, ihr eine Heimstatt in unse­rer unruhigen Zeit und Welt zu geben. Plattdeutsch gehört zur Heimat, ist Teil der kulturellen Umwelt, ist Anker. Braucht es da noch Mut, sich zur plattdeutschen Sprache zu bekennen, sich mit ihr zu identifizieren?

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 46