Prof. Dr. Franz Bölsker – Kindheit und Jugend

 

Welche Rolle hat Plattdeutsch in der Kindheit und Jugend bei Ihnen gespielt?

 Ich bin ausschließlich im Plattdeutschen aufgewachsen. Bei uns in der Familie wurde nur plattdeutsch gesprochen. Wir hatten zwar ein Radio, wo dann häufig Meldungen auf Hochdeutsch gesendet wurden. Ansonsten hatte ich keine hochdeutsche Sprachpraxis. Ich kam als plattdeutschsprechender Mensch in die Grundschule, das war damals noch die Volksschule. In den ersten Wochen und Monaten gab es keine Kommunikationsmöglichkeiten zwischen mir und meiner Lehrerin. Die anderen Kinder hatten wohl schon etwas mehr Sprachmöglichkeiten auf Hochdeutsch gehabt, aber ich eben nicht. Unsere Lehrerin war schon ein wenig älter und kam aus Mähren. Sie war also eine Heimatvertriebene, die entsprechend kaum Zugang zum Plattdeutschen hatte. Sie verstand mich also nicht und ich umgekehrt sie auch nicht. Das war ein schmerzhafter Prozess in den ersten Monaten. Am Ende hat sie sich durchgesetzt und meine Kompetenz im Hochdeutschen nahm zu. Ich erreichte so eine Zweisprachigkeit, die sich bis zum Abitur durchzog. Plattdeutsch war also etwas für die Familie, für die Nachbarschaft und die Verwandtschaft. Alles darüber hinaus war ab jetzt hochdeutsch. In dieser Wahrnehmung bin ich dann auch zum Gymnasium gekommen. Ich war der einzige  Schüler, der in diesem Jahrgang aus Rütenbrock  zum Gymnasium ging. An sich war das ohnehin nicht geplant, aber dadurch, dass die Lehrerin mich nach dorthin empfohlen hatte, fuhr ich ab jetzt nach Meppen zur Schule. Und so kam ich in eine neue Gesellschaft hinein, die man als akademische Oberschicht bezeichnen kann.

Da war es erst recht tabu, Plattdeutsch zu sprechen. Ja man hat sich sogar dieser Sprache geschämt. Ich weiß zwar heute, dass eine ganze Reihe von Mitschülern gab, die als reine Hochdeutsche daher kamen, aber niederdeutsche Wurzeln im Gepäck hatten. Platt war in diesem Umfeld völlig tabuisiert. Für mich war es auch immer ein Rollenproblem: der Wechsel vom akademischen Umfeld auf dem Gymnasium in der Stadt in das Plattdeutsche im Heimatort Rütenbrock. Wobei ich noch hinzufügen muss, dass selbst Rütenbrock in seinem Zentrum schon stärker hochdeutsch geprägt war. Und auch die Heimatvertriebenen haben hauptsächlich dort gewohnt. Allerdings habe ich auch einen Arbeitskollegen meines Vaters kennengelernt, der Plattdeutsch erlernt hat. Das war für mich ein gelungenes Beispiel von sprachlicher Integration. Aber das hat sicherlich auch einige Jahre gedauert, bis er dazu in der Lage war. Das Schlesische ist ja ein hochdeutscher Dialekt, aber insgesamt eine interessante sprachliche Erscheinung für mich. Aber der Gegensatz zu öffentlicher hochdeutscher Kommunikation und privater niederdeutscher Kommunikation war für mich ein Faktum, damit musste ich dann leben. Es war zum Teil ein Problem dahingehend, dass ich meinen plattdeutschen Akzent auch im Hochdeutschen nie losgeworden bin. Das hat man mir sicherlich angehört. Das wurde nicht selten mit bäuerlich verbunden.