Schwierigkeiten mit der plattdeutschen Sprache im 1. Schuljahr (1)

Ich wurde Ostern 1934, obwohl ich erst im Juni 6 Jahre alt wurde, eingeschult. Meine beiden um ein und zwei Jahre älteren Geschwister besuchten schon die Schule. Sie wurden bei ihren Schularbeiten total abgeschirmt.

Ich hatte keine blasse Ahnung und konnte kein Wort lesen oder schreiben. Wer hätte auch wohl für uns einen leeren Bogen Papier gehabt. Das Einzige wäre der Rand von der Zeitung oder dem Kirchenboten gewesen.

Als meine Schwester Maria das erste Mal von Ferien sprach, konnte ich mir darunter nichts vorstellen.

„Feringen, jau, jau, dat Maria krieg muorn Feringen“, segg de Opa.

Ich war sehr neugierig auf diese Sache. Feringen! Heringe oder Stichlitze, so etwas musste es sein. Als ich Maria kommen sah, rannte ich ihr mit einem leeren Glas entgegen. Sie lachte laut, und lief an mir vorbei. Ich war entsetzt – sie wollte mir nicht ihre Ferien zeigen! Da wurde ich von der Mutter aufgeklärt: Ferien sind schulfreie Tage und Wochen.

Wir unterhielten uns zu Hause und in der Nachbarschaft nur auf plattdeutsch. In der Schule wurde nur hochdeutsch gesprochen. Eine junge, hübsche Lehrerin, die jeden Tag mit dem Bus von Osnabrück kam, konnte auch kein „Platt“ verstehen. Ich habe nur zugehört. Die Sprache verstand ich, konnte sie aber nicht übersetzen. Somit war ich eine stumme Schülerin.

Ich wurde von der Lehrerin immer wieder angesprochen, habe aber nur mit dem Kopf geschüttelt. Sie versuchte es mit kleinen Gebeten oder Abzählreimen.

Beten, nein, nur nicht Beten!

Das „Vater unser“ und „Gegrüßest seist Du, Maria“ war mir bekannt. Danach wurde noch bei uns für die armen Seelen gebetet. Eine ledige Tante Anna, die zur Familie gehörte, betete dann: „Eun, keun, steun, Frieden ruhen, Amen!“ Dieses hieß in Wirklichkeit: „Herr, lass die armen Seelen ruhen in Frieden, Amen!“

Ich ging mit meinem Problem zu meinem Großvater. Er nahm sein Gebetbuch und hat es mir laut und deutlich vorgelesen. Da musste er mir auch noch unser Abendgebet entziffern: „Lieber Gott, mach mich fromm, …!“ Ich verstand den letzten Satz nicht. „Mach mich Deinen Engeln, Engeln, lein, lein?“ Der letzte Satz hieß: „Mach mich Deinen Engeln gleich!“

„So, so, Du kannst auch nicht beten!“ Meine Lehrerin versuchte es weiter: „Wie ist es denn mit einem Abzählreim?“ Das Wort hatte ich noch nie gehört. Da rief ein Mädchen aus meiner Klasse: „Das heißt utpäppeln!“

„Jau, jau, dat kann ich auck:

een, twei, drei, veer, fief, sess, sieben,

use Katten häff Junge kriegen,

eene witt, un eene schwatt,

un eene häff gar kein Stäht vött Gatt.“

Unsere Lehrerin, Frl. Hürländer, war wohl etwas schockiert. Sie hat oft überlegt, ob ich nicht noch ein Jahr zu Hause bleiben sollte. Elternsprechtage gab es nicht, Wir wurden auch nicht getestet oder untersucht. Der erste Schultag war gleichzeitig die Anmeldung.

Meine Mutter traf Frl. Hürländer zufällig im Bus. Da erfuhr sie erst von meinen anfänglichen Schwierigkeiten. Nach einem halben Jahr war bei mir der Groschen gefallen.

In meinem ersten Zeugnis stand sogar 3 Mal die Note „sehr gut“!

Hagen, a.T.W., den 31. Mai 2001

Martha Herkenhoff geb. Koch