„Denn Papst is d`r ock”
Dialekt und plattdeutsche Mundart haben mein Leben von Anfang an geprägt. Das resultiert nicht zuletzt aus meiner Herkunft und meinem Beruf, der sehr enge Bindungen zur Landwirtschaft hat.
Mein Urgroßvater war Bauer am Niederrhein, und ich bin in der dritten Generation Verwalter und Geschäftsführer einer Molkereigenossenschaft. Zeitlebens war also Milchverarbeitung und die damit verbundene Nähe zur Landwirtschaft mein ‚Job”. Plattdeutsch war dadurch für mich von Kind an präsent.
Die Äußerung des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Molkerei Uelsen bei der Bewerbung meines Vaters im Jahre 1935 um den Posten des Verwalters – „Er kann wenigstens platt sprechen, und schon darum sollten wir ihn nehmen” – war nicht nur typisch für die Bedeutung der plattdeutschen Sprache in damaliger Zeit, sondern auch ein Vertrauensvorschuß mit deutlich emotionalem Hintergrund.
Meine Eltern pflegten den niederrheinischen Dialekt und sprachen westfälisches Platt miteinander, mit mir und meinen Geschwistern aber ausschließlich hochdeutsch. Dadurch hatte ich bei meiner Einschulung in Uelsen im Jahre 1940 den großen Vorteil, zumindest im Deutschunterricht meinen Klassenkameraden gegenüber „immer einen Tick voraus zu sein”, denn für sie war Deutsch sozusagen eine Fremdsprache.
Unser „Uelser Platt” lernte ich sozusagen spielend auf der Straße und auf dem Schulhof. Es dominiert noch heute unter Freunden, Bekannten und im Berufsleben. Unterhaltungen mit Milchlieferanten werden grundsätzlich plattdeutsch geführt. Nicht selten dominiert bei Vorstandssitzungen unser Grafschafter Platt. Die etwas andersartige emsläntlische Artikulation bringen die Kollegen aus den Gemeinden Neuringe und Twist dazu. Dies unterstreicht noch einmal die Vielfalt des Plattdeutschen in unserer Grenzregion.
Ich sage bewußt immer wieder „Uelser Platt”, weil es innerhalb der Grafschaft große Unterschiede in der Aussprache und der Wortwahl gibt. Auffallende Ähnlichkeit besteht in den Orten, die an der Vechte liegen. Die Vechte war Lebensader und Verbindungsweg zwischen den Siedlungen und prägte deutlich die gemeinsame Mundart, während sich in den isoliert gelegenen Orten wie zum Beispiel Wil-sum oder Uelsen eine andere Art durchsetzte. Dafür ein Beispiel:
Wilsum: Üm twalf Uur kockt uuse Pestuur de Tuffeln.
Uelsen: Üm twalf Üur kockt unse Pestoor de Erpel.
Die Pflege der plattdeutschen Sprache wurde in meiner eigenen Familie durch meinen Schwiegervater, Bernhard Wüppen, zur Pflichtaufgabe. Er stammt aus einer traditionsreichen Grafschafter Lehrerfamilie. Für ihn war Plattdeutsch Kulturgut. Deshalb gründete er Anfang der 50er Jahre die Uelsener Laienspielschar des Männerchores.
Über 30 Jahre war er als Regisseur und aktiver Spieler tätig. Dabei legte er besonderen Wert auf „echtes altes Platt” und vermied sorgsam jedwede Verballhornung und Eindeutschung. Zur Umsetzung seiner Pläne wurde die ganze Familie in Anspruch genommen. Obwohl ich „bis zur Halskrause” neben meinem Beruf in Kommunalpolitik und Vereinsleben eingespannt war, durfte ich 20 Jahre lang Winter für Winter im Souffleurkasten sitzen und mir dabei das Geschehen auf der Bühne aus der Maulwurfsperspektive ansehen.
An den Übungsabenden wurde endlos daran gefeilt, den vorgegebenen Text in das original Uelser Platt zu übersetzen. Diese Arbeit hat mir (fast) immer großen Spaß gemacht, und sie hat sich auch gelohnt. Die Uelsener Dorfabende sind noch heute sehr beliebt. In mehr als vier Jahrzehnten hat es über 400 Vorstellungen mit annähernd 70.000 begeisterten Besuchern gegeben; wohlverstanden alles Leute, die nicht nur Plattdeutsch verstehen, sondern in aller Regel auch sprechen. Auch das unterstreicht noch einmal die nach wie vor weite Verbreitung der Sprache in unserer Region.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kleine Geschichte zum Besten geben, die die besondere Situationskomik mancher Ereignisse schlaglichtartig hervorhebt. Eine Einladung der Stadt Osnabrück führte die Spielschar anläßlich der Tagung des Niedersächsischen Heimatbundes in die Aula des Osnabrücker Schlosses zur Aufführung des plattdeutschen Stückes „Katt’ ut Huus”. Das aus der Provinz anreisende Ensemble – wir schrieben das Jahr 1956 – stand natürlich kurz vor der Aufführung unter beträchtlichem Lampenfieber. Ein Mitglied der Spielschar blinzelte kurz vor Beginn der Vorstellung durch den Sehschlitz des noch geschlossenen Vorhangs in einen vollbesetzten Saal und sah unter den Ehrengästen in der ersten Reihe den in vollem Ornat sitzenden Bischof von Osnabrück. Der in der tiefprotestantischen Niedergrafschaft aufgewachsene Uelsener war vom Purpur derart fasziniert – er kannte sich im Outfit eines hohen katholischen Würdenträgers natürlich überhaupt nicht aus -, daß er in heller Aufregung hinter die Kulissen stürmte und rief: „Oh guddegutt, denn Papst is d`r ock!”
Ich wünsche der Laienspielschar, daß sie aufgrund ihrer glaubwürdigen Besetzung der darzustellenden Typen und ihrem Bemühen, unverfälschtes Niedergrafschaf-ter (Uelsener) Platt zu sprechen, noch viele Jahre erfolgreich ist und ihrem Publikum große Freude bereitet.