Karl Oldiges

 

Karl Oldiges 1944 in Esterwegen geboren, war Rektor der Grund-und Hauptschule mit Orientierungsstufe in Surwold/Börgermoor. Er schreibt Geschichten zum Nachdenken und kriti­schen Hinterfragen in hümmmlingisch-emsländischem Platt. Veröffentli­chungen in den Jahr­büchern des Emsländischen Heimatbundes, im Literaturtelefon etc.

Ich habe den Unsinn geglaubt

Mein Verhältnis zur plattdeutschen Sprache ist zumin­dest in den Urspüngen mit dem fast aller Emsländer meiner Generation zu vergleichen. Aufgewachsen in ei­nem plattdeutschen Elternhaus, wurde für mich in der Schule das Hochdeutsche zur ersten Fremdsprache. Ge­nau wie fast allen meinen Altersgenossen wurde mir eingeredet, daß Hochdeutsch gleichzusetzen sei mit Bil­dung, mit Weiterkommen, mit sozial, kulturell und ge­sellschaftlich hervorgehobener Stellung, während das Plattdeutsche die Sprache des einfachen Volkes, die Sprache der Handwerker, Arbeiter und Bauern unter­einander sei und damit weit weniger wertvoll und an­gesehen als das „gebildete” Hochdeutsch. Genau wie viele meiner Altersgenossen machte ich jahrelang den Fehler, diesen Unsinn zu glauben.

Erst sehr viel später wurde mir klar, daß ich das ganz große Glück hatte, zweisprachig aufzuwachsen. Daß dadurch das sprachliche Verständnis, der bessere Zu­gang zu grammatikalischen Strukturen nicht nur zwischen diesen beiden Spra­chen und damit der Zugang zu Fremdsprachen erheblich erleichtert wurde, führte die Behauptung – auch vieler meiner Lehrer – ad absurdum, daß Plattdeutsch we­niger wert sei als Hochdeutsch. Leider hat sich diese Erkenntnis nicht bei allzu-vielen Zeitgenossen durchgesetzt. Die Weitergabe von Sprache an die Kinder er­folgte bald fast ausschließlich auf Hochdeutsch, und der Erwerb des Plattdeutschen kam erst viel später hinterher. Wohlmeinende Versuche vieler gegenwärtiger Schreiber, durch Häppkes und Dönkes das Plattdeutsche zu erhalten, verfestigten in aller Regel bestehende Vorurteile. Eigene Versuche, fast ausschließlich platt­deutsch zu reden, führten zu der für mich immer noch schockierenden Erkenntnis eines Freundes, der da sagte: „Du kaenns die daet erlauben, du haes Abitur; wenn ick plattdütschk proote, bün ick ‘n dummen Buur.”

Hartnäckiges Festhalten an der Ursprache bewirkte – zumindest in meinem Be­kanntenkreis – ein allmähliches Umdenken und Akzeptieren dessen, was anfangs als „Spleen” allenfalls wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Auch bei Behörden, Institutionen und Ämtern wird mittlerweile mein Plattdeutsch akzep­tiert und bei vielen „Freizeitplattdeutschen” freudig erwidert. Auch gibt es mittler­weile wieder plattdeutsche Literatur auf anspruchsvoll sehr hohem Niveau, die be­weist, daß alle Themenbereiche von der Philosophie bis zur Religion, von der Ge­schichte bis zur Kultur und von der Dramatik im Theater bis zur leichten Muse problemlos abgedeckt werden können. Dies berechtigt mich zu der Hoffnung, daß die rapide Auszehrung des Plattdeutschen sich erheblich verlangsamt und zumindest in gewissen Kreisen einer Umkehr im Denken Platz gemacht hat.

Äußerste Vorsicht scheint mir insofern geboten, als – zumindest in der Öffentlich­keit – das Plattdeutsche einer gewissen intellektuellen Schicht als Forum dient und nicht die ganze Bandbreite der Bevölkerung abdeckt und in dieser wieder zur be­herrschenden – möglicherweise sogar zur einzigen Umgangssprache wird. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht nur der intellektuell hohe Anspruch einiger- zu­gegebenermaßen exzellenter – Kenner ist allein entscheidend für den Fortbestand unserer plattdeutschen Sprache, sondern die Erkenntnis in der gesamten Bevölke­rung, daß wir dieses hohe Kulturgut pflegen müssen – und es ist ohne Wenn und Aber wert, gepflegt zu werden – und daß die Erhaltung nur möglich ist, wenn die Alltagssprache wieder plattdeutsch wird.