In dieser Dokumentation wollen wir auf die starken Unterschiede in der Mundartkompetenz zwischen Ortskern und Bauerschaft, die Kremer (1983) in seiner Untersuchung herausgestellt hat und die aufgrund der gleichen Fragestellung auch hier herausgearbeitet werden können, nicht gesondert eingegehen — sie können aber für das Emsland ebenfalls bestätigt werden.
Bei der Beschäftigung mit den regionalen Unterschieden soll ein wichtiger Aspekt dieser emsländischen Untersuchung am Anfang stehen: die Testergebnisse der aktiven und passiven Kompetenz der 10-jährigen Schüler. Dann sollen diese Werte mit den Ergebnissen der subjektiven Elternaussagen zu den sprachlichen Fähigkeiten ihrer Kinder im Plattdeutschen verglichen werden.
Während die Gesamtergebnisse der Selbsteinschätzung der Eltern und der Schülertests bei der passiven Mundartkompetenz der Kinder (vgl. Tab. 2) im Bereich von „gut verstehen” (Testergebnis 42,3%, Selbsteinschätzung 32,4%) und „weniger gut verstehen” (Testergebnis 37,4%, Selbsteinschätzung 47,8%) um etwa 10% differieren, liegen die Werte im Bereich „gar nicht verstehen” mit 18,2% Testergebnis und 19,9% Selbsteinschätzung sehr nahe beieinander. Die fast völlige Übereinstimmung der Werte im Bereich der aktiven Sprachkompetenz (vgl. Tab. 1) — bezogen auf das gesamte Untersuchungsgebiet — haben anfangs die Vermutung aufkommen lassen, daß die Eltern recht gut die jeweiligen Kenntnisse ihrer Kinder im Bereich der plattdeutschen Sprache einschätzen können.
Die nachfolgenden Ergebnisse zeigen jedoch im Gemeindevergleich insbesondere bei der Beurteilung der passiven Kompetenz, daß die Einschätzung der Eltern zum Teil sehr fehlerhaft ist. Daraus — und das dürfte diese Erhebung besonders deutlich gemacht haben — müßten entsprechende Rückschlüsse für die Aussagekraft anderer Untersuchungen gezogen werden, die sich auf die Selbsteinschätzung der Befragten stützen. Die Unterschiede im Bereich der aktiven Kompetenz sind im Gemeindevergleich ebenfalls sehr groß, fallen jedoch nicht so ins Auge, da die Zahlenwerte im Vergleich zur passiven Kompetenz niedrig ausfallen.
Im vorbereitenden Arbeitskreis zu dieser Untersuchung war vermutet worden, der regionale Schwerpunkt der noch vorhandenen Mundartkompetenz bei der zu untersuchenden Schülergruppe werde in den Gemeinden entlang der niederländischen Grenze (also in den Gebieten des frpheren Bourtanger Moores) mit einem Anstieg der positiven Ergebnisse in nördlicher Richtung liegen. Diese Annahme wird jedoch durch die vorliegenden Werte nicht voll bestätigt.
Zur ersten Spalte von Tab. 7 (passive Mundartkompetenz): Es ist kein Nord-Süd-Gefälle zu verzeichnen, die höchsten Prozentzahlen bei der passiven Kompetenz finden sich vielmehr im mittleren Bereich in den Gemeinden Haren (82,2%) und Twist (79,8%) im Westen des Kreises und auf der gegenüberliegenden östlichen Seite in den Samtgemeinden Herzlake (83,9%) und Haselünne (70,4%).
Während im folgenden insbesondere der Unterschied zwischen Test und Elterneinschätzung aufgezeigt werden soll, wird an späterer Stelle diese Tabelle nochmals herangezogen werden müssen zum Vergleich der Kompetenzentwicklung der drei verschiedenen Generationen.
In fünf Gemeinden im Norden und Nordosten liegen die Testergebnisse zum Teil sehr deutlich unter der von den Eltern vermuteten Kompetenz (Sögel —21%). Im westlichen Bereich dagegen rund um Meppen ist genau das Gegenteil festzustellen. Um Haren herum sind die Werte sogar um 39% höher, als von den Vätern und Müttern vermutet. Nur in drei Gemeinden gab es eine Differenz von etwa 1%. In über der Hälfte der Gemeinden überschreitet die Fehleinschätzung 15%, davon wiederum liegen vier Gemeinden über 30%.
Insgesamt kann also bei der Gegenüberstellung der Befragungs- und Testergebnisse festgestellt werden, daß sich völlig ungeordnete Werte ergeben. Eine solch gravierende Fehleinschätzung war nicht vermutet worden und erstaunt umso mehr, als eine schlüssige Begründung dafür fehlt.
Bei der Gegenüberstellung von Testergebnissen und Elterneinschätzung hinsichtlich der aktiven Mundartkompetenz der Schüler (Tab. 7, Spalte 2 und 3) wird gerade am Beispiel der Gemeinde Twist sehr deutlich, wie stark die Elterneinschätzung von der realen Schülerkompetenz abweicht. Zwar sind die Zahlenwerte nicht so gravierend wie bei der passiven Kompetenz, in Prozentzahlen ausgedrückt ist die Fähigkeit der genauen Einschätzung durch die Eltern aber ebenfalls erstaunlich gering. Es finden sich auch hier Unter- bzw. Überschätzungen.
Dennoch kann man insgesamt feststellen, daß den Eltern deutlicher bewußt ist, welches Sprechvermögen ihre Kinder haben, im Vergleich zu dem Empfinden für das Verstehen der Mundart. Besonders fallen bei diesem Vergleich die Testergebnisse von Rhede und Sögel mit jeweils 0% auf, während die Eltern noch plattdeutsches Sprechvermögen (Rhede 2,5%, Sögel 2,9%) vermuten. In Dörpen dagegen liegen sie mit über 3% unter den tatsächlichen Werten. Auch im südlichen Landkreis zeigt sich die mangelnde Fähigkeit der Eltern, das Sprechvermögen ihrer Kinder richtig einzuschätzen. Nur in Geeste, Lengerich und Lingen sind die Werte ungefähr deckungsgleich. In Haselünne dagegen liegen die Testergebnisse nur halb so hoch wie die von den Eltern vermuteten Werte, in Emsbü-ren ist es genau umgekehrt. Die Karten 5 und 6 zeigen noch einmal alle Vergleichszahlen.
Bei der Gegenüberstellung von Sprachgebrauch und Kompetenz im Vergleich der drei Generationen beschränken wir uns auf die Zahlenwerte der Väter, da die Herkunftsübersicht der Befragungsergebnisse deutlich zeigt, daß mehr Väter (48,2%) als Mütter (31,7%) in ihrem jetzigen Wohnort geboren sind.
So soll zunächst der Sprachgebrauch der Großeltern in der regionalen Übersicht vorgestellt werden. Die tatsächlichen Kompetenzwerte für diese Generation liegen nicht vor, da sie nicht speziell erfragt worden sind, sie werden jedoch, wie in 3.5. bemerkt, um einige Prozentpunkte über den Werten des Sprachgebrauchs liegen (d.h. über 70%).
Betrachtet man zunächst die ersten drei Spalten der Tabelle 8 unter dem Aspekt des Verhältnisses der einzelnen Gemeinden zueinander, so fällt auf, daß sie weitgehend korrelieren. Nur bei Lathen ist der Wert in der zweiten Spalte im Vergleich zu den beiden übrigen Werten verhältnismäßig niedrig. Der Übergang in der Kompetenz von Generation 1 zu Generation 2 entspricht also unseren Erwartungen: Sprechen die Großeltern platt, so können es auch deren Kinder, die jetzigen Eltern.
Bei der Kompetenz der Eltern (hier nur Väter) und dem Sprachgebrauch der Großeltern läßt sich ein Nord-Süd-Gefälle ausmachen. Damit ist gleichzeitig ausgesagt, daß die Mundartkenntnis der Generationen 1 und 2 nicht mit der der Generation 3 korreliert (s. Tab. 7, Spalte 2). So finden wir bei den Eltern in Rhede, Nordhümmling, Werlte und Dörpen 80% aktive Dialektkompetenz, Twist liegt um 5% darunter. Bei der Generation 3 dagegen differieren die Werte stark: Rhede 0,0%, Nordhümmling 6,0%, Werlte 5,5%, Dörpen 6,9%. Twist dagegen weist die Höchstpunktzahl von 8,7% im gesamten Emsland auf.
Wenn wir nun den Mundartgebrauch der Eltern (untereinander) mit der aktiven und der passiven Kompetenz der Kinder vergleichen, fallen folgende Punkte auf (s. Tab. 8, Spalte 4, und Tab. 7):
Beim Sprachgebrauch der Generation 2 ist ebenfalls ein Nord-Süd-Gefälle zu verzeichnen, wobei Sögel hier nicht so tiefe Werte wie in den vorhergehenden Vergleichen aufweist und über Twist liegt, das ja bei der Schülerkompetenz ganz vorne anzutreffen ist.
In folgenden Orten besteht eine gewisse Korrelation zwischen dem Sprachgebrauch der Eltern und der aktiven Kompetenz der Schülergeneration (in Klammern: Elternsprachgebrauch / Schülerkompetenz in %): Nordhümmling (54,0 / 6,9), Werlte (43,6 / 5,5), Dörpen (35,1 / 6,9), Haren (31,9 / 5,4) und Twist (32,7 / 8,7). Diese Gemeinden sind ausschließlich in der Mitte bzw. im Norden des Emslandes zu finden. Unter dem erwähnten Gesichtspunkt fallen aus dem Rahmen: Sögel (35,3 / 0,0) und Rhede (30,0 / 0,0).
Im südlichen Kreisgebiet fallen Emsbüren und Salzbergen auf: Obwohl in Emsbüren der Gebrauch des Niederdeutschen bei der Generation 2 mit 17,8% nur–einige Prozentpunkte unter dem Kreisdurchschnitt liegt, ist die Schülergeneration bei der aktiven Kompetenz mit 5,2% relativ stark im Emslandvergleich. Bei Salzbergen ist diese Erscheinung noch stärker ausgeprägt: Generation 2 nur 6,4%; Generation 3 dagegen 2,1% und damit nur 0,9% unter dem Kreisdurchschnitt.
Man muß natürlich bei solchen Zahlenvergleichen bedenken, daß es sich bei der untersuchten Bevölkerungsgruppe nur um einen begrenzten Personenkreis handelt. Bei den Ergebnissen der Samtgemeinde Sögel, die mit 0,0% bei der aktiven Kompetenz der Schüler doch auffällt, wurden deshalb nach der Auswertung nochmals die Schülertestbögen genau untersucht, und es bestätigte sich: Von 106 Kindern dieses Jahrgangs weist keines die nötige Punktzahl auf für die Qualifikation „gut sprechen können”.
Der Vergleich des Mundartgebrauchs der drei Generationen untereinander zeigt wiederum gravierende Einbrüche: Während die Väter zu 40% mit ihren Eltern ausschließlich platt sprechen (Mütter 38%), liegt der Plattdeutschgebrauch in der jetzigen Eltern-Kind-Generation bei 0,7% (bezogen auf das gesamte Emsland). Die Ergebnisse in den einzelnen Samtgemeinden zeigen die Karten 7 und 8.
Als Ergebnis dieses Vergleiches können wir festhalten: Wo die Väter mit ihren Kindern plattdeutsch sprechen, dort finden sich entsprechende Werte auch bei den Müttern, in noch geringerem Maße sprechen auch die Kinder untereinander in der Mundart, allerdings nur zu 0,3% im Emsland-Durchschnitt. Wie sollen diese Kinder —wenn sie einmal Erwachsene sein werden — das Plattdeutsche an die nächste Generation weitergeben?