Dr. Rudolf Seiters

Rudolf Seiters, 1937 in Osnabrück geboren, ver­trat den Wahlkreis Unterems im Deutschen Bun­destag. Von 1989 bis 1991 war er als Minister Chef des Bundeskanzleramtes, von 1991 bis 1993 Bun­desinnenminister. Von November 2003 bis Ende 2027 war Seiters Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Er lebt in Papenburg.

Ich bin im Jahre 1937 geboren, aufgewachsen in der Ortschaft Bohmte bei Osnabrück, einer überwiegend ländlich und mittelständisch orientierten Region, in der in meiner Kindheit und Jugend das Plattdeutsche eine große Rolle spielte – nicht nur in vielen Familien, im pri­vaten Umgang, sondern auch bei Behörden, Ämtern, Institutionen, auch in Schulen. Im Laufe der Zeit ist die Bedeutung des Plattdeutschen zurückgegangen, insbe­sondere die Zahl derer, die sich der plattdeutschen Sprache bedienen.

Dennoch hat sie mich auch später begleitet, ist sie auch aus meiner politischen Arbeit – ich vertrete seit 1969 das Emsland im Deutschen Bundestag, seit 1980 auch den ostfriesischen Land­kreis Leer – im Grunde nicht wegzudenken. In meine Sprechstunden kommen oft­mals Menschen, die plattdeutsch sprechen und dabei auch freier sind in der Ver­tretung ihrer Anliegen. Bei Feierstunden und offiziellen Anlässen ist manchmal ei­ne plattdeutsch gehaltene Ansprache interessanter, oft sogar präziser und heiterer.

An meinem 60. Geburtstag war bei den Ansprachen nach Rita Süssmuth, Wolf­gang Schäuble und Friedrich Bohl der Landrat an der Reihe, und jedermann hat sich gefragt: Was kann und was wird er jetzt denn noch zusätzlich sagen? Er hat seine Ansprache auf Plattdeutsch gehalten, und es war ein weiterer Höhepunkt dieser harmonischen, kleinen Feier.

Alles in allem glaube ich, daß die plattdeutsche Sprache auch heute eine große so­ziale und kulturelle Bedeutung hat – nicht nur für die Menschen, die sich dieser Sprache bedienen, sondern auch für die Identität einer Region. Das hat etwas mit Heimat zu tun, dabei kann es durchaus Differenzierungen geben. Ich war immer sehr neugierig und wißbegierig, mir die Unterschiede zu merken zwischen dem Plattdeutschen meiner Osnabrücker Heimat und dem Emsländischen, ganz zu schweigen von der besonders ausgeprägten Art des Rheiderländer Platt, zu dem man einen besonderen Zugang braucht. Es gab einmal ein großes Gelächter unter sieben amerikanischen Austauschschülern in meinem Wahlkreis, die etwas scha­denfroh einen Mitstipendiaten hänselten, weil er in eine Familie geraten war, in der fast nur Rheiderländer Platt gesprochen wurde.

Ich habe mich sehr um die Europäische Charta der Regional- oder Minderheiten­sprachen gekümmert und mich für eine baldige Ratifizierung dieses Instruments des Europarates durch die Bundesrepublik Deutschland eingesetzt. Ziel dieser Ra­tifizierung ist unter anderem, einen möglichst weitgehenden Schutz für Minder­heitensprachen, aber auch für die Regionalsprache Niederdeutsch, zu erreichen. Die plattdeutsche Sprache wird durch die Europäische Charta in ihrem Bestand ge­schützt.

Die Europäische Union kann in Brüssel auch Programme auflegen, um die ge­schützten Regionalsprachen auch finanziell zu fördern. Bei diesen Fördermaßnah­men handelt es sich um zweisprachige Kindergartenarbeit, den Plattdeutschunter­richt an Schulen We auch um die Unterstützung plattdeutscher Literatur. Ich wür­de es sehr begrüßen, wenn zum Beispiel die Landschaften als Kulturparlamente der Regionen entsprechende Programmvorschläge erarbeiten würden.

Eines der bekanntesten Lieder des Emslandes ist der „Hümmelske Bur”, das bei manchen Anlässen gesungen wird, und das ich als ein der Heimat besonders zu­gewandtes Beispiel dem geneigten Leser nicht vorenthalten möchte:

De Hümmelske Bur

De hümmelske Bur

is wall ‘n krossen Mann,

dregg Söcke van sien äigen Schaop

mit moje Klinken dran.

Sien Schaub, de waßt üm up’n Boom,

un sienen Rock van Päi,

de segg: „Ih Lüde, maohnt mi nich,

ick holl miene Plaoze fräi!”

Sien Hus ist ruum un grot,

und rund üm siene Dör,

dor wass’t de Eckenböm so hoch

und kiekt so druusk ümher.

Up sienen Esk, dor riepet üm

de Roggen äs Gold so gähl,

un up sien Moor, dor bläihet üm

dat Pännekaukenmähl.

Wenn frauh de Hahne kreihet,

dann sprink he ut sien Bett

un segg: „Nu, Jungens, bi de Hand

un hollet jau Gebet!”

Dann geitet de Flägel diklipperdiklapp

de Döske up un of,

dann ruusket de Weiher, dann stuff dat Kaff,

dann güff et Mäöhlenstoff.

Gesund un wallgemaut
ett he sien Roggenbräi
un nümmt den Plaugsteert in die Hand
un ackert lat un fröih.
Un häff dat Aovendklöcksken lütt,
häff he sien Arbeit daohn,
dann sleit he in sien Tunnerpott
un steckt sien Piepken an.
De hümmelske Bur
is wall`n krossen Mann,
wat frögg he naoh de häile Welt,
he häff sien Wallbestaohn.
Man Gott un siene Obrigkeit,
de hollt he wall in Ehrn,
un wor’n Krüß anin Wäge steiht,
licht he sien Kippken geern.