Platt in der Grafschaft Bentheim

Die Grafschaft Bentheim hat zwei Mundartbereiche: die Ober- und die Niedergrafschaft. Außerdem gibt es niederländische Einflüsse, die sonst nirgendwo im niederdeutschen Sprachgebiet anzutreffen sind.

Hier finden sich auch vergleichsweise aktive Bemühungen um den Erhalt des Plattdeutschen.

Koordiniert werden diese insbesondere von Albert Rötterink aus Emlichheim.

 

 

 

 

 

Mit Plattdeutsch in die neue Welt

Ab 1835 setzte in der plattdeutschen Welt Nordwestdeutschlands eine enorme Auswanderungswelle insbesondere nach Nordamerika ein.

Das hatte mehrfache gravierende Gründe:

  • Hungersnöte u. a. durch einsetzende Kartoffelfäule
  • Markenteilungen zuungunsten der Besitzlosen
  • der Hollandgang wurde zunehmend finanziell unattraktiv
  • unmenschliche Doppelbelegung von Heuerhäuser wegen Bevölkerungsexplosion
  • nicht von ungefähr kam es 1848 zur Revolution

Insbesondere die besitzlose Landbevölkerung (Heuerleute) verließen ihre angestammte Heimat.

Ihre Sprache nahmen sie mit und viele behielten sie auch dort bei. Das war möglich, weil sie mehrheitlich in größeren Gruppen siedelten.

Etliche Orte in den nordöstlichen Vereinigten Staaten tragen heute noch norddeutsche Namen.

Karte: bearbeitet von Bernd Robben

Zeichnungen rund um die plattdeutsche Kinderwelt

Marianne Bröring

hat dieses plattdeutsche Lesebuch für die Region Emsland 1993

mit sehr ansprechenden Illustrationen bereichert.

 

Freundlicherweise hat sie diese Zeichnungen auch für diese Website zur Verfügung gestellt.

Dr. Bernhard Schulte

aus: http://www.watt-up-platt.de/watt-de-kann-platt/

Von meinen zwei Müttern

Als ich zwei Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges in Laxten bei Lingen geboren wurde, gehörte die selbständige Gemeinde vor den Toren der Stadt noch eindeutig dem plattdeutschen Sprachraum an. Das Ortsbild wurde neben Kirche und Volksschule durch die alten eichenbestandenen Hofstellen der Bauern und durch die ordentlichen Siedlungshäuser der Eisenbahner mit angebauten Ställen für Schwein und Ziege (der sogenannten Beamtenkuh) geprägt. Nahezu alle Eisenbahner, die hier wohnten, entstammten – wie mein Vater – der ländlichen Bevölkerung. Seine und damit meine Vorfahren hatten sich bereits im 18. Jahrhundert als nachgeborene Söhne des Baccumer Schultenhofes in Laxten als Heuerleute und nach Ankauf des Grund und angesiedelt. Als Lehrling des Reichseisenbahnausbesserungswerkes erlernte mein Vater das Handwerk des Kesselschmiedes und leitete als Oberwerkmeister die Kesselschmiede des Bundesbahnausbesserungswerkes.

Meine Mutter sprach mit meinem Vater und meinen vier älteren Schwestern nur plattdeutsch. Allerdings sprach sie nicht das Laxtener, sondern das Wettruper Platt. Von dort war sie nach Lingen zu einem Rechtsanwalt in Stellung gekommen. Meine Eltern waren des Hochdeutschen durchaus mächtig. Aber in Laxten sprach außer dem Pastor, den Schulmeistern und ihren Kinden sowie den Flüchtlingen, die das Vertriebenenschicksal nach Laxten verschlagen hatte, niemand hochdeutsch. Hochdeutsch kam natürlich aus unserem Volksempfänger, der die zwölf Jahre des Tausendjährigen Reiches heil überstanden hatte. Hochdeutsch sprach auch der kleine Friseur aus Ostpreußen, der meinem Vater und mir alle vier Wo¬den fürchterlichen, kahlen Haarschnitt verpaßte, den er zuvor als Wehrmachtsfriseur tausenden Soldaten an der Ostfront geschnitten hatte.

Alles sprach dafür, daß Plattdeutsch auch meine eigentliche Muttersprache wer¬den sollte. Aber wenn Dinge, die sich bei normalem Verlauf natürlich entwickelt hätten, ins Gegenteil verkehrt werden, steckt häufig – meine Frau wird es mir nachsehen – Pädagogik dahinter. Diese trat auch in unserem Dorf – verkörpert durch den Hauptehrer – auf den Plan. Er rief die Eltern zu einer Versammlung um sich und riet dringend davon ab, mit den eigenen Kindern plattdeutsch zu sprechen, um ihnen Probleme beim Erlernen der hochdeutschen Schriftsprache zu ersparen. Die alte Geschichte von “mir” und ,.mich”, „Sie” und „Ihnen” machte die Runde, und”, so schloß der Schulmeister, “stellen Sie sich vor, Ihr Kind soll etwas werden, und es kann nicht einmal richtig Hochdeutsch…!”

Von nun an hatte ich eine zweite Mutter, obwohl ich mich bei meiner ersten rund­um geborgen fühlte. Das Wettruper Platt war Musik in meinen Ohren, wenn es auch hin und wieder mal eine harte Ansprache gab. Eigentlich mangelte es mir an nichts.

Meine zweite Mutter sprach ab sofort mit mir nur noch hochdeutsch. Auch meine Schwestern waren angewiesen, ebenso mit mir zu verfahren. Ich durfte nur noch „Porzellan” reden – wie man es im Plattdeutschen nennt, wenn einer, der eigent­lich platt reden sollte, hochdeutsch gestelzt daherredet.

Nach der Einschulung gab es dann auf dem Schulhof, aber selbst im Klassenzim­mer ein wildes Durcheinander von Platt- und Hochdeutsch. Manche Mitschüler sprachen bei der Einschulung nur plattdeutsch. Nach einiger Zeit gab es dafür Schläge mit dem Stock. Als sich dieses beim kleinen Josef wiederholte, sagte er mit tränenerstickter Stimme zum Lehrer: “Wenn Du mi noch enmol haust, dann kummt min Opa!” Und eines Tages stand Lühns Opa in der Pause auf dem Schul­hof und fragte: „Wat makt min Jungen verkeert, dat he wekke mit’n Rohrstock kricht?” Lange brauchte der Schulmeister, um. wieder “gutes Wetter” zu machen. Vorerst war es mit den Schlägen für Plattdeutsch vorbei. Eigentlich sollte ich – so ging es mir durch den Kopf – mit meiner zweiten Mutter zufrieden sein. Immerhin konnte ich doch in der Schule von Anfang an hochdeutsch reden.

Doch die Jahre vergingen, und ich hörte zum erstenmal das Wort „Genasium”, wie man in Laxten sagte. Zum Gymnasium nach Lingen sollte ich gehen; aber das hat­te Zeit. Aus dem vierten Schuljahr heraus wagte sich von den “Bauern” – wie die Lingener uns abfällig nannten – kaum einer in die Aufnahmeprüfung. Ein Jahr spä­ter war ich dann Schüler des altehrwürdigen humanistischen Gymnasiums Geor-gianum. Aber die Freude währte nur kurz. Bereits im zweiten Jahr blieb ich auf der Strecke. Die Deutschkenntnisse waren einfach zu schlecht.

Mit diesem Schicksal stand ich nicht allein. Die Schüler vom Lande traf es reihen­weise. Ein Lehrer nahm sich unser in besonderer Weise an. Der spätere Studien­direktor Felthaus erkannte, daß es uns nicht am Verstand, wohl aber an soliden Deutschkenntnissen in Wort und Schrift mangelte. Alles “Porzellanreden” hatte nichts genützt. Wahrscheinlich trifft es zu – so mein ehemaliger Mitschüler und-Mitherausgeber dieses Buches, Bernd Robben -, daß wir erst über den Lateinunt­erricht richtig Hochdeutsch gelernt haben, das aber so gut, daß wir dann „latinske Buren” und mehr geworden sind.

In meinem beruflichen Leben spielt das Plattdeutsch natürlich als Sprache keine Rolle („Die Gerichtssprache ist Deutsch”), wohl aber die Kenntnis von Land und Leuten, die durch das Plattdeutsche geprägt sind. Insbesondere für mein Privatle­ben im Laxtener Umfeld bedauere ich es sehr, daß ich bedingt durch das „Porzel­lanreden” von Kindheit an nicht fließend plattdeutsch sprechen kann, obwohl ich jedes Wort und jede Feinheit verstehe.

Ist das alles, was mir vom Plattdeutschen geblieben ist? Nein! Plattdeutsch ist und wird immer meine Mutter(sprache) sein und bleiben. Sie vermittelt mir die Geborgenheit der frühen Kindheit und der emsländischen Heimat, die ich nicht missen möchte. Als besonderen Vorzug des Plattdeutschen empfinde ich die Prägnanz dieser Sprache. Kurz und knapp kann man mit ihr Aussagen auf den Punkt bringen. So sagte mein Vater gern über Politiker: „…de weitt alles un künnt nix”. Oder eine Frau im Leserbrief der Emszeitung: „`nen Bittken plattproaten un mit dat Fahrrad dör de Stadt föhren makt noch kienen Börgermeester ut.”

Hinzu kommt, daß Plattdeutsch ungeniert Aussagen zuläßt, die auf Hochdeutsch gekünstelt oder gar anstößig wirken. So fragte mein Vater die Nachbarskinder: „Schlöpp ju Papa immer noch bi ju Mama?” Als diese hinter der Frage nichts Gutes vermuteten und mit „Nein!” antworteten, kam postwendend der Kommentar: „Achter so’n groaten Backowen woll ick ock nich liggen!”

Auch habe ich erfahren, daß Plattdeutsch durchaus global sein kann. Als wir auf der Suche nach Vorfahren mütterlicherseits Besuch aus Wabasha/Minnesota (USA) bekamen, hakte nach einiger Zeit die Verständigung sowohl auf Englisch als auch auf Hochdeutsch. Da sprach der Gast aus den USA plötzlich Wettruper Platt, und alle waren begeistert. Damit wurde deutlich, daß (Wettruper) Platt auch für die Auswanderer, die aus der Not heraus in Amerika eine neue Existenz gründeten, Heimat- und Muttersprache war und teilweise bis auf den heutigen Tag geblieben ist.

Meine Mutter sprach im Alter wieder fast ausschließlich plattdeutsch. Als sie die letzten 14 Jahre ihres Lebens in unserem Haus wohnte, wuchsen unsere Kinder mit dieser, meiner ersten Mutter auf. In meiner Brust leben nach wie vor zwei Seelen. Mir ist die Liebe zu meiner ersten plattdeutschen Mutter(sprache) stets geblieben, ohne die Notwendigkeit der Entscheidung für meine zweite Mutter(sprache) zu verkennen.

Dr. Bernd H. Schulte (Lingen, zuletzt Münster)

 

 

Dr. Bernd H. Schulte

ist in Nordwestdeutschland nicht nur in Fachkreisen des öffentlichen Baurechts als ehemaliger Richter am Verwaltungsgericht Osnabrück, Oberverwaltungsgericht Lüneburg und am Oberverwaltungsgericht Münster bekannt. Durch eine Fülle an Fachveröffentlichungen hat er sich bundesweit einen Namen gemacht

Heute wirkt er in seinem Fachgebiet als gefragter Anwalt in einer überregionalen Kanzlei in Bielefeld und Lingen. Er ist in Laxten als Sohn eines Eisenbahners aufgewachsen. Mütterlicherseits hat er Heuerleute als Vorfahren. Sein besonderes Interesse im Privatbereich gilt der regionalen Geschichtsforschung. So initiierte er einen geschichtlichen Arbeitskreis Mengers Hof.

Er ist auch plattdeutsch aufgewachsen.

Centrum für Niederdeutsch in Münster

https://www.uni-muenster.de/Germanistik/cfn/

So stellt es sich vor: 

Das Centrum für Niederdeutsch an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist ein fächerübergreifendes wissenschaftliches Zentrum, in dem sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammenfinden, um das Niederdeutsch zu erforschen.

Darüber hinaus ist das Centrum für Niederdeutsch bestrebt, mit Freunden/Freundinnen und Förderern des Niederdeutschen außerhalb der Universität eine enge Zusammenarbeit zu entwickeln. Ein Ziel ist, das Niederdeutsche als Bestandteil der norddeutschen Kultur, Geschichte und Identität wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken.

 

Zur Geschichte

Auf Initiative des Germanistischen Instituts und mit Unterstützung des Rektorats der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde 2012 eine Professur für Sprachwissenschaft am Germanistischen Institut eingerichtet, die sich schwerpunktmäßig mit dem Niederdeutschen beschäftigen sollte. Die Aufgabe des Aufbaus eines neuen wissenschaftlichen Centrums, in dem das Niederdeutsche erforscht, gefördert und wieder in Öffentlichkeit präsent gemacht werden sollte, fiel dem neuen Stelleninhaber, Helmut Spiekermann, zu.

Die Erforschung des Niederdeutschen hat an der Universität Münster eine lange Tradition. In der ehemaligen Niederdeutschen Abteilung des Germanistischen Instituts waren besonders ältere Sprachstufen des Niederdeutschen Gegenstand umfassender Forschung und Lehre. Auch hierauf baut das Centrum für Niederdeutsch auf, nimmt darüber hinaus aber auch verstärkt synchrone Forschungsfragen in den Blick.

Die Gründung des Centrums für Niederdeutsch erfolgte am 11. Juni 2013 durch die Annahme des Statuts des Centrums durch seine Gründungsmitglieder. Zum ersten Sprecher des Centrums wurde Prof. Spiekermann gewählt.

Die offizielle Eröffnung des Centrums fand am 21. Juni 2013 im Rahmen eines Festaktes am Germanistischen Institut der Universität Münster statt.

 

Aufgaben und Ziele

Das Centrum für Niederdeutsch ist ein fächerübergreifender Verbund von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht das Niederdeutsch in Forschung und Lehre, sowie in Kooperation in außeruniversitären Einrichtungen zu fördern. Das Niederdeutsche soll in der Öffentlichkeit präsenter gemacht werden.

Besonders Studierende der Westfälischen Wilhelms-Universität profitieren von diesen Zielen. Die Mitglieder des Centrums bieten Lehrveranstaltungen zum Niederdeutschen oder das Niederdeutsch einbindende Lehrveranstaltungen an und tragen so zur Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern bei.

 

Sprecher des Centrums für Niederdeutsch ist Prof. Dr. Helmut H. Spiekermann