Eine gefährliche Aktion (4)

Es war Ostern 1945.

Der Krieg sollte bald zu Ende sein. Aber wie?

Die Sirenen heulten bei Tag und Nacht – Bombenalarm! Wir waren alle sehr unruhig und hatten Angst.Ich wohnte damals – noch sechzehnjährig – bei meinen Eltern und 6 Geschwistern am Borgberg im „Waterkouten“. Mein Bruder, der nur ein Jahr älter war als ich, wurde noch im März 1945 eingezogen. Eine Tante mit ihrem kränklichen Sohn, die eigentlich in Hasbergen wohnten, waren ständig bei uns zu Gast. Somit waren wir täglich mit 10 Personen. In den letzten gefährlichen Tagen zogen noch einige Verwandte und Bekannte aus dem Dorf heraus zu uns. Wir legten uns – wegen des ständigen Bombenalarms – voll bekleidet zu dritt in die Betten. Geschlafen haben nur zwischendurch die Kinder.

Gegen Abend wurde ein alter, kranker Mann in einem Bollerwagen zu einem Nachbarn in Sicherheit gebracht. Man hatte ihn mit dem ganzen Bettzeug samt Nachtmütze in den Wagen gesetzt. Mein jüngerer Bruder, der dieses Gefährt kommen sah, rief aufgeregt: „Da sitzt ein Gespenst im Wagen; auf seinem Kopf ist eine große, weiße Gans!“

Der Vater erkannte die Situation. Wir wurden sofort ins Haus geschickt. Er selbst half kräftig mit, denn der Weg führte noch durch ein aufgeweichtes Waldstück.

Ich kann mich erinnern, dass wir – wir waren inzwischen 18 Personen – uns hauptsächlich von Kartoffelpfannkuchen ernährt haben. Die Zutaten dafür waren noch am ehesten vorhanden. Brotvorräte hoben wir in Form von „Knawweln“ (Trockenbrot) in einem großen Beutel auf. Das Brot wurde in heißer Milch oder schwarzem Kaffee wieder aufgeweicht.

 

Eine Tante und ein Onkel, die ein kleines Lebensmittelgeschäft an der Osnabrücker Straße betrieben, und deren Tochter mit ihren 2 Kindern bei uns Unterschlupf gefunden hatte, sagten uns für den Tag nach Ostern noch einige Pfund weißen Zucker zu. Weißer Zucker! Den hatten wir schon lange nicht mehr. Es gab zu der Zeit nur so ein braunes klebriges Zeug.

Die Gärtnerei Kalthöfer wollte am gleichen Tag Runkelrübensamen verkaufen.

Wir hörten die ganze Nacht Richtung Lengerich Schießereien. Am Morgen war es wieder ruhig. Wer war jetzt mutig genug die Sachen zu holen?

Mein jüngerer Bruder Hermann und ich machten uns auf den Weg. Wir standen geduldig in dem kleinen Laden und warteten auf den weißen Zucker.

Mein Onkel kam ganz aufgeregt ins Haus: „Leute, macht, dass ihr nach Hause kommt. Die feindlichen Panzer stehen schon am Friedhof!“

Nun auch noch den Runkelrübensamen holen! Wir verstauten alles in unserem Rucksack. Jetzt nur noch nach Hause!

Zur gleichen Zeit hatten die Alliierten von ihren Panzern aus noch deutsche Soldaten entdeckt, die durch den Eschersweg (heute heißt es „Am Borgberg“) liefen. Sie kamen aus Beckerode und eilten Richtung Wortmanns Hof. Diese armen Männer wurden mit Schüssen verfolgt.

Mein Bruder und ich ahnten nicht die große Gefahr, in der wir uns befanden. Wir rannten bis Dallmöller und versteckten uns in der Sägemühle. Es war kein Mensch zu sehen. Die Arbeiter hatten sich in Sicherheit gebracht. Wir warteten die Schießerei ab und krochen auf allen Vieren bis zum Kreuz. Hier haben wir geweint und gebetet: „Herrgott, beschütze uns alle …! Hilf, Maria, es ist

Zeit, …! Herr, gib uns Frieden …!“

Es blieb einige Zeit ruhig.

Wir robbten uns bis ins nächste Haus. Hier waren alle Bewohner in den Keller geflüchtet. Wir haben uns dort einige Zeit aufgehalten, unseren Rucksack dort stehen lassen und liefen weiter. Geduckt an Hunen Hecke entlang kamen wir bis Grimmelsmann’s Hof. Hier fanden wir in einer Wagenremise Schutz. Wir machten eine kleine Pause, das Herz schlug bis zum Hals.

„Ach, wären wir doch nur zu Hause geblieben!“ So dachten auch unsere Eltern, die voll Sorge immer wieder nach uns Ausschau hielten.

Jetzt noch ein Stück durch die Bergstraße, dann einfach rechts ab über die Felder nach Hause. Zu der Jahreszeit gab das Korn noch keinen Schutz. Wir haben uns auf dem Bauch liegend weiterbewegt.

Die feindlichen Soldaten müssen uns wohl als Zivilpersonen oder Kinder erkannt haben. Ich glaube aber auch, dass wir sehr gute Schutzengel hatten!

 

Hagen a.T.W., im Jahr 2001

Martha Herkenhoff geb. Koch