Dr. Heinrich Book

Saxonicare necesse est

Im Jahre 1928 habe ich mit fast 15 Jahren mein Hei­matdorf auf dem Hümmling verlassen und bin zum Be­such einer weiterführenden Schule in die Ruhrmetro­pole Essen übergesiedelt. Statt des verträumten Tusku-lum in der Hümmlinger Heide erwarteten mich dort rauchende Schlote und feuerspeiende Hochöfen. Meine Füße, die ich bis dahin entweder unbekleidet gelassen oder in luftigen Holzschuhen untergebracht hatte, muß­ten sich an ein enges Schuhwerk gewöhnen, und an die Stelle der gewohnten plattdeutschen Sprache trat das Hochdeutsche.

Es vollzog sich bei mir eine Art Metamorphose. Da war es nicht verwunderlich, daß mich bald ein mächtiges Heimweh schüttelte und alles Zurückgelassene mit einer Mandorla und einer Glo­riole umgab, deren Glanz bis heute nicht ganz verblaßt ist. Ich mußte lernen, die plattdeutschen Satz- und Wortformen gegen passende hochdeutsche Wendungen auszutauschen. Dies war zugleich auch eine gute Vorübung für das dann folgende Erlernen von Latein und Griechisch.

Mein Hochdeutsch war zunächst sicherlich sehr ungelenk und holperig, aber weil ich in der Dorfschule mit guten theoretischen Kenntnissen der Wortregeln und der Rechtschreibung ausgestattet worden war, konnte ich meine hochdeutsche Sprachfähigkeit recht bald auf den gehörigen Stand bringen. Plattdeutsch und Hochdeutsch nebeneinander und wechselweise denken und sprechen zu können, das war der unschätzbare Gewinn aus eben dieser Zeit. Von dieser Zweisprachig­keit habe ich ein ganzes Leben lang zehren können.

In meinem ärztlichen Beruf ist mir diese Fähigkeit sehr zustatten gekommen. Sie wurde zu einer der Quellen, aus denen sich das Vertrauen gespeist hat, von dem ich mich ein ganzes Arztleben lang durfte getragen fühlen. Das galt von den Pa­tienten aus meiner Heimatregion noch in besonderer Weise. Welche Kraft ich dar­aus schöpfen konnte und welche Beglückung darin lag, bedarf keiner Erörterung.

Es war darum für mich nur die Abstattung einer Dankesschuld, als ich mich ent­schlossen habe, nach Beendigung meiner ärztlichen Berufstätigkeit die verblei­bende Mußezeit der Betreuung meiner eigentlichen Muttersprache, dem Platt­deutschen, zu widmen. Dabei habe ich über meine bisherigen Kenntnisse hinaus erfahren, welche wertvollen kulturellen und geistigen Schätze sich in unserer so unscheinbar wirkenden plattdeutschen Mundart verborgen halten, und wie weit