Hermann Paus (Emsbüren)

Hermann Paus

Firmengründung mit sechs Worten

Obschon in meinem Elternhaus in Seppenrade fast ausschließlich hochdeutsch gesprochen wurde, sprach ich sicherer platt als hochdeutsch. Das kam wohl daher, daß ich als Kind mehr in der Nachbarschaft und auf angrenzenden Bauernhöfen spielte. Dort wurde platt gesprochen, und somit war das die Ausdrucksweise, die ich am besten beherrschte. Ich stellte auch schnell fest, daß man einige Dinge nur in Plattdeutsch richtig darstellen konnte, ohne falsch verstanden zu werden.

Gute Erinnerung habe ich an meinen ersten Schultag. Seppenrade hatte eine 3-klassige Volksschule, und somit waren mehrere Jahrgänge in einem Raum zusammengefaßt. Wir erhielten unsere Plätze, und die Lehrerin beschäftigte sich dann mit den anderen Jahrgängen. Dadurch merkte sie erst nach einiger Zeit, daß einer der neu eingeschulten Jungen seinen Mantel noch an und seine Mütze noch auf hatte. Sie erklärte ihm also, daß er den Mantel ausziehen und die Mütze absetzen könne. Es geschah aber nichts. Nach der dritten Aufforderung sagte der Junge: „Nee, so lang sollt nich durn” (Nein, so lange will ich nicht bleiben.) In einer Nachbarklasse saß der Sohn eines Kleinbauern, der nach acht Tagen noch kein Wort gesagt hatte. Der Lehrer wollte ihn zum Sprechen bringen und sagte: „Euer rechter Nachbar ackert mit Pferden”- keine Antwort – „Euer linker Nachbar ackert mit Küher.” – keine Antwort – „Dein Vater aber ackert mit Ziegen”. Die Antwort: „He schitt di wat”. Das war doch eine klare Antwort, und alles war gesagt.

Mein Vater verunglückte, als ich drei Jahre alt war, und meine Mutter, als ich neun war. Dadurch kam ich zu Verwandten nach Hiddingsel, etwa 10 km von Seppenrade entfernt. Schon diese kurze Entfernung genügte, um festzustellen, wie verschieden der Dialekt in der plattdeutschen Sprache ist. Durch meine Aussprache fiel ich überall sofort auf. Zum Beispiel für das Wort „euch” sagte man in Seppenrade „iuk” und in Hiddingsel „ju”, oder für „auch” in Seppenrade „ok”, in Hiddingsel „auk”. Diese Feststellung kann man überall machen, wo heute noch platt gesprochen wird. Etwa alle 10 bis 20 km weiter gibt es ortsspezifische Worte, an denen man die Herkunft erkennen kann.

Nach meiner Ausbildung zum Maschinenschlosser begann ich 1953 ein Studium an der Ingenieurschule in Köln. Da war es natürlich interessant, die kölsche Mundart zu hören und zu verstehen. Diese Tatsache hilft mir heute noch, zum Beispiel Karnevalssendungen gut verfolgen zu können. Durch meine erste Tätigkeit als Ingenieur bei einer Landmaschinenfabrik in Solingen erlernte ich das bergische Platt; wieder eine ganz andere Art. Bei vielen Versuchen mit Mähwerken, die wir herstellten, auf den Bauernhöfen in der Umgebung habe ich dann auch die speziellen Ausdrücke der Landwirte gehört, die sich wieder stark unterschieden vom Platt, das in den Bürgerhäusern gesprochen wurde. Die gleichen Feststellungen mace ich dann, als ich ins Emsland kam. In Rheine zum Beispiel herrscht eine völlig andere Aussprache als in Spelle oder an meinem jetzigen Wohnort Emsbüren. Auch hier kann man sehr schnell heraus¬hören, wer wo seine Heimat hat.

Geholfen hat mir die plattdeutsche Sprache in vielen Lebenslagen, zum Beispiel bei vielen Besuchen in den Niederlanden oder im flämischen Teil Belgiens. Besonders Ärger mit den Bauern bei Reklamationen konnte man am besten mit drastischen Worten in Plattdeutsch erledigen, wobei beide Seiten davon ausgingen, daß die Vereinbarung auch gehalten wurde. Bei einem Familienurlaub in Goslar besuchten wir die Kaiserpfalz. Ich hatte den Eindruck, einen vorbeigehenden Mann zu kennen. Meine Frau war anderer Ansicht und sagte: „Den kannst du nicht ansprechen”. Ich habe ihn dann auf Platt angesprochen und gedacht: „Wenn er’s versteht, ist er es, und sonst gehst du weiter”. Er hatte mich sofort verstanden, und wir brauchten nur 20 Meter bis zum nächsten Biergarten, um uns ausgiebig in Platt über alte Zeiten zu unterhalten, und hatten einen herrlichen Nachmittag.

Besondere Bedeutung hatte die plattdeutsche Sprache bei der Gründung der Paus GmbH in Emsbüren. Gründer dieser GmbH waren Bernard Krone jun. und ich. Die Besprechung für den Ankauf und damit die Gründung dieser GmbH in Emsbüren fand im Hause des damaligen Bürgermeisters Franz Silies statt. Anwesend waren unter anderem auch der Oberkreisdirektor Franke sowie Bernhard Krone senior. Franz Silies und Bernhard Krone senior waren zusammen im Kreistag in Lingen und wußten, was sie voneinander zu halten hatten. Die Verhandlung dauerte 15 Minuten. Nachdem Franz Silies und Bernhard Krone senior gemeinsam auf der Toilette gewesen waren, war alles klar. Nachher wurde nur erzählt, daß auf der Toilette Silies Krone fragte: „Is dat wat?” (damit meine er mich), Krones Antwort: „Kanns du maken”. Damit war alles geklärt und die Firmengründung beschlossen.

Auch bei einer Verhandlung in der russischen Handelsmission in Köln hat sich im Jahr 1984 die plattdeutsche Sprache bewährt. Es fehlte ein Dolmetscher für Russisch-Deutsch, und so wurde mit Hilfe meines Sohnes in Englisch verhandelt. Nach einiger Zeit ergab sich ein technisches Problem, das ich mit meinem Sohn besprechen mußte. Wir wollten jedoch nicht, daß die Russen uns verstehen, und waren nicht sicher, ob sie nicht doch Deutsch verstanden. Also haben wir beide platt gesprochen, und das ziemlich schnell. Den Russen konnte man ansehen, daß sie wirklich nichts verstanden. Wir lösten unser Problem und bekamen den Auftrag.

Alle diese Begebenheiten und noch viele mehr bezeugen: Es wäre ein Problem, wenn es die plattdeutsche Sprache nicht mehr gäbe!