Moin moin Siri!

 

Der Bürokalender zeigt einen Freitag im Januar an. Auf dem schweren Tisch im Besprechungsraum steht ein Telefon, aus dessen Lautsprecher nach und nach ein “Hallo” oder ein “Gruß Gott” zu vernehmen ist. Eine typische Abteilungsbesprechung scheint ihren Lauf zu nehmen. Nur der Kuchen neben dem Telefon deutet darauf hin, dass an diesem Tag nicht alles seinen gewohnten Gang geht. Der Grund: heute haben alle Anwesenden (am Tisch und am anderen Ende der Telefonleitung) die Aufgabe, in ihren Heimatdialekten über aktuelle Themen und Projekte zu berichten. So nehmen die Dinge ihren Lauf und das in grau gehaltene Telefon entwickelt sich langsam zu einem Schmelztiegel von Halbsätzen und Ausdrücken, die wechselseitig bei allen Beteiligten Stirnrunzeln, Schulterzucken und vor allem Staunen sowie herzhaftes Lachen hervorrufen. Kein Wunder bei zwei Franken, zwei (Kur)Pfälzern, einem gebürtigen Berliner, einem Thüringer und nicht zuletzt einem Emsländer. Ob in dieser Besprechung auch wirklich alle Informationen bei den Empfängern angekommen sind, wurde niemals aufgeklärt.

 

Seit dem Meeting sind über zwei Jahre vergangen. Der Nachmittag ist in den Köpfen der Kollegen und natürlich auch bei mir aber immer noch sehr präsent, weil er auf heitere Art und Weise gezeigt hat, wie unterschiedlich Dialekte sind aber auch wie treffsicher sie die Dinge auf den Punkt bringen können. Was sich dabei nicht verstecken muss, ist Platt – und das betrifft sowohl die Klarheit mancher Formulierungen als auch das oft direkte aber eben auch punktgenaue Vokabular. Dabei sollte man mit manchen Formulierungen im (Berufs)Alltag wohl besser dosiert umgehen (bspw. “Do man wat, dann früs di ock nich” oder “ick verstoh di woll, man ick begriep di aber nich”); jeder findet aber sicherlich für sich das ein oder andere Beispiel, in dem eine Situation oder eine Botschaft mit Platt besser auf den Punkt zu bringen war, als es auf Hochdeutsch – oder anderen Geschäftssprachen – möglich gewesen wäre.

 

In meinem konkreten beruflichen Alltag spielen natürlich Deutsch und Englisch die Hauptrollen. Was aber neben dem Plattdeutschen als Sprache hilfreich ist, ist das Aufwachsen und das Kennen von Land und Leuten, die – durch Platt geprägt –nicht lange drum herumreden und einen selbst wohl auch ein wenig beeinflusst haben.

 

Was Plattdeutsch heute außerdem noch auszeichnet? Es ist identitätsstiftend. Vor vielleicht drei Dekaden wurde Platt in jedem Dorf und jeder Stadt zwischen Nord- und Ostsee und bis in das Münsterland gesprochen. Heute muss man (gezielt) auf Spurensuche gehen. Was am besten klappt, wenn man gleich auf Plattdeutsch loslegt. Jemanden zu finden, der Plattdeutsch nicht nur versteht, sondern auch sprechen kann, ist nicht immer ganz leicht; aber auch im ersten Fall freuen sich beide Seiten über den “Treffer” und der Gesprächsfaden ist gesponnen.

 

Was auch richtig ist: Platt ist keine (einfache) Schriftsprache. Wenn man sich im Internet auf Recherche begibt, fällt dennoch auf, dass es mehrbändige plattdeutsche Wörterbücher und Literatur aus einigen Jahrhunderten gibt und sogar Verträge auf Plattdeutsch verfasst wurden. Auch ist es gut, dass sich Einrichtungen wie das Institut für niederdeutsche Sprache (INS) und eine ganze Reihe von Initiativen dem Erhalt der Sprache widmen (siehe hierzu etwa die vielen positiven Beispiele im Emsland-Jahrbuch 2018, S. 289 – 357) und dadurch unter anderem die verschiedenen Varianten von Platt sichtbar werden – und bleiben.

 

Spannend wird sein, wie die Digitalisierung den Sprachgebrauch von Platt verändern wird; ob also – bildlich gesprochen – mit dem neu verlegten Breitbandanschluss gleichsam auch das plattdeutsche Sprachangebot vom Heimathaus ein Stückchen näher an das Wohnzimmer heranrückt. Wenn langsam so genannte “lernende Sprach-Dialogsysteme” den Alltag erobern, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Sprachassistenten der großen IT-Konzerne auch Dialekte mit ihren akustischen und grammatikalischen Variationen erkennen. Fragt man die derzeit bekannten Sprachassistenten, ob sie Plattdeutsch verstehen, hört man höfliche und ausweichende Antworten – mehr aber noch nicht.

 

Man kann sich (und darf sicherlich auch) schon lebhaft vorstellen, wie der Opa und sein Enkel in ein paar Jahren aus dem Fenster schauen und das Smartphone fragen, “hey Siri, wu wet dat Weer van Dage?”, daraufhin die elektronische Helferin mit den Wetterdaten für den Sonntagsausflug herausrückt und im gleichen Zusammenhang die Rollläden herunterfahren und Omas Orchideen vor der soeben prognostizierten Mittagssonne schützen.

 

Insoweit darf man gespannt sein, ob bzw. wann das Plattdeutsche auch den Weg in digitale Sprachwelt schafft und dort – einmal mehr – eine Brücke zwischen Jung und Alt bildet oder aus eben noch Unbekannten Bekannte macht. Das Potenzial, neben anderen Dialekten gut dazustehen, hat Plattdeutsch auf jeden Fall. Das konnten auch die beiden Franken, die zwei (Kur)Pfälzer, der Berliner und der Thüringer nicht abstreiten.