Erste vorläufige Bestandsaufnahme zur entstehenden Website am Tag der Veröffentlichung (1. Mai 2018)

 

  • Wu is datt mit use Platt?
  • Watt up Platt!
  • Watt över Platt…

Derzeitiger Stand:

Dieser Versuch einer Dokumentation des Schwundes der plattdeutschen Sprache entwickelt sich weiterhin erfreulich und hat mittlerweile einen Umfang von etwa 380 Seiten angenommen.

Deshalb wird dieses Vorhaben nun endgültig zum 1. Mai 2918 online gestellt werden und sich dann „veröffentlicht“ weiter entwickeln.

Ausgangslage:

Zunächst bildeten zwei Grundthemen das Gerüst:

  • sprachwissenschaftliche Untersuchungen zum jeweiligen Stand der abnehmenden Plattdeutschkompetenz (Schwerpunkt: zehnjährige Kinder im LK Borken und im LK Emsland)
  • die Fortführung des Buchprojekts Wat, de kann Platt auf Website – Art, interessante Grafschafter und Emsländer erneut zu befragen mit dem Betrachtungszeitraum der letzten 20 Jahre.

Daraus ist mittlerweile räumlich und thematisch viel mehr geworden.

Dabei kann ich als besonderen Vorteil nutzen, dass Dr. Helmut Lensing und ich uns durch unsere Veröffentlichungen zum Heuerlingswesen im gesamten deutschen Nordwesten Bekanntheit und Ansehen erwerben konnten.

www.heuerleute.de

Allein durch meine über 120 Vorträge habe ich viele engagierte Heimatforscher und insbesondere Plattdeutschkenner, aber auch Autoren und Autorinnen kennengelernt und ich stehe mit Ihnen in Kontakt.

Somit erweiterte sich das Betrachtungsgebiet enorm.

Bisherige Erfahrungen:

Es liegen mittlerweile einige schriftliche  Rückmeldungen vor, die auch schon eingestellt sind. So konnten zusammen mit  Dr. Bernard Krone und Franz Rothkötter hochinteressante Firmenportraits up platt entwickelt werden.

Auch die Interviews mit den beiden polyglotten Theologen Alfons Strodt (Osnabrück) und Dr. Heiner Wilmer (noch Rom, bald Bischof in Hildesheim) haben ganz besondere Erkenntnisse erbracht.

Dem früheren Landrat des Emslandes (jetzt Präsident der Emsländischen Landschaft u. a.), Hermann Bröring, hat das Video – Interview nach eigenen Angaben Freude bereitet, man kann es beim Betrachten der Kurzfilme regelrecht verspüren…

Allerdings sind die Aufnahmen in dieser Art für mich in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung sehr zeitaufwändig.
Erheblich einfacher sind da vorbereitete Telefoninterviews, die dann mit Fotos aus dem Leben und Arbeiten der Interviewten ebenfalls zu einem abwechslungsreichen und interessanten Video gemacht werden können.

Was kann und was sollte nun weiterer passieren?

  • Vorrangig ist sicherlich die Fortsetzung der Vorstellung von weiteren Zeitzeugen/innen auf Platt, denn das gesprochene Wort hat in dieser Sprache einen ganz besonderen Stellenwert, da die Schriftsprache in den einzelnen Regionen auf verschiedenen Ebenen zu unterschiedlich ist.
  • Damit entstehen gleichzeitig authentische Sprecherbeispiele von „Plattkönnern“ aus den verschieden Regionen, die für die zukünftigen – wohl plattärmeren – Zeiten in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung sein können.
  • Es sollen weitere Initiativen vorgestellt werden z.B. Möglichkeiten der Demenzbegleitung
  • Durch Besuche von Schulen (Hamburg, Schleswig-Holstein), die Plattdeutsch in den Fächerkanon aufgenommen haben, können neue Erkenntnisse zusammengetragen werden: Was ist schon gelungen, was kann überhaupt gelingen – eine kritische Bestandsaufnahme.

Zusammengefasst…

Hier entsteht etwas Neues.

Dabei ist es völlig selbstverständlich, dass ein solches Unterfangen mit Neugier, aber auch mit entsprechender Skepsis oder auch in Ablehnung aufgenommen wird.

Im Gegensatz zu einem Buch in seiner festen Struktur sollen sich hier ständig neue Inhalte zunächst aneinander reihen, um dann doch zu einem möglichst in sich  geschlossenen Ganzen zu werden mit den Oberthemen

  • Versuch einer Dokumentation des Schwundes der niederdeutschen Sprache und
  • Auffinden und mögliche Stärkung solcher Orte, an denen die plattdeutsche Sprache lebendig ist.

Dabei sollte es zunehmend gelingen, die unterschiedlichen „Qualitäten“ der Informationen halbwegs kompatibel und damit auch für den kritischen Besucher akzeptabel zu gestalten

Der vornehmliche  Adressat soll ja der interessierte Laie sein, für  den ein spezielles Forum geschaffen werden soll, das ihm die Möglichkeit gibt, sich auch nach den teilweise recht kurz kommentierten (bzw. nur zitierten) Links umfassender im Web zum Gesamtthema zu informieren.

Meine  Erfahrungen mit der Website www.heuerleute.de, die mittlerweile über 900 Seiten umfasst,  ermutigen mich aber. Zunehmend finde ich aktive Mitstreiter – im wahrsten Sinne des Wortes.

Besonders erfreulich ist es, dass gerade jüngere Fachwissenschaftler zu einer zielführenden Zusammenarbeit bereit sind. Das habe ich gerade im letzten Jahr bei der Konzeption des Buches Heuerhäuser im Wandel erlebt, als einige namhafte Fachleute spontan bereit waren, einen Aufsatz einzubringen.

Dahinter steht auch wohl die zunehmende – nüchterne – Erkenntnis, dass sprachwissenschaftliche, historische und volkskundliche Fachveröffentlichungen in der Regel nur von allenfalls 40 bis 70 Insidern komplett gelesen werden.

Mehrfach wurde mir versichert, dass dort der Wunsch besteht, sich einem breiteren Publikum zu öffnen.

Nun kann sich hier die Möglichkeit bieten, dass ein Brückenschlag zwischen Fachwissenschaftlern und interessierten Laien gelingt.

Prof. Dr. Ludger Kremer stellt seinen jüngsten Aufsatz Sprachwandel und Sprachwechselim deutsch-niederländischen Grenzland auch dieser Website per Link zur Verfügung.

Einen besonderen Stellenwert in diesem Kontext haben sicherlich auch die kompakten Ausführungen von Alfred Möllers, der als früherer Regierungsschuldirektor im Osnabrücker Land sehr engagiert und erfolgreich eine agile Schar von plattsprechenden Lehrpersonen um sich sammeln konnte. Es wurden umfangreiche Unterrichtsmaterialien erstellt und den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt. Hier haben auch andere Regionen Anregungen erhalten. Seine nüchterne und klare Bilanz zur heutigen Situation auf dieser Website sollte von jedem Plattdeutsch – Euphoriker mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden.

Darüber hinaus stellt auch Prof. Dr. med. Gerhard Pott aus Nordhorn seine sehr passenden Federzeichnungen mit Motiven aus der Regionen zur Verfügung.

In einer anlaufende Zusammenarbeit mit der Hochschule Osnabrück – Fakultät Management, Kultur und Technik – möchte ich das Ziel verfolgen, möglichst unkomplizierte Materialien zur Demenzbegleitung zu entwickeln. Da ich durch meine vier Bände zur FotoSprache

http://www.watt-up-platt.de/demenzbuch-ja-so-war-das-damals-1/

schon einige Erfahrungen auf diesem Spezialgebiet sammeln konnte, bin ich nun dabei, neue technische Möglichkeiten zu nutzen, die plattdeutsche Sprache mit älteren Schwarzweißfotos aus dem kindlichen Erfahrungsbereich der Erkrankten zu kombinieren und dazu verschiedene Themenbereiche entsprechend zu gestalten. Dabei wird es allerdings nötig sein, entsprechende regionale Ausgaben zu schaffen, da gerade dieser Patientenkreis sehr empfindlich auf „verkehrtes Platt“ reagiert – nur die eigene Variante wird akzeptiert.

Meine Kontakte in alle Teilregionen Nordwestdeutschlands machen dort eine gezielte Zusammenarbeit mit Fachleuten jeweils vor Ort unkompliziert möglich.

Selbst wenn man die mögliche Ausgestaltung der neu entstandenen Ministerien für Heimat im Bund und Land nur erahnen kann, die Sprache sollte dort einen Stellenwert haben, denn sie ist ohne Zweifel das höchste Kulturgut des Menschen.

Hinweis zum möglichen Umgang mit dieser Website:

Im Menüpunkt Aktuelles sollen mehrmals in der Woche neue Beiträge eingestellt werden.

Prof. Dr. Franz Bölsker – Studienzeit

Sie sind nach dem Abitur in den Raum Vechta gekommen. Welche Erfahrungen haben Sie dort  im Studium und dann im sonstigen Lebensumfeld gemacht?

Die Tabuisierung des Plattdeutschen war hier nicht mehr so gegeben. Man merkte schon, dass die große Mehrheit hochdeutschsprachig war.

Aber ich habe auch manche Menschen kennengelernt,  bei denen ich merkte, dass sie auch aus dem plattdeutschen Milieu stammten und dabei hier und da mal ein plattdeutscher Satz auch rauskam. Da war auch eine gewisse Milieuverwandtschaft, in der man sich wohl fühlte.

In der Phase, in der ich mich als Historiker mit Sprachsituationen befasst habe, da ist mir auch deutlich geworden, dass wir alle auf einem ganz dicken plattdeutschen Firn uns befinden. Das  Niederdeutsche war jetzt nicht mehr etwas, das man wegdrücken musste, weil es ja wirklich auch eine Hochsprache gewesen ist.

Ich weiß nun nicht mehr genau, in welchem Lebensjahr ich das erkannt habe. Aber ich habe mich in Studentenzeiten immer wieder auch mit Sprachgeschichte auseinandergesetzt, so wurde mir klar, dass Sprachen sich immer wieder überlagerten und sich so weiter entwickelt haben.

So habe ich mich auch wieder intensiver mit der Geschichte der plattdeutschen Sprache beschäftigt, dabei war die Scham, die ich in jüngeren Jahren rund um die Verwendung der niederdeutschen Sprache in meinem Leben verspürt habe, vorbei. Es war Selbstbewusstsein und sogar Stolz bei mir entstanden.

Dabei muss ich eine Person hier nennen, die stark dazu beigetragen hat. Als ich mich in den achtziger Jahren von der Uni aus auch mit Regionalgeschichte befasst und Vorträge gehalten habe etwa über die Hollandgänger, bin ich auf Heinz Menke aus Rütenbrock  gestoßen, der sich dort als Heimathistoriker stark engagiert hat. Ich habe mit ihm zusammen eine umfangreiche Festschrift erarbeitet zum 200-jährigen Jubiläum des Ortes im Jahre 1988.

Das Niederdeutsche wurde jetzt in meinem Leben durchaus etwas, mit dem man kokettieren konnte. Es war ja eindeutig ein Kulturgut und bot Identifikation. Ich habe seitdem auch nie mehr einen Hehl aus meiner Mehrsprachigkeit gemacht. Meine erste Fremdsprache war ja Hochdeutsch, dann kamen Latein und Englisch dazu und ebenfalls Griechisch. Dabei war meine Muttersprache eben Plattdeutsch. Nun war diese polyglotte Erscheinung eine Bereicherung für mich in meinem Leben. Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere das Erlernen der lateinischen Sprache eine starke Reflexion auf die deutsche Sprache ermöglichte. Ständig wurde ich nun darauf gestoßen, dass ich radikal zweisprachig aufgewachsen bin. Dabei gab‘s bei uns kein Missingsch. Natürlich habe ich als Plattsprecher durchaus hochdeutsche Begriffe verwendet, ansonsten gab es aber eine klare Sprachteilung.

Und ich habe beobachtet, insbesondere in den sechziger bis achtziger Jahren, dass die Leute auch auf dem platten Lande anfingen, mit ihren kleinen Kindern und auch mit ihren Haustieren hochdeutsch zu sprechen. Es ist also eine hochinteressante Frage, weshalb man nun sogar im dörflichen Umfeld mit den Tieren nun hochdeutsch sprach. Vorher war so selbstverständlich, dass der Haushund auf Plattdeutsch gehorchte. Das war für mich ein Indiz dafür, dass Plattdeutsch als gesprochene Sprache aus der Mode kam. Das ist ja mittlerweile auch schon wieder fast fünf Jahrzehnte her und wir sind schon zwei Generationen weiter. Man merkt zwar das bei Menschen, die heute so um die 50 Jahre alt sind, dass sie noch durchaus passive Sprachkompetenzen im Plattdeutschen haben, sodass nach dem dritten Bier vielleicht noch mal ein Schnack auf Platt im Gasthaus über die Theke kommt. Aber als gesprochene Sprache ist es nicht mehr da.

Auch wenn man nun tatsächlich Plattdeutsch wieder als Bildungsziel und regionale Kultursprache in Form von Lesewettbewerben etwa in den Schulen etablieren will, so ist es doch ohne Zweifel mittlerweile eine Fremdsprache. Man kann es in etwa vergleichen mit den Bemühungen um die Erhaltung und Wiederbelebung der altirischen Sprache, aber es bleibt ein Kunstgriff, weil eben die Kommunikation im offiziellen und wirtschaftlichen Bereich mittlerweile bei uns durchweg im Hochdeutschen erfolgt  – mit entsprechenden Anglizismen.

Und dabei muss man wissen, dass die englische Sprache historisch gesehen ein Ausläufer des Altsächsischen, also des Altniederdeutschen ist. Aber wir dürfen uns keine Illusionen zu machen –  das Plattdeutsche ist als gesprochene Sprache Geschichte.

 

Prof. Dr. Franz Bölsker – Der Englischlehrer

Wenn Sie sich an ihre Schulzeit erinnern, dann stoßen Sie auf eine besondere Erkenntnis Ihres Englischlehrers, der aus England stammte.

Ja, das war ganz interessant, zunächst hatte ich ja ab Klasse 5 Lateinunterricht, im siebten Schuljahr kam das Fach Englisch dazu. Ab Beginn des achten Schuljahrs übernahm ein Lehrer aus England diesen Unterricht. Der nahm uns in unserer typischen Sprachpraxis wahr, nämlich eben als deutsche Schüler, die fast durchweg aus der hochdeutschen Sprache kamen. Diese erlebte er in ihrer typischen hochdeutschen Ausprägung der englischen Sprachausübung. Denn kaum ein Deutscher spricht ja wirklich richtiges Englisch. Ich aber konnte die typischen englischen Zwischenvokale einbringen. Die brachte ich von meiner plattdeutschen Sprache her mit. Eines Tages fragte mich mein Englischlehrer: „Hast du vielleicht in England gelebt?“ Ich erzählte ihm dann, dass ich von zu Hause her Plattdeutschsprecher bin und es ja einige Verwandtschaft zwischen diesen beiden Sprachen gibt. Dazu kam, dass meine Mutter nach dem Kriege ein wenig Englisch gelernt hatte im Umgang mit kanadischen Soldaten. Dabei hatte sie auch erkannt, dass es eine Reihe von Wörtern in beiden Sprachen gibt, die identisch sind. So kam das Kompliment von meinem Englischlehrer, dass ich auf diese Art das beste Englisch mitbrachte, das möglich ist, weil es eben angelsächsisch ist. Nun kam damit die Wahrnehmung bei mir auf, dass unser Plattdeutsch die Seniorsprache der Juniorsprache Englisch ist, so quasi als Mutterboden. So haben wir als Plattdeutsche manche Affinitäten zum Englischen, die der Hochdeutschsprecher so nicht haben kann.

 

Prof. Dr. Franz Bölsker – Kindheit und Jugend

 

Welche Rolle hat Plattdeutsch in der Kindheit und Jugend bei Ihnen gespielt?

 Ich bin ausschließlich im Plattdeutschen aufgewachsen. Bei uns in der Familie wurde nur plattdeutsch gesprochen. Wir hatten zwar ein Radio, wo dann häufig Meldungen auf Hochdeutsch gesendet wurden. Ansonsten hatte ich keine hochdeutsche Sprachpraxis. Ich kam als plattdeutschsprechender Mensch in die Grundschule, das war damals noch die Volksschule. In den ersten Wochen und Monaten gab es keine Kommunikationsmöglichkeiten zwischen mir und meiner Lehrerin. Die anderen Kinder hatten wohl schon etwas mehr Sprachmöglichkeiten auf Hochdeutsch gehabt, aber ich eben nicht. Unsere Lehrerin war schon ein wenig älter und kam aus Mähren. Sie war also eine Heimatvertriebene, die entsprechend kaum Zugang zum Plattdeutschen hatte. Sie verstand mich also nicht und ich umgekehrt sie auch nicht. Das war ein schmerzhafter Prozess in den ersten Monaten. Am Ende hat sie sich durchgesetzt und meine Kompetenz im Hochdeutschen nahm zu. Ich erreichte so eine Zweisprachigkeit, die sich bis zum Abitur durchzog. Plattdeutsch war also etwas für die Familie, für die Nachbarschaft und die Verwandtschaft. Alles darüber hinaus war ab jetzt hochdeutsch. In dieser Wahrnehmung bin ich dann auch zum Gymnasium gekommen. Ich war der einzige  Schüler, der in diesem Jahrgang aus Rütenbrock  zum Gymnasium ging. An sich war das ohnehin nicht geplant, aber dadurch, dass die Lehrerin mich nach dorthin empfohlen hatte, fuhr ich ab jetzt nach Meppen zur Schule. Und so kam ich in eine neue Gesellschaft hinein, die man als akademische Oberschicht bezeichnen kann.

Da war es erst recht tabu, Plattdeutsch zu sprechen. Ja man hat sich sogar dieser Sprache geschämt. Ich weiß zwar heute, dass eine ganze Reihe von Mitschülern gab, die als reine Hochdeutsche daher kamen, aber niederdeutsche Wurzeln im Gepäck hatten. Platt war in diesem Umfeld völlig tabuisiert. Für mich war es auch immer ein Rollenproblem: der Wechsel vom akademischen Umfeld auf dem Gymnasium in der Stadt in das Plattdeutsche im Heimatort Rütenbrock. Wobei ich noch hinzufügen muss, dass selbst Rütenbrock in seinem Zentrum schon stärker hochdeutsch geprägt war. Und auch die Heimatvertriebenen haben hauptsächlich dort gewohnt. Allerdings habe ich auch einen Arbeitskollegen meines Vaters kennengelernt, der Plattdeutsch erlernt hat. Das war für mich ein gelungenes Beispiel von sprachlicher Integration. Aber das hat sicherlich auch einige Jahre gedauert, bis er dazu in der Lage war. Das Schlesische ist ja ein hochdeutscher Dialekt, aber insgesamt eine interessante sprachliche Erscheinung für mich. Aber der Gegensatz zu öffentlicher hochdeutscher Kommunikation und privater niederdeutscher Kommunikation war für mich ein Faktum, damit musste ich dann leben. Es war zum Teil ein Problem dahingehend, dass ich meinen plattdeutschen Akzent auch im Hochdeutschen nie losgeworden bin. Das hat man mir sicherlich angehört. Das wurde nicht selten mit bäuerlich verbunden.

 

Gerhard Kethorn

… sprech ich wie der Mutter Mund

Heimat, Frieden, Liebe sind Wörter in unserer deut­schen Sprache, die einen besonderen Klang haben. Hei­mat ist ein Stück Geborgenheit; und daran hat die Mut­tersprache einen wesentlichen Anteil.

Für mich war von Kindesbeinen an die plattdeutsche Sprache eben die Muttersprache. Wo diese Sprache ge­sprochen wird, da ist man zu Hause – auch dann, wenn man in der Fremde ist. Hört man dort einige Laute die­ser heimischen Mundart, werden die Ohren gespitzt, die Menschen werden angesprochen, und mit strahlenden Augen werden Verbindungen geknüpft. Manche Bekanntschaft, manche Freundschaft ist dadurch entstanden. Es ist gleichsam so, als hätte man ein Stück Heimat in der unbekannten Umgebung getroffen.

Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, warum man von einer Mutter­sprache spricht? Ich denke, daß besonders in der Vergangenheit der junge Mensch die ersten Wörter und Sätze von der Mutter erhalten hat. Diese Wörter und Sätze bleiben oft im Leben des Menschen haften, bestimmen oft manche Entscheidung.

Ich stimme dem Dichter Max Schenkendorf zu, wenn er folgendermaßen formu­liert:

Muttersprache, Mutterlaut
wie so wonnesam, so traut!
Erstes Wort, das mir erschallet,

süßes erstes Liebeswort,
erster Ton, den ich gelallet,
klingest ewig in mir fort!

Der Schluß des Gedichtes kommt zu der Feststellung:

Überall weht Gottes Hauch,
heilig ist wohl mancher Brauch,
aber soll ich beten, danken,
geb‘ ich meiner Liebe kund,
meine seligsten Gedanken,
sprech‘ ich wie der Mutter Mund.

In der Grafschaft Bentheim war in der Vergangenheit die plattdeutsche Sprache eben die Umgangssprache – in den Familien, in der Verwandtschaft, in Freundes­kreisen, am Stammtisch, auf dem Markt oder wo auch immer. Dieses hat sich lan­ge Zeit auf dem Lande und in der hiesigen Bevölkerung in den Städten weithin ge­halten.

Es ist schade, sehr schade, daß die plattdeutsche Sprache langsam in den Hinter­grund gedrängt wird. Berechtigte Hoffnung, daß das „Platte“ nicht ausstirbt, weckt die Tatsache, daß die Landjugend in ihren Theateraufführungen wieder auf die al­te Mundart zurückkommt. Mir fällt dabei auf, daß schon fast vergessene Aus­drücke und Bezeichnungen von Gegenständen wieder in Erinnerung gebracht werden. Gerade in humorvollen Passagen kommt dieses zum Ausdruck. Ich stelle fest: Die plattdeutsche Sprache ist gut einprägsam und ausdruckskräftig.

Nach meiner Meinung nimmt das „Plattdeutsche“ in den kulturellen und sozialen Bereichen einen unverzichtbaren Platz ein, ja es ist selbst ein Kulturgut, welches wir nicht aufgeben dürfen. Ich lobe mir die schriftstellerischen Kreise, die sich die Erhaltung dieses Kulturgutes zur Aufgabe gemacht haben!

 

Friedrich Kethorn – Landrat des Kreises Grafschaft Bentheim

Genüsse für`s Publikum

Von Kindesbeinen an habe ich die plattdeutsche Spra­che gelernt und gesprochen. Dies war für Jungen und Mädchen, die auf dem Lande groß geworden sind, die Regel. Aufgewachsen bin ich auf dem Hof meiner Eltern in Neerlage (heute Gemeinde Isterberg). Meine Eltern unterhielten sich mit mir und meinen weiteren sieben Geschwistern nur in dieser Mundart, wir wurden so­zusagen in dieser Sprache erzogen. Nicht nur bei uns zu Hause, sondern ebenso in der Nachbarschaft, in der Verwandtschaft, bei fast allen Bewohnern der Dorfge­meinde wurde so gesprochen. Nur in dieser Sprache verstand ich es, Dinge, Begebenheiten oder Ereignisse trefflich zu beschreiben. Hochdeutsch war für mich zum damaligen Zeitpunkt mehr oder weniger eine Fremdsprache.

Auf dem Hof Kethorn in Neerlage lebte und arbeitete während meiner Kindheit ­wie auf vielen anderen Höfen auch – ein Flüchtling. Er stammte aus Schlesien und unterhielt sich mit den anderen Haus- und Hofbewohnern in Hochdeutsch. Als Kind nahm ich einige „Brocken“ davon auf und war stolz, da ich glaubte, im Ver­gleich mit Gleichaltrigen einen erheblichen Vorsprung in Sprachkenntnissen zu haben.

Dieser sogenannte Stolz wurde gleich am ersten Schultag gebrochen – ein Erlebnis mit bleibender Erinnerung: Unser Dorflehrer, Herr Meyer, malte mit Kreide eine Ameise an die Tafel und fragte uns „i-Männekes“ nach diesem Tier. Mein Arm schnellte hoch und ich rief ohne zu warten „Michampel“ in den Raum. Sogleich brach schallendes Gelächter der erfahrenen Mitschülerinnen und Mitschüler von Klasse zwei bis acht (in einem Klassenraum) los. In den nächsten 14 Tagen habe ich mich nicht mehr gemeldet.

Doch wer nun glaubt, daß er, wenn er plattdeutsch spricht, sich jeder Situation mit Gleichgesinnten ohne Probleme verständigen kann, der täuscht sich. Denn al­lein in der Grafschaft gibt es viele verschiedene Akzente und Begriffe. Ein Nieder-grafschafter versteht nicht unbedingt einen Obergrafschafter und umgekehrt. In einer Unterhaltung mit meinem landwirtschaftlichen Lehrling fragte er mich: „Wedderst du de Kalwer?“ Nach nochmaliger Nachfrage mußte ich eingestehen, ihn nicht verstanden zu haben, und bat ihn, in Hochdeutsch zu fragen. „Fütterst du die Kälber?“, war die einfache Frage. Übersetzt in Obergrafschafter Platt: „Fuurst du de Kälwer?“ Ich hat e es bis dahin nicht für möglich gehalten, die hoch­deutsche Sprache für eine Verständigung von plattsprechenden Menschen heran­zuziehen.

Eine solche Begebenheit zählt sicherlich zu den berühmten Ausnahmen. Vielmehr finden Menschen in und mit Plattdeutsch sehr schnell Kontakt – vor allem fern der Heimat. Anläßlich einer Exkursion in die Schweiz und nach Italien unterhielt ich mich angeregt mit meinen Kollegen, die aus allen Bundesländern angereist waren: in Hochdeutsch versteht sich. Plötzlich höre ich, daß jemand, der neben mir steht, plattdeutsch spricht – im Grafschafter Akzent. Ich frage ihn sogleich – selbstver­ständlich in Platt -, woher er kommt. Zu meiner Überraschung sagt er: aus Meck­lenburg-Vorpommern. Eine vertrauliche Unterhaltung war von diesem Zeitpunkt an vorprogrammiert. Es blieb nicht nur bei einem allgemeinen Gedankenaus­tausch, es schloß sich eine intensive Fachsimpelei an.

In Gesprächen mit unseren niederländischen Nachbarn helfen plattdeutsche Kenntnisse, Sprachbarrieren zu überwinden, wenn man die niederländische Spra­che zwar einigermaßen versteht, aber nicht gut sprechen kann. Ich war von mei­nen Parteifreunden der CDA eingeladen und sollte einen Vortrag über die grenz­überschreitende Verkehrspolitik halten. In den Niederlanden hochdeutsch spre­chen wollte ich nicht. Daher wählte ich die artverwandte und für mich leicht zu sprechende plattdeutsche Version. Die Gastgeber hörten es gern und spendeten spontan Applaus.

Auch an einer anderen Stelle wird gern einmal applaudiert, wenn plattdeutsch ge­sprochen wird: im Niedersächsischen Landtag. Die Amtssprache in diesem Hohen Hause ist offiziell Hochdeutsch. So wird gesprochen in den Plenardebatten, in den Ausschußsitzungen, auf den Fluren, in den Ministerien. Wen wunderts. Doch in Sternstunden des Plenums verwöhnen wir Parlamentarier die Zuhörer, die Me­dienvertreter, die gesamte Öffentlichkeit mit „plattdeutschen Genüssen“, wenn es darum geht, die Niedersächsische Verfassung in Plattdeutsch herauszugeben, die Sendung ;Falk up Platt“ im Samstagabendprogramm zu belassen oder Mittel für Schulen bereitzustellen, die die plattdeutsche Sprache in ihrem Unterricht bevor­zugt pflegen. Ich bin dann immer wieder überrascht, wieviele Kolleginnen und Kollegen diese ungewöhnliche Debatte nicht nur verstehen, sondern sich auch vor­züglich einbringen können. Nur eine Personengruppe im Landtag hat dann eine besondere Schwierigkeit: die Stenografen.

Keine Schwierigkeit, Säle in der Grafschaft zu füllen, haben die Gruppen, die im Winter plattdeutsche Theaterstücke aufführen. Diese angenehme Erfahrung durfte auch ich in meiner Landjugendzeit machen. Alljährlich wurden unterhaltsame Dreiakter eingeübt. Allein die Übungszeit in den Abend- und Nachtstunden be­reitete uns Laienspielern viel Freude, deftige Sprüche, anomale Verhaltensweisen oder Liebesszenen einzustudieren. Die Höhepunkte bildeten natürlich die Auf­führungen in stets vollbesetzten Sälen. Eine Bestätigung unserer Schauspielkunst erfuhren wir plattdeutschen Laienspieler, als wir in die Abo-Reihe des Theaters der Obergrafschaft aufgenommen und neben den hochdeutsch sprechenden Berufsschauspielern erwähnt wurden. Es gab lediglich einen kleinen Unterschied: Bei unseren Vorstellungen war die Aula bis auf den letzten Platz besetzt.

Diese wenigen Beispiele verdeutlichen: Die plattdeutsche Sprache ist in meinem Leben ein fester Bestandteil – es wäre ein Stück ärmer, könnte ich sie nicht. Sie kommt mir darüber hinaus in der vielfältigen politischen Arbeit zugute, denn vie­le Menschen finden schneller Kontakt und fühlen sich sicherer und wohler, in die­ser Form ihre Anliegen vortragen zu können. Vertraulichkeit, aber auch Origina­lität zeichnen diese Gespräche aus – der Gegenüber hat dann durchaus das Emp­finden: Er versteht mich.

Meine Frau und ich haben uns seit unserem ersten Kennenlernen so unterhalten – und so wird es auch immer bleiben.

 

Schon der Vater von Heinrich Hensen war Autor

Geert Hensen

 

von Sohn Heinrich Hensen

 

Geert Hensen wurde am 14. April 1873 in Osterwald geboren und hat sein ganzes Leben dort auch zugebracht, wenn man von den Jahren 1916 bis 1918 absieht, in denen er als Train­soldat nach Köln und Lodz (Polen) kam.

Er war das sechste und jüngste Kind der Eheleute Jan Hensen und Janna, geborene Dobben, aus Hohenkörben. Von ihr hatte er wohl „die Lust zum Fabulieren” geerbt,  denn von den Schwestern unserer Großmutter wissen wir, daß sie Briefe in Versform schrieb, wie es Vater ja Zeit seines Lebens gern tat. Merkwürdigerweise ist er der einzige in der Geschwisterreihe, der sich in dieser Weise betätigt hat. Lei­der starb seine Mutter schon im Alter von 48 Jahren, als er erst sechs Lenze zählte. Zu seiner zweiten Mutter, die ein Jahr später ins Haus kam, hat er wohl nie eine rechte Beziehung gefunden. Er und seine Geschwister hatten sie immer Mütterchen genannt. – Wahrscheinlich ist er des­halb früh vereinsamt, denn er hat nie davon gesprochen, daß seine um drei bzw. sechs Jahre älteren Schwestern sich sehr um ihn gekümmert haben. Sein jüngster, um neun Jahre älterer Bruder Friedrich scheint ihm näher gestanden zu haben. Er wanderte mit 17 Jahren  nach Amerika aus, wohl um dem drohenden Militärdienst zu entgehen. Er verunglückte dort bald in den Pullman-Waggon-Werken in Rozeland beim Rangieren. Seine silberne Taschenuhr erbte Vater und ist heute in meinem Besitz (Gravur: F. H.). – Diese beiden To­desfälle haben ihn wohl sehr beeindruckt. Als er 16 war, starb auch sein Vater im Alter von 62 Jahren. Die Volksschule besuchte er zunächst in seinem Heimatort, später wechselte er die Schule bzw. Lehrer, indem er eine Zeitlang in Esche zur Schule ging. Seine Erlebnisse dort sind in meinem Buch „ Knetsoahm vertäild“ (Seite 53 ) festgehalten.

Etwa mit 16 wurde er Kleinknecht in Osterwald, später in Alte Piccardie (1892/93), dann wieder in Osterwald beim Kolon Plescher, wo er unsere Mutter kennen lernte. In seinem Schwiegervater Hindriik Plescher (1841 – 1928) fand er einen Mann, der ebenfalls gerne Verse machte. Von ihm gibt es (im Familienbesitz) ein langes Gedicht in holländlischer Sprache über den Krieg 1870/71. Es wurde damals bei Kip in Neuenhaus gedruckt und im „Grafschafter”, Januar 1971 von Dr. H. Heddendorp besprochen.

Im Jahre 1893 begann er, seine „Gedichte” in ein fest gebundenes Heft einzutragen. Ich nehme an, daß er sie zu einem früheren Zeitpunkt verfaßt hat, denn fast alle sind tief religiös und todesdüster. Er beschreibt darin die Hölle, einen Leichenzug (Bruder Friedrich?), den Himmel, das Ende eines Trinkers, den Weg des Gottlosen und dergleichen. Diese Verse – in Deutsch oder Holländisch verfaßt – stehen im krassen Gegensatz zu seinen plattd­eutschen Gedichten, die durchweg heiter sind. Mit 27 Jahren, als er einen eigenen Hausstand gegründet hatte, begann er seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, die allerdings nur die frühen Kinderjahre enthält. Im Jahre 1952 hat er sie dann fortgesetzt. Dieses Heft, das auch viele Angaben zur Familienchronik enthält, wird im elterlichen Hause aufbewahrt. 

Im Jahre 1900 heiratete er unsere Mutter, Jenne, geb. Plescher, und nahm Wohnung in Osterwald, Haus Nr. 20. Haus und Hof hatte er mit finanzieller Hilfe seines Schwiegervaters und Bruders für 10875 Mark erworben. Anfängliche Schwierigkeiten meisterte er mit seiner tüchtigen Frau, die ihm acht Kinder schenkte.

Vater war ein ungewöhnlicher Mensch. Er setzte sich abends unter den Lindenbaum und sang mit seinen Kindern Lieder, die er auf der Ziehharmonika begleitete. Er kannte viele Vogelstimmen und beobachtete die Natur. Auch erzählte er gern. Viele seiner Erinnerungen habe ich in meinem Buch „Knetsoahm vertäild“ festgehalten.

Einen Arzt kannte er nicht, er lebte natürlich und gesund. Im Winter wusch er sich gern den Oberkörper mit frischem Schnee, im Sommer ging er gerne morgens barfuß durch die taunassen Wiesen. Von den wenigen Büchern, die er besaß, scheinen mir das „Doktorbuch“, Pfarrer Heumanns Kalender, Bunyans Pilgerreise, Ch. H. Spurgeons „Reden hinter dem Pflug” und ein bescheidenes Fremdwörterbuch erwähnenswert.

Ein Fernrohr besaß er ebenfalls, aber einen Hang zur Jagd habe ich nicht festgestellt. Auf dem Hof machte er viele Dinge selbst in Ordnung, alles Gerät war stets an seinem Platz, gepflegt und geölt. Er warf nur etwas weg, wenn es nicht mehr zu gebrauchen war.

Die Versemacherei behielt er bis zum Lebensende bei. Sein erstes Gedicht, das veröffentlicht wurde (Oktober 1892): „Ach, das Kartoffelschälen“, trägt bescheidene sozialkritische Züge. In der Folgezeit konnte es ihm einfallen, über Ereignisse des Alltags plötzlich ,,Gedichte” zu machen. Sie sind zum Teil aber nur bruchstückhaft überliefert. Trotzdem habe ich den Versuch gemacht, seine uns erhaltenen Gedichte und Verse, von denen viele später im ,,Grafschafter” oder in den Jahrbüchern veröffentlicht wurden, zusammen zu stellen. Sie scheinen es mir wert zu sein, der Nachwelt – hauptsächlich den Kindern und Enkelkindern – erhalten zu bleiben.

Vater starb im Alter von 86 Jahren am 10. August 1959 und liegt auf dem Friedhof in Veldhausen begraben, an der Seite unserer Mutter, die ihm am 24. 5. 1972 im Alter von reichlichen 90 Jahren folgte.

Fotos: Familie Hensen

Heinrich Hensen – ein Schriftsteller der Grafschaft Bentheim (1914 – 1989)

aus:

http://heimatfreunde-neuenhaus.de/Dichterplatt.html

Unverwechselbar sind die Erzählungen, die Heinrich Hensen uns hinterlassen hat. Nach langer schwerer Krankheit ist der “urige Plattproater” am 5. Juli 1989 im Alter von 75 Jahren gestorben. Heinrich Hensen stammte von einem Bauernhof in Osterwald. Mit seiner Mundart-Prosa hat er sich in der Grafschaft Bentheim ein Denkmal gesetzt. Meisterhaft beherrschte der gelernte Pädagoge, bis zu seiner Pensionierung Rektor in Nordhorn, seine Muttersprache. Unzählige Geschichten hat er geschrieben oder erzählt, Geschichten zum Schmunzeln und zum Nachdenken. Gleichsam ein Leben lang hat er sich damit in den Dienst seiner Heimat gestellt.

Nach wie vor fühlte sich der Verstorbene eng mit dem bäuerlichen Leben, Denken und Handeln verbunden. Aus der früher recht engen bäuerlichen Welt schöpfte er bis ins reife Alter hinein, gelang es ihm, die Menschen und die sie umgebende Atmosphäre treffend zu schildern. So entstanden seine Buchwerke “Aule Knetsoahm vertäild” und sein letzter Buchband “Geschichten up Groafschupper Platt”. Aber auch an der GN-Heimatbeilage “Der Grafschafter” und dem “Jahrbuch” des Heimatvereins hat Heinrich Hensen tatkräftig mitgewirkt. In den Reihen der Autoren dieser Schriften hinterläßt sein Tod eine schmerzliche Lücke.

Nach seinem Studium war der Pädagoge kurzfristig an der alten Nordhorner Mittelschule, dann in Kalle und in Schüttorf tätig. Acht Jahre war er Soldat und Kriegsgefangener. Nach seiner Entlassung baute er das Schulwesen in Vorwald aus dem Nichts heraus wieder auf. Dort hatte er 119 (!) Kinder in einer Klasse zu unterrichten. Einen nicht geringen Anteil hatten diese Kinder an dem Ausbau des Covordener Dieks, nachdem sie sich gemeinsam mit ihrem Lehrer bei dem früheren Verkehrsminister Dr. Seebohm in Bonn auf humorvolle Weise für dieses Projekt eingesetzt hatten. Bis 1965 war Hensen in Vorwald, dann wurde er Rektor der Evangelischen Blankeschule in Nordhorn. Im schulischen Leben der Grafschaft hinterließ er viele Spuren. Hauptsächlich nach seiner Pensionierung widmete er sich intensiv der Heimatarbeit. Die Erzähl- und die Vortragskunst dieses Mannes war einmalig. Hensen hat nicht nur fleißig geschrieben, sondern auch mehrere Tonbänder besprochen, um auch sehschwachen Menschen Zugang zu seinen Werken zu verschaffen.

Mit Heinrich Hensen ist ein Zeitzeuge heimgegangen, der kritisch und verständnisvoll zugleich seine Mitmenschen und seine Umwelt betrachtete. Er war ein ernster Mensch, der im privaten und familiären Bereich viele schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste, darob dank seines unerschütterlichen christlichen Glaubens jedoch nie verzweifelte. Immer wieder überraschte er mit seinem tiefgründigen, feinen Humor.

Der Verstorbene hinterlässt der Grafschaft Bentheim ein reiches und kostbares Erbe.

Foto: Heimatfreunde Neuenhaus