Zeichnungen von Prof. Dr. med. Gerhard Pott

 

Eine besondere Bereicherung des Buches Wat, de kann Platt? sind sicherlich die Zeichnungen des Mediziners Dr. Gerhard Pott aus Nordhorn. 

Meine Zeichnungen in diesem Buch:

Nein, Platt sprechen kann ich nicht, beschied ich die Herausgeber am Telefon. Aber Sie sind doch hier aufge­wachsen, ja, als Beamtenkind hierher gekommen, mei­ne Kinder sozusagen Zugereiste der zweiten Genera­tion. Und außerdem käme es gar nicht auf einen platt­deutschen Aufsatz an, mein Verhältnis zur plattdeut­schen Sprache sei von Interesse. Was fällt mir zur platt­deutschen Sprache ein? Niederdeutsch, Niedergraf­schaft, Knollenland, niederländische Nachbarn? Nein, alles nichts. Ein Satz. „Doktor, Doktor, verschrief mi noch moal ‘n EKG, leste heff mi soa gut doan”, rief 1972 ein Bauer aus der Nie­dergrafschaft durch das Aufnahmezimmer nachts im Marienkrankenhaus.

Wir lachen herzlich bis hämisch über so viel Unverstand – aber die Dummen sind wir Lacher. Natürlich ist das EKG zur Erkennung von Krankheiten da, aber der Wunsch nach einer helfenden Handlung schert sich nicht um das konkrete Resul­tat. Der Hilfesuchende demonstrierte mit dieser direkten Aufforderung, die platt­deutsch direkter als hochdeutsch klingt, die Grundlagen der psychosomatischen Medizin. Längst sind Name und Wohnort des Patienten, nicht jedoch Gesicht und Satz vergessen. Dieser Satz, der seitdem für mich unsichtbar über vielen interes­santen und manchmal auch langatmigen Diskussionen zur psychosomatischen Medizin steht.

Noch ein Verhältnis zum Plattdeutschen? Hatten die Herausgeber noch anderes im Sinne? Ich hätte ja schon mal gezeichnet, Landschaften, Kirchen und so weiter. Ja, das Land hatte ich gezeichnet, weite Flächen, leichte Hügel, Baumränder und Wall­hecken wie Schriftzüge auf weitem Papier, flache junge eiszeitliche Hügel im Hümmling, das Moor der Niedergrafschaft, die angrenzende Twente. Oberfläche mit eingeritzten Tätowierungen auf der Haut. Mit einem Stift nachziehen, etwas Perspektive, Zeichen der Landschaft lesen. Zeichnen und Schrift an ihrem Ur­sprung, das Eingeritzte, das Unmittelbare … Weitere Assoziationen.

Für Heinrich Hensen hatte ich gezeichnet, und das kam so: Hensen kannte ich seit Mitte der 80er Jahre von einer komplizierten, aber Gott sei Dank heilbaren Krank­heit. Hensen, groß, würdig, alter Schulrektor und plattdeutscher Schriftsteller. 1989 saß er mir im Sprechzimmer gegenüber und fragte plötzlich: „Werden Sie hier gut bezahlt?” Ich schreckte hoch, hatte nachdenklich seine Karteikarte durch­gesehen. Diese neue Krankheit war wohl nicht zu heilen. Er habe von mir Zeich­nungen gesehen, ganz ordentlich. Ob ich sein letztes Buch illustrieren könne. Er sehe mir an, daß die endoskopische Untersuchung nicht gut ausgegangen sei und daß er wohl nicht mehr lange lebe. Ein Buch noch, zwei bis drei Zeichnungen. Si­cher wolle ich nicht so viel Honorar, bei seinen letzten Büchern habe er zuviel für die Zeichnungen zahlen müssen.

Der Umschlag wurde entworfen, eine Hand zeichnet über die Grafschaft; Schrift, Handlinien und Landschaft gingen ineinander über. Das sei keine richtige Hand, ob ich wohl meine Anatomie kenne? Absichtlich, Verfremdung, Hand oder nicht Hand. Hensen beharrte auf einer neuen Hand.

Schließlich ein vergilbtes Photo von seinem elterlichen Bauernhof in Ostenwald. Das könne ich ja wohl nicht zeichnen, das sei zu schwer für mich. Hensen freute sich an seinem letzten Buch. Mein Honorar: Plattdeutscher Unterricht. Dazu kam es nicht mehr. Noch einige Besuche vor dem Tod, ob ich wisse, was die Redensart „er sei weg vom Fenster” bedeute. Ich solle mal weiterzeichnen.

 

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 12