Prof. Dr. Franz Bölsker – Studienzeit

Sie sind nach dem Abitur in den Raum Vechta gekommen. Welche Erfahrungen haben Sie dort  im Studium und dann im sonstigen Lebensumfeld gemacht?

Die Tabuisierung des Plattdeutschen war hier nicht mehr so gegeben. Man merkte schon, dass die große Mehrheit hochdeutschsprachig war.

Aber ich habe auch manche Menschen kennengelernt,  bei denen ich merkte, dass sie auch aus dem plattdeutschen Milieu stammten und dabei hier und da mal ein plattdeutscher Satz auch rauskam. Da war auch eine gewisse Milieuverwandtschaft, in der man sich wohl fühlte.

In der Phase, in der ich mich als Historiker mit Sprachsituationen befasst habe, da ist mir auch deutlich geworden, dass wir alle auf einem ganz dicken plattdeutschen Firn uns befinden. Das  Niederdeutsche war jetzt nicht mehr etwas, das man wegdrücken musste, weil es ja wirklich auch eine Hochsprache gewesen ist.

Ich weiß nun nicht mehr genau, in welchem Lebensjahr ich das erkannt habe. Aber ich habe mich in Studentenzeiten immer wieder auch mit Sprachgeschichte auseinandergesetzt, so wurde mir klar, dass Sprachen sich immer wieder überlagerten und sich so weiter entwickelt haben.

So habe ich mich auch wieder intensiver mit der Geschichte der plattdeutschen Sprache beschäftigt, dabei war die Scham, die ich in jüngeren Jahren rund um die Verwendung der niederdeutschen Sprache in meinem Leben verspürt habe, vorbei. Es war Selbstbewusstsein und sogar Stolz bei mir entstanden.

Dabei muss ich eine Person hier nennen, die stark dazu beigetragen hat. Als ich mich in den achtziger Jahren von der Uni aus auch mit Regionalgeschichte befasst und Vorträge gehalten habe etwa über die Hollandgänger, bin ich auf Heinz Menke aus Rütenbrock  gestoßen, der sich dort als Heimathistoriker stark engagiert hat. Ich habe mit ihm zusammen eine umfangreiche Festschrift erarbeitet zum 200-jährigen Jubiläum des Ortes im Jahre 1988.

Das Niederdeutsche wurde jetzt in meinem Leben durchaus etwas, mit dem man kokettieren konnte. Es war ja eindeutig ein Kulturgut und bot Identifikation. Ich habe seitdem auch nie mehr einen Hehl aus meiner Mehrsprachigkeit gemacht. Meine erste Fremdsprache war ja Hochdeutsch, dann kamen Latein und Englisch dazu und ebenfalls Griechisch. Dabei war meine Muttersprache eben Plattdeutsch. Nun war diese polyglotte Erscheinung eine Bereicherung für mich in meinem Leben. Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere das Erlernen der lateinischen Sprache eine starke Reflexion auf die deutsche Sprache ermöglichte. Ständig wurde ich nun darauf gestoßen, dass ich radikal zweisprachig aufgewachsen bin. Dabei gab‘s bei uns kein Missingsch. Natürlich habe ich als Plattsprecher durchaus hochdeutsche Begriffe verwendet, ansonsten gab es aber eine klare Sprachteilung.

Und ich habe beobachtet, insbesondere in den sechziger bis achtziger Jahren, dass die Leute auch auf dem platten Lande anfingen, mit ihren kleinen Kindern und auch mit ihren Haustieren hochdeutsch zu sprechen. Es ist also eine hochinteressante Frage, weshalb man nun sogar im dörflichen Umfeld mit den Tieren nun hochdeutsch sprach. Vorher war so selbstverständlich, dass der Haushund auf Plattdeutsch gehorchte. Das war für mich ein Indiz dafür, dass Plattdeutsch als gesprochene Sprache aus der Mode kam. Das ist ja mittlerweile auch schon wieder fast fünf Jahrzehnte her und wir sind schon zwei Generationen weiter. Man merkt zwar das bei Menschen, die heute so um die 50 Jahre alt sind, dass sie noch durchaus passive Sprachkompetenzen im Plattdeutschen haben, sodass nach dem dritten Bier vielleicht noch mal ein Schnack auf Platt im Gasthaus über die Theke kommt. Aber als gesprochene Sprache ist es nicht mehr da.

Auch wenn man nun tatsächlich Plattdeutsch wieder als Bildungsziel und regionale Kultursprache in Form von Lesewettbewerben etwa in den Schulen etablieren will, so ist es doch ohne Zweifel mittlerweile eine Fremdsprache. Man kann es in etwa vergleichen mit den Bemühungen um die Erhaltung und Wiederbelebung der altirischen Sprache, aber es bleibt ein Kunstgriff, weil eben die Kommunikation im offiziellen und wirtschaftlichen Bereich mittlerweile bei uns durchweg im Hochdeutschen erfolgt  – mit entsprechenden Anglizismen.

Und dabei muss man wissen, dass die englische Sprache historisch gesehen ein Ausläufer des Altsächsischen, also des Altniederdeutschen ist. Aber wir dürfen uns keine Illusionen zu machen –  das Plattdeutsche ist als gesprochene Sprache Geschichte.