Thekla Brinker

Der schönste Erfolg: „Liek moket”

Ich habe mit der plattdeutschen Sprache unterschiedli­che Erfahrungen gemacht, wobei heute die positiven weit überwiegen, die negativen aus der Kinderzeit aber nicht ohne Wirkung geblieben sind. In meinem Eltern­haus in Lorup bin ich mit der plattdeutschen Sprache aufgewachsen. Hochdeutsch habe ich nur dann erfah­ren, wenn meine gebürtig aus Berlin stammende Tante zu Besuch kam oder ein ehemaliger Ferienjunge aus Recklinghausen seinen Urlaub bei uns verbrachte. Als ich eingeschult wurde, konnte ich kaum einen Gedanken im Hochdeutschen aussprechen. Allen anderen erging es – mit Ausnahme der Flüchtlingskinder – wie mir, und im Nachhinein muß ich sagen, daß wir dank des Einfühlungsvermögens unserer Lehrer – hier möchte ich besonders den späteren Realschulrektor Josef Gieseke hervorheben, der heute Samtgemeindebürgermei-ster in Lathen ist – jeden Tag ein bißchen mehr mit der hochdeutschen Sprache ver­traut wurden.

Die kalte Dusche erlebte ich in Werlte, als ich zur dortigen Mittelschule wechsel­te. Aus dem Staunen kam ich nicht heraus, als ich erkannte, wie umfangreich der hochdeutsche Wortschatz meiner Mitschüler(innen) war. Mich spontan zu mel­den, traute ich mir in Werlte über eine lange Zeit nicht zu. Einige Male war es pas­siert, daß mir ein hochdeutsches Wort nicht einfiel, zum Beispiel „Ärmel” für „Maue” und „Schneiderin” für „Neihster”. Ich stand dann da, erhoffte wie in Lorup Hilfe, aber bekam sie nicht, weil meine damalige Lehrerin – ansonsten eine liebe­volle Pädagogin – das Plattdeutsche regelrecht verachtete. Allgemeines Gelächter war dann die Folge, und ich beschloß, mich um einen umfangreichen Wortschatz zu bemühen und später mit meinen Kindern hochdeutsch sprechen zu wollen. Aus dieser Zeit resultiert noch heute beim längeren Sprechen die Angst, daß mir nicht spontan die passenden hochdeutschen oder auch plattdeutschen Worte ein­fallen. Beim Schreiben dagegen fühle ich mich deutlich sicherer.

Zurück zur Schulzeit in Werlte, wo der aus Aschendorf stammende Realschulrek­tor Heinrich Jungeblut während der letzten Schuljahrgänge mein Deutschlehrer war. Dieser hat in mir die Liebe zur plattdeutschen Sprache geweckt. Erstaunt hör­ten wir aus seinem Munde, daß Plattdeutsch ein wichtiges, erhaltenswertes Kul­turgut sei und wir uns glücklich schätzen sollten, diese Sprache zu beherrschen. Unser Englischlehrer Andreas Rump verstand es, uns mit Beispielen auf die enge Verbindung Englisch/Plattdeutsch aufmerksam zu machen, und so trug auch sein Unterricht erfolgreich dazu bei, daß wir unsere Muttersprache ins Herz schlossen.

Meinen erlernten Beruf als Verwaltungsangestellte habe ich bis zur Geburt unse­res ersten Kindes im Jahr 1970 ausgeübt und bin seit 1971 als Mitarbeiterin bei der Ems-Zeitung tätig. Das Aufsatzdeutsch, das ich mühsam erlernt hatte, war nicht mehr gefragt, und ich mußte mich auf Zeitungsdeutsch umstellen. Bei schwierigen Texten habe ich mich an das alte plattdeutsche Sprichwort gehalten, was da heißt: „Doun deit leren”, und mit der Zeit ging mir das Schreiben von Berichten schnel­ler von der Hand.

Meine Zeitungstätigkeit führte mich häufig zu dem bekannten Loruper Heimatfor­scher Hans Meyer-Wellmann. Ich versorgte ihn gelegentlich mit Bildmaterial und holte mir dort Rat für die Heimatarbeit. Dieser war es dann, der mich regelrecht zum Plattdeutschschreiben drängte. Zweimal habe ich gesagt: „Nein, das kann ich nicht”, beim dritten Mal begriff ich, wie ernst ihm sein Anliegen war. Ich habe ihm daraufhin versprochen, es wenigstens zu versuchen.

Auch dieser Neubeginn war nicht leicht, denn ich stellte fest, daß sich mein Den­ken und Reden sehr verhochdeutscht hatten. Während der Haus- und Gartenarbeit suchte ich intensiv nach Wörtern aus meiner Kinderzeit und spitzte die Ohren, wenn ältere Menschen sich in ihrem urwüchsigen Platt unterhielten, und schon bald hatte ich die ersten Ideen für kleine Geschichten und Gedichte. Ich brachte sie zu Papier und faßte sie 1990 in meinem Buch „Diene Hand in miene” (Gold-schmidt-Druck Werlte) zusammen. Auch die Zweitauflage war schnell vergriffen.

Inzwischen habe ich solch große Freude am Plattdeutschschreiben gefunden, daß ich mir ein Leben ohne diese Tätigkeit nicht mehr vorstellen kann. Noch heute sind meine Texte umfeldbezogen, wobei sich das Themenfeld aber ständig erwei­tert. Als der Landkreis Emsland im Jahre 1991 einen plattdeutschen Theaterwett­bewerb ausschrieb, habe ich mich nach anfänglichem Zögern doch noch beteiligt und das Dokumentarspiel „Liek moket” eingereicht, welches die traurige Ge­schichte des Hümmlingdorfes Wahn behandelt, das während des zweiten Welt­krieges dem Kruppschen Schießplatz hat weichen müssen. Daß ich für dieses Stück den ersten Preis zuerkannt bekommen habe, war das schönste Erlebnis, seit­dem ich als „Schrieverske” tätig bin. Unter der Regie von Jörg Meyer (Theater­pädagogisches Zentrum Lingen) und unter Mitwirkung hochmotivierter Darstel-ler(innen) aus verschiedenen Orten des Hümmlings hat „Liek moket” 2850 Besu­cher verzeichnen können.

Mein zweites Dokumentarspiel „Der Bettelpfarrer”, welches Leben und Wirken des einstigen Friedlandpfarrers Monsignore Wilhelm Scheperjans beschreibt, ist überwiegend in hochdeutscher Sprache verfaßt. In den Szenen im Elternhaus wird dagegen plattdeutsch gesprochen. Auch dieses Stück ist unter der Regie von Jörg Meyer erfolgreich aufgeführt worden.

Gelegentlich werde ich zu Lesungen eingeladen. Hierbei stelle ich immer wieder fest, daß das Publikum am liebsten Geschichten und Gedichte hört, mit denen es sich identifizieren kann. Je nach Wunsch trage ich Heiteres oder Besinnliches vor. Der Kontakt ist meistens schnell hergestellt, und so höre ich auch gern zu, wenn mir jemand über seine Schreibtätigkeit berichtet. Ich sporne dann zum Weiterma­chen an und mache auf unseren Arbeitskreis „Plattdeutsche Sprache” im Emslän-dischen Heimatbund aufmerksam. Zweimal im Jahr treffen sich dort durchschnitt­lich 12 bis 15 Schrievers, um ihre neuen Texte vorzutragen und sie der Werkkritik zu unterstellen.

Unverzichtbar ist für mich auch die Mitgliedschaft im Schrieverkring Weser-Ems. Hier treffen sich zweimal im Jahr rund vierzig Schrievers aus den unterschiedlich­sten Regionen des nordwestdeutschen Raumes zum Gedankenaustausch und auch zur Werkkritik. Mit unseren Unterschriften haben wir uns an der Aktion zur Anerkennung der plattdeutschen Sprache als Minderheitensprache in der Eu­ropäischen Sprachencharta eingesetzt und hoffen derzeit, daß das Land Nieder­sachsen einen Plattdeutschbeauftragten benennt.