Wilhelm Wolken

Platt im Krankenhaus

Aufgewachsen bin ich in dem Dorf namens Versen, und wie es auf den Dörfern üblich war, wurde zu mei­ner Kinderzeit platt gesprochen. Geändert hat sich das erst in der Grundschule – und nur, weil die Lehrerschaft meine Eltern darauf hinwies, daß es für die Entwicklung der Kinder – damit waren mein Bruder und ich gemeint – besser sei, auch außerhalb der Schule hoch­deutsch zu sprechen.

Im Elternhaus wurde also die Sprache „umgestellt”: mit den drei jüngsten Geschwi­stern wurde konsequent hochdeutsch gesprochen, zwi­schen meinen Eltern, meinem Bruder und mir ging es zwischen der hoch- und der plattdeutschen Sprache hin und her. Das ist bis zum heutigen Tage so geblieben.

Während der Jugendzeit war es „in”, nicht mehr plattdeutsch zu sprechen. Es fehl­ten dazu jedoch auch die Gelegenheiten während der weiteren Schulausbildung und des Studiums. Sie beschränkten sich auf das Zuhause sowie den Umgang mit älteren Menschen aus der Verwandtschaft, Bekanntschaft oder der dörflichen Um­gebung.

Heute – und da spielt das wieder erwachte Bewußtsein zum eigenen Dialekt in der Bevölkerung eine große Rolle – stehe ich zu meinen Plattdeutschkenntnissen und nutze sie gerne. Insbesondere wenn bestimmte Gefühle oder Beschreibungen tref­fend mit vielleicht ein, zwei Wörtern formuliert werden sollen, nutze ich gern mei­ne Heimatsprache. Voraussetzung ist dabei natürlich, daß mein Gegenüber die Sprache auch versteht. Aber auch sonst wird die Sprache wieder gern unter „Ken­nern” ohne Scheu genutzt.

In meinem beruflichen Leben und wohl noch mehr im beruflichen Leben der Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus, die ständig direkten Kontakt mit den Patientinnen und Patienten haben, hilft die plattdeutsche Sprache häufig über Kommunikationsschwierigkeiten und das Gefühl des Fremdseins hinweg. Hier spreche ich – und das liegt wohl in der Natur der Sache – überwiegend von älteren Patientinnen und Patienten, die ja noch mit „Plätt proten” aufgewachsen sind. Ge­rade sie sind in der für sie fremden und vielleicht auch oft erschreckend techni­schen Welt eines Krankenhauses froh und dankbar, wenn sie wenigstens einen Pfleger, eine Pflegerin oder eine Mitarbeiterin in der Aufnahme finden, mit der sie wie zu Hause und ohne die Angst, etwas Falsches zu sagen, sprechen können. Ich freue mich, wenn ich höre, daß wir im hause noch Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter haben, die das Plattdeutsch es gut tut, wenn man sich in dieser Sprache mit ihm unterhält. Letztendlich ist es für ein Krankenhaus wichtig, daß sich der Patient oder die Patientin während des Aufenthaltes wohl fühlt, und ich denke, daß gerade die Sprache – ob nun Franzö­sisch, Englisch oder Plattdeutsch -, daß das Verstandenwerden hier ein ganz wich­tiger Faktor ist.

Unterm Strich gesehen hat also die plattdeutsche Sprache gerade im hiesigen Ge­biet noch eine sehr große Bedeutung, und es wäre wünschenswert, wenn sich auch die Jugend sowie die Kinder mehr mit dieser Sprache auseinandersetzen wür­den. An einigen Schulen wird dazu ja schon wieder ein Anfang gemacht, was si­cherlich Unterstützung verdient.