Versuch einer Zustandsbeschreibung Anfang 2018
Wenn in dieser sich weiter entwickelnden Plattform auf den vorhergehenden Seiten versucht wurde, etwas zur bisherigen Geschichte des Plattdeutschen und dem damit einhergehenden Schwund dieser Sprache zusammenzutragen, dann steht jetzt sicherlich an, die derzeitige Situation auch ins Auge zu nehmen.
Das kann und soll an dieser Stelle allerdings nur eine grobe Betrachtung sein.
Folgende Unterteilung bietet sich dabei an:
- Institution Schule
Hier treffen wir auf einen jungen Personenkreis, der in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse ist bei diesem Versuch einer Ist – Beschreibung. Zum einen sind für diese Altersstufe schon mehrere sprachwissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt worden. Zum anderen hat man hier eine homogene Gruppe, deren Spracherwerb erst wenige Jahre zurückliegt und die damit besondere vergleichende Auskunft geben dann.
Auch über die Lehrkräfte sind recht verlässliche Aussagen zum sprachlichen Kenntnisstand der ihnen anvertrauten Kinder zu erhalten. So haben die Befragungen unter den Lehrpersonen im Emsland und der Grafschaft Bentheim sowohl bei den Untersuchungen 1987/88 und auch 2011 aus der Rückschau gezeigt, dass die Rückmeldungen eine hohe Aussagekraft hatten, was durch etliche Kontrollgespräche wenige Monate später voll bestätigt werden konnte.
Wie sieht es also heute in den Schulen der Region unter dieser Fragestellung aus.
Plattdeutschkompetenz
- in den Grundschulen
Neueste Untersuchungen liegen dazu flächendeckend nicht vor.
Einzelne Aussagen von Fachleuten bestätigen aber, dass durch den Generationswechsel in den letzten 30 Jahren die plattdeutsche Sprachkompetenz in der Lehrerschaft enorm geschrumpf ist. 1989 waren im Emsland noch knapp 40% der Lehrkräfte aktive Plattsprecher.
Die damals 10jährigen Schüler/innen konnten nur noch zu 3% platt sprechen. Einige dieser damaligen Probanden unterrichten heute in den Grundschulen im Emsland als mittlererweile fast 40jährige Lehrerinnen.
Linda Wilken ist seit mehr als einem Jahr hauptamtlich für Plattdeutsch bei der Emsländischen Landschaft tätig. Sie berichtet in einem Interview, dass jüngere Grundschullehrerinnen kaum noch in der Lage sind, plattdeutsch zu sprechen und damit aktiv unterrichten zu können. Das würde bestätigen, dass nur noch wenige der damals Untersuchten als junge Erwachsenen und später eine aktive Sprachkompetenz erwerben konnten.
Frau Wilken ist das allerdings aufgrund ihrer passiven Sprachkenntnisse aus dem familiären Umfeld gelungen, insbesondere gezielt auf ihre Bewerbung um die o. g. berufliche Herausforderung hin. Sie berichtet dazu aber auch von besonderen Anstrengungen und die besondere Unterstützung durch ihre “plattdeutsche” Großmutter.
- an den weiterführenden Schulen, hier Gymnassium Leoninum Handrup
Ein ausführliches Gespräch mit Pater Dr. Heiner Wilmer Ende 2017 brachte verlässliche Auskünfte dazu, die sicherlich auf andere Schulen übertragbar sind. Dr. Wilmer war von 1998 bis zum Jahr 2007 Schulleiter des Gymnasiums Leoninum in Handrup. Diese Ortschaft liegt inmitten eines großen ländlich strukturierten Gebietes jeweils mindestens 20 km von einer mittelgroßen Stadt entfernt. Heiner Wilmer stammt selbst aus bäuerlichen Verhältnissen und ist plattdeutsch groß geworden. Sein besonderes Interesse gilt dieser seiner Muttersprache. Er konnte sich aus seiner damaligen ihm anvertrauten Schülerschaft am Leoninum nur an einen Heranwachsenden erinnern, der noch ein sehr urwüchsiges Plattdeutsch sprach. Das deckt sich mit den Erkenntnissen etliche anderer Lehrpersonen aus meinem Bekanntenkreis. Meine beiden Kinder sind ebenfalls als Lehrperson tätig und bestätigen dieses Faktum.
2. in der früheren Plattdeutschdomäne Landwirtschaft
In der Emslanduntersuchung im Jahre 1989 wurden ähnlich wie in der Enquete im Westmünsterland von 1983 durch Prof. Dr. Ludger Kremer die höchsten Werte zur täglichen Nutzung des Plattdeutschen bei den Eltern und Großeltern der Kinder, die von einem Bauernhof stammten, festgestellt.
Aufgrund der sich damals schon abzeichnenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurde folgende Prognose gewagt.
Die Landwirtschaft, die auch in unserer Untersuchung als Hauptdomäne des Niederdeutschen ausgewiesen wurde, befindet sich z. Zt. in einer enormen wirtschaftlichen Krise, die sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird, wenn die unabdingbare Angleichung der Agrarpreise an das Weltmarktniveau sich vollziehen wird. Schon jetzt sterben jeden Tag etwa 50 Höfe in der Bundesrepublik, wobei der Raum Weser-Ems überproportional beteiligt ist.
Diese Entwicklung ist voll eingetreten und verschärft sich aktuell noch. Die verbliebenen, in der konventionellen Produktion fast durchweg stark vergrößerten landwirtschaftlichen Einheiten haben den früher üblichen Status des “Familienbetriebes” mehrheitlich verlassen und arbeiten mit zusätzlichen Arbeitskräften, die nicht mehr aus der plattdeutschen Sprache stammen.
Fazit: Die plattdeutsche Sprache ist auch aus dem Alltag auf den norddeutschen Höfen weitgehend verschwunden.
3. in den Heimatvereinen
Bei einer Suchanfrage auf “Google” zum Thema Aufgaben der Heimatvereine erhielt ich am 25. 02. 2018 eine Vielzahl an Angeboten. Hier die ersten fünf Vereine, also eine Zufallszusammenstellung:
- HV Eitze
- Pflege von heimatlichem Brauchtum und der plattdeutschen Sprache
- HV Garrel
- das heimatliche Kulturgut von Sprache, Schrift- und Brauchtum zu erhalten, zu plegen, zu erforschen und zu entwickeln.
- HV Riesenbeck
- das heimatliche Kulturgut von Sprache, Schrift- und Brauchtum zu erhalten, zu plegen, zu erforschen und zu entwickeln.
- HV Senden
- hat einen Arbeitskreis Wi kürt platt
- HV Lethmate
- Pflege heimischen Brauchtums und heimischer Mundart
Nun bin ich ja seit zwei Jahren mit mittlerweile über hundert Vorträgen zum Heuerlingswesen in ganz Nordwestdeutschland unterwegs vornehmlich in Heimatvereinen und habe somit einen sehr authentischen – wohl einmaligen – Eindruck vor Ort zum Gebrauch des Plattdeutschen bei diesen Begegnungen.
Kaum zu glauben: In lediglich drei Heimatvereinen bin ich auf Plattdeutsch vorgestellt worden.
Ansonsten wird dort, wo Plattdeutsch eigentlich gepflegt werden soll, fast durchweg im offiziellen Umgang hochdeutsch gesprochen – so als Amtssprache. Im persönlichen Gespräch wechseln dann doch etliche Zuhörer ins Plattdeutsche.
Man schaut mich dann durchweg erstaunt an, wenn ich meine einleitenden Worte in Platt formuliere. Nicht selten bleibe ich in dieser Sprache, wenn ich auf Nachfrage signalisiert bekomme, dass alle Anwesenden mich verstehen können.
http://www.emslaendischer-heimatbund.de/verein/zukunft-der-heimatvereine
http://www.emslaendischer-heimatbund.de/medien/bilder/downloads/PPT_ZuKo_HVEmsland.pdf