Johannes Hayunga

„Ick häb di uppen Trecker int Radio hört”

Obwohl ich zu jenen Menschen gehöre, deren Wiege nicht im Emsland oder in der Grafschaft Bentheim ge­standen hat, will ich versuchen, die Bedeutung der emsländischen Mundart aus meinem Sichtwinkel zu beschreiben. Ich gehöre also zu jener Menschengrup­pe, die man gemeinhin „tolopen Volk” nennt. Ich bin al­lerdings nicht aus freien Stücken ins Emsland und spä­ter in das Bentheimer Land gezogen, sondern die Mei­nung meiner Dienstherren brachte mich in diese Regio­nen, und, um es gleich vorweg zu sagen, ich habe das nicht bedauert.

Meine Heimat, in der ich meine Kinder- und Jugendjah­re verbracht habe, ist aber gar nicht so weit von mei­nem heutigen Lebensbereich entfernt. Sie liegt etwas nördlicher, zwischen der Ems und der niederländi­schen Grenze, ist ein Teil Ostfrieslands und nennt sich das Rheiderland. Die dort übliche plattdeutsche Sprache unterscheidet sich nicht wesentlich vom emsländi-schen Platt.

Meine über 37jährige berufliche Tätigkeit als Landvermesser bei den Katasteräm­tern in Sögel, Papenburg und Nordhorn und der damit verbundene Kontakt mit der Bevölkerung dieser Landstriche haben mir deutlich gemacht, daß die platt­deutsche Umgangssprache bürokratische Klippen leichter überwinden kann als die hochdeutsche Amtssprache. Verschweigen will ich aber nicht, daß die regio­nalen Unterschiede in der plattdeutschen Sprechart bei mir manchmal zunächst auf Unverständnis stießen, die sich aber meistens humorvoll auflösten.

Im einzelnen möchte ich auf mein berufliches, mein gesellschaftliches und mein kirchliches Umfeld eingehen.

Im beruflichen Bereich: Als Vermessungsbeamter hat man auf eine besondere Art mit der Bevölkerung zu tun. Man muß „vor Ort” seine Tätigkeit ausüben und un­ter den dort gegebenen Bedingungen mit den Grundeigentümern und denen, die es werden sollen, verhandeln. Auch die Grenznachbarn sind in diesen Prozeß ein­bezogen, weil es in den meisten Fällen um Grenzen geht, die sich je nach dem Ver­halten der Menschen verfestigt oder verändert haben. Den Abschluß der Arbeiten dokumentiert eine schriftlich formulierte Verhandlung, bei der sich die Beteiligten mit den festgestellten Grenzen einverstanden erklären oder auch nicht.

Bei amtlichen Vermessungsarbeiten für Menschen, die verhältnismäßig wenig mit Behörden zu tun haben, ist das Vertrauensklima zwischen dem „Beamten” und den „Betroffenen” entscheidend wichtig. Darüber hinaus kommt der Beamte zu den Menschen in deren vertraute Umgebung, in der sie sich freier fühlen und in der die ungewohnte und beklemmende „Büroluft” ihr Verhalten nicht einschnürt. Schon die ersten Minuten der Begegnung ebnen oder versperren den Weg zu ei­nem ausgewogenen „Miteinander”.

Wenn der Beamte in einer der Landbevölkerung ungewohnten Weise auftritt, müs­sen zuerst Hemmnisse weggeräumt werden. Wenn der Beamte jedoch die Betei­ligten gleich in Plattdeutsch anspricht, sind oft schon wesentliche Klippen beseitigt. Nach meiner Erfahrung ist die Aussage: „Dar, dar mudden Se unnerschrieven!” wirkungsvoller als die förmliche Aufforderung zur Namensunterschrift; dabei ist die bei plattdeutschen Fernsehsendungen heute so oft gebräuchliche anbiedernde „Du-Anrede” meines Erachtens durchaus nicht immer vertrauenbildend. Ich habe erfahren, daß der vorsichtige plattdeutsche Umgang mit Menschen Vertrauen weckt; bis dahin, daß ich manchmal auch für rein private Probleme ins Vertrauen gezogen wurde.

Im gesellschaftlichen Raum: Hier verhält es sich nach meinen Erfahrungen so, daß Menschen mit gleicher Mundart sich schnell zusammenschließen. Das ist beson­ders ausgeprägt bei Landsleuten, die in einer ihnen fremden Umgebung leben müssen. Der Aufruf von ein paar beherzten Leuten an ihre Landsleute aus Ost­friesland, die als „Butenostfriesen” in der Grafschaft Bentheim leben, hatte zum Beispiel eine so große Wirkung, daß heute, nach über 20 Jahren, diese Zusam­menkunft zu einer Institution geworden ist, in der sich nicht nur ehemalige Ost­friesen wohl fühlen. Nach meiner Kenntnis ist das nicht nur im Emsland so. Die plattdeutsche Sprache ist eben ein Verbindungsglied, das Menschen zusammen­führt, auch wenn sie sich in ihrer alten Heimat nicht näher gekommen waren.

Für den Fortbestand der heimatlichen Mundart spielt die Presse eine bedeutende Rolle, weil sie die Gemeinschaft Gleichgesinnter wirkungsvoll öffentlich macht.

Im kirchlichen Bereich: Als ordinierter Ältestenprediger in der Evangelisch-refor­mierten Kirche sträube ich mich jedoch, in der Grafschaft Bentheim plattdeutsch zu predigen, weil ich befürchte, daß rein mundartliche Besonderheiten der Predigt einen eigenartigen Klang geben könnten. Ich habe da meine Erfahrungen: An mei­nem 65. Geburtstag, einem Sonntag, klingelte schon vor sieben Uhr das Telefon. Statt eines Glückwunsches bat mich ein Grafschafter Kollege, ihn bei der anbe­raumten plattdeutschen Predigt zu vertreten, weil er aus gesundheitlichen Grün­den nicht auf die Kanzel gehen könne. Nach dem Gottesdienst haben sich mir wohlgesinnte Gottesdienstbesucher liebevoll für die Predigt bedankt, sie haben mir aber auch gesagt, daß sie manche meiner Redewendungen nicht verstanden hätten. Das ist für mich ein Grund, mich auf das Wagnis einer plattdeutschen Pre­digt in der Grafschaft nur im äußersten Notfall einzulassen.