Erhalt des Plattdeutschen: pro und kontra

https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/pro-und-kontra-plattdeutsch100.html

eingesehen am 31.12 2917

 

Zwei engagierte Personen beziehen hier Stellung:

Christiane Ehlers (Institut für niederdeutsche Sprache) spricht sich für die fördernde Erhaltung der niederdeutschen Sprache  aus. Sie präsentiert die “Narichten op Platt” auf Bremen Eins.

Als ich drei Jahre alt war, dachte ich, meine Eltern könnten sich gegenseitig nicht verstehen und ich müsse übersetzen. Mit mien Mudder snack ik Platt. Und mit meinem Vater Hochdeutsch. De een fraag ik, wannehr ik na Bett mutt. Mit dem anderen versuchte ich zu verhandeln, ob es nicht doch noch einen Nachtisch gibt. Für mich eine ganz klare sprachliche Trennung. Und eine Zeitlang habe ich wohl wirklich zwischen meinen Eltern übersetzt. Platt höört för mi dorto. Ik denk, drööm, snack, schimp, frei un arger mi op Platt. Und auf Hoochdeutsch. Mal so, mal so.

Das Nebeneinander der Sprachen ist für mich geblieben. Ich möchte keine der beiden missen. Ik bün riek. Ik heff en Tohuus. Und ich habe ein Zuhause. Ik heff den Wind, den wieden Blick, de grönen Wischen un dat “Moin”. Ich habe die Ferne, das Reisen und das Abenteuer. Ik weet, ik heff mien Familie, op de ik mi verlaten kann. “Na, mien Deern, wo weer dien Dag?” Das werde ich auch mit 36 noch gerne gefragt. Die Antwort, die ich gebe, ist ehrlich. Ich muss mich nicht verstellen. “Ach, dat geiht. Maakst du mi en Tass Tee?”

Platt hat mich nie verlassen. “Ik wull, wi weern noch kleen, Jehann, dor weer de Welt so groot…” – dieses Lied aus meiner Kindheit ist wohl einer meiner häufigsten Ohrwürmer. Platt ist für mich ein Teil meiner Vergangenheit, man ok jümmers en Deel vun vundaag. Auf Platt kann ich mich verlassen. Was auch passiert im Leben, wie weit ich weg bin, meine Sprache, mein Grundvertrauen, meine Geborgenheit werde ich nie verlieren. Mien Tohuus blifft mien Tohuus.

Soltwater und Meeresrauschen. Tofreden ween und Heimat. Ik heff twee Spraken. Ik bün riek.

Alexander Drechsel  ist Online-Autor bei Radio Bremen und bezieht die Gegenposition:

Ich schätze mich als heimatverbunden ein. Auch pflege ich die ein oder andere Tradition und versuche, sie an meine Kinder weiterzugeben. Gelebte Tradition hilft bei der eigenen Standortbestimmung und ist Kitt für den Zusammenhalt – kurzum: Sie ist ein Identifikationsmerkmal.

Das entscheidende Wort ist aber “gelebt”. Plattdeutsch wird von den meisten Menschen in Norddeutschland nicht mehr gelebt. Platt ist vielleicht gelebte Tradition der Vorkriegsgenerationen. Heute aber sind die Meisten nicht mit Platt zu Hause aufgewachsen, haben es nicht täglich auf dem Spielplatz, beim Einkaufen oder im Sportverein gesprochen. Und trotzdem fühlen sich die Menschen hier Ihrer norddeutschen Heimat verbunden.

Dass Plattdeutsch stirbt, liegt auch an unserem Aktionsradius, der bei einem Großteil der hier lebenden Menschen weit über die norddeutsche Tiefebene hinausreicht. Jenseits von Münster versteht niemand Platt. Der Geschäftspartner in München, Madrid und Mumbai erst recht nicht.

Platt ist ein Opfer der Globalisierung. Das Rad zurückdrehen zu wollen, ist weltfremd – im Gestern verhaftet.

Aber seit Jahren gibt es zahlreiche Versuche, Plattdeutsch wiederzubeleben. Nur der Erfolg bleibt aus. Platt ist kein Massenphänomen, weil es als Alltagssprache nicht mehr taugt. Trotzdem gibt es an vier Grundschulen in Bremen Plattdeutsch als Unterrichtsfach oder als verpflichtende AG. Ein Gymnasium plant die Einführung als Wahlpflichtfach.

Das ist falsch. Traditionspflege ist keine schulische Aufgabe. Die in Platt investierte Zeit fehlt an anderer Stelle. Ein Beispiel: Kinder irren durch soziale Medien, die den Alltag tatsächlich prägen.

Viele Kinder können weder den Wahrheitsgehalt von Posts noch die verhängnisvolle Wirkung von virtuellem Mobbing einschätzen. Wer meint, dass Plattdeutsch wichtiger sei als das systematische Erlernen von Medienkompetenz in der Schule, der kann Kindern auch Feuermachen in einer Steinzeithöhle beibringen.

Platt gehört in Traditionsvereine und auf einschlägige Theaterbühnen. Die norddeutsche Identität wird es trotzdem weiterhin geben.

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