Interview mit Dr. Andreas Eiynck

 

Frage 1

Aber – ehrlich gesagt – so richtig vermisst haben wir als Kinder und Jugendliche das Plattdeutsche damals nicht. Ganz sang- und klanglos verschwand innerhalb einer Generation das Plattdeutsche aus vielen Familien und aus der Öffentlichkeit.

Wie sieht das heute dazu in Teilen der ländlichen Gesellschaft aus, die Sie beruflich erleben?

Auf dem Lande hilft es doch sehr deutlich, wenn man Plattdeutsch mit den Menschen sprechen kann, jedenfalls mit den Älteren. Das schafft Vertrauen.

Die jüngeren Leute sprechen auch auf dem Lande in der Regel kein Plattdeutsch mehr – jedenfalls nicht mit Fremden.

 

Frage 2

Haben die „fortschrittlichen“ Pädagogen von damals aus heutiger Sicht die richtige Richtung in der Sprachbildung der Kinder eingeschlagen?

Ich schätze aus heutiger Sicht, dass sie es durchaus richtig gemacht haben. Sie haben auf breiter Linie begonnen, den Eltern zu raten, ausschließlich Hochdeutsch mit ihren Kindern zu sprechen. Die meisten Eltern haben das gemacht und wir sind als Schüler damals mit Hochdeutsch als Muttersprache auch ganz gut zurecht gekommen.

Die typischen Grammatikfehler der Generation meiner Eltern, die Hochdeutsch sozusagen als erste Fremdsprache gelernt haben, findet man in meiner Generation jedenfalls nur noch selten.

Frage 3

Sie sind als rühriger Museumsleiter bekannt, der förmlich riecht, wo noch verborgene Schätze auf dem Lande zu finden sind. Da ist aber bei den zurückhaltenden Emsländer sicherlich nicht immer ganz einfach, dort ans Ziel zu kommen. Hilft Ihnen dabei auch Ihr Platt?

In der Stadt natürlich nicht, da sprechen mittlerweile alle hochdeutsch. Aber auf dem Lande hilft es im Umgang mit den Menschen in meinen beruflichen Belangen ja doch, wenn man die Menschen auf Plattdeutsch ansprechen und sich mit ihnen dann ungezwungen so unterhalten kann.

Frage 4

Sie haben als Volkskundler und Historiker auch häufig mit alten Schriftstücken und anderen Dokumenten zu tun. Wie erleben Sie die plattdeutsche Sprache dort.

Nein, schriftliches Plattdeutsch ist dort nicht zu finden. Die Dokumente sind in Hochdeutsch geschrieben oder, wenn es ganz alte Schätzchen sind, auch wohl mal in Niederländisch. Ganz selten auch mal in Niederdeutsch.

Das heutige Plattdeutsch war eigentlich nie eine Schriftsprache. Und somit finden wir in den alten Papieren und Dokumenten auch keine Aufzeichnungen in Plattdeutsch.

https://youtu.be/d-bArWUnuaw

Frage 5

Nun sprechen Sie ja die westmünsterländische Mundart. Wird das hier im Emsland rundum akzeptiert?

Die Situation stellt sich ja so da, dass ich aus dem Münsterland stamme. Dort „proat“ man ja nicht, dort „kürt“ man. In meiner Münsterländer Heimat gibt es zwei verschiedene Mundarten im Plattdeutschen, das eine ist das Klei- Platt, die Mundart meiner Eltern und Großeltern, die ich zu Hause als Kind häufig gehört habe. Ein paar Brocken Münsterländer Platt kann ich natürlich auch sprechen. Und dann gibt es auch noch das Platt, das ist im Westmünsterland vertreten ist. Das hörte man in Borken und Coesfeld auch viel.

So verschieden zum Plattdeutschen im Emsland sind diese münsterländer Dialekt ja nun auch nicht. Die meisten sind heute schon froh, wenn sie überhaupt noch auf plattdeutsch angesprochen werden. Da wird dann auch nicht jeder regionale Ausdruck gleich auf die Goldwaage gelegt. Verschiedene Aussprachen spielen dabei keine zentrale Rolle mehr – früher wurde da doch sehr unterschieden, ob man „Kleiplatt“ oder „Sandplatt“ sprach.

Frage 6

Wo begegnet Ihnen die plattdeutsche Sprache heute überhaupt noch?

Auf den Bauernhöfen überall im Emsland und natürlich in den Altenheimen. Gerade die alten Menschen sprechen sehr gerne Platt. Bei den jungen Leuten habe ich keine Möglichkeit mehr, Plattdeutsch zu sprechen. Noch nicht einmal auf einem Bauernhof. Das ist meine ständige Erfahrung in meinem beruflichen Umfeld.

Frage 7

Auf meinen Vorträgen im Westmünsterland musste ich mehrfach hören: Ihr im Emsland habt uns den fähigen Dr. Eiynck weggenommen, den hätten wir so gerne bei uns behalten. Wären Sie gerne beruflich in Ihrer Heimat geblieben?

Nein, nach einer wohlbehüteten Kindheit im Münsterland unter ständiger Beobachtung einer ausdehnten Verwandtschaft und nach dem Studium in Münster hatte ich eigentlich nur einen Wunsch: Mal weg! Weit bin ich ja nicht gekommen, aber nun schon 30 Jahre hier im Emsland. Heute kann ich sagen: Ich komme zwar aus dem Münsterland, das war mal meine Heimat, aber zu Hause bin ich in Lingen. Ich bin ein echter Emsländer geworden, meine Kinder sind es ohnehin.

Frage 8

Hat die plattdeutsche Sprache noch eine Chance? Was könnte man da tun?

Als Alltagssprache ist der Zug wohl abgefahren. Deshalb muss das Plattdeutsche aber nicht zwangsläufig untergehen. Ich sehe eine Zukunftsfähigkeit des Plattdeutschen z.B. im Bereich der Plattdeutschen Literatur, der Rezitation oder auch des Laientheaters.

Als aktive Sprache in Nordwestdeutschland wird die Plattdeutsche Sprache wohl keinen Bestand mehr haben.

Frage 9

Sie haben dann ja noch eine passive Sprachkompetenz gehabt, sie konnten es zumindest verstehen.

Ja, das ist bestimmt so. Meine Großeltern haben eigentlich nur Plattdeutsch gesprochen – außer mit den Enkeln. Meine Eltern haben auch Plattdeutsch gesprochen – außer mit uns Kindern. Verstehen konnte und kann ich jedes Wort. Aber mit dem freien Sprechen hapert es mangels Übung und Erfahrung. Einen Text auf Kleiplatt könnte ich wohl fehlerfrei vorlesen, ohne dass jemand merkt, dass ohne Textvorlage ganz nichst liefe.

Frage 10

Nun haben die Heranwachsenden auch keine passiven Sprachkenntnisse mehr—

Dann ist es natürlich noch viel schwerer. Allerdings gibt es auch neue mediale Möglichkeiten. Man könnte das Plattdeutsche heutzutage z.B. über Plattformen wie YouTube vermitteln. Das gäbe schon mal einen Eindruck. Aber das reicht natürlich für den kompletten Spracherwerb bei weitem nicht aus.

Frage zum Abschluss:

Haben Sie ein nettes „Dönken“ in diesem Zusammenhang:

Vor ein paar Jahren habe ich viel zusammengearbeitet mit dem Heimatverein Burgsteinfurt. In den dortigen Bauerschaften Hollich, Sellen und Veltrup wird noch viel Plattdeutsch gesprochen. Ein fachkundiger Begleiter hat mir damals eingebläut: Wenn di eener frögg, dann seggs du eenfach: Ick kuomm ut Coesfeld von’n Buernhoff un wi küert in Huuse bloss platt! Dann brabbelst Du ein paar Wörter Plattdeutsch und dann läuft das schon.

Da hat sich dann mancher gewundert, wie weit man mit Plattdeutsch in der Welt so kommt. Und eine alte Dame hat auf dem nächsten Cousinentreffen erzählt: Bis us upp’n Hoff, doar was ’n Proffessor ut Lingen, de konn noar derttig Joahren noch Mönsterlänner Platt!

Gelernt ist eben gelernt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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