De Hausierer (auck Leuper genannt) (5)

Oss ick noa een Kind was, wöiten sau manche Artikel an de Huesdüden verkofft. Doa keimp son Schmantbuer, de transportede mit datt Fahrrad eenen grauten Holtkuffer. He verkoffte olle Sotten Puddingpulver.

Wie Kinner sprüngen schnell in de langen Bank un tofften up den Moment, wo de graute Deckel lösssprüng. Watt fö herrliche Gerüche keimen ut den Kassen: Schokolade, Vanille, Mandelgeschmack, rote Grütze un olle Farben Wackelpudding. De Mamme koffte immer watt up Vorrat – den Pudding mochten wie olle gäden.

Een ännerer Kärl keimp van Tied tou Tied un verkoffte Senft. Achtern up sien Fahrrad stönnen in eene Holtkissen schöne Litter-Steinpötte vuller Senf. Den liegen Pott neimp he dat naigestemoll wä mit trügge.

Den Scherenschlieper häwwe ick noa in goe Erinnerung. Mit eenen Fout trait he son kleenen Schliepstein an, de Funken flöigen us baule int Gesichte.

Dann keimp auck noa regelmäßig sonne aule Biädeltante. De was immer ganz utschmachtet. Dat arme Fruesminske keimp immer in Merrag un göng dann dankboar wieder. Se konn us nur een paar Kleenigkeiten anbeen: Knäupe, Näggegoaden, Twist un Twänt un Sicherheitsnaudeln.

In eener Familge harre auck moll son Kärl mit den Packen ewwas verkofft. De kleene Franz harre garnix kriegen un graint. De Pappe segg: „Wenn nächstens een Leuper kümp, bekomms’ Du nigge Hosenträger!“

Doa was no een son Opa, de verkoffte söcke Pottschräppers, Heedwiep hedden de bie us. He spannde son hennigen Rüern vön Bollerwagen un sochte sick de Hee (Heide) in Bobiärg. De sülwest makete kleenen Heedwiepe verkoffte he auk mit Rüern un Bollerwagen.

He keimp bie us auk immer in de Merragstied un dreug sick up een Teller Eintopf. De Rüer kreig auk noa een Schlag Gemöis inne Dutten. Sau teugen de Beeden dankboar wieder.

 

Watt häff sick de Tied ännert!

Eine gefährliche Aktion (4)

Es war Ostern 1945.

Der Krieg sollte bald zu Ende sein. Aber wie?

Die Sirenen heulten bei Tag und Nacht – Bombenalarm! Wir waren alle sehr unruhig und hatten Angst.Ich wohnte damals – noch sechzehnjährig – bei meinen Eltern und 6 Geschwistern am Borgberg im „Waterkouten“. Mein Bruder, der nur ein Jahr älter war als ich, wurde noch im März 1945 eingezogen. Eine Tante mit ihrem kränklichen Sohn, die eigentlich in Hasbergen wohnten, waren ständig bei uns zu Gast. Somit waren wir täglich mit 10 Personen. In den letzten gefährlichen Tagen zogen noch einige Verwandte und Bekannte aus dem Dorf heraus zu uns. Wir legten uns – wegen des ständigen Bombenalarms – voll bekleidet zu dritt in die Betten. Geschlafen haben nur zwischendurch die Kinder.

Gegen Abend wurde ein alter, kranker Mann in einem Bollerwagen zu einem Nachbarn in Sicherheit gebracht. Man hatte ihn mit dem ganzen Bettzeug samt Nachtmütze in den Wagen gesetzt. Mein jüngerer Bruder, der dieses Gefährt kommen sah, rief aufgeregt: „Da sitzt ein Gespenst im Wagen; auf seinem Kopf ist eine große, weiße Gans!“

Der Vater erkannte die Situation. Wir wurden sofort ins Haus geschickt. Er selbst half kräftig mit, denn der Weg führte noch durch ein aufgeweichtes Waldstück.

Ich kann mich erinnern, dass wir – wir waren inzwischen 18 Personen – uns hauptsächlich von Kartoffelpfannkuchen ernährt haben. Die Zutaten dafür waren noch am ehesten vorhanden. Brotvorräte hoben wir in Form von „Knawweln“ (Trockenbrot) in einem großen Beutel auf. Das Brot wurde in heißer Milch oder schwarzem Kaffee wieder aufgeweicht.

 

Eine Tante und ein Onkel, die ein kleines Lebensmittelgeschäft an der Osnabrücker Straße betrieben, und deren Tochter mit ihren 2 Kindern bei uns Unterschlupf gefunden hatte, sagten uns für den Tag nach Ostern noch einige Pfund weißen Zucker zu. Weißer Zucker! Den hatten wir schon lange nicht mehr. Es gab zu der Zeit nur so ein braunes klebriges Zeug.

Die Gärtnerei Kalthöfer wollte am gleichen Tag Runkelrübensamen verkaufen.

Wir hörten die ganze Nacht Richtung Lengerich Schießereien. Am Morgen war es wieder ruhig. Wer war jetzt mutig genug die Sachen zu holen?

Mein jüngerer Bruder Hermann und ich machten uns auf den Weg. Wir standen geduldig in dem kleinen Laden und warteten auf den weißen Zucker.

Mein Onkel kam ganz aufgeregt ins Haus: „Leute, macht, dass ihr nach Hause kommt. Die feindlichen Panzer stehen schon am Friedhof!“

Nun auch noch den Runkelrübensamen holen! Wir verstauten alles in unserem Rucksack. Jetzt nur noch nach Hause!

Zur gleichen Zeit hatten die Alliierten von ihren Panzern aus noch deutsche Soldaten entdeckt, die durch den Eschersweg (heute heißt es „Am Borgberg“) liefen. Sie kamen aus Beckerode und eilten Richtung Wortmanns Hof. Diese armen Männer wurden mit Schüssen verfolgt.

Mein Bruder und ich ahnten nicht die große Gefahr, in der wir uns befanden. Wir rannten bis Dallmöller und versteckten uns in der Sägemühle. Es war kein Mensch zu sehen. Die Arbeiter hatten sich in Sicherheit gebracht. Wir warteten die Schießerei ab und krochen auf allen Vieren bis zum Kreuz. Hier haben wir geweint und gebetet: „Herrgott, beschütze uns alle …! Hilf, Maria, es ist

Zeit, …! Herr, gib uns Frieden …!“

Es blieb einige Zeit ruhig.

Wir robbten uns bis ins nächste Haus. Hier waren alle Bewohner in den Keller geflüchtet. Wir haben uns dort einige Zeit aufgehalten, unseren Rucksack dort stehen lassen und liefen weiter. Geduckt an Hunen Hecke entlang kamen wir bis Grimmelsmann’s Hof. Hier fanden wir in einer Wagenremise Schutz. Wir machten eine kleine Pause, das Herz schlug bis zum Hals.

„Ach, wären wir doch nur zu Hause geblieben!“ So dachten auch unsere Eltern, die voll Sorge immer wieder nach uns Ausschau hielten.

Jetzt noch ein Stück durch die Bergstraße, dann einfach rechts ab über die Felder nach Hause. Zu der Jahreszeit gab das Korn noch keinen Schutz. Wir haben uns auf dem Bauch liegend weiterbewegt.

Die feindlichen Soldaten müssen uns wohl als Zivilpersonen oder Kinder erkannt haben. Ich glaube aber auch, dass wir sehr gute Schutzengel hatten!

 

Hagen a.T.W., im Jahr 2001

Martha Herkenhoff geb. Koch

Wiehnachten ut miene Kinnertied (3)

Wiehnachten – watt häff dat Wort noa fön Klang!

De Adventstied wöit us immer viels tou lang.

Doch de Himmel was oft des Muorns un des Aumens glöinig, raut un giäl.

De Engels backen Plätzkes fö us van Egger un Miähl.

Mangest föllt auck holl ganz fien de Schnei;

watt konn man sick üöwer de eesten witten Pracht noa freun!

 

Up den Poggendiek, achtern Holde, stönnt dat blanke Iess,

mit de lessten Wespeltüten an Baume spielde de Wind.

Wie drofften doa glissken bet de Maunde hauge an Hiemel,

un de Großpappe in de Diäldüden stönnt.

Dann harre dat Vegnöigen buten en End!

 

Use Öllern harrren noa in Stall un Schoppen to doun.

Wie göngen mit den Opa in den warmen Stuoben.

De Ringe up den Härd wörn glöinig raut,

wie drofften doa drup spürtern, was was dat en Staut!

Dat Spürzel hüppere üöwer de Glout,

bet de Opa segg: „Nu is et owwer gout!“

 

Wie süngen auk gäden:

Leise rieselt der Schnee – Oh, komm, oh, komm, Emmanuel!

Un mangest seugen wie wiet an Himmel son hellen Schien –

konn dat woll schon dat Christkindken sien?

 

Sau vegöng auk langsam de Tied,

un eenes Aumes was et sau wiet!

De Mamme mende: „Nu schlaupe wie noa eene Nacht,

dann is Heiligaumend un Heilige Nacht!“

Dütt Glücksgeföihl, düsse Freude kann ick gar nich beschriewen.

Etwas is doa bet van Dage noa van bliewen.

 

Fö den Isel schnippeln wie ganz fien de Runkeln un Reuben,

et was dann owwer kaum toa gläuben,

wie schnell dat Küöfken vön Höihnerlock was lieg!

Wo dat Christkindken nu woll sau lange bliff?

 

Doch dann horden wie een Glöcksken lüern,

ut den kleenen besten Stuorm keimp son hellen Schien.

Dat wörn de Kerzen van Dannenbaum,

et was wirklich sau, et was kein Draum.

De bunten Kugeln un dat sülvene Lametta funkeln un blitzten,

een kleenet Vügelken seit forts unner de Spitzen.

Wie han ja inne Straude orre Laden nich seihn sonne Pracht,

dat was früher noa fö den Heiligaumend un de Heilige Nacht.

 

Nu keik jedder sau ganz sacht,

watt doa Olles woll leig up sienen Platz.

Fö jedden eenen bunten Teller mit Plätzkes, Appels, Nüerte un Appelsienen,

Schokolade konn man auk noa fienen.

Doa leigen auk ollerhand nützliche warme Saken.

Saugar eenen Unnerrock, sülwest maket – van Parchen.

 

Un brounkarrierte Kamelhaarpuschken – bi dreugen Frost drofften wie doamit Wiehnachtsmuorn non Nauberhues hen huschen.

Ne Puppen kreigen wie eenmoll, mien Süster un ick.

De harren feine Gesichter, dat gläuwe gie nich!

Zöpfe konn‘ wie flechten, Mama konnen dei seggen,

un de Augen löss un tou beweggen.

 

Een Mundölge was auk moll doabie,

doa konn saugar de Pappe drup spielen.

Et kümp mi auk noa in den Sinn

dat schöne bunte Märchenbouk van de Gebrüder Grimm.

 

Fö de Jungens geiff et Baukassens, ´nen Houdeldopp un een Schaukelpiärd,

schwattbunt, dat göng juchhei.

Dat was nich fö eenen, dat was forts fö oalle drei!

Doa leig moll `ne Laubsäge, de was fö mienen öllsten Broer,

watt was de doarüöwer froh.

He bastelde sau manche Stunde an son Gerippe,

dat ännere Joahr Wiehnachten was ferrig de Krippe.

 

Wie oalles göng düsse schöne Aumend tou Ende

un wie föllen dautmöh in’t Berre.

De Nacht was kott – je noa Oaller drofften wie ganz frou upstaun

un mit den Pappen noa de Christmette gaun.

 

Nie klüngen de Glocken van usen aulen Toarden sau fierlick mit Macht

üöwer ganz Hagen – wie in de Heiligen Nacht.

Os wenn de Natur den Oahm anheult.

Un sau manch Eener in sien Hatte föihlt,

datt he mit graute Freude un Dankbarkeet

in de aulen Kiäken noa de Krippe geiht.

 

De Schritte halden dü den kaulen Muorn

Et kriskere de Schnei unner de Suohlen.

Ümme 4 Uhr ganz frouh, was in de Strauden un up den Kiäkplatz holl een Gedränge, schnell füllden sick de Bänke un Gänge.

Dei Kiäken was kault, keine Heizung, kein Füer,

ganz langsam kelden us de Teine un Finger düer.

 

Un endlich schlöig van usen haugen Torden fief moll de Uhr.

Datt Lecht göng ut, et brennden een paar Kerzen nur.

De Herr Pastor, de Kaplan un de Vikar

keimen ut de Sakstigge mit `ne graute Messdienerschar.

Un nau dat Evangelium an de Krippe

Teug de Köster Leimkühler an de Orgel olle Register.

 

De ganzen Lechter göngen wä an,

wie oalle süngen mit heller Stimme dann:

Heiligste Nacht, heiligste Nacht, Finsternis weichet,

es strahlet hienieden lieblich und prächtig vom Himmel ein Licht.

Dat Lecht bleif bie us, dat neihmen wie mit noa Hus.

De Lüer keiken auk oalle sau glücklich un toufrieden ut.

 

Tou de Fierdage harren de meisten Lüer an de Bichtstöihle Schlange stauhn,

nu woll je auk jedder noa de Kommunionbank gaun.

 

Ordnung, de et van Dage bi us giff,

de kennde man daumolls woll nich.

Jedder stöiff eenfach sau ut de Bank,

et stoukere sick schnell in den Middelgang.

Un auk in de Sietengänge geiff dat en grautet Gedränge.

Dat was nich schön, sonne Hatz,

et durde lange, bet jedder wä harre sienen Platz.

 

Dann wöiten ollemen noa stille Missen liäsen in eenen Galopp.

Dat woll eenfach nich in mienen Kopp.

Us wöit toalest de Tied recht lang,

doch de Pappe bleiv bet ton Schluß in de Bank.

 

Wie fröwwen us schon up de Mammen un den warmen Stuoben,

et gaiff nu Plautenkouken satt, schon an frouhen Muorn.

Toa Märrag aiten wie ganz „herrschaftlich“,

sökke Dage, de vögitt man nich!

Un de Andacht, des Üörnens, dat was auk wä een Fest.

Doa süngen wie saugar up Latinsk Christus Natus est!

Un dann keimp achterndran

noa Aussetzung, Te Deum un Lobgesang.

To’n Schluß häw wie dann noa gäden sungen:

„Es ist ein Ros‘ entsprungen“.

 

Up den Trüggewäg wöit et holl bouten ewwas griemelich,

doch in Huse was et recht heimelich.

De Dannenbaum bleif bet Lechmissen stauhn,

wenn hei plünnert wöt, keimen us baule de Traunen.

 

Et kümmp mie mangest de Frauge in den Sinn:

Wiehnachten ut de Kinnertied,

konn datt nich woll een Stückchen van Himmel sein?

 

Hagen a.T.W., im Advent 2006

Martha Herkenhoff geb. Koch

Dat Ferienkiend (2)

Et was de twette Weltkrieg; ick was noa een Schoulkiend. Eenes Dages froggte de Jungfern, off nich de eene orre ännere Familge während de Ferien een Kiend ut de Stadt upniemen konn. Ick was ganz begeistert und löip mit düssen Vöschlag schnell noa Hues.

„Mein Gott“, segg de Mamme. „Wo sall dat Kiend dann schlaupen? Wi hätt doch gar kein Berre mä frie. Gie schlaupet doch olle holl mit twee Mann touhaupe!“ Ick harre jä auk noa 5 Geschwister.

Weil de Mamme sau faken krank was, harren wie auk noa ne Maged. De neimp schon dat lüttke Süster mit in iähre Berre. Dat Jüngste leig noa inne Weigen.

Wenn de Mamme eenmoll „nei“ siäh, dann mende se dat auk sau. Mi löit dat Ganze keine Ruhe! Up usen Nauberhoff harren se schon son kleenet blondet Wichtken ut Briämen. Dau harre ick eene Idee!

Mien Broer was dree Joahre jünger os ick, den konn ick doch woll os Wicht vökleiden!

Ick mösse den jä betünneln un em oalles Mögliche vöspriäken, bes dat he endlich van mi een hellblauet Kleidken, wo ick utwuossen was, antoig.

Wat soll he anne Föite teihn? Passende Wichterschouh harre ick nich mä. Dau mösse he siene haugen brounen Schouh anteihn. Wat make wi mit sienen Kopp? He harre den bekannten Hoarschnitt: vödden eenen Pony und achtern kahl affraseert.

Ick harre tou de Tied eene Matrosenkappen mit witte Striepen rundherum un achtern höngen blowwe Bänder. Sau konn man doch wenigstens den kahlen Kopp nich mä seihn!

De Nauberslüer wörn mit olle Mann an’t Kartuffelfurken. „Nu is et Tied“, dachte ick. „Doa stellst du dat Ferienkiend vö!“

Wi löipen bes noa use Anneweede, de grenzere an dat Kartuffelland. Mien Broer Hermann löit sick van trüggetou sau mitreeten.

De Nauberske – ne ganz nette Frau – froggte us, off wi Besöik harren. „Jau!“ siäh ick ganz begeistert. „Wi hätte auk een Ferienkiend!“

„Watt, gie hätt een Ferienkiend? Wo schlöpp dat dann? Wi hett et dann? Ut wecke Stadt kümp dat Wicht?“ Up oll düsse Fraugen wüsse ick sau schnell keine Antwort. Dau keimp dat Fruesminske up us tou un keik den Kiende in’t Gesichte. „Oje, oje“, lachere se hell herut. „Dat is jä jugge Hermann! Oh, watt bis Du jä een feinet Wichtken!“

De wöit sick dull und rennde – sau schnell he konn – noa Hues. Dat Kleid roppte he ut un schmeit et up de Ärden. Miene Sönndagsmüssen flöig inne Waterfuer.

Tou Hues harre he mi holl vökläffket. De Mamme schürrede mit den Kopp; se mösse sau ganz fien lachen un siäh: „Wicht, Wicht, wat hässe du mangest fö Gelöppe!“

Hagen a.T.W., im Jahr 1997

Martha Herkenhoff geb. Koch

Schwierigkeiten mit der plattdeutschen Sprache im 1. Schuljahr (1)

Ich wurde Ostern 1934, obwohl ich erst im Juni 6 Jahre alt wurde, eingeschult. Meine beiden um ein und zwei Jahre älteren Geschwister besuchten schon die Schule. Sie wurden bei ihren Schularbeiten total abgeschirmt.

Ich hatte keine blasse Ahnung und konnte kein Wort lesen oder schreiben. Wer hätte auch wohl für uns einen leeren Bogen Papier gehabt. Das Einzige wäre der Rand von der Zeitung oder dem Kirchenboten gewesen.

Als meine Schwester Maria das erste Mal von Ferien sprach, konnte ich mir darunter nichts vorstellen.

„Feringen, jau, jau, dat Maria krieg muorn Feringen“, segg de Opa.

Ich war sehr neugierig auf diese Sache. Feringen! Heringe oder Stichlitze, so etwas musste es sein. Als ich Maria kommen sah, rannte ich ihr mit einem leeren Glas entgegen. Sie lachte laut, und lief an mir vorbei. Ich war entsetzt – sie wollte mir nicht ihre Ferien zeigen! Da wurde ich von der Mutter aufgeklärt: Ferien sind schulfreie Tage und Wochen.

Wir unterhielten uns zu Hause und in der Nachbarschaft nur auf plattdeutsch. In der Schule wurde nur hochdeutsch gesprochen. Eine junge, hübsche Lehrerin, die jeden Tag mit dem Bus von Osnabrück kam, konnte auch kein „Platt“ verstehen. Ich habe nur zugehört. Die Sprache verstand ich, konnte sie aber nicht übersetzen. Somit war ich eine stumme Schülerin.

Ich wurde von der Lehrerin immer wieder angesprochen, habe aber nur mit dem Kopf geschüttelt. Sie versuchte es mit kleinen Gebeten oder Abzählreimen.

Beten, nein, nur nicht Beten!

Das „Vater unser“ und „Gegrüßest seist Du, Maria“ war mir bekannt. Danach wurde noch bei uns für die armen Seelen gebetet. Eine ledige Tante Anna, die zur Familie gehörte, betete dann: „Eun, keun, steun, Frieden ruhen, Amen!“ Dieses hieß in Wirklichkeit: „Herr, lass die armen Seelen ruhen in Frieden, Amen!“

Ich ging mit meinem Problem zu meinem Großvater. Er nahm sein Gebetbuch und hat es mir laut und deutlich vorgelesen. Da musste er mir auch noch unser Abendgebet entziffern: „Lieber Gott, mach mich fromm, …!“ Ich verstand den letzten Satz nicht. „Mach mich Deinen Engeln, Engeln, lein, lein?“ Der letzte Satz hieß: „Mach mich Deinen Engeln gleich!“

„So, so, Du kannst auch nicht beten!“ Meine Lehrerin versuchte es weiter: „Wie ist es denn mit einem Abzählreim?“ Das Wort hatte ich noch nie gehört. Da rief ein Mädchen aus meiner Klasse: „Das heißt utpäppeln!“

„Jau, jau, dat kann ich auck:

een, twei, drei, veer, fief, sess, sieben,

use Katten häff Junge kriegen,

eene witt, un eene schwatt,

un eene häff gar kein Stäht vött Gatt.“

Unsere Lehrerin, Frl. Hürländer, war wohl etwas schockiert. Sie hat oft überlegt, ob ich nicht noch ein Jahr zu Hause bleiben sollte. Elternsprechtage gab es nicht, Wir wurden auch nicht getestet oder untersucht. Der erste Schultag war gleichzeitig die Anmeldung.

Meine Mutter traf Frl. Hürländer zufällig im Bus. Da erfuhr sie erst von meinen anfänglichen Schwierigkeiten. Nach einem halben Jahr war bei mir der Groschen gefallen.

In meinem ersten Zeugnis stand sogar 3 Mal die Note „sehr gut“!

Hagen, a.T.W., den 31. Mai 2001

Martha Herkenhoff geb. Koch

Vorwort

Wenn es um den Erhalt der plattdeutschen Sprache im Osnabrücker Land geht, gibt es mittlerweile viele Fördervereine, Wörterbücher und Bibliotheken mit plattdeutscher Literatur und Hörbüchern.

Wir möchten diesem Fundus nun ein weiteres Kleinod hinzufügen.

Im „Waterkuoten“ in Hagen am Teutoburger Wald ist Martha Herkenhoff aufgewachsen und hat besondere Ereignisse in ihrem Leben schriftlich festgehalten. Das sind die Erinnerungen an Kindheit und Schule, Gedichte zu den Geburtstagen ihrer Geschwister und Verwandten und Besinnliches zur Heimat und zum Lebenskreis im südlichen Osnabrücker Land.

Und so ist es bis heute: Die größeren Familienfeiern werden immer durch neue plattdeutsche Verse bereichert. Auch unter den Liedern, die zu den Festen angestimmt werden, finden sich schöne, beinahe vergessene, plattdeutsche Lieder aus dem Hagener Land. Früher wurden die Lieder bei diesen Gelegenheiten oft von den „Kochs-Mädchen“ spontan vorgetragen, natürlich gab es auch plattdeutsche Lieder, Gedichte und Theaterauftritte an den Heimatabenden in der Region. Kinder und Enkelkinder  haben mittlerweile einen Teil  dieses musikalischen Erbes übernommen.

Als ich 1987 „Anschluss“ an die Familie Herkenhoff bekam, konnte ich beim ersten Kennenlernen gleich mit einer kleinen, plattdeutschen Anekdote aus meinem Heimatdorf Schwagstorf aufwarten. Damit wurde ich sofort akzeptiert! Überhaupt gibt es in dieser Familie eine große Aufmerksamkeit und ein Feingespür für Situationskomik und Sprachbilder. Und die sind gerade in der plattdeutschen Version reichlich anzutreffen. Die Dinge werden dann oft nach „Reifung und Veredelung“ in die nächste Familienfeier aufgenommen.

Wir hoffen, dass diese Sammlung von Gedichten und Geschichten aus dem Hagener Land Ihr Interesse und Ihre Zustimmung findet und wünschen, dass mit den Geschichten aus dem „Waterkuoten“ und dem Verwandtenkreis die Erinnerung an eine beschaulichere Zeit erhalten bleibt und für spätere Generationen ein „Klangbild“ dieser Zeit vermittelt wird.

Im Oktober 2010

Hermann Glandorf

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Die Autorin Martha Herkenhoff

 

Martha Herkenhoff geb. Koch stammt aus dem „Waterkuoten“ in Hagen am Teutoburger Wald. In dieser Familie gehörten die plattdeutsche Sprache, der Gesang und das Theaterspielen zum normalen Leben. Verbunden mit einem besonderen Gespür für komische Situationen, die dann in der bilderreichen plattdeutschen Sprache erzählt wurden. So kursieren heute unzählige Geschichten im Familienkreis.

Eine Auswahl hat Martha Herkenhoff hier zusammengefasst. Es sind Erinnerungen und Gedichte aus dem Heimat- und Familienkreis. Damit ergänzt dieses Buch die Anekdoten und Beiträge von Martha Herkenhoff , die bereits in anderen Büchern oder Zeitungsartikeln erschienen sind.

Wilhelm Horstmeyer

 

De Duwen in Köln

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Wer Platt spricht, spricht eine Sprache mehr! Dieser Grundsatz hat sich in meinem Leben – sowohl im pri­vaten als auch beruflichen – und bei der Übernahme von Ämtern im öffentlichen Bereich immer wieder be­stätigt und bewährt.

Aufgewachsen bin ich in Ostfriesland in einer Familie, in der nicht grundsätzlich plattdeutsch gesprochen wur­de. Mein Vater unterhielt sich in Platt, wenn seine Ge­schwister zu Besuch kamen, aber meine Mutter war nicht mit dieser Sprache aufgewachsen.

Selbst lernte ich Plattdeutsch nach meiner Einschulung in Emden kennen und vor allem sprechen. Es war fast selbstverständlich, daß in der Pause auf dem Schulhof unter den Schülern die neuesten Erlebnisse in dieser Sprache ausgetauscht wur­den. Besonders bemerkbar machte sich das bei dem Besuch des Gymnasiums, als mehr Klassenkameraden vom Lande zu uns kamen. Plattsprechen war für uns ein Gegengewicht gegenüber dem Lateinischen und Griechischen, was wir zu büffeln hatten. Freude bereitete es uns, wenn wir Lehrer „aus Deutschland” hatten, die mit dem Plattdeutschen nichts anzufangen wußten. Manche Spitznamen unserer Lehrer kamen auch aus dem Plattdeutschen, und ich habe nicht den Namen „Schaapkäs” vergessen.

Beim Eintritt in das praktische Berufsleben als Schiffbau Volontär bei den Nord­seewerken in Emden wäre ich ohne Plattdeutsch kaum weitergekommen. Der Ge­selle, dem ich zugeteilt wurde, fragte mich einfach „Woar heest du?” und „Wat maakt dien Vader” oder „Hest all’ mal ‘nen Hamer in’t Hand hat?”

Gleiche Erlebnisse hatte ich während meiner Wehrdienstzeit bei der Marine. Oft waren viele Norddeutsche an Bord, und selbstverständlich wurde auch hier platt­deutsch gesprochen. Erst recht bekam ich nach 1945 mit der plattdeutschen Spra­che zu tun, als ich meine Ausbildung in der Landwirtschaft begann. Schiffbau hat­te nach Kriegsende keine Zukunft, und eine Weiterführung des Studiums war für mich aussichtslos. In der ostfriesischen Marsch begann ich meine Lehre.

Neue Ausdrücke des Plattdeutschen lernte ich kennen – Ausdrücke, die nicht ins Hochdeutsche übersetzt werden können. An dem ostfriesischen Stelzpflug befin det sich, um den von Pferden gezogenen Pflug weit an der Grabenkante führenzu können, „dat ruum End”. Jeder Fachmann weiß, was das ist.   Aber ein  “raumes Ende” ist in der hochdeutschen Sprache nicht zu verstehen. Besonders in der Land­wirtschaft und im ländlichen Raum hat das Plattdeutsche meines Erachtens heute noch ein Zuhause.

Unter den norddeutschen Studenten war Plattdeutsch auch während meiner anschließenden landwirtschaftlichen und pädagogischen Studierzeit die Umgangs­sprache. Warum sollte man seine Heimatsprache verleugnen? Während des Pädagogikstudiums zum Landwirtschaftlichen Berufsschullehrer wurde uns die Bedeutung des Plattdeutschen im Unterricht auch immer wieder mit Beispielen klar gemacht. Ich erinnere mich an eine Vorlesung, in welcher der Professor uns erzählte, daß während seiner Lehrerzeit in einer Grundschule plötzlich ein Junge ohne Worte die Klasse verließ und wegrannte. Als er nach einiger Zeit ins Klas­senzimmer zurückkehrte und gefragt wurde, wo er denn gewesen sei, habe er ge­antwortet: „Ick haar vergeten, mien Kaninen to fooren.” „Was hätte ich”, – so der Professor – „in dem Jungen an Pflichtbewußtsein zerstört, wenn ich ihn nicht ver­standen und gemaßregelt hätte.”

Ähnliche Beispiele kann ich aus meiner eigenen Unterrichtstätigkeit erzählen. Auf der Fahrt mit einer Berufschulklasse an den Rhein machten wir in Köln Halt. Die Höhe und bauliche Ausstrahlungskraft des Domes und auch die Größe des Haupt­bahnhofes beeindruckten die Fahrtteilnehmer kaum. Plattdeutsche Worte wie „Mußt eben kieken, doar sind Duwen” und die Frage „Düren wie hier ok platt prooten” waren viel wichtiger. Eine Schülerin erzählte nach Verlassen des Domes von anderen Besuchern: „De hebbt uns fragt, of wie Hollanders wären”.

Im Jahre 1956 kam ich in den Landkreis Grafschaft Bentheim, um hier die Leitung der Landwirtschaftlichen Berufsbildenden Schulen zu übernehmen. Bei dieser Aufgabe, den vielen Elternbesuchen und Verhandlungen mit den Vertretern von landwirtschaftlichen Organisationen, kamen mir ebenfalls meine plattdeutschen Sprachkenntnisse zugute. Im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern war Plattdeutsch eine Brücke zum gegenseitigen Verständnis. Neben der Schule her begannen wir gemeinsam mit der Landjugendarbeit, und bei dieser Arbeit stand das plattdeutsche Laienspiel mit im Mittelpunkt. Seit dem Jahre 1960 spielt die Landjugend Nordhorn – wie auch andere Landjugendgruppen im Kreisgebiet – in je­dem Winterhalbjahr ein plattdeutsches Stück und zählt bei etwa acht Aufführun­gen tausende Besucher.

Ist Plattdeutsch überholt und eine zurückgehende Sprache? Die vorliegenden Zah­len beweisen meines Erachtens das Gegenteil. Leider sind zu wenige plattdeutsche Stücke im Grafschafter Platt geschrieben. Und werden sie aus anderen Regionen übernommen, besteht die Gefahr, daß nichttypische Grafschafter Ausdrücke mit einfließen.

Um das Plattdeutsche zu fördern, habe ich seit 30 Jahren als Vorstandsmitglied des Heimatvereins in Verbindung mit der Kreissparkasse und dem Schulaufsichtsamt die Organisation von plattdeutschen Lesewett­bewerben übernommen. Wider Erwarten zeigt die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler bei jedem Wettbewerb eine steigende Tendenz, so daß wir seit eini­gen Jahren vor den Kreisentscheiden in den einzelnen interessierten Schulen Vor-entscheide einführen mußten. Beim letzten Wettbewerb haben in den Vorent-scheiden von 36 Schulen etwa 530 Schülerinnen und Schüler teilgenommen, von denen sich 140 für den Kreisentscheid qualifizieren konnten.

Änderungen in den Bevölkerungsstrukturen durch Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen und auch Änderungen im Schulsystem durch Einführung von zentralen Schulen, Kindergärten und Spielkreisen haben in den letzten Jahrzehn­ten für die Beibehaltung des Plattdeutschen negative Spuren hinterlassen. Sollen und müssen wir aber auf das, was hier in unserer Region eigenständig und ge­wachsen ist, verzichten? Für heimatverbundene Organisationen, Elternhäuser und schulische Einrichtungen besteht zur Erhaltung des Plattdeutschen nach meiner Auffassung eine besondere Verpflichtung! Plattdeutsch darf in der Schule zum Bei­spiel nicht als „Fach” unterrichtet werden, sondern muß Unterrichtsprinzip sein. Das setzt voraus, daß an den Schulen Lehrkräfte als Ansprechpartner (Obleute) zur Verfügung stehen, die sich verstärkt für die Erhaltung der regionalen Sprache ein­setzen.

Viele Jahre hindurch war ich im kommunalpolitischen Bereich tätig und hatte auch führende Ämter übernommen. Wenn auch im offiziellen Bereich die hochdeut­sche Sprache Amtssprache war, so war im Gespräch mit den Menschen vor Ort vielfach das Plattdeutsche vorherrschend. Gerne denke ich an Besuche bei älteren Mitbürgern zurück, wenn sie Geburtstage hatten oder Ehejubiläen feiern konnten. Die Berichte von früher wurden meistens im Grafschafter Platt vorgetragen, und ich bedaure im nachhinein, daß ich kein Tonbandgerät bei mir hatte, um die Er­lebnisse aus früheren Zeiten aufnehmen zu können. Berichte aus den landwirt­schaftlichen Betrieben und aus den Anfängen der Textilindustrie sowie dem Wach­sen der Stadt Nordhorn, der Anbindung an den Verkehr, der Entwicklung von Handel und Wandel in der Stadt und im Kreisgebiet, dem Fertigwerden mit den Grenzproblemen – einschließlich des Schmuggels – auf Grafschafter Platt vorgetra­gen, sind leider unwiederbringliche Kostbarkeiten, und ich kann nur darauf hin­weisen, in dieser Hinsicht festzuhalten, was heute noch festzuhalten ist.

Wie sehr gerade die plattdeutsche Sprache vermag, Menschen anzusprechen und sich mit ihren Problemen dem Gesprächspartner anzuvertrauen, habe ich als Bür­germeister von Nordhorn in meinen wöchentlichen Sprechstunden erfahren kön­nen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Sozialhilfeempfängerin, die eine Jahresabrechnung von den Versorgungsbetrieben nicht begleichen konnte, weil ihr der geringe Betrag fehlte. Wie muß die Frau sich selbst überwunden haben, um überhaupt ins Rathaus zu kommen und mir das vorzutragen. Sie meinte, ihr Pro­blem hochdeutsch mitteilen zu müssen, und erst als ich sie ermuntert hatte, mir das Anliegen plattdeutsch zu erzählen, war die Scheu überwunden. Daß ihr zu helfen war, war in diesem Falle zweitrangig, aber in dem dann weiterführenden Ge­spräch stellte sich heraus, daß sie auch noch andere Sorgen in der Familie und in der persönlichen Lebensführung hatte, bei denen ich ihr raten und einige Vor­schläge unterbreiten konnte. Diese Unterhaltung hat mir in besonderer Weise ge­zeigt, wie wichtig es ist, plattdeutsch zu verstehen und zu sprechen, und daß es hilft, Menschen aufgeschlossener und freier werden zu lassen.

In der Zeit meiner öffentlichen Ämter habe ich einige Male auswärtige Gäste in plattdeutscher Sprache begrüßt. Das löste in manchen Fällen Erstaunen aus, den sogenannten „Aha-Effekt”, auf den keiner gefaßt war. Während einer Tagung des plattdeutschen „Schrieverkrings” wurde ich von den Gästen gebeten, bei einer Rundfahrt die Stadt Nordhorn in Platt vorzustellen. Diese Bitte habe ich als per­sönliche Herausforderung verstanden und sie befolgt. Es geht!

Grafschafter Platt und das Platt aus der benachbarten Twente in den Niederlanden sind sehr miteinander verwandt. Als die Räte der Stadt Nordhorn und der Ge­meinde Denekamp NL im Jahre 1993 nach Öffnung der Grenze zum ersten Male zusammen tagten, um gemeinsam über Fragen der Grenzöffnung und des ge­meinsamen Europas zu beraten, hielt ein Wethouder (Dezernent) der Nachbarge­meinde sein Referat auf Twenter Platt. Verkehrsfragen, Straßenführungen, Vor-und Nachteile des Wegfalls der Grenzkontrollen usw. wurden auch in dieser Re­gionalsprache von allen verstanden.

Erlebt habe ich bei einem Empfang von Grafschaftern, die nach dem Kriege in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren und zu einem Besuch in ihrer alten Hei­mat weilten, wie sie heute – nach über 45 Jahren – noch untereinander plattdeutsch sprechen. Nur bei der nachwachsenden Generation nimmt das Englische als Um­gangssprache zu. Bei dem offiziellen Empfang der Gruppe durch die Stadt Nord­horn wurde vom Plattdeutschen ins Englische und umgekehrt gedolmetscht. Wo hat es so etwas bei Empfängen auf diplomatischer Bühne schon gegeben!

Und privat? Meine Frau und ich sprechen nur plattdeutsch miteinander und teilen darin auch Freude und Sorgen. Selbst wenn ich aus naher oder weiter Entfernung zu Hause anrufe, schalte ich unwillkürlich auf das Plattdeutsche um. Die Mehrzahl unserer Kinder und Enkelkinder sind leider nicht mehr in der Grafschaft Bentheim, da sie beruflich anderswo ihre Arbeit gefunden haben. Sie sprechen nicht platt­deutsch, verstehen es aber sehr gut. Die Enkel haben damit größere Schwierigkei­ten. Das darf uns hier in unserer engeren Heimat aber nicht dazu verleiten, die bei uns als bodenständig geltende Sprache zu vernachlässigen. Wir müssen sie als un­wiederbringliches und unersetzliches Kulturgut weiterhin beibehalten und för­dern.

Georg Borker

Auch evangelisch

Als ich im Jahr 1955 in meinen ersten Schultagen nach Hause kam, habe ich doch allen Ernstes meine Mutter gefragt: Sind wir auch evangelisch?” Als meine Mutter ganz erstaunt nachfragte, wie ich darauf komme, ant­wortete ich: “Alle meine Klassenkameraden sprechen in der Pause und nach der Schulzeit plattdeutsch, bis auf zwei. Und diese beiden sind evangelische Flüchtlinge.”

In meiner Kindheit wurde in Lohne fast nur platt ge­sprochen. So hatten manche ältere Leute mit der hoch­deutschen Sprache ihre Probleme. Aus diesem Grunde vermieden meine Eltern es, mit uns platt zu sprechen. So konnte ich bis 1955 nur hochdeutsch sprechen – aber das änderte sich schnell. Ich lernte durch die Schule von meinen Klassenkameraden die plattdeutsche Sprache, während diese in der Schule hochdeutsch lernten. Ein Mitschüler fand das scheinbar sehr frustrierend. Er kam nach den ersten Schultagen mit der Bemerkung nach Hause: „Mama, dat Proaten, wat de dort doot, dat lern ick noit.” Aber auch er spricht heute perfekt hochdeutsch. In meinem Elternhaus wurde weiterhin mit mir und meinen jünge­ren Geschwistern hochdeutsch gesprochen. Aber auch diese lernten Plattdeutsch durch ihre Freunde. Heute spreche ich mit meiner Mutter und meinen Geschwi­stern nur plattdeutsch.

In den 60er und 70er Jahren fing es dann an, daß man vielerorts als „Bauer”, „Dörf­ler” oder rückständig angesehen wurde, wenn man platt sprach. Es galt auch im­mer noch das Vorurteil, daß die mit dem Plattdeutschen aufgewachsenen Kinder speziell in weiterführenden Schulen Schwierigkeiten hätten. Im Nachhinein hat sich diese Ansicht nicht bewahrheitet, aber meine Frau und ich sprachen mit un­seren Kindern auch nur hochdeutsch.

Versuche, unseren heute erwachsenen Kindern noch Plattdeutsch beizubringen, schlugen meist fehl. Zwar können sie das Gesagte verstehen, da in der Nachbar­schaft und Verwandtschaft noch sehr viel plattdeutsch gesprochen wird, jedoch klingt beim Sprechen immer ein nicht üblicher Zungenschlag mit. Aber es wird weiter geübt.

Ich selber spreche heute noch sehr viel platt. In meinem Beruf habe ich es mit vie­len Menschen im Altkreis Lingen und der Grafschaft Bentheim im Baugewerbe zu tun. Hier wird noch viel platt gesprochen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man mit der plattdeutschen Sprache schneller Kontakt mit den Leuten auf dem Lande bekommt. In der Grafschaft trifft dieses noch mehr zu als im Landkreis Lingen.

Dieser Unterschied ist in den Städten noch größer. In Nordhorn, Bad Bent-heim oder Schüttorf kommt man mit der plattdeutschen Sprache fast immer klar, während man in Lingen schon öfter auf Unverständnis stößt.

Damit unsere schöne plattdeutsche Sprache nicht ganz ausstirbt, ist es wichtig, sie weiterhin zu pflegen. WIr sollten das, was wir bei unseren Kindern versäumt ha­ben, bei den Enkelkindern nachholen und mit ihnen plattdeutsch sprechen. Scha­den wird es keinem Kind, zweisprachig aufzuwachsen. Wenn wir uns alle daran halten, wird es auch in hundert Jahren in unserer Region Menschen geben, die plattdeutsch sprechen. Davon bin ich überzeugt.

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 33/34

3.4. Vergleich von GETAS-Befragung und Ergebnissen im Landkreis Emsland

Im folgenden wollen wir einige Ergebnisse der GETAS-Befragung und unserer Befragung einander gegenüberstellen. Diese Zahlen weisen zugleich darauf hin, daß die Aussagen der GETAS-Umfrage infolge mangelnder regionaler Differenzierung nur einen eingeschränkten Aussagewert haben.

Aus diesen Zahlen darf man sicherlich schließen, daß die aktive Mundartkompe­tenz der Kinder im gesamten Verbreitungsgebiet des Niederdeutschen ebenfalls unter dem emsländischen Niveau liegt, das mit 3% schon sehr niedrig ist.