Hermann Wilkens

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Platt lutt moj

„Platt lutt moj”, Plattdeutsch klingt schön, so heißt der Titel eines Lesebuches, das vom Arbeitskreis „Mesters prootet Platt” beim Schulaufsichtsamt Emsland im Jahr 1993 herausgegeben wurde und an unserer Schule gern eingesetzt wird.

Und in der Tat, Platt luttrnicht nur moj, sondern ver­breitet auch eine freundliche Atmosphäre, fördert die Gemütlichkeit in froher Runde und bringt die Men­schen untereinander schnell in Kontakt. Das Plattdeut­sche hat viele Dönkes, Vertellsels, Lieder und Spiele, die

erhalten bleiben müssen und nur auf Plattdeutsch auch so klingen, wie sie gemeint

sind, und deshalb beim Zuhörer ankommen.

Plattdeutsch hat sogar auch dann noch eine nette Art, wenn man jemandem deut­lich seine Meinung sagen möchte. Nennt man einen Zeitgenossen einen „Dwäs-büngel” (Quertreiber), so ist die verbal verletzende Spitze eines hochdeutschen Wortes genommen, obwohl der Betroffene ganz genau weiß, was man von ihm hält.

Ein Beleg hierfür ist auch die angeblich wahre Begebenheit, bei der ein Hausbesit­zer einen an seinem Haus vorbeiführenden kleinen Privatweg für die Öffentlich­keit nicht weiter zugänglich machen wollte und ein Schild mit der Aufschrift an­brachte: „Verbotener Patt”. Dies rief sofort die Kreativität seiner Nachbarn und Mit-anlieger auf den Plan, die ihm folgende schriftliche Antwort als Retourkutsche auf sein Schild malten: „Lick mi ant Gatt”.

Die plattdeutsche Sprache hat mich von Kindesbeinen an begleitet. Über Genera­tionen hinweg wurde zu Hause in Neubörger vorwiegend plattdeutsch gespro­chen. Bedingt dadurch, daß zu meinem Elternhaus eine Gaststätte, eine Landwirt­schaft, eine Poststelle und eine Viehwaage gehörten, war dort immer ein reger Pub­likumsverkehr vorhanden, und so wurde ich schon Mitte der 50er Jahre sehr früh mit dem Plattdeutschen vertraut.

Als kleiner Junge fiel mir damals auf, daß die Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg in Neubörger eine neue Heimat gefunden hatten, wenn sie dann ihre Rente an der Post abholten und anschließend in die Gaststätte kamen, ein anderes, für mich etwas fremd klingendes Platt sprachen. Dies hat aber ihre Integration in keinster Weise behindert. Im Gegenteil! Dadurch, daß sie versuchten, sich in der plattdeutschen Sprache zu artikulieren, gewannen sie schnell die Herzen der Einheimischen. Wenn auch ihr Plattdeutsch stets etwas merkwürdig klang, so kam man doch darüber ins Gespräch, und man sprach miteinander und weniger über­einander.

Schwierig wurde es für mich Anfang der 60er Jahre auf dem Papenburger Gym­nasium, das auch von vielen Ostfriesen besucht wurde, das Platt ihrer Region zu verstehen. In den Pausen „kauelten” die ostfriesischen Mitschüler platt unterein­ander, und dieses Plattdeutsch klang sehr urtümlich und fremd für die Ohren eines Hümmlingers. Gleichwohl muß man aber festhalten, daß die Ostfriesen ihrer Spra­che und ihrer Tradition treu blieben. Hinnerk blieb nun mal Hinnerk und wurde nicht, wie es im Emsland oft üblich war, zu Heinz oder Heiner.

Während meiner Schulzeit war ein deutlicher Trend zu erkennen, nicht mehr platt­deutsch sprechen zu wollen. Plattdeutsch wurde quasi gleichgesetzt mit weniger gebildet, dümmer zu sein. Plattdeutsch war „out”. Es war nicht mehr schicklich, platt zu sprechen. Hochdeutsch war „in”.

Dabei konnte es zu lustigen Begebenheiten wie folgender kommen: Eine junge Mutter ruft ihren draußen im Garten spielenden Sohn, der für sie vom Kaufmann etwas holen soll, mit dem Satz: „Berni, lauf mal schnell zum Kaufmann Gerdes und hol für 5 Pfennig Schwäfelsticken.” Dabei muß man wissen, daß Schwäfelsticken Streichhölzer bedeuten. Es war also gar nicht immer so einfach, auf die Schnelle vom Plattdeutschen ins Hochdeutsche zu übersetzen.

Das Plattdeutsche hat mich auch beruflich bis heute begleitet. Als ich im Februar 1987 meinen Dienst an der Ludgerusschule Rhede antrat, hatte sich der leider in­zwischen verstorbene Bürgermeister Wilhelm Loth, der für seine humorvolle und bürgernahe Art bekannt war und selbst oft und gerne plattdeutsch’sprach, bereits folgendermaßen über meine Person geäußert: „Wenn hei plaett proten känn, dänn könn wie wall mit üm utkoamen.”

Und in der Tat, gerade in der linksemsischen Gemeinde Rhede wird das Plattdeut­sche noch sehr gepflegt. Dies ist auch verständlich, steht man doch in der Tradi­tion und auch in der Verpflichtung des Rheder Heimatdichters Gerd Aorns, der in der dritten von fünf Strophen des Liedes „011e Rheen”, das oft und gerne bei fest­lichen Anlässen in der Gemeinde gesungen wird, folgenden Text verfaßt hat:

Einfache Lüh, niks upgetoakelt,

Dei läwet dor, sei protet platt,

Doch segg datt vull, wenn sei mi fraoget
Büs du uk hier, wo geiht die datt?
Wenn Sehnsucht mi ant Hatte naoget
Gaoh ik naoh Rheen, dann frei ik mi.
0lle Rheen dor an de Ämße,

0lle Rheen, dann bünk bi di.

Daß Plattdeutsch auch international gefragt ist, sollen folgende zwei kleine Begebenheiten verdeutlichen: Im Sommer 1993 haben mein niederländischer Kollege Gerardus Hagenes, Schulleiter der Basisschool „Oosterschool”/Bellingwolde und ich im Groninger Rundfunk „Radio Noord” in der Sendung ,:fien uur” mit der Mo­deratorin Imka Marina – bekannt als Interpretin des Ohrwurms der 70er Jahre „Eviva Espana” – Werbung für die I5-Jahr-Feier anläßlich der Partnerschaft zwi­schen den Gemeinden Bellingwedde und Rhede/Ems gemacht. Damit konnte je­der in seiner platten Mundart sprechen. Die Verständigung auf Emsländer und Groninger Platt klappte ausgezeichnet, sind doch durchaus Ähnlichkeiten vorhan­den.

Im Sommer 1996 waren wir mit 37 Altherrenfußballern des SC Blau-Weiß 94 Papenburg für 14 Tage in Chicago und nahmen dort unter anderem an einem inter­nationalen Fußballturnier teil. Viele Deutschstämmige, die wir auf dieser Reise ge­troffen haben, sprachen besser platt als hochdeutsch, und die Freude war jedesmal groß, wenn sie wieder vertraute heimatliche plattdeutsche Worte und Lieder hör­ten. Man sah deutlich den Schimmer in ihren Augen, als wir bei einer abendlichen Feier das Friesenlied auf Plattdeutsch anstimmten. Erstaunlich war für uns, daß auch viele junge Amerikaner, deren Großeltern Anfang der 50er Jahre in die USA ausgewandert waren, das Plattdeutsche noch verstehen konnten. Allerdings ha­pert es verständlicherweise etwas mit dem aktiven Gebrauch der plattdeutschen Sprache.

Wie wird es weitergehen mit der plattdeutschen Sprache? Viele Institutionen bemühen sich, das Plattdeutsche zu pflegen – wohlwissend, daß das geschriebene Platt in seinen oft sehr verschiedenen Dialekten schwierig zu vermitteln ist. Lo­benswert ist dabei der von der Kreissparkasse im Turnus von zwei Jahren initiier­te Lesewettbewerb „Schüler lesen Platt”, der Schülerinnen und Schüler aller Alters­klassen motivieren soll, sich mit der plattdeutschen Sprache auseinanderzusetzen.

Bessere Chancen räume ich dem gesprochenen Platt ein. Und hier ist die jetzige Generation gefragt, aktiv und offensiv das Plattdeutsche zu vertreten. Auch die Schulen können hier ihren Beitrag leisten, indem zum Beispiel bei den im Stun­denplan verankerten Arbeitsgemeinschaften Theaterstücke in plattdeutscher Spra­che angeboten werden. Bei Sitzungen der örtlichen Heimatvereine sollte grundsätzlich die „Amtssprache” Plattdeutsch sein.

Die plattdeutsche Sprache hat nur eine Chance zu überleben, wenn sie mündlich tradiert wird. Und dabei ist es unerheblich, in welchem Dialekt man spricht. Ein Beispiel mag dies zum Schluß verdeutlichen: „Ik ga over dei Strate hen mien Naa-ber, wenn ik Daest haebbe…”, so heißt es im Neubörger Platt. „Ik gao över dei Straote nao mien Naober, wenn ik Döst heb…”, so das Rheder Platt. Ob nun Hümmlin-ger oder Rheder Platt, die Intention ist unverkennbar eindeutig; endet doch solch ein Treffen oft in einer gemütlichen Atmosphäre und in fröhlicher Runde.

Wie gesagt: „Platt lutt moj.”