Josef Meiners

Ein gutes Stück Heimat

Als Bauernsohn, Jahrgang 1931, bin ich auf einem ab­gelegenen Hof am Sunderberg in Freren aufgewachsen. Im täglichen Umgang mit den Eltern, den Geschwistern sowie allen Besuchern auf dem Hof gab es für mich nur die plattdeutsche Sprache. Die bis dahin unbeschwerte Kindheit bekam allerdings an meinem ersten Schultag im Jahr 1937 einen gewaltigen Dämpfer: In der Schule wurde hochdeutsch gesprochen, das bis dahin für mich fast eine Fremdsprache war. Selbst die große Mehrheit der Mitschüler sprach nur hochdeutsch.

Zu den Sprachproblemen kam für mich erschwerend noch hinzu, daß ich – bis auf das Familienleben – keine Gemeinschaftserfahrung hatte, denn Kindergärten, wo heutzutage das Sozialverhalten trainiert wird, gab es für uns Kinder vom Lande noch nicht. Zum Glück hatte ich eine tüchtige Lehrerin, Frau Schraeder, die zwar streng, aber auch besonders einfühlsam war, und mir geholfen hat, meine Akzeptanzprobleme zu überwinden,und so stieg langsam mein Selbstbewußtsein.

An den häuslichen Gegebenheiten änderte sich indes nichts. Auf dem Hof, in der Familie, mit den Mitarbeitern und Nachbarn gab es weiterhin nur die plattdeut­sche Sprache. Man darf nicht vergessen, auch wenn Plattdeutsch als Umgangs­sprache heute durchaus akzeptabel, ja sogar interessant ist – damals galt es als rück­ständig im Vergleich zu allem, was im täglichen Umgang an Neuem auf uns Kin­der zukam.

Während des zweiten Weltkriegs kamen viele Fremde auf den Hof: Ferienkinder aus dem Ruhrgebiet und aus Berlin, die hier Schutz vor Bomben suchten; ausge­bombte Familien aus Duisburg, später aus Stettin; Soldaten der Wehrmacht; Hei­matvertriebene aus Schlesien und der früheren Grafschaft Glatz. Das alles hatte zur Folge, daß auf dem Hof mehr und mehr hochdeutsch gesprochen wurde und dies die plattdeutsche Mundart verdrängte.

Pädagogen haben später den Eltern geraten, mit den Kindern hochdeutsch zu spre­chen, um ihnen die anfangs geschilderten Probleme, mit denen ja nicht nur ich zu kämpfen hatte, zu ersparen. Aus heutiger Sicht ein umstrittener Rat. Oft war dann die Umgangssprache weder „Fisch noch Fleisch”, weder platt- noch hochdeutsch, sondern ein Konglomerat aus beidem. Viel zu spät wuchs die Erkenntnis, daß mit dem Aufgeben der plattdeutschen Sprache wertvolles Kulturgut verloren ging. Ich erinnere mich an eine Befragung, die erst vor einigen Jahren unter Schülerinnen und Schülern aller 4. Klassen in unserem Landkreis stattgefunden hat. Dieser Um­frage zufolge beherrschten lediglich drei Prozent der Jungen und Mädchen das Plattdeutsche – eine aus meiner Sicht erschreckend niedrige Zahl.

Zu den Personen, die die plattdeutsche Sprache wieder hoffähig gemacht haben, zählt unstreitig der langjährige niedersächsische Kultusminister Dr. Werner Rem-mers. Die Aussagen eines Ministers gaben den Aktivitäten zur Erhaltung der platt­deutschen Sprache zwangsläufig entscheidende Impulse. Sich dieser Mundart zu bedienen, wurde wieder modern. Es bildeten sich Freundeskreise und sogenann­te Schrieverkringe zur Pflege plattdeutschen Kulturgutes.

Seit Beginn der neunziger Jahre hat es eine ganze Reihe von Maßnahmen zur För­derung der plattdeutschen Sprache in unserer Region gegeben, an denen im enge­ren und weiteren Sinne auch der Landkreis Emsland beteiligt war. Erinnern möch­te ich vor allem an den Autorenwettbewerb „Plattdeutsches Theater” sowie an die Herausgabe des Lesebuchs „Platt lutt moij”, das allen emsländischen Schulen zur Verfügung gestellt wurde. Daß dieses Buch binnen kurzer Zeit vergriffen war und mittlerweile in zweiter Auflage vorliegt, ist also durchaus ein Zeichen dafür, daß seitens der Schulen ein großes Interesse an der Vermittlung plattdeutschen Kultur­gutes vorhanden ist.

Platt ist wieder in. Das zeigen auch die in den letzten Jahren erschienenen Wör­terbücher. All diese vielfältigen Bemühungen um den Erhalt des Plattdeutschen werden, da bin ich mir sicher, letztlich von Erfolg gekrönt sein. Wichtig scheint mir dabei zu sein, daß sich die plattdeutsche Sprache über die Bemühungen von Ver­einen, Institutionen, Schrieverkringen usw. hinaus neben dem Hochdeutschen auch im alltäglichen Leben wieder verstärkt als eine Umgangssprache etabliert.

Als Landrat, dessen Amt ich seit 1981 ausübe, wähle ich bei öffentlichen Auftrit­ten immer gern die heimische Mundart, wenn sich der Anlaß dafür eignet – ob auf Schützenfesten, bei Jubiläen oder Geburtstagen. Ich habe den Eindruck, man will sie sogar gerne hören. Man schätzt wieder die einfache, ausdrucksstarke und kla­re Darstellung auf Plattdeutsch, in der man vieles sagen kann, ohne zu verletzen. Und die Zahl derer, die Platt verstehen, ohne es selbst sprechen zu können, wächst auch von Jahr zu Jahr.

Allen, die in den vergangenen Jahren dazu beigetragen haben, Plattdeutsch als wichtiges Kulturgut zu erhalten und weiter zu beleben, möchte ich an dieser Stel­le ganz herzlich danken. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, daß uns Plattdeutsch als ein gutes Stück unserer Heimat auch weiterhin begleitet.