Gerhard Butke

Noch nie gab es so viele Aktivitäten

Wann habe ich das erste Mal plattdeutsch gesprochen? Als ich mir diese Frage stellte, wußte ich darauf zunächst keine Antwort. Meine ersten, deutlich artiku­lierten Worte waren sicherlich, wie bei den meisten kleinen Kindern, „Mama” und „Papa” – zwei Aus­drücke, die nicht eindeutig einer Sprache zuzuordnen sind. An die nächsten Worte kann ich mich nicht mehr erinnern, sie müssen aber allesamt plattdeutsch gewesen sein, da in meinem Elternhaus und in der Nachbarschaft nichts anderes gesprochen wurde. Bis zum heutigen Tag unterhalte ich mich mit meinen Geschwi­stern, meiner Frau, sowie den meisten Verwandten und Bekannten und größten­teils auch beruflich in Niederdeutsch. Es ist eben die Sprache, mit der wir aufge­wachsen sind, und in der ich auch denke und träume.

Später, in der Schule, mußten wir dann das Hochdeutsche dazulernen, was nicht weiter schwierig war – von einigen Ausnahmen abgesehen. So wurde etwa aus ei­ner „Achter”bahn eine „Hinter”bahn, und der „Buch”fink wurde zum „Bauch”fink umgetauft. In meiner Kindheit, vor vierzig Jahren, war unser Plattdeutsch zumin­dest auf dem Land weitestgehend Umgangssprache. Auch heute wird es im Emsland und in der Grafschaft Bentheim noch sehr viel gesprochen. Das ist gut so, denn Plattdeutsch ist – wie Prof. Dr. Marron C. Fort es einmal ausdrückte – „die Sprache der Heimat – ein kostbares Erbstück, das Denkmalschutz verdient”.

Nie hat es so viele Aktivitäten zur Erhaltung dieser Sprache gegeben wie heute. Eine Fülle von zum Teil sehr produktiven Schrieverkrings versuchen, die Nieder­deutsche Literatur zu beleben und vor allem die Qualität zu verbessern. So ist zum Beispiel unter der Federführung des Emsländischen Heimatbunds e.V. ein Arbeits­kreis „Plattdeutsche Sprache” ins Leben gerufen worden. Halbjährlich treffen sich niederdeutsch schreibende Autorinnen und Autoren aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim, um eigene Texte vorzustellen und kritisch darüber zu disku­tieren. Dies ist wichtig, denn Literatur ist deshalb noch lange nicht gut, nur weil sie in Plattdeutsch geschrieben ist.

Die Politik setzt sich derzeit in verstärktem Maße für unsere alte Sprache ein. Das Niedersächsische Kultusministerium will die niederdeutsche Sprache in den Grundschulen stärken, um den Schülerinnen und Schülern zu einer besseren Identifikation mit ihrer Region zu verhelfen. Verstanden wird das Platt noch von vielen Jugendlichen, doch leider ist die Zahl der platt sprechenden Kinder und Ju­gendlichen stark rückläufig. Um so erstaunlicher ist es, wie viele Schülerinnen und Schüler an den alle zwei Jahre veranstalteten Lesewettbewerben „Schüler lesen Platt” teilnehmen, und wie gut sie dann das Platt beherrschen. Es ist also ein Lernprozeß, der gefördert werden sollte.

Für ein sehr gutes Zeichen halte ich die Aufnahme des Plattdeutschen in die Eu­ropäische Sprachen-Charta, denn damit wird festgeschrieben, daß diese schöne al­te Sprache geschützt und erhalten werden soll. Leider werden im Rundfunk und besonders im Fernsehen immer weniger plattdeutsche Beiträge ausgestrahlt, be­ziehungsweise sie werden zu unattraktiven Zeiten gesendet. Selbst ;Falk op Platt” wird nicht mehr am Freitagabend live übertragen.

Einen ganz wichtigen Beitrag zum Erhalt der plattdeutschen Sprache leisten die unzähligen Theatergruppen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie aufwendig es ist, ein abendfüllendes Theaterstück zu inszenieren. Um so beeindruckender ist es, daß sich Jahr für Jahr viele Männer und Frauen, Mädchen und Jungen finden, die ein Stück einstudieren und auf die Bühne bringen. Schätzungen sprechen von 8000 bis 9000 Gruppen, die sich im norddeutschen Raum als selbständige Verei­ne oder aber eingebunden in Landjugend, Kolping, Sportvereine, Feuerwehr, Schützenvereine etc. dem plattdeutschen Theater verschrieben haben. Hinzu kom­men etwa 40 Amateurbühnen sowie als Profibühnen das Ohnsorg-Theater in Hamburg, das Waldau-Theater in Bremen und die Fritz-Reuter-Bühne in Schwerin.

In den Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim haben sich Theatergruppen auf Initiative des Theaterpädagogischen Zentrums in Lingen Anfang der neunziger Jahre zu einer „Arbeitsgemeinschaft Plattdeutsches Theater e.V.” zusammenge­schlossen. Zur Zeit besteht die AG aus 21 Gruppen, deren Arbeit unterstützt und gefördert werden soll. Es werden Seminare organisiert, Rat und Hilfe gegeben bei der Wahl neuer Spielleiter, bei der Bühnenausstattung, den Kostümen und bei der Spielerauswahl, ebenso im Bereich der Finanzierung und Werbung. Halbjährlich finden Treffen statt, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Aktionen zu planen. So wurde 1995 ein plattdeutsches Wochenende in Nordhorn organisiert, mit Musik, Theater, Workshops und einem Gottesdienst, natürlich alles in Nieder­deutsch. Ebenso beteiligte man sich 1997 am „Kultour-Sommer” und 1998 am Jag der Niedersachsen” in Meppen. Das Theater, insbesondere das Laientheater, trägt sicherlich am meisten dazu bei, das Plattdeutsch als Zweitsprache in unserer Re­gion zu stärken.

Alle genannten Aktionen sind wichtig und können helfen, den Fortbestand unse­rer Sprache zu sichern. Das Wichtigste aber wird sein, daß wir wieder verstärkt plattdeutsch sprechen. Ich meine nicht nur in der Familie, sondern auch im Be­rufsleben, in der Gastwirtschaft, auf Behörden und beim Einkauf. Vor allen Dingen aber dürfen wir uns nicht scheuen, täglich mit unseren Kindern platt zu sprechen. Wenn wir dies beherzigen, ist mir um die Zukunft unserer Sprache, die schon 150 nach Christus von Ptolemäus genannt wurde, nicht bang.

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 44