Datt Book is watt besünners…
Über 20 Jahre habe ich recherchiert zu den beiden Kernthemen des Nordens “Heuerlingswesen” und Schwund der plattdeutschen Sprache. (…ganz eng miteinder verwandt…)
Nur wenige Bücher haben mich so inspiriert:
Der Autor Heinrich Löhmann ist 1933 auf einem Bauernhof in Sebbenhausen nördlich von Nienburg geboren. Damit ist er 15 Jahre älter als ich.
Aber seine Beschreibungen des Dorflebens – mit einer Entfernung von etwa 80 Kilometer zu meiner Bauerschaft in der Luftlinie – decken sich nahezu total.
Meine fast identischen Erkenntnisse werden bestätigt in vielen Begegnungen bei meinen mittlerweile 117 Vorträgen zum Heuerlingswesen in ganz Nordwestdeutschland.
Rücksprachen mit Historikern und Volkskundlern der Region haben ergeben, dass die Geburtsjahre nach etwa 1955 diese Erfahrungen kaum noch gemacht haben.
Das scheint bisher so noch nicht erkannt und formuliert worden zu sein.
Diese Erkenntnisse fließen z. Zt. ein in die Erstellung von Materialien zur Demenz- und Altenbetreuung.
Ein Hinweis mit Bild von Heinrich Löhmann findet sich hier
Ich habe es gewagt, den nachfolgenden Buchtext – ab Seite 158 – ein wenig für diesen Gebrauch zu strukturieren und zum Teil mit eigenen Überschriften zu versehen (RO)
„lk snack Platt – Du ok?”
Ein Thema, das ich schon mehrmals in Nebensätzen gestreift habe, ist mir aberso wichtig, dass ich mich noch etwas ausführlicher damit beschäftigen möchte: unsere plattdeutsche Muttersprache.
Wir Landkinder waren in den dreißiger Jahren noch ganz selbst-verständlich plattdeutsch aufgewachsen, weil alle Leute um uns herum, in der Familie, auf dem Hof und im Dorf so redeten. Es gab aber auch damals schon Tendenzen, mit den Kindern nur hochdeutsch zu reden, um ihnen Sprachschwierigkeiten in der Schule zu ersparen. Die haben wir aber kaum gehabt, weil wir beim Schulbeginn auch schon halbwegs hochdeutsch sprachen. Ich weiß nur nicht, wo und wie wir es gelernt hatten. Vielleicht bei unseren wenigen städtischen Verwandten und Bekannten, oder wenn Mutter uns – selten genug – einmal zum Einkaufen mit nach Nienburg nahm. Jedenfalls konnten wir es. Und das war auch gar kein Wunder. Denn wie man heute weiß, sind Kinder auch schon im Vorschulalter ungeheuer aufnahmefähig und sprachbegabt. Wir erleben es jetzt wieder bei unseren Enkelkindern, wie sie fast mühelos zwei-, ja sogar dreisprachig aufwachsen und je nach Gesprächspartner ganz selbstverständlich von einer in die andere Sprache überwechseln. Aber das wusste man damals noch nicht so recht.
Im südlichen Niedersachsen gab es diese Tendenz zum Hochdeutschen auch außerhalb der großen Städte schon seit Anfang des Jahrhunderts.
Mit etwas Fantasie kann man deshalb den Mittellandkanal nicht nur als Rüben-, sondern auch als Sprachäquator bezeichnen.
Je nördlicher und platter das Land, desto plattdeutscher auch die Sprache. Es war wohl auch vielfach so, dass man das Plattdeutsche etwas von oben herab als eine Sprache betrachtete, die nicht fein genug war, um von gebildeten Menschen gesprochen zu werden, und in der man höchstens ein paar derbe Bauernschwänke verfassen, aber keine ernsten, tiefsinnigen Gedanken zu Poesie und Prosa gestalten konnte. Eine Meinung, die von vielen Autoren und Schriftstellern widerlegt worden ist. Ich denke da zum Beispiel an Klaus Groth, Fritz Reuter, Georg Droste, Heinrich Schmidt-Barrien oder Alma Rogge, um nur ein paar Namen zu nennen.
Aus meiner Seit ist es eine Sprache, die ähnlich wie der bayrische Dialekt viele klare Ausdrucksweisen zulässt, die hochdeutsch vorgetragen schon verletzend oder beleidigend wirken könnten. Es gibt auch viele, vor allem Eigenschaftswörter, die mit einem Wort alles treffend wiedergeben, was man hochdeutsch mühsam in mehreren Sätzen erklären und umschreiben müsste. Man kann aber auch feinsinnige Gefühle und Empfindungen ohne viel modernes Wortgeklingel mit ihr zum Ausdruck bringen.
Es ist doch wohl so, dass jeder Dialekt, jede landschaftlich gebundene Sprache ein Gefühl von Heimat, von Wärme und Geborgenheit vermittelt. Jedenfalls trifft das für uns alles auf unsere niederdeutsche Sprache zu. Nicht umsonst gibt es auch jetzt in den USA und vielerorts anderswo in Übersee immer noch plattdeutsche Vereine, in denen die Nachkommen ehemaliger Auswanderer die Sprache ihrer Vorväter noch nach mehreren Generationen lebendig halten.
Neben diesen mehr gefühlsmäßigen Begründungen, warum wir so sehr an dieser Sprache hängen, gibt es aber auch ganz praktische, handfeste Argumente, das Plattdeutsch nicht sterben zu lassen.
Enge Verwandtschaft mit der niederländischen und englischen Sprache (RO)
Wer schon einmal in Holland war, wird festgestellt haben, wie eng beide Sprachen miteinander verwandt sind. Man kann sich dort sehr gut mit Plattdeutsch in jeder Situation zurechtfinden. Sogar das Englische hat noch sehr viel Bezüge und Ähnlichkeiten zum Plattdeutschen.
Das erkannten wir schon, als wir an den Nienburger Schulen den ersten Englischunterricht erhielten. Ganz deutlich und überraschend humorvoll vorgeführt bekamen wir das einmal während unserer englischen Hofbesetzung im Mai/Juni 1945. Unsere Mutter und Großmutter kamen gerade durch die Waschküche, als dort der Koch mit dem Aufwasch seiner Utensilien beschäftigt war. Etwas entrüstet sagte da Oma zu unserer Mutter: ”Elsbeth, nu kik di dat mal an, de wascht up mit kolt Water.” Der Smutje, der das schon verstanden hatte, sah von seiner Arbeit auf und wiederholte leicht amüsiert das eben Gehörte fast wortwörtlich, nur mit englischen Akzent: ,,Yes, we washed up with cold water”
Plattdeutsch geriet nach dem Kriege in Bedrängnis… (RO)
Damit bin ich schon in einer Zeit angelangt, in der das Plattdeutsche in höchste Bedrängnis geriet. Durch die Flüchtlingsströme aus dem Osten wurden nun so viele Sprachen und Dialekte durchein-andergewirbelt, dass für die gemeinsame Verständigung nur das Hochdeutsche übrig blieb. Im Zuge dieser Veränderungen und dem allmählichen Wegsterben der damals älteren Generationen sind die schlesischen und ostpreußischen Mundarten fast gänzlich aus der deutschen Sprachvielfalt verschwunden. Zwar haben noch einige von den Flüchtlingskindern das Platt von uns übernommen, zumal wenn sie aus Mecklenburg oder Pommern mit ähnlichen Sprachen vertraut waren, aber das Gros der nachgeborenen Generationen ist seitdem nur mit Hochdeutsch aufgewachsen. Wie sehr das auf alle Landesteile und Bevölkerungsgruppen zutrifft, ist mir an einem anderen Beispiel klargeworden.
Nachkriegserfahrungen in und um Hamburg (RO)
Während meiner Ausbildung bin ich 1953 auf einem Hof in Hittfeld südlich von Hamburg gewesen. Wenn wir jungen Leute gelegentlich am Sonntag in Hamburg auf Besichtigungstour waren, konnte man unterwegs oder in der Straßenbahn noch häufig plattdeutsche Gespräche hören. Im Herbst hatten wir dann, wie das damals noch durchweg üblich war, Einkellerungskartoffeln direkt in die Haushalte geliefert. Dabei wurden wir in den überwiegend von alteingesessenen Hafen- und Werftarbeitern bewohnten Stadtvierteln Harburg und Wilhelmsburg meistens mit Platt angesprochen. Aber nicht mit „Missingsch”, wie man das nur hamburgisch eingefärbte Hochdeutsch nennt, das wir vielleicht von der Hamburger Ohnsorg-Bühne her kennen. Sondern mit original Hamburger Platt, das in der Klangfarbe unserer Sprechweise noch ähnlicher ist als zum Beispiel der Bremer oder der Ostfriesisch-Oldenburger Dialekt. Als ich jetzt fünfzig Jahre später bei meinen Marathonläufen viele Stadtteile von damals wieder durchstreift habe, mit Straßen-, S- und U-Bahn, überwiegend natürlich zu Fuß, war kein plattdeutsches Wort mehr zu hören. Nur in Einzelfällen, wie auch in unserer Familie, hat man nach 1945/46 noch bewusst und absichtlich den Kindern unsere Heimatsprache nahe gebracht.
Bemühen um Trendwende (RO)
Zwar bemüht man sich in den letzten Jahren um eine Trendwende, zum Beispiel durch Volkshochschulkurse, plattdeutsche Gottesdienste, Lesewettbewerbe in der Schule oder Ähnliches. Auch unser Klassenkamerad Willi Heineking nutzt jede Gelegenheit, die sich ihm als Kommunal- und Landespolitiker bietet, für unsere Sprache zu werben. So hat er vor einigen Jahren, als er Alterspräsident des Niedersächsischen Landtages wurde, die Eröffnungsrede weitgehend in Plattdeutsch gehalten.
Quintessenz (RO)
Aber das alles sind nur gut gemeinte Einzelaktionen, denen langfristig der Erfolg versagt bleibt, wenn das Platt nicht in die Familien zurückkehrt und dort wortwörtlich wieder Muttersprache wird. Wenn das nicht geschieht, wird es uns ähnlich ergehen wie den Nordfriesen in Schleswig-Holstein und den Sorben in der sächsischen Lausitz. Dann wird unser Niederdeutsch nur noch von einigen mitleidig belächelten Alten gesprochen und höchstens ein Forschungsobjekt für Sprachforscher und Wissenschaftler bleiben.
Aber vielleicht habe ich ja auch Unrecht.
Heinrich Löhmann: Kindheit auf dem Dorf - Jugend in wechselvoller Zeit 1933 - 1950, Münster 2006