Georg Borker

Auch evangelisch?

Als ich im Jahr 1955 in meinen ersten Schultagen nach Hause kam, habe ich doch allen Ernstes meine Mutter gefragt: „Sind wir auch evangelisch?” Als meine Mutter ganz erstaunt nachfragte, wie ich darauf komme, ant­wortete ich: „Alle meine Klassenkameraden sprechen in der Pause und nach der Schulzeit plattdeutsch, bis auf zwei. Und diese beiden sind evangelische Flüchtlinge.”

In meiner Kindheit wurde in Lohne fast nur platt ge­sprochen. So hatten manche ältere Leute mit der hoch­deutschen Sprache ihre Probleme. Aus diesem Grunde vermieden meine Eltern es, mit uns platt zu sprechen. So konnte ich bis 1955 nur hochdeutsch sprechen – aber das änderte sich schnell. Ich lernte durch die Schule von meinen Klassenkameraden die plattdeutsche Sprache, während diese in der Schule hochdeutsch lernten. Ein Mitschüler fand das scheinbar sehr frustrierend. Er kam nach den ersten Schultagen mit der Bemerkung nach Hause: „Mama, dat Proaten, wat de dort doot, dat lern ick noit.” Aber auch er spricht heute perfekt hochdeutsch. In meinem Elternhaus wurde weiterhin mit mir und meinen jünge­ren Geschwistern hochdeutsch gesprochen. Aber auch diese lernten Plattdeutsch durch ihre Freunde. Heute spreche ich mit meiner Mutter und meinen Geschwi­stern nur plattdeutsch.

In den 60er und 70er Jahren fing es dann an, daß man vielerorts als „Bauer”, „Dörf­ler” oder rückständig angesehen wurde, wenn man platt sprach. Es galt auch im­mer noch das Vorurteil, daß die mit dem Plattdeutschen aufgewachsenen Kinder speziell in weiterführenden Schulen Schwierigkeiten hätten. Im Nachhinein hat sich diese Ansicht nicht bewahrheitet, aber meine Frau und ich sprachen mit un­seren Kindern auch nur hochdeutsch.

Versuche, unseren heute erwachsenen Kindern noch Plattdeutsch beizubringen, schlugen meist fehl. Zwar können sie das Gesagte verstehen, da in der Nachbar­schaft und Verwandtschaft noch sehr viel plattdeutsch gesprochen wird, jedoch klingt beim Sprechen immer ein nicht üblicher Zungenschlag mit. Aber es wird weiter geübt.

Ich selber spreche heute noch sehr viel platt. In meinem Beruf habe ich es mit vie­len Menschen im Altkreis Lingen und der Grafschaft Bentheim im Baugewerbe zu tun. Hier wird noch viel platt gesprochen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man mit der plattdeutschen Sprache schneller Kontakt mit den Leuten auf dem lande bekommt. In der Grafschaft trifft dieses noch mehr zu als im Landkreis Lingen. Dieser Unterschied ist in den Städten noch größer. In Nordhorn, Bad Bent-heim oder Schüttorf kommt man mit der plattdeutschen Sprache fast immer klar, während man in Lingen schon öfter auf Unverständnis stößt.

Damit unsere schöne plattdeutsche Sprache nicht ganz ausstirbt, ist es wichtig, sie weiterhin zu pflegen. Wir sollten das, was wir bei unseren Kindern versäumt ha­ben, bei den Enkelkindern nachholen und mit ihnen plattdeutsch sprechen. Scha­den wird es keinem Kind, zweisprachig aufzuwachsen. Wenn wir uns alle daran halten, wird es auch in hundert Jahren in unserer Region Menschen geben, die plattdeutsch sprechen. Davon bin ich überzeugt.