Dr. Albert Genrich

Gerichtssprache Platt

Obwohl in Hannover geboren, bin ich infolge der Kriegswirren auf dem Dorf in Schleswig-Hostein groß­geworden. Dort habe ich die entscheidenden und prä­genden Eindrücke meiner Kindheit erfahren.

Selbstverständlich war damals Platt die einzige und allgemeine Umgangssprache. Selbst der Arzt bediente sich im Umgang mit seinen Patienten nur des Plattdeutschen. Da meine Mutter bis dahin nur hochdeutsch mit mir sprach, hatte ich zunächst einige Verständigungs­schwierigkeiten; aber nicht nur ich. Von meiner Mutter darauf angesprochen, war­um ich nicht mit den anderen Kindern spiele, mußte ich eingestehen: Sie sagen, sie können mich nicht verstehen. Von da ab wurde auch bei uns zu Hause nur noch platt gesprochen. Ich erlernte die Sprache dadurch sehr schnell und galt von da an nicht mehr als Fremder.

Für die anderen Kinder kam allerdings der große Einschnitt in ihrem Leben, als nach monatelanger Pause die Schule wieder eröffnet wurde. Unterrichtssprache war Hochdeutsch. Nur wenn der Lehrer in unserer einklassigen Dorfschule sich überhaupt nicht mehr verständlich machen konnte oder uns nachhaltig zur Ord­nung rufen mußte, benutzte er wieder seine Muttersprache.

Daß ich später mit dem Erlernen neuer Sprachen nicht allzu große Schwierigkei­ten hatte, führe ich auch darauf zurück, als Kind zweisprachig aufgewachsen zu sein.

Welche überraschenden Wirkungen sich mit dem Plattdeutschen erzielen lassen, zeigte mir in späteren Jahren ein merkwürdiges Erlebnis. Einer meiner Vettern, ein Bauer, hatte Streit mit einem Viehhändler und lag mit ihm vor Gericht. Ich war da­mals schon fertiger Assessor. Mein Vetter bat mich, den Gerichtstermin für ihn wahrzunehmen. Ich merkte sehr bald, daß sich die Fronten total verhärtet hatten. Der Richter wollte auf einen Vergleich hinaus. Aber es wollte durchaus nicht ge­lingen. Ich gab meinem Unmut durch einen kräftigen plattdeutschen Satz Aus­druck. Der Viehhändler sah mich erst groß und erstaunt an, verfiel dann aber ebenfalls ins Platt. Nun redete uns auch der Richter auf Platt gut zu. Gerichtsspra­che war auf einmal statt Hochdeutsch die gemeinsame Muttersprache geworden. Damit war eine Vertrauens- und Verständnisbasis geschaffen, die vorher nicht vor­handen gewesen war. Es dauerte nicht lange, bis ein Vergleich zustande gekom­men war. Mein Vetter war mit dem Ergebnis hochzufrieden.

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 69