Pressebericht zu “Wat, de kann Platt” im Kreis Borken

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Erfahrungen mit der verpönten Muttersprache: Wat, de kann Platt?

Gronau/Kreis Borken

Das Plattdeutsche ist in den letzten Jahrzehnten im gesamten Nordwesten weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden – selbst auf dem Land. Es finden sich unter jungen Leuten kaum noch aktive Sprecher, selbst in der Gruppe der unter 50-Jährigen sind sie rar. So weit, so traurig. Ein neues Buch widmet sich nun der Sprache.

Tönne Speckmann (alias Otto Lohle) führt nicht nur Besuchergruppen auf Platt durchs Rock’n’Popmuseum, er hat jetzt auch einen Beitrag zu einem Buch geleistet, dass sich dem Plattdeutschen widmet. Foto: privat

Der Historiker und Sprachwissenschaftler Dr. Christof Spannhoff vom Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster, der Historiker Dr. Helmut Lensing aus Greven und der ehemalige emsländische Schulleiter Bernd Robben haben nun ein Buch herausgebracht, das sich dem Problem des Verlustes der angestammten Sprache der Region aus einer besonderen Perspektive nähert. Sie gewannen gut 90 Autorinnen und Autoren aus allen Bevölkerungsschichten dafür, ihre jeweiligen persönlichen Erfahrungen mit dem Plattdeutschen niederzuschreiben. Da nicht jeder, der Plattdeutsch spricht oder versteht, auch Niederdeutsch schreiben kann, sind viele Beiträge auf Hochdeutsch verfasst, andere auf Plattdeutsch oder in beiden Sprachen.

Auch „Tönne Speckmann“ ist dabei

Aus dem Kreis Borken sind etliche Autoren in der Neuerscheinung zu finden. Zu nennen wären etwa der Rektor a.D. Josef Pieper vom Heimatverein Epe und Otto Lohle, der als Tönne Speckmann plattdeutsche Führungen durch das Rock’n’Pop-Museum Gronau anbietet. Der in Gronau geborene Karl Sauvagerd trägt mit zwei niederdeutschen Gedichten zum Gesamtwerk bei. Zu lesen sind weiterhin Beiträge der Kreisheimatpflegerin Christel Höink aus Vreden, des ehemaligen Landrats Gerd Wiesmann, der die grenzüberschreitende Bedeutung des Plattdeutschen betont, und des Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Ludger Kremer, der sich beruflich mit dem Niederdeutschen beschäftigt. Heinrich Sieking aus Gescher berichtet von der örtlichen niederdeutschen Theatertruppe, die Plattdeutsch-Autoren des Kreises repräsentieren Friedrich Volmer (Ahaus/Vreden) und Annette Winkelhaus aus Wessum.

Eine Vielzahl überregional bekannter Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens beteiligt sich ebenfalls an dem Plattdeutsch-Buch. Dies reicht von der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek aus Brochterbeck und dem Menschenrechtsaktivisten Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich über den Landwirtschaftsautor Gisbert Strotdrees aus Münster und Unternehmer wie die Landmaschinenhersteller Bernard Krone (Spelle) und Klaus Dreyer (Amazone), von denen man gar nicht erwartet, dass sie Plattdeutsch sprechen. Auch niederdeutsche Musiker und Autoren wie beispielsweise die Bands „Strauspier“ und „Wipp­steert“ und der Niederdeutsch-Autor Otto Pötter aus Rheine kommen zu Wort.

Die wohl älteste Niederdeutsch-Vereinigung der Region ist gleich zweifach vertreten. Richard Schmieding aus Münster führt in die wechselvolle Geschichte der Abendgesellschaft Zoologischer Garten zu Münster (AZG) ein, deren selbst geschriebenen niederdeutschen Stücke – unter anderem von ihm – über Jahrzehnte von Theatergruppen im weiten Umfeld nachgespielt worden sind. Und der aktuelle Vorsitzende Gerhard Schneider schildert, wie er als Schlachter aus Sachsen plattdeutscher Theaterspieler und Professor-Landois-Darsteller geworden ist.

Infos zum Buch

Auch „Exoten“ finden sich hier wie der US-Amerikaner Alan Harms aus Münster, der anschaulich darlegt, welches Verhältnis ein Sohn des tiefsten Mittleren Westens der USA zum Plattdeutschen pflegt.

Wer die häufig sehr persönlichen Beiträge durchgelesen hat, wird verstehen, was es für das Leben vieler Münsterländer und anderer Plattdeutsch-Sprecher bedeutete, was als ein Resümee in der Einführung über die Bildungspolitik in den 1960er-Jahren festgehalten wurde. Denn im Zuge der damaligen Diskussion über das Bildungsdefizit der ländlichen Bevölkerung begannen Schulen und Universitäten einen massiven Feldzug gegen das Plattdeutsche. Es wurde als entscheidendes Bildungshemmnis – häufig sogar als Merkmal von Unterschicht und Bildungsferne – angesehen. Zwar trat der vielfach als unmittelbar bevorstehende prophezeite Untergang des Niederdeutschen bislang nicht ein. Dennoch ist nicht zu bestreiten: Die Bemühungen von Schule und Universitäten waren nicht erfolglos. Wie hier zu lesen ist, entschieden sich der Großteil der Eltern, dem Drängen der Schulen zu folgen und mit ihren Kindern nicht mehr Plattdeutsch zu reden. So können viele der Autorinnen und Autoren zwar Plattdeutsch verstehen, aber nicht mehr fließend sprechen, erst recht nicht schreiben, heißt es in einer Mitteilung.

Die Beiträge von zwei bis zwölf Seiten sind mal amüsant, mal lehrreich oder interessant, manchmal nachdenklich und häufig heiter. Illustriert sind sie mit zahlreichen Bildern von Theateraufführungen und vielen Zeugnissen des plattdeutschen Lebens. Auflockerung bieten eingestreute niederdeutsche Gedichte und plattdeutsche Erzählungen. Durch QR-Codes ist es überdies möglich, etliche Autoren und Autorinnen selbst sprechen zu hören oder zu plattdeutschen Musikstücken zu gelangen.