Heinrich Roters

Versuche mit dem Lokalfunk

Ich bin 1933 in Nordhorn, Ortsteil Hesepe, geboren. Meine Eltern, Verwandten und Nachbarn sprachen fast alle das Grafschafter Platt. Daher ist es für mich bis heu­te immer noch selbstverständlich, nach Möglichkeit mit jedermann platt zu sprechen. Ich habe darin auch im­mer einen Vorteil gesehen. Sowohl in meinem erlernten Beruf als Tischler wie auch später nach meiner Umschulung als kaufmännischer Angestellter im Verkauf (Einzel- und Großhandel) hat mir die plattdeutsche Sprache immer genützt – selbst im Umgang mit niederländischen Personen.

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Diese Kenntnisse und Erfahrungen, die mit dem Plattsprechen verbunden sind, kann ich auch heute noch jedem jungen Menschen empfehlen. Mir ist allerdings sehr wohl bewußt, daß es immer schwieriger wird, unser hiesiges Platt noch zu er­halten. Im sozialen Bereich halte ich es für dringend erforderlich, daß zum Beispiel im Pflegebereich für ältere Personen die plattdeutsche Sprache beibehalten wird. Dies ist mir oft bei Krankenbesuchen bewußt geworden. Ältere Menschen sind dankbar, wenn man sich in ihrer Mundart unterhält. Das gleiche habe ich im kul­turellen Bereich oftmals erlebt. Hierbei denke ich an viele Seniorennachmittage oder an Theateraufführungen auf Platt, welche wir vom „Groafschupper Plattproater Kring” regelmäßig veranstalten.

Dies ist auch einer der Gründe, weshalb ich mich nach meinem Berufsleben für unser heimisches Platt so einsetze. Zugleich habe ich dann versucht, einige Ge­dichte, Erzählungen und Gedanken in Grafschafter Platt zu schreiben. Das eine oder andere wurde inzwischen in der Tageszeitung veröffentlicht. In einem Buch, welches von der Sparkasse finanziert wurde, ist ebenfalls ein Beitrag von mir ent­halten.

Seit knapp einem Jahr bin ich für unseren Verein beim Regionalsender Ems-Vechte-Welle tätig. Dort werden einmal im Monat eine Stunde lang plattdeutsche Sen­dungen moderiert. Das Generalthema lautet: „Löö, wi proat noch platt!” Dabei werden alte Sitten und Bräuche besprochen. Leider ist der Sender noch nicht be­kannt genug, so daß bei einmaliger monatlicher Sendung die Resonanz nicht sehr groß ist.

 

Bernd Rüter

Oase der Ruhe

In Wahn auf dem Hümmling bin ich am 14. 10. 1914 zur Welt gekommen und mit acht Geschwistern – vier Jun­gen und vier Mädchen – aufgewachsen. Bei uns im El­ternhaus und in der Gemeinde wurde nur plattdeutsch gesprochen, selbst der Gemeindediener verkündete sei­ne Bekanntmachungen meistens auf Plattdeutsch. Selbst mit dem religiösen Wort „Gott” wurden wir von unse­ren Eltern zuerst in Plattdeutsch bekannt gemacht. Ich erinnere mich noch gut, daß meine Mutter bei meiner jüngsten Schwester an der Wiege plattdeutsche Wie­genlieder sang. Gewiß hat sie dies auch bei mir getan, und so sehe ich Plattdeutsch als „mine Maudersprake”. Meine Eltern waren immer sehr darauf bedacht, daß wir unsere Sprache ohne Verschandelung zum Ausdruck brachten.

So war es alte Sitte, daß wir am Palmsonntag Nachbarn und Verwandten einen Palmzweig brachten, und dann wurde uns bündig mit auf dem Weg gegeben, „Guten Tag” zu sagen und: „Ich wollte euch wohl einen Palmzweig bringen”. So erhielten wir vom Elternhaus eine bestimmte Sicherheit. Ich fand es auch schön, daß wir als Jungs der Reihe nach Meßdiener wurden; so trafen wir im Dorf mit al­len Begebenheiten zusammen – mit Kindtaufe, Hochzeit, Versehgang, Beerdigung, Prozessionen. Das bereicherte früh unsere Lebenserfahrung, und wir lernten mit dem Latein sogleich eine dritte Sprache sprechen.

Unser Hümmling wurde etwa um 1865 von dem Professor Dr. Heinrich Lüken aus Brual mit einer schönen Hymne bedacht: „De Hümmelske Bur”. Auf dieses Lied war der Hümmlinger stolz, weil er hier auf seine Eigenart angesprochen wurde, und darum wurde es bei allen besonderen Anlässen – auf Bauernhochzeiten, Schützenfesten – mit Inbrunst gesungen, ebenso wie die standesgemäßen Hoch­zeitslieder „Wo kriege wi dat op, wo kaome wi der dör, un so kriege wi’t siläwe nich weer”. Aber heute müß man sich leider fragen, was ist noch von unserer al­ten Eigenständigkeit übrig geblieben.

Im Jahre 1941 wurde meine Heimat Wahn wegen der Erweiterung des Krupp-schen Schießplatzes durch die Ruges geräumt. Das Hochdeutschsprechen war bis dahin verpönt. Folgende Begebenheit wurde damals von den Dorforiginalen am letzten Herdfeuer in „011mannsköeke” zum Besten gegeben: Eine Frau ging mit ihrem Sprößling über die Öewerenderstraote, auf der zweimal am Tag mehrere Kuhherden zur Weide und wieder zurück getrieben wurden. Der kleine Junge fand es lustig, von oben in die dicken Kuhfladen zu treten, und die Mutter rief ent­setzt: „Kind, tret’ nicht ins Kuh-A-A!” Der Junge fragte: „Was, Mama?”. Dieses Spiel

wiederholte sich ein paarmal, bis das Maß voll war und die Mutter voller Zorn rief: „Ach Junge, nu trett doch nich in de Kauhschiete!” – „Ach so, Mama!”

In der Hektik unserer Tage, wo mit dem Fortschritt so viele neue Fremdwörter in Umlauf kommen, empfinden viele Menschen unser emsländisches Plattdeutsch als eine Oase der Ruhe. Leider verliert unser Plattdeutsch durch Aufgabe alter Ar­beitsmethoden viel an altem Sprachschatz, aber es bleibt doch lebendig.

Ich erinnere mich an die Kriegszeiten und die Gefangenschaft im Ural. Es waren Momente, die man nicht vergißt, wenn man plötzlich mit jemandem platt spre­chen konnte. Dann spürte man Wärme und Vertrauen, und man wollte sich wohl gegenseitig festhalten. Eines darf ich mit Sicherheit sagen: Die Freundschaft, die über unser emsländisches Platt zustande kam, war für mich immer von Dauer.

In unserem ursprünglichen Sprachgebrauch ist vieles aus dem Umgang mit der Tierwelt entstanden. So hat eine alte Bäuerin aus Werpeloh das Nahen eines Ge­witters mit den besorgten Worten so treffend geschildert: „0 Heer, o Heere, watt kummp de Lucht dor jäe so bäisteräffteg upkälwern!” Zu dieser erregten bildlichen Schilderung möchte ich den folgenden Hinweis geben. Einem Gewitter stand man in früherer Zeit, als noch fast alle Häuser ein Strohdach ohne Blitzableiter hatten, mit großer Sorge gegenüber – vor allem, wenn sich riesige, helle Wolkentürme vor einem pechschwarzen Hintergrund auftürmten.

Zu dieser unheimlichen Schilderung kommt folgender Beweggrund hinzu: Noch in meiner Kinderzeit war es eine furchterregende Tatsache, wenn bei der Geburt im Kuhstall nach der Wasserblase die feinknöchigen Beine des Kalbes zum Vorschein kamen. Dann hieß es erschreckend: „Dät is jäe äin Stäinbilln!”, also ein sehr star­ker, muskulöser Doppelender. Das hieß dann: Es mußten alle kräftigen Männer aus der Nachbarschaft zusammengerufen werden, denn es stand eine schwere Geburt bevor. In sehr vielen Fällen ging das Muttertier oder die Färse dabei zu­grunde, und der Verlust war so groß, daß ein Bauer seinem Knecht (Gehilfen) den Jahreslohn damit hätte bezahlen können. Die Geburt eines Doppelenders lag da­mals sehr in der alten Rasse begründet und wurde somit von der Bäuerin bildlich dargestellt: „Bäisteräffteg upkälwern.”

Als abgehender Sohn fand ich 1951 auf dem Hümmling in Werpeloh meine neue Heimat. Zunächst bin ich jedem kleinen Fingerzeig nachgegangen, die älteste Ge­schichte meiner verlassenen Heimat Wahn über die Staatsarchive aufzuspüren, und hatte dabei Glück, Dokumente über Lehnsherrschaft, Wehren und Sling, also die älteste Geschichte meiner Heimat ausfindig zu machen. Ich bekam auch noch Verbindung mit dem Nachfolger des ersten Lehnsherrn, Pierau de Pinnink aus Brüssel – eine Anknüpfung an eine Zeit, die mehr als 300 Jahre zurückliegt.

Über die Heimatgeschichte von Wahn lernte ich den Heimatforscher Maier-Well-mann und den Herrn Katastertechniker Rötgers, Sögel, mit der Flurnamenfor‑

Paul Ricken

„Denn Papst is d`r ock”

Dialekt und plattdeutsche Mundart haben mein Leben von Anfang an geprägt. Das resultiert nicht zuletzt aus meiner Herkunft und meinem Beruf, der sehr enge Bin­dungen zur Landwirtschaft hat.

Mein Urgroßvater war Bauer am Niederrhein, und ich bin in der dritten Generation Verwalter und Geschäfts­führer einer Molkereigenossenschaft. Zeitlebens war al­so Milchverarbeitung und die damit verbundene Nähe zur Landwirtschaft mein ‚Job”. Plattdeutsch war da­durch für mich von Kind an präsent.

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Die Äußerung des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Molkerei Uelsen bei der Bewerbung meines Vaters im Jahre 1935 um den Posten des Verwalters – „Er kann wenigstens platt sprechen, und schon darum sollten wir ihn nehmen” – war nicht nur typisch für die Bedeutung der plattdeutschen Sprache in damaliger Zeit, sondern auch ein Vertrauensvorschuß mit deutlich emotionalem Hintergrund.

Meine Eltern pflegten den niederrheinischen Dialekt und sprachen westfälisches Platt miteinander, mit mir und meinen Geschwistern aber ausschließlich hoch­deutsch. Dadurch hatte ich bei meiner Einschulung in Uelsen im Jahre 1940 den großen Vorteil, zumindest im Deutschunterricht meinen Klassenkameraden ge­genüber „immer einen Tick voraus zu sein”, denn für sie war Deutsch sozusagen eine Fremdsprache.

Unser „Uelser Platt” lernte ich sozusagen spielend auf der Straße und auf dem Schulhof. Es dominiert noch heute unter Freunden, Bekannten und im Berufsle­ben. Unterhaltungen mit Milchlieferanten werden grundsätzlich plattdeutsch ge­führt. Nicht selten dominiert bei Vorstandssitzungen unser Grafschafter Platt. Die etwas andersartige emsläntlische Artikulation bringen die Kollegen aus den Ge­meinden Neuringe und Twist dazu. Dies unterstreicht noch einmal die Vielfalt des Plattdeutschen in unserer Grenzregion.

Ich sage bewußt immer wieder „Uelser Platt”, weil es innerhalb der Grafschaft große Unterschiede in der Aussprache und der Wortwahl gibt. Auffallende Ähn­lichkeit besteht in den Orten, die an der Vechte liegen. Die Vechte war Lebensader und Verbindungsweg zwischen den Siedlungen und prägte deutlich die gemeinsa­me Mundart, während sich in den isoliert gelegenen Orten wie zum Beispiel Wil-sum oder Uelsen eine andere Art durchsetzte. Dafür ein Beispiel:

Wilsum: Üm twalf Uur kockt uuse Pestuur de Tuffeln.
Uelsen: Üm twalf Üur kockt unse Pestoor de Erpel.

Die Pflege der plattdeutschen Sprache wurde in meiner eigenen Familie durch mei­nen Schwiegervater, Bernhard Wüppen, zur Pflichtaufgabe. Er stammt aus einer traditionsreichen Grafschafter Lehrerfamilie. Für ihn war Plattdeutsch Kulturgut. Deshalb gründete er Anfang der 50er Jahre die Uelsener Laienspielschar des Män­nerchores.

Über 30 Jahre war er als Regisseur und aktiver Spieler tätig. Dabei legte er beson­deren Wert auf „echtes altes Platt” und vermied sorgsam jedwede Verballhornung und Eindeutschung. Zur Umsetzung seiner Pläne wurde die ganze Familie in An­spruch genommen. Obwohl ich „bis zur Halskrause” neben meinem Beruf in Kom­munalpolitik und Vereinsleben eingespannt war, durfte ich 20 Jahre lang Winter für Winter im Souffleurkasten sitzen und mir dabei das Geschehen auf der Bühne aus der Maulwurfsperspektive ansehen.

An den Übungsabenden wurde endlos daran gefeilt, den vorgegebenen Text in das original Uelser Platt zu übersetzen. Diese Arbeit hat mir (fast) immer großen Spaß gemacht, und sie hat sich auch gelohnt. Die Uelsener Dorfabende sind noch heute sehr beliebt. In mehr als vier Jahrzehnten hat es über 400 Vorstellungen mit annähernd 70.000 begeisterten Besuchern gegeben; wohlverstanden alles Leute, die nicht nur Plattdeutsch verstehen, sondern in aller Regel auch sprechen. Auch das unterstreicht noch einmal die nach wie vor weite Verbreitung der Sprache in unserer Region.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kleine Geschichte zum Besten ge­ben, die die besondere Situationskomik mancher Ereignisse schlaglichtartig her­vorhebt. Eine Einladung der Stadt Osnabrück führte die Spielschar anläßlich der Tagung des Niedersächsischen Heimatbundes in die Aula des Osnabrücker Schlos­ses zur Aufführung des plattdeutschen Stückes „Katt’ ut Huus”. Das aus der Pro­vinz anreisende Ensemble – wir schrieben das Jahr 1956 – stand natürlich kurz vor der Aufführung unter beträchtlichem Lampenfieber. Ein Mitglied der Spielschar blinzelte kurz vor Beginn der Vorstellung durch den Sehschlitz des noch geschlos­senen Vorhangs in einen vollbesetzten Saal und sah unter den Ehrengästen in der ersten Reihe den in vollem Ornat sitzenden Bischof von Osnabrück. Der in der tief­protestantischen Niedergrafschaft aufgewachsene Uelsener war vom Purpur der­art fasziniert – er kannte sich im Outfit eines hohen katholischen Würdenträgers natürlich überhaupt nicht aus -, daß er in heller Aufregung hinter die Kulissen stürmte und rief: „Oh guddegutt, denn Papst is d`r ock!”

Ich wünsche der Laienspielschar, daß sie aufgrund ihrer glaubwürdigen Besetzung der darzustellenden Typen und ihrem Bemühen, unverfälschtes Niedergrafschaf-ter (Uelsener) Platt zu sprechen, noch viele Jahre erfolgreich ist und ihrem Publi­kum große Freude bereitet.

Heinz Rolfes

Der Wert des Plattdeutschen

In einem Dorf wie Clusorth-Bramhar war es selbstver­ständlich, daß plattdeutsch gesprochen wurde. Daher ist es nicht verwunderlich, daß auch meine ersten sprachlichen Gehversuche in plattdeutscher Sprache stattfanden. In meinem Elternhaus und im ganzen Dorf wurde mit einer derartigen Selbstverständlichkeit platt­deutsch gesprochen, daß man sich durchaus vorstellen kann, daß die wenigen Menschen, die der plattdeut­schen Sprache nicht mächtig waren, sich doch gele­gentlich arg ausgegrenzt fühlten.

Es handelte sich meistens um Flüchtlingsfamilien, die aber um der besseren Integration willen sich sehr bemühten, ebenfalls plattdeutsch zu sprechen. Nicht selten haben wir über diese ersten Gehversuche in plattdeutscher Sprache durch unsere Zugezogenen gewitzelt. Daß diese Menschen ihre Heimat verloren hatten, oft außer ihrem eigenen Dialekt und der noch sehr frischen Erinnerung an die Hei­mat, aus der sie vertrieben waren, nichts mitgebracht hatten und sich jetzt in einer doch sehr abgeschlossenen neuen Umgebung integrieren mußten, wurde von uns Kindern natürlich nicht berücksichtigt.

Bei der begrenzten Mobilität in den fünfziger Jahren kann man sich durchaus fra­gen, wie denn die hochdeutsche Sprache ins Dorf kam. Der im Vergleich zur heu­tigen Zeit doch sehr abgeschlossene Lebensraum unserer Dörfer war sicher eine Ursache für die große Verbreitung des Plattdeutschen. Dennoch gab es natürlich vielfältige Berührungspunkte mit der hochdeutschen Sprache.

Als Kinder kamen wir durch Besuche bei Verwandten im benachbarten Lingen fast spielerisch an neue Sprachkenntnisse. Unsere Eltern sprachen zwar mit den Verwandten plattdeutsch, deren Kinder mit uns aber keineswegs. Schließlich wur­de in deren Elternhäusern kein Plattdeutsch gesprochen. Nicht selten mußten wir jetzt den leichten Spott der Stadtkinder einstecken.

Über diese Kontakte hinaus legten auch die Eltern großen Wert auf ausreichende hochdeutsche Sprachkenntnisse, gab es doch damals ausgerechnet in Clusorth-Bramhar Lehrerin und Lehrer, die zu der kleinen Gruppe der nicht Plattdeutschen gehörten. An Verständigungsschwierigkeiten kann ich mich allerdings nicht erin­nern. Höchstens daran, daß gelegentlich einige Antworten ganz spontan auf Platt­deutsch gegeben wurden. Wir sind mit der Zweisprachigkeit ganz gut zurecht ge­kommen.

Plattdeutsche Sprachkenntnisse erleichterten auch später sehr oft den Zugang zu vielen Menschen, die ebenfalls Plattdeutsch als Umgangssprache in ihrem Le­bensbereich pflegten. Im beruflichen und privaten Alltag war Plattdeutsch für mich niemals eine Belastung, sondern eindeutig eine Bereicherung. Hier gab es durchaus regionale Unterschiede. Während in den Städten Nordhorn, Meppen und Papenburg plattdeutsch häufig gesprochen wurde, war dies gerade in Lingen nicht in dem Umfang der Fall.

Auch wenn es gelegentlich „Städtkers” gab, die glaubten, mit der plattdeutschen Sprache sei auch selbstverständlich eine gewisse Weltfremdheit verbunden, so ist diese Beurteilung der plattdeutsch sprechenden Menschen sicherlich recht ober­flächlich und auch falsch. Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß mit zunehmender Mobilität in unseren Dörfern die Zahl der plattdeutsch Sprechenden nachgelassen hat. Das hat allerdings nicht zwangsläufig mit der Weltoffenheit oder Weltfremd­heit der Menschen zu tun, für die Plattdeutsch ein wichtiges Kulturgut ist. Für mich, der Plattdeutsch als seine Muttersprache betrachtet, war es noch immer ein Gefühl von heimischer Umgebung, wenn ich im Kreise Plattdeutscher war. Dies hat sich bis heute, wo ich beruflich doch häufig in Hannover bin, nicht geändert.

Es mag Menschen geben, die sich in hochdeutscher Sprache sehr viel differen­zierter ausdrücken können, als es ihnen im Plattdeutschen möglich erscheint. Wer allerdings über ein richtiges Verstehen der plattdeutschen Sprache auch in der La­ge ist, „plattdeutsch” zu denken, wird vieles sehr viel charmanter und treffender, trotzdem aber kurz und bündig, in Plattdeutsch ausdrücken können, wofür er in der hochdeutschen Sprache lange Erklärungen braucht. Insofern fühlt sich manch plattdeutsch Denkender sehr unwohl, wenn er seine Gedanken genauso treffend hochdeutsch formulieren soll.

Anläßlich der Landtagsdebatte im Mai 1998 über die Sendezeitverlegung für die Fernsehsendung ,Falk  up Platt” nannte Landwirtschaftsminister Funke dafür fol­gendes Beispiel: „Wenn der Vater oder die Mutter zu ihrem kleinen Jungen sagen: ,Na du kleen Schietbilder, dann übersetzen Sie das mal so, daß auf Hochdeutsch das Richtige dabei herauskommt.” Es gibt unzählige Beispiele. Ein plattdeutsch Denkender neigt natürlich zu kurzen und prägnanten Beispielen. In der hoch­deutschen Sprache formuliert er daher auch sehr gern kurz und prägnant. Der Ge­fahr einer nicht ausreichenden Differenzierung ist er allerdings dabei immer aus­gesetzt.

In einem Zeitalter, in dem uns die Welt offensteht, in dem wir mit den schnellen Verkehrsmitteln innerhalb der 24 Stunden eines Tages in jeden Winkel der Erde kommen können, in dem es in Europa immer mehr zu einem friedlichen Mitein­ander auch vieler osteuropäischer Länder unter dem Dach der Europäischen Union kommt, frage ich mich immer mehr, wie wir dieses Kulturgut plattdeutsche Spra­che durch einen aktiven Sprachgebrauch unseren Kindern vermitteln können. Nun hat der plattdeutsche Sprachgebrauch auch in unseren Dörfern nachgelassen.

Wenn allerdings eine Kultur, und darin besonders die Muttersprache, nicht ver­kümmern soll, muß sie gepflegt werden. Die Sprache muß sich durch den tägli­chen Sprachgebrauch entwickeln. Die Pflege unseres Brauchtums – auch der Spra­che – in unseren Heimatvereinen ist wichtig, aber zu wenig.

Als Kind hatte ich die ersten Berührungspunkte mit der hochdeutschen Sprache zum Beispiel durch Radiosendungen. Heute sollten wir mit unserem Plattdeutsch über Rundfunk- und Fernsehsendungen, aber auch durch plattdeutsches Theater in unseren hochdeutschen Alltag hineinwirken, so wie damals die hochdeutsche Sprache in unser tägliches Plattdeutsch hineinwirkte.

Mein Landtagskollege aus Ostfriesland, Pastor Bookmeyer, hat anläßlich der schon zitierten Landtagsdebatte folgendes ausgeführt: „Was Plattdeutsch für Menschen bedeutet, die um den Wert dieser Sprache wissen, macht folgendes Gedicht deut­lich, das in einem Buch aus Amerika steht. Da denken Menschen an die Sprache ihrer Groß- und Urgroßeltern, die aus Not aus unserem Land herausgegangen sind, aber an ihrer Muttersprache festgehalten haben. Dies sollte uns ein Beispiel sein.”

Das Gedicht vors Friedrich Freudenthal lautet:
Modersproak

Plattdütsk Sproak, mien Modersproak

Du leevste mie van alle Sproaken,

Eenfach van Luut un week van Klang.

In Freud so froh, in Leed so bang,

Mien Weegenleed, mien Stervgesang,

Wenn eens dat Hart mi brocken!

Plattdütsk Sproak, oll Sassensproak,

Se willt di ut de Welt verdrieven,

doch loat ör geern, dat is bloos Tand ‑

Wie Lüü van Elv- un Weserkant,

In Marsch un Moor un Heideland

Sünd plattdütsch boorn, willt plattdütsch blieven!

Soweit Pastor Bookmeyer bei der Landtagsdebatte.

Ich wünsche mir, daß dieses kleine Gedicht zu ein wenig Nachdenklichkeit führt. Ich wünsche mir schließlich auch, daß dieses Buch bei den Lesern zu ein wenig Nachdenklichkeit und Freude am Plattdeutschen führt, und ich wünsche mir, daß wir uns alle gemeinsam um unsere plattdeutsche Sprache bemühen. Oft ist es ja so, daß man den Wert einer Sache erst erkennt, wenn man sie verloren hat. Mit der Pflege der plattdeutschen Sprache darf es uns so nicht ergehen.

Friedrich Scholten

Sprache des Gesprächs

Ja, auch ich spreche plattdeutsch.

Es ist die Sprache, die an meiner Wiege gesprochen wurde und mit der ich aufgewachsen und groß geworden bin. Auch heute noch, wo ich im Dienst überwiegend die hochdeutsche Sprache spreche, denke ich plattdeutsch. Das äußert sich dadurch, daß mir manchmal unbeabsichtigt platt­deutsche Wörter im Gespräch herausrutschen. Für mich ein Zeichen dafür, wie tief sich die Muttersprache bei mir festgesetzt hat – „Mutters Sprache” eben.

Welche Bedeutung hat die plattdeutsche Sprache für mich heute? Wenn ich mich mit jemandem auf Platt un­terhalte, dann ist dort sofort eine größere Nähe zu spüren. Es ist für mich die Sprache des Gesprächs. Eine Kommunikationsebene und Kommunikationsmöglichkeit nach dem Gleichheits­prinzip. Für mich werden durch „Platt” Hierarchien abgebaut.

Auch glaube ich, daß die plattdeutsche Sprache besonders geeignet ist, kulturelle und soziale Nähe zu dokumentieren. Wie sonst sind die vielen mundartlichen Va­riationen zu erklären? Oftmals sind diese Nuancen ja schon zwischen einzelnen Bauernschaften zu erkennen. Fachleute sind in der Lage, den Herkunftsort – nicht nur den Kreis oder die Region – an der mundartlichen Ausgestaltung der plattdeut­schen Sprache des Gesprächspartners zu erkennen. Eine solche kleinräumige Dif­ferenziertheit ist bei der hochdeutschen Sprache unbekannt – für mich ein höchst bedeutsames Zeichen von Identität, in einer sich immer globaler gestaltenden Um­welt ein nicht hoch genug einzuschätzender Umstand. Ich bin davon überzeugt, daß in einem zusammenwachsenden Europa, in dem die nationalen Grenzen im­mer durchlässiger und damit weniger sichtbar sein werden, solche kulturellen und sozialen Kristallisationsmerkmale eine immer größere Bedeutung erlangen. Sie werden in Zukunft vielleicht Wegweiserfunktionen in einer globalen Welt sein, die den einzelnen Bürger auch überfordern kann.

Ich wäre aber unaufrichtig, würde ich die negativen Begleitumstände für mich nicht auch erwähnen. Ich war in der Schule im Fach Englisch immer besser als in Deutsch. Das bedeutet für mich bis heute, daß ich in der hochdeutschen Sprache eine gewisse Unsicherheit spüre. Für mich war diese Unsicherheit Grund genug, meinen Kindern diese Erfahrung dadurch zu ersparen, daß meine Frau und ich mit ihnen hochdeutsch sprechen. Leider ist es uns bisher noch nicht gelungen, ihnen die plattdeutsche Sprache auch als praktisch angewandte Sprache beizubringen. Da sie die Sprache jedoch sehr gut verstehen können, hoffe ich sehr, daß sie sie eines Tages auch sprechen werden. Da ich, wie schon erwähnt, von der kulturellen und sozialen Bedeutung dieser Sprache überzeugt bin, kann ich es ihnen nur wün­schen.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf eine besondere Komponente der sozialen Be­deutung des Plattdeutschen hinweisen. „Platt” ist für mich in erster Linie eine Spra­che des Gesprächs, ich deutete es ja schon an. Anders als die hochdeutsche Spra­che eignet sie sich darum nicht zu geschliffenen Formulierungen. Unterschiede in der Bildung oder auch der sozialen Herkunft werden durch die Benutzung der plattdeutschen Sprache weniger offenkundig. Sie ist dadurch eine Sprache, die Vor­urteile abbaut – für mich ein wichtiges Mittel, Spannungen, Ressentiments schnel­ler bewältigen zu können.

Ich will ein Beispiel bringen: Mein Geburtsjahrgang ist 1947, und ich wohne di­rekt an der holländischen Grenze. Als Kinder bekamen wir die großen Spannun­gen nach dem Krieg zwischen Deutschen und Holländern direkt zu spüren. Ich ha­be erlebt, daß mein Vater es Anfang der fünfziger Jahre kaum wagte, nach Holland entlaufene Rinder zurückzuholen. Wenn ich die deutsch-holländische Beziehung heute rekapituliere, dann – glaube ich – hat die gemeinsame Sprache unter den Menschen beiderseits der Grenze schneller und tiefer zu entscheidenden Verbes­serungen geführt. Ich bin heute davon überzeugt, daß die gemeinsame platte Spra­che ein wesentliches Kriterium dazu war. Durch sie kam es abseits der großen Po­litik sehr viel schneller zu einem Gespräch der Menschen beiderseits der Grenze, in dem dann die Weichen in eine bessere Zukunft gestellt werden konnten.

Auch heute gibt es zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland und Holland große lnteressenskonflikte. Sie entstanden durch unterschiedliche Entwicklungen der Höfe und des dazugehörenden vor- und nachgelagerten Wirt­schaftsbereichs. Wenn wir heute diese Interessensunterschiede als Freunde und Partner innerhalb der EU offen und manchmal auch hart diskutieren können, dann auch oder gerade wegen unserer gemeinsamen Sprache.

Wenn in der EU immer mehr von einem Europa der Regionen gesprochen wird, dann sind das für mich Regionen mit vergleichbaren Strukturen, identischen In­teressen und mit einer gemeinsamen Kultur. Klammer Nummer eins in der Region hier im Grenzgebiet zu den Niederlanden wird unsere gemeinsame Sprache sein.

 

Albert Rötterink

Ich denke sogar plattdeutsch

 

Ich bin von Haus aus plattdeutsch aufgewachsen auf dem Bauernhof meiner Eltern in Ringe. Hochdeutsch war meine erste Fremdsprache. Ich erlernte sie ab der Einschulung 1951 in der damaligen Volksschule in Großringe. Im Elternhaus wurde aber nach wie vor plattdeutsch gesprochen, ebenso mit den Nachbarn und Verwandten.

 

Ich habe im Umgang mit der plattdeutschen Sprache stets gute Erfahrungen gemacht und bin auch heute noch ein starker Verfechter und Befürworter der platt­deutschen Sprache. Nach wie vor ist sie meine Haupt­sprache – sowohl zwischen meiner Frau und mir als auch im Umgang mit Nach­barn und vielen Bekannten. Ja, ich kann sagen, ich denke auch plattdeutsch.

Selbst bei meiner beruflichen Tätigkeit habe ich sehr oft Gelegenheit, plattdeutsch zu sprechen, oder andersherum: Ich lasse keine Gelegenheit dazu aus. Auch mit einer Anzahl von Arbeitskollegen, von denen ich weiß, daß sie plattdeutsch spre­chen können, unterhalte ich mich auf diese Weise.

Da ich beruflich viel mit Baufirmen zu tun habe, deren Beschäftigte auch noch zu einem Großteil platt sprechen, pflege ich die Sprache auch hier bei jeder Gelegen­heit; ebenso im Umgang mit den niederländischen Verwandten, Bekannten und Firmen.

Meine plattdeutschen Kenntnisse und Erfahrungen haben bei mir sowohl im pri­vaten als auch im beruflichen Leben einen sehr großen Stellenwert. Selbst in den Gremien und Vereinen, in denen ich ehrenamtlich tätig bin, wird zu einem großen Teil platt gesprochen, so zum Beispiel auch bei den Aufsichtsratssitzungen bei der Volksbank Emlichheim.

Viele Personen kennen mich zum Beispiel vom Groafschupper Plattproater Kring her, dessen Vorsitzender ich seit 1984 bin, und sprechen mich von sich aus auf Plattdeutsch an. Das ist natürlich sehr schön und angenehm und stellt vielfach schon gleich ein besonderes persönliches Verhältnis her.

Ich bin der Meinung, daß unsere Sprache in unserem gesellschaftlichen Leben ­ich spreche hier natürlich nur die norddeutschen Gebiete an – eine nicht zu unter­schätzende soziale und kulturelle Bedeutung hat. Doch wir müssen auch etwas dafür tun, daß sie erhalten bleibt. Besonders wichtig ist es, daß auch in den Schulen Plattdeutsch angeboten wird. Meine Kinder sind Ende der sechziger und An­fang der siebziger Jahre geboren. Leider haben wir aus heutiger Sicht nicht von Be­ginn an mit ihnen auch plattdeutsch gesprochen. Doch das war zu der Zeit so eine Welle, in der es hieß, man solle mit den Kindern nur hochdeutsch sprechen. Heu­te würde ich es wieder anders machen; meine Frau sieht das genauso. Insgesamt bin ich aber noch zuversichtlich, daß wir die plattdeutsche Sprache noch eine Wei­le hinüberretten.

Heiner Schwering

Der alte Torfstecher Jan Bossrum

Et fallt mi heller schwor, jau in hochdütsk tau schrieven. Hochdütsk was för mi de erste Frömdspraoke. Dennoch will ik jau, so wie säi wünscht, in Hochdütsk schrieven.

Die plattdeutsche Sprache muß ich wohl mit der Mut­termilch eingesogen haben. Mein Elternhaus war für mich die erste Schule, wo ich das Plattdeutsche mitbe­kommen habe. Meine Eltern unter sich und mit uns Kindern, aber auch wir Kinder untereinander, sprachen nur plattdeutsch. Nur die Gebete, Morgen- und Abendgebet und die Tischgebete, wurden in Hochdeutsch gesprochen. Auch rings um uns in der Nachbarschaft kannten wir kein Hochdeutsch. Dies hat sich geändert, als während des zweiten Weltkrieges die ersten Flüchtlingskinder in unser Dorf kamen.

In der Schule hatte ich es anfangs schwer, mich an das Hochdeutsche zu gewöh­nen. Immer wieder kam das Plattdeutsche durch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir mit unserem Lehrer – er kam mit Berliner Jungs im Rahmen der Landverschickung in unser Dorf und wohnte bei uns in der Nachbarschaft – ge­meinsam zur Schule gingen und plötzlich ein Eichhörnchen den Weg überquerte. Ich rief laut: „Da, ein Kartäiker!” Der Lehrer fragte nach: „Was ist das?” Ich sagte: „Ein Kartäiker”, und meinte, ihm damit auf Hochdeutsch geantwortet zu haben. Er verbesserte mich und sagte, es sei ein Eichhörnchen. Seitdem weiß ich, daß ein Kartäiker ein Eichhörnchen ist.

Ähnlich erging es mir in der Schule, als wir aufzählen sollten, welche Spiele wir Kinder in der Freizeit so machen. Aufgezählt wurden unter anderem Ball- und Murmelspiele, Versteckspielen, Hinkepinke, Reigenspiele. Ich sagte: „Räuber und Schönndäm.” Da sagte die Lehrerin zu mir: „Das heißt Räuber und Gendarm.”

Dies sind zwei Beispiele, wo ich mich meiner plattdeutschen Sprache sicher ge­schämt habe. Ansonsten habe ich immer sehr gute Erfahrungen mit Plattdeutsch gemacht. Ohne diese Sprache kann ich mir mein Zuhause, mein Dorf, meine Hei­mat, use Emsland, die Familienfeiern und Volksfeste nicht vorstellen. Es bereitet mir immer wieder große Freude, wenn ich auf Festlichkeiten, bei Geburtstagen, Hochzeiten oder Jubiläen, in Plattdeutsch Vorträge halte und damit die Gäste er­freuen kann. Meistens trete ich als alter Torfstecher „Jan Bossrum” auf. Platt­deutsch, wo immer es auch in meiner Nähe gesprochen wird, ob daheim oder in der Fremde, ist ein Stück Heimat für mich.

Neben dem christlichen Glauben, den ich im Elternhaus und im Religionsunter­richt mitbekommen habe, ist das Plattdeutsche eines der wichtigsten Kulturgüter für mich.

Auch in fast vier Jahrzehnten Kommunalpolitik in Gemeinde und Landkreis kommt mir die plattdeutsche Sprache bestens aus. Dies nicht so sehr in großen Re­den – auf Hochdeutsch gehalten -, sondern vielmehr in persönlichen, meistens in Platt geführten Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen in Rat und Kreistag sowie mit der Verwaltung. Man kann in Plattdütsk de Dinge vull dröcker up`n Punkt brängen un somit för de Mitmensken masse drock und unkompliziert be-wägen.

Ich bin sehr froh darüber, wenn ich durch unser schönes Emsland und durch die Grafschaft fahre und überall schmucke Heimathäuser sehe. Es sind Stätten der Be­gegnungen unserer Bürgerinnen und Bürger, wo das Plattdeutsche in Vorträgen, Liedern, Lesungen oder Theaterspielen gepflegt wird.

Neben der noch intakten Natur, die wir in unserer emsländischen Landschaft ha­ben, ist sicherlich unsere plattdeutsche Sprache auch ein Werbeträger für den Tou­rismus. Wir sollten sie auf jeden Fall hegen und pflegen. Leider kommt meines Er­achtens die plattdeutsche Sprache in unseren Kindergärten und Schulen zu kurz, trotz plattdeutscher Lieder- und Lesebücher. Auch in unseren Familien wird das Platt immer mehr verdrängt. Elternhäuser, Kindergärten, Schulen – auch die Volks­hochschulen – sind aufgerufen, die plattdeutsche Sprache nicht verkommen zu las­sen. Ich begrüße es daher, daß es Bürgerinnen und Bürger gibt, die plattdeutsche Bücher, Geschichten und Dönkes oder gar plattdeutsche Wörterbücher schreiben.

Dr. Josef Stecker

Eine plattdeutsche Begrüßung

Als ich 1916 das Licht des Emslandes erblickte, wurde ich mit einem ganz besonderen plattdeutschen Gruß empfangen. Das war so: Die männlichen Mitglieder un­ser

er Großfamilie waren als Soldaten im Felde, und so wirkte in den Kriegsjahren ein angeheirateter „Onkel Dirk”, der wegen eines Unfallschadens nicht Soldat war, als “Taufpate vom Dienst”. Er war Junggeselle und ein lebensfroher Schalk. Als er sich humpelnd in feier­lichem Gehrock auf den Weg zu meiner Taufe in der Werlter Kirche machte, soll er – wohl auch mit einem ge­wissen Stolz auf seine Würde – gesagt haben: „Daor bünnt de Keerlße in Urlaub wään, und ich mott wär mit’n Zylinder taugänge!” Immerhin erhielt ich von ihm seinen.schönen Vornamen Theodor als Zweitnamen und ein goldenes 20 Mark-Stück als Taufgeschenk.

Auch sonst spielte sich in der damaligen Zeit auf dem Hümmling noch alles in platt­deutscher Sprache ab. In Wehm bei Werlte, meinem Geburtsort mit 400 Einwoh­nern, lernten die Kinder in der einklassigen Volksschule das Hochdeutsche als er­ste Fremdsprache. Und meinem Vater war das als Lehrer auch sehr recht, denn die Versuche mancher sich schon etwas städtisch dünkenden Eltern, ihren Kindern Hochdeutsch beizubringen, führten oft zu schwer ausrottbaren sprachlichen Fehl­leistungen. Da war es schon besser, wenn den Kindern vom Lehrer im ersten Schuljahr beigebracht wurde, daß aus dem „Pärd” ein Pferd, aus der ,Tunge” eine Zunge und aus dem „Dood” ein Tod wurde – praktische Beispiele der zweiten sprachlichen Lautverschiebung, die wir Niederdeutschen ja nicht mitgemacht ha­ben. Die Schwierigkeiten, „mir” und „mich” zu unterscheiden, blieben allerdings trotz aller Lehrermühen oft bis ins Alter erhalten. Mein Vater pflegte das etwas re­signierend zu kommentieren: Hauptsache, daß sie gelernt haben, Mein und Dein zu unterscheiden.

Bei uns zu Haus war der Sprachgebrauch etwas komplizierter. Die Eltern und Großeltern sprachen zwar mit uns Kindern hochdeutsch, aber untereinander nur plattdeutsch, obwohl sie in unterschiedlichen Regionen unseres Vaterlandes auf­gewachsen waren: Auf dem Hümmling, im benachbarten Oldenburger Münster-land, im Kreis Höxter und in Bremen. Man mixte eben die verschiedenen Dialek­te mit Tendenz zum Hümmlinger Platt, das wir Kinder sehr bald von unseren Spiel­freunden lernten. Vielleicht hat bei mir das bewußte Erlebnis der unterschiedli­chen Dialekte ein besonders herzliches Verhältnis zu unserer Heimatsprache er­zeugt: Ich käme mir heute noch im hohen Alter komisch vor, wenn ich mit meinen Geschwistern hochdeutsch sprechen würde – ganz gleich, wo wir uns begeg­nen, und das Gleiche gilt, wenn ich irgendwo in der Welt Hümmlinger Landsleu­ten begegne.

Vorbild waren mir dabei auch zwei akademische Originale, die in meiner Kindheit in Werlte tätig waren: Der als Heimatschriftsteller bekannt gewordene Apotheker Trautmann und der einzige Arzt im östlichen Hümmling, Sanitätsrat Dr. Meister­mann. Beide lebten mit dem plattdeutschen Volk und fühlten sich in der Sprache des Volkes zu Hause. „Ick segge, daut mien’ n Foß man en Stück Broot”, pflegte der Doktor zu sagen, wenn er bei einem armen Schlucker eines der vielen Kinder be­handelt hatte und nach dem Honorar gefragt wurde. „Dei Foß” – das war sein treu­es Kutschpferd, das ihn auf den weiten Fahrten von Esterwegen und Lorup bis Lahn und Ahmsen befördern mußte. Und wenn ein Patient über Verstopfung klag­te, lautete die Therapie gelegentlich schlicht: „Ick segge, Löninger Bäier, wenn eei-ne Fläske nich helpet, dänn twäie.”

Die Nachfolger dieser Originale waren dann nur noch „Hochdeutsche”, wie über­haupt in den zwanziger und dreißiger Jahren das Plattdeutsche immer mehr in den Ruf einer Sprache für das „einfache Volk” kam. Die Menschen auch im Emsland wurden durch Krieg und Nachkriegszeit mobiler; Zeitung und Radio fanden Ver­breitung und lieferten hochdeutschen Gesprächsstoff, so daß immer mehr das Plattdeutsche der ganz flachen Umgangssprache vorbehalten blieb. Die Naziherr­schaft tat ein Übriges: Alte Heimatfreunde, die bewußt die plattdeutsche Sprache gepflegt hatten, zogen sich vielfach zurück, weil ihnen die Blut- und Boden-Ideo­logie mit ihrer braunen Soße die Heimatarbeit vergällt hatte.

Ich selbst kam dann nach dem letzten Krieg noch einmal so richtig in die platt­deutsche Praxis, als ich in meiner Ausbildung als Referendar beim Amtsgericht Sö-gel und dem dortigen Rechtsanwalt Beimesche einige Zeit verbrachte und die rechtssuchenden alten Menschen meine bevorzugten Klienten waren. Ich habe so manches Mal in den Augen dieser Leute ein Leuchten gesehen, wenn ich ihnen sagte, sie könnten mir auf Plattdeutsch ihr Anliegen vortragen. Sie hatten ja außer der sonntäglichen Predigt nur in und mit ihrer Muttersprache gelebt; und nun soll­ten komplizierte Sachverhalte hochdeutsch niedergelegt werden. Da waren platt­deutsche Erläuterungen und Umschreibtingen schon sehr hilfreich, und diese machten mir selbst auch viel Freude.

So fand ich denn auch sehr schnell Zugang zu den plattdeutschen Heimatfreunden in Meppen, als ich als junger Oberkreisdirektor dort Anfang der fünfziger Jahre meine Arbeit aufnahm. Maria Mönch-Tegeder, damals Lehrerin an der Kreisbe­rufsschule, hat mich als echten Emsländer geradezu enthusiastisch begrüßt. Ich sollte wohl als ein richtiger ‚Jung-Siegfried” die verwackelte Heimatfront wieder auf Linie bringen. Und in der Tat: Sie hat mich mit ihren Erzählungen, Geschich­ten und Anekdoten, aber besonders auch mit einer ausgeprägten persönlichen Lie­benswürdigkeit für die Heimatarbeit und besonders auch für die Pflege des Plattdeutschen begeistert. Da war es nur eine natürliche Folge, daß wir mit der Grün­dung des Emsländischen Heimatbundes unseren Bemühungen auch den gehöri­gen Rahmen gaben.

Die Arbeit durfte ja nicht zur Heimattümelei verkommen, und gerade im Rahmen der großen Emslanderschließung durften wir nicht einfach Überkommenes kon­servieren, es mußte auf bewährter Grundlage und im echten emsländischen Geist weiterentwickelt werden. Meine Devise in allen Bereichen war deshalb: „Handle so, wie die besten unserer Vorfahren handeln würden, wenn sie heute lebten.” Und das heißt für die plattdeutsche Sprache, daß wir diese nicht auf breiter Grund­lage als Umgangssprache erhalten können.

Aber das heißt auch, daß wir sie nicht einfach abschreiben dürfen. Jede zusätzli­che Sprache ist ja eine Bereicherung und eine Hilfe für die lebendige Weiterent­wicklung der Schriftsprache. Ich selbst empfinde Plattdeutsch auch heute noch als eine uns Norddeutschen besonders gemäße Sprache, die ich immer gern als „Ein­schub” bei Unterhaltungen verwende: Sie ist manchmal hart, aber nicht verlet­zend, eher gemütlich und zutraulich, eine Nahsprache, die Menschen zusammen­führen kann, eine Hilfe bei der Suche nach Menschlichkeit und Geborgenheit. Deshalb ist es schon des Schweißes der Edlen wert, die Pflege des Plattdeutschen in Wort und Schrift in Schulen, „Schrieverkringen”, Vorlesewettbewerben und an­deren Heimatveranstaltungen lebendig zu erhalten.

 

Spökenkieker

Seit 1992 Jahren versuchen wir, die Gruppe „Spökenkieker” aus Meppen, die Mu­sikszene im Emsland mit Liedern in Platt und hochdeutscher Sprache zu berei­chern. Wir sind in Meppen geboren und aufgewachsen und somit schon früh mit der plattdeutschen Sprache in Berührung gekommen, auch wenn zu Hause nicht platt gesprochen wurde.

Als Musikanten haben wir schnell erkannt, daß in jedem plattdeutsch gesproche­nen Klangbild schon eine „Grund-Musik” vorhanden ist. Inge Streeck hat versucht, diese aus ihren Texten herauszuhören und musikalisch umzusetzen, so daß ei­gentlich jedes Lied ganz selbstverständlich klingt – so, als hätte man es immer schon gesungen. Alltägliches, Erlebtes und Gehörtes, auch eigene Schwächen und Probleme geben dem Zuhörer oft das Gefühl, sich in unseren Liedern wiederzufinden.

Erfeulich ist auch, daß Kinder gerne zu unseren Konzerten kommen, schnell die Refrains mitsingen und zu Hause die CDs oder Cassetten abspielen, wie uns Eltern hinterher berichten. Wenn hiermit nur ein kleiner Beitrag geleistet werden kann, die Liebe zum Platt in die nächste Generation zu übertragen, Freude beim Hören zu wecken und zu zeigen, daß Platt auch in der heutigen Zeit zeitgemäß ist, moti­viert uns das zum weitermachen. Wir haben auch Gedichte von Alfons Sanders so­wie Maria Mönch-Tegeder vertont und damit auch über die Grenzen des Emslandes hinweg wie in Berlin, Hamburg oder Hannover hören lassen, wie es bei uns im Emsland klingt. Die Lieder – fröhlich und besinnlich – werden begleitet von In­strumenten wie Gitarre, Mandoline, Flöten, Fidel, Mundharmonika. Musik, hand­gemacht, ohne elektronische Verstärkung, so daß alles noch natürlich und ur­sprünglich klingt.

Prof. Dr. Hans Taubken (Münster)

Die Wissenschaft vom Platt

Um es vorweg deutlich zu sagen: Das Plattdeutsche ist zwar die Sprache meiner Mutter, aber es ist nicht mei­ne „Muttersprache”. Mir erging es wohl nicht anders als vielen Altersgenossen in den norddeutschen Klein­städten nach dem zweiten Weltkrieg. Deren Eltern wa­ren im sprachlichen Umgang mit ihren Kindern zum Hochdeutschen übergegangen – aus welchen Gründen auch immer.

Dennoch war das Plattdeutsche rundherum präsent: wenn meine Eltern mit ihren Eltern oder mit ihren Ge­schwistern sprachen, wenn ein Onkel bei Familienfe­sten plattdeutsche Lieder zum besten gab, wenn die Mutter meines Spielkamera­den gern plattdeutsche Wörter gebrauchte, um uns zu erheitern. Hinzu kam die Nähe zum Dorf Altenlingen, wo wir als Kinder im Herbst Kartoffeln sammelten und wo manche plattsprechenden Schulkameraden wohnten; die eine oder ande­re plattdeutsche Wendung prägte sich als Variante neben dem Hochdeutschen still­schweigend ein. Ich hatte in meiner Kindheit zwar ein plattdeutsches Ohr, aber keine plattdeutsche Zunge, das heißt: meine nicht gerade umfangreichen Kennt­nisse des Plattdeutschen waren mehr passiver Art.

Vielleicht hat das aber den Ausschlag gegeben, daß mich später während des Ger­manistikstudiums in Münster die niederdeutsche Sprache und Literatur besonders interessierte. Eine meiner ersten Seminararbeiten behandelte die Flurnamen von Altenlingen, die ich in direkter Befragung vor Ort, aber auch durch die Bearbeitung von Hofesakten und älteren archivalischen Quellen ermittelte. Als Student mit dem Ziel des Lehramtes an Gymnasien war mein Studium zum größten Teil auf die Schule hin konzipiert. Eine Wende bedeutete für mich das Angebot eines meiner akademischen Lehrer, über die wechselhafte Sprachgeschichte der Grafschaft Lin-gen vom Niederdeutschen zum Niederländischen und schließlich zum Hochdeut­schen zu promovieren. Als mir dann noch eine Stelle als wissenschaftlicher Mit­arbeiter am großlandschaftlichen Westfäliscilen Wörterbuch in Münster angebo­ten wurde, fiel mir der Entschluß leicht, mich künftig beruflich ganz der nieder­deutschen Sprache und Literatur zu widmen.

Das Bearbeitungsgebiet des Wörterbuchs umfaßte auch den emsländisch-bentheimischen Raum, für den ich mich natürlich besonders interessierte. Die lange Zu­sammenarbeit mit dem Hauptlehrer Bernhard Garmann, der eine Sprichwortsammlung in der Mundart von Beesten zusammengetragen hatte, war für mich zunächst der intensivste Einblick in einen emsländischen Ortsdialekt (1978). Meine inzwischen beruflich erworbenen fachwissenschaftlichen Kenntnisse führten nach zahlreichen Befragungen innerhalb des emsländisch-bentheimischen Raumes zu einer umfangreichen Studie über die Lautgeographie der emsländischen Mundarten in der Veröffentlichungsreihe der Emsländischen Landschaft (1985). Eine besondere Bereicherung war die mehrjährige Zusammenarbeit mit Dr. Heinrich Book am Hümmlinger Wörterbuch, von dem soeben eine zweite, stark er­weiterte Auflage erschienen ist.

Meine Mitarbeit in der 1983 gegründeten Augustin-Wibbelt-Gesellschaft e.V., in deren Auftrag ich die plattdeutschen Werke des ostmünsterländischen Dialekt­autors neu herausgebe, hat inzwischen dazu geführt, daß ich eine recht ansehnli­che aktive Kompetenz der münsterländischen Mundart erlangt habe.

Als Lehrbeauftragter an der Universität Paderborn (seit 1978) habe ich Gelegen­heit, den Studierenden Kenntnisse über die tausendjährige Geschichte des Nie­derdeutschen, über seine Sprache und Literatur von den älteren Zeiten bis in die Gegenwart zu vermitteln.

Rein beruflich gesehen ist das Plattdeutsche für mich in erster Linie ein For­schungsgegenstand. Die Ergebnisse anderer Wissenschaftler und meine eigenen publizierten und nicht publizierten Forschungen auch an weitere interessierte Per­sonenkreise weiterzugeben, ist mir gelegentlich durch Vorträge möglich. Ein Pub­likum durch lustige plattdeutsche Veranstaltungen zu erheitern, liegt mir allerdings fern. Im übrigen bin ich ein ausgesprochener Freund des plattdeutschen Bühnen­spiels: In keinem Jahr lasse ich mir den Besuch von zwei oder drei Theaterstücken entgehen.

Der erwähnte Autor Wibbelt hat einmal in einer Abhandlung geschrieben: „Der Professor kann das Plattdeutsche nicht retten, der Dichter kann es.” Ich meine, ein Wissenschaftler hat nicht die Aufgabe, das Plattdeutsche zu retten, sondern es zu erforschen, die Ergebnisse seiner Studien zu publizieren und wenn möglich auch über den Kreis der Fachwissenschaftler hinaus verständlich darzustellen. Ob tatsächlich durch die Literatur das Plattdeutsche gerettet werden kann, ist meines Erachtens fraglich. Es widerspricht geradezu der sprachlichen Realität. Und wie lange wird es überhaupt noch plattdeutsche Dichter geben, wenn die Sprache von denen, die sie noch beherrschen, nicht an die folgende Generation weitergegeben wird? Das, was bei mir und meinen Altersgenossen in der Kleinstadt Lingen vor über 50 Jahren der Fall war, ist heute ja längst auch auf dem Lande Realität ge­worden.

Dieser Aufsatz stammt aus dem Buch “Wat, de kann Platt”, herausgegeben von Theo Mönch – Tegeder und Bernd Robben, Emsbüren 1998, Seite 255/256

 

Professor Dr. Hans Taubken, 1943 in Lingen geboren, war hauptberuflich bis zu seiner Pensionierung (2008) 35 Jahre in der Kommission für Mundart- und Namenforschung beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe tätig, seit 1990 als Geschäftsführer der Kommission.

Seine ehrenamtliche Mitarbeit in der Augustin Wibbelt-Gesellschaft sowohl als Redakteur des Jahrbuches und auch als Bearbeiter der neuen Wibbelt-Edition  haben ihn in weiten Kreisen auch außerhalb seiner wissenschaftlichen Arbeit bekannt gemacht. 

Er ist 2015 verstorben.