Heinz Jansen

„De kanns nemmen”

Am 30. Juni 1998 hatte ich in Meppen die Möglichkeit, eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren aus den Ortsteilen Bookhof, Felsen und Neuenlande der Ge­meinde Herzlake in Meppen begrüßen zu können. Ich wollte ihnen die Stadt zeigen und spürte plötzlich, daß es mir sehr leicht fiel, auch teilweise in Plattdeutsch mit diesen Gästen zu sprechen. Ich merkte, wie wir uns  durch die plattdeutsche Sprache .emotional näherten, und je mehr ich diese Gemeinschaft und Sympathie spürte, je stärker sprach ich plattdeutsch. Wir haben sehr viel gelacht und auch viel erzählt. Nur, so glaube ich, ohne die plattdeutsche Sprache wäre es zu dieser emotionalen und sympathischen Begegnung nicht gekommen.

Ich habe nicht oft den Mut, plattdeutsch zu sprechen, weil ich es nicht von Beginn an gelernt habe und darum nicht im vollen Umfang sprechen kann. Als ich vor 31 Jahren aus Bochum, wo ich geboren und aufgewachsen bin, hierher nach Mep-pen als Kreisjugendpfleger kam, amüsierten sich alle über meinen Ruhrgebietsdia­lekt. Ich sprach wie der aus dem Fernsehen bekannte Jürgen von Manger, der die Ruhrgebietssprache ebenfalls pflegte und der sich durch entsprechende Gegeben­heiten und Anekdoten sehr bekannt machte. Auch heute merkt man durchaus noch, daß ich aus dem Ruhrgebiet komme.

Ich bin natürlich ein begeisterter Anhänger der plattdeutschen Sprache geworden. Nachdem ich einige Monate hier in Meppen gewohnt habe, bin ich durch die Ver­mittlung des jetzigen Stadtdirektors Schultejanns aus Haren auf einen Bauernhof nach Wesuwe gezogen. Ich wurde sofort in die ganze Familie integriert und muß­te natürlich auch plattdeutsch reden lernen. Ich lernte, daß Mutterschweine nicht Sauen, sondern Mutten hießen; daß Ferkel als „Biggen” und der Eber als „Bär” be­zeichnet wurde. Ich mußte lernen, daß der Bürgermeister nicht Hermann Schulte, sondern Conrads Herrn hieß. Ich brauchte natürlich eine lange Zeit, um zu begrei­fen, daß der Name, mit dem man jemanden ansprach, nicht der tatsächliche Name war.

Jedenfalls mußte ich bei meinen vielfältigen und guten Kontakten in Wesuwe ler­nen, plattdeutsch zu verstehen und auch zu sprechen. Im Laufe der Zeit ging mein Dialekt schon ins Plattdeutsche über. Natürlich waren besonders auch Anekdoten und Witze in Plattdeutsch etwas, was mich ganz besonders begeisterte. In Wesu-we wohnte ich ja auf einem Bauernhof, wo die Familie nur plattdeutsch sprach.

Der kleine Sohn des Hauses war an einem Dienstag am späten Nachmittag unter die Dusche gegangen. Plötzlich stand sein kleiner Freund vor mir und fragte auf Plattdeutsch: „Is Heinz-Hermann in Hus?” Ich antwortete: Ja, aber er steht unter der Dusche!” Da guckte er mich treuherzig an und sagte: „Wieso, is denn vandao ge Saoterdag?”

Einer meiner Lieblingswitze, den man nur auf Plattdeutsch richtig begreifen kann, geht so: Auf einem Bauernhof in Wesuwe lebt eine verwitwete Bäuerin mit ihrer 30jährigen ledigen Tochter. Die Mutter sagt an einem Wochenende zu ihr: „Agnes, Du gaihst vandaoge nao Hebelermeer naohl Schützenfest un kiekst di maol ‘nen Kerl an, dat endliks äiner hier int Hus kump.” Agnes geht auch hin, kommt spät wieder, und am Sonntagmorgen fragt die Mutter: „Na Agnes, wu was dat dann?” Agnes segg: „Ick häb wall ‘nen Kerl kennenlernt, aber de hät nur roket und roket und hät nich mehr uphört zu roken.” Darauf die Mutter: „Den Kerl moss nich näm-men, dat wäd mit de Tied immer döller.” Eine Woche später muß Agnes zum Schützenfest nach Altharen. Sie geht hin, und am Sonntagmorgen fragt die Mut­ter: „Agnes, wu was dat dann? Häst ,nen Kerl kennenlernt?” Joa”, segg Agnes, „häb ick. He hät nur supet und supet und hörde nich up.” „Den Kerl moss nich nämmen, dat wäd mit de Tied immer döller”. Am nächsten Samstag sagt Mutter: „Agnes, vandaoge gaihst de noaht Schützenfest naoh Wesuwe”. Agnes geht hin. Am Sonntagmorgen fragt die Mutter wieder: „Wu was dat dann? Häst ‘nen Kerl kennenlernt?” „Dat häb ick”, segg Agnes, „hei hät mi griepet und grapet und hör-de gar nicht mehr up daomet”. „Den Kerl moss nähmen, dat wät met de Tied im­mer minner”, segg de Moder.

Während meiner ersten Zeit im Kreistag wunderte sich meine Frau, daß ich immer der Letzte war, der nach den Sitzungen nach Hause kam. Ich muß auch gestehen, daß der Grund darin lag, daß ich mit großer Begeisterung immer den Reden der Kollegen zuhörte, die plattdeutsch sprachen. Ich erinnere mich noch gerne an die Dönkes und Anekdoten von Nottbergs Herrn oder unserem Landrat Strodt Aloys, von Otto Sube aus Neuenlande, Hubert Mödden aus Lastrup, um nur einige zu nennen. Sie alle hatten eine herrliche Gabe, auf Plattdeutsch zu erzählen. Leider weiß ich bis heute immer noch nicht, ob all das, was sie an Dönkes und Gegeben­heiten erzählten, überhaupt immer stimmte. Jedenfalls war ich einer ihrer begei­sterten Zuhörer.

Und so muß ich insgesamt sagen, daß die plattdeutsche Sprache mir richtig ans Herz gewachsen ist und ich manchmal bedauere, daß ich bei meinen Besuchen in Bochum keinen habe, mit dem ich plattdeutsch sprechen kann, um den Ruhrge-bietlern zu zeigen, wie stolz ich auf diese Sprache bin, die ich schätze, pflegen und sprechen möchte.