3. 2. Passive Sprachkompetenz der Schüler

Bei der Beurteilung der passiven Kompetenz zeigt sich jedoch ein ganz anderes Bild (vgl. Tab. 2). Hier ist es offensichtlich, daß die Eltern das Verstehensvermögen ihrer Kinder nicht richtig einschätzen können. Sie liegen um nahezu genau 10 Prozent­punkte — bezogen auf die Gesamtwertung — in ihrer Beurteilung unter den tatsächli­chen Werten im Bereich von „gut verstehen” und „weniger gut verstehen”. Es ist also deutlich, daß die Eltern die passive Sprachkompetenz ihrer Kinder unterschätzen. Sie ist für die Väter und Mütter ja auch schlecht meßbar, zumindest weniger einschätzbar als die aktive Kompetenz, die sich in der Teilnahme an einem Gespräch äußert. Da die Eltern sich zwar nur zu 0,7% plattdeutsch mit ihren Kindern unterhalten, die Gesprä­che untereinander jedoch noch zu 20% auf Plattdeutsch geführt werden, bekommen die Kinder etliches mit, sind aber nicht der Adressat des Gesprochenen und werden somit auch nicht zu Äußerungen veranlaßt. Wie bei der Beurteilung der aktiven Kompetenz irren sich die Eltern auch hier mit ihrer Einschätzung von Ort zu Ort zum Teil recht deutlich, wie unter 3.6. noch gezeigt wird.

Bei der Gegenüberstellung der Testergebnisse (verstehen können — sprechen können), die mit dieser Untersuchung erstmals vorliegen, bestätigt sich die anfangs geäußerte Vermutung, daß sich die Mundartkenntnisse der Heranwachsenden gegen 0% bewegen. Für eine weitergehende Prognose über die zukünftige Entwicklung verweisen wir aber auf die Schlußdiskussion. Interessant ist aber an dieser Stelle noch der Vergleich mit den Ausführungen von Kremer (1983: 81):

„Über die Mundartkompetenz der in dieser Enquete mit angesprochenen neun- bis zehnjährigen Grundschüler läßt sich nur annähernd der Prozentsatz passiver Kompetenz ermitteln, der bei mindestens 33,7% liegen muß, denn in diesem Umfang sprechen die Eltern (vornehmlich die Väter), allerdings fast nur gelegentlich, mit den Kindern Platt. Die aktive Kompetenz dürfte irgendwo zwischen 14,6% und 33,7% liegen. In diesem Generationssprung von etwa 30 Jahren liegt also ein Kompetenz-Rückgang von 30-40%, der sich jedoch etwas verringern dürfte, da ja eine gewisse Zunahme der Mundartkennt­nisse mit wachsendem Alter, vor allem nach dem Berufseintritt, noch zu erwarten ist.”

Wenn man in unserer Untersuchung die Prozentwerte von “gut sprechen” und „weniger gut sprechen” zusammenfügt, kommt man etwa auf die obigen Werte der aktiven Kompetenz 1981 im Kreis Borken. Betrachtet man jedoch die Testbögen der Schüler und verbindet sie mit den Aussagen verschiedener Deutschlehrer zu den darin enthaltenen Hinweisen auf die tatsächlichen Sprachkenntnisse, so muß man sagen, daß nur etwa 3% der 10-Jährigen im Jahre 1989 ein Gespräch in flüssigem Plattdeutsch führen können.