Bernhard Tönnis (Emsbüren)

Zum Ausheben geistiger Gräben ungeeignet

„Ut miene Stromtid” von Fritz Reuter war, neben einer Biographie über den Freiherrn von Richthofen, den „Roten Baron”, eines der Bücher meiner Eltern, an das ich mich – beim „Stöbern” noch Erstklässler – heute noch erinnere. Leicht angestaubt, in schwer lesbarer Schrift ¬und eben plattdeutsch. Dies war eigentlich meine erste, heute noch erinnerbare Begegnung mit der plattdeutschen Sprache, obwohl in unserer Familie, in der drei Generationen mit insgesamt neun Familienmitgliedern unter einem Dach lebten, zwischen den „ersten beiden Generationen” im täglichen Leben plattdeutsch gesprochen wurde, mit uns Kindern weniger.

Wenn hochdeutsch gesprochen wurde, war meist etwas im Busche! In diesem Sinne wurde nach heutigem Sprachgebrauch „Klartext” gesprochen! Meine Ambitionen, plattdeutsch wissentlich zu lernen und es im Umgang mit meinen Eltern, Verwandten oder Freunden zu sprechen, waren nicht besonders ausgeprägt, zumindest nicht während meiner Schulzeit. Ich hatte den starken Eindruck, daß es als Schüler auf der Penne als hinterwäldlerisch galt, wenn man sich auf Plattdeutsch verständigte. Dies ist für mich heute noch verwunderlich, war ich doch auf dem Gymnasium bei den „Altsprachlern”, die sich naturgemäß mehr aus Schülern der ländlichen Gebiete zusammensetzten. Sei es, wie es sei, wir sprachen plattdeutsch nur wenig miteinander, obwohl wir es konnten.

Und da bin ich an einem Punkt, der eigentlich verwundern muß. Ich habe Plattdeutsch fast ausschließlich durch Zuhören, weniger durch Sprechen gelernt. Vielleicht ist Plattdeutsch ja eine Sprache, die sich vor allem dadurch erlernt, daß man zuhört! Mit fortschreitendem Alter, mit der Erweiterung des Bekanntenkreises und mit der Verlagerung der privaten und beruflichen Interessen wurden die Gesprächskreise, in denen plattdeutsch gesprochen wurde, immer größer und umfangreicher, so daß mein Plattdeutsch im Sprechen und Verstehen durchaus zunahm und heute – und das sage ich mit einigem Stolz – den meisten Ansprüchen genügt.

Aber welche Ansprüche stellt die plattdeutsche Spache, welche Ansprüche an sich selbst und welche Ansprüche an die Menschen, die sie sprechen? In meinem Verständnis ist die plattdeutsche Sprache zu allererst eine Umgangssprache – und das in des Wortes bestem Sinne. Sie ist zur Verbreitung von Ideen und Ideologien wohl weniger geeignet, zum Ausheben und Verbreitern geistiger Gräben wohl auch nicht. Wer sich austauschen will, wer mit den anderen umgehen will, für den ist sie eine große Hilfe. Ich kann auf Plattdeutsch böse werden, ich kann auf Plattdeutsch meine Meinung sagen, aber kann ich auf Plattdeutsch zynisch werden? Das doch wohl eher nicht.

Beruflich bin ich als Offizier der Bundeswehr dem Plattdeutschen nur sehr wenig verbunden. Trotzdem hatte ich anläßlich einer binationalen Stabsrahmenübung ¬das ist so etwas wie der Krieg im Saale – ein nettes Erlebnis. Mir unterstand während dieser Übung ein Major der niederländischen Streitkräfte, der genau wie ich des Englischen nur in Grenzen mächtig war. Er sprach auch kein Hochdeutsch oder wollte es – aus welchen Gründen auch immer – nicht sprechen. Als die Situation der Nichtverständigung zwischen uns immer mehr eskalierte, entrutschte mir der Stoßseufzer: „Mein Gott, dat is ja nich to`t uthollen!” Worauf mein holländischer Waffenbruder mich ganz erstaunt anschaute und lapidar entgegnete: „Dormet mosset wall goan!” Und es ging.

Diese kleine Episode zeigt mir einmal mehr, daß Plattdeutsch im wahrsten Sinne des Wortes eine Umgangssprache ist und auch bleiben sollte – eine Sprache, die von ihrer Vielfalt lebt, die kein Regelwerk und keine Grammatik braucht. Und sei es drum: Wer im Gespräch irgendwann gedanklich oder sprachlich nicht folgen kann, sollte dann Hochdeutsch – oder Klartext? – sprechen!

hthofen, den „Roten Baron”, eines der Bücher meiner Eltern, an das ich mich – beim „Stöbern” noch Erstklässler – heute noch er-innere. Leicht angestaubt, in schwer lesbarer Schrift ¬und eben plattdeutsch. Dies war eigentlich meine erste, heute noch erinnerbare Begegnung mit der platt