Rosi Bruns

Heraus aus dem Dornröschenschlaf!

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1928 in Mühlen in Oldenburg geboren, wuchs ich ländlich mit 9 Geschwistern auf. Meine Eltern besaßen einen kleinen Bauernhof. Überall wurde Platt gespro­chen, war für uns als Erstsprache selbstverständlich. Ich habe zu keiner Zeit die Sprache als Last empfunden. Die Eltern beherrschten die hochdeutsche Sprache natürlich gut. An unser Ohr drang sie jedoch kaum. Für mich ist es noch heute unglaublich, wie schnell wir mit dem Einschulalter dann hochdeutsch sprechen und schreiben lernten. Unsere Lehrpersonen versuchten oft aus Spaß, bruchstückhaft mit uns Platt zu sprechen. Wir durften dann korrigieren.

Besonders heute weiß ich um die Vorzüge der plattdeutschen Sprache. Sie birgt ei­ne einfache Herzlichkeit in sich, die für das Zusammenleben sehr förderlich ist. Die Naturverbundenheit mit dem lebendigsten Erleben bringt diese Sprache auf den Punkt. Auf dem Schoße der Großeltern erlernten wir Kinder alle möglichen Tier­stimmen – lustige Verse, fast auf jedes Tier einen gemünzt. Plattdeutsche Gedichte, Lieder, Dönkes hat man sich, weil es so interessant klang, schnell gemerkt. Geist und Seele konnten sich entfalten.

Das Erleben auf dem Bauernhof sehe ich in dieser Richtung sehr positiv. Wir wur­den früh spielerisch und hilfsbereit an kleine Pflichten herangeführt. Das half, früh soziale Kontakte aufzubauen – ein Ansporn für Kreativität. Viele alte Sprichwörter und Bauernregeln bestätigen die sozialen und moralischen Grundsätze. So wurde uns Kindern die spätere Lebenswirklichkeit früh nahegebracht. Ganz selbstver­ständlich wuchsen wir mit christlichen Sitten und Gebräuchen auf. Diese waren in der plattdeutsch sprechenden Gegend nicht wegzudenken. Dabei war der klei­ne Wortschatz von Kindern schon von Nutzen und stützte das Bedürfnis der An­erkennung. Noch zu erwähnen sind die alten, nett klingenden Doppelnamen.

Was bei aller Gemütlichkeit auf Platt an Komik überbracht werden kann, ist auf Hochdeutsch gar nicht so locker hinzukriegen. Ein wahrhaft goldener Humor bei aller Realität! Auch derbe Wörter klingen nicht so verletzend. Das Miteinander läßt so leicht keinen Platz für Frust und schlechte Laune. Auch wenn die Welt vor Neu­heiten und Techniken fast aus den Fugen gerät, lohnt es sich bestimmt, unser Kul­turgut noch wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Nette Menschen äl­teren Semesters sind sicher gerne bereit, beim Erhalt der plattdeutschen Sprache mitzuwirken. Öfter müßten in Plattdeutsch besprochene Kassetten angeboten werden!

In den Schulen könnte es vielleicht sogar zum Pflichtfach gemacht werden; viel­leicht nur einige Stunden im Monat, um sich so der jeweiligen Gegend entspre­chend wieder mit dem Plattdeutschen vertraut zu machen. Schön wäre, es gäbe neue Ansätze, gute altbewährte Sitten und Gebräuche – bei aller Herausforderung der Zeit – wieder mehr mit einzubinden. Oft in fröhlicher Gemeinschaft plattspre­chende Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen, so unseren Nachwuchs für den wertvollen Kulturschatz zu erobern, das wäre der schönste Lohn für alle, denen der Erhalt der plattdeutschen Sprache am Herzen liegt.

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Thekla Brinker

Der schönste Erfolg: „Liek moket”

Ich habe mit der plattdeutschen Sprache unterschiedli­che Erfahrungen gemacht, wobei heute die positiven weit überwiegen, die negativen aus der Kinderzeit aber nicht ohne Wirkung geblieben sind. In meinem Eltern­haus in Lorup bin ich mit der plattdeutschen Sprache aufgewachsen. Hochdeutsch habe ich nur dann erfah­ren, wenn meine gebürtig aus Berlin stammende Tante zu Besuch kam oder ein ehemaliger Ferienjunge aus Recklinghausen seinen Urlaub bei uns verbrachte. Als ich eingeschult wurde, konnte ich kaum einen Gedanken im Hochdeutschen aussprechen. Allen anderen erging es – mit Ausnahme der Flüchtlingskinder – wie mir, und im Nachhinein muß ich sagen, daß wir dank des Einfühlungsvermögens unserer Lehrer – hier möchte ich besonders den späteren Realschulrektor Josef Gieseke hervorheben, der heute Samtgemeindebürgermei-ster in Lathen ist – jeden Tag ein bißchen mehr mit der hochdeutschen Sprache ver­traut wurden.

Die kalte Dusche erlebte ich in Werlte, als ich zur dortigen Mittelschule wechsel­te. Aus dem Staunen kam ich nicht heraus, als ich erkannte, wie umfangreich der hochdeutsche Wortschatz meiner Mitschüler(innen) war. Mich spontan zu mel­den, traute ich mir in Werlte über eine lange Zeit nicht zu. Einige Male war es pas­siert, daß mir ein hochdeutsches Wort nicht einfiel, zum Beispiel „Ärmel” für „Maue” und „Schneiderin” für „Neihster”. Ich stand dann da, erhoffte wie in Lorup Hilfe, aber bekam sie nicht, weil meine damalige Lehrerin – ansonsten eine liebe­volle Pädagogin – das Plattdeutsche regelrecht verachtete. Allgemeines Gelächter war dann die Folge, und ich beschloß, mich um einen umfangreichen Wortschatz zu bemühen und später mit meinen Kindern hochdeutsch sprechen zu wollen. Aus dieser Zeit resultiert noch heute beim längeren Sprechen die Angst, daß mir nicht spontan die passenden hochdeutschen oder auch plattdeutschen Worte ein­fallen. Beim Schreiben dagegen fühle ich mich deutlich sicherer.

Zurück zur Schulzeit in Werlte, wo der aus Aschendorf stammende Realschulrek­tor Heinrich Jungeblut während der letzten Schuljahrgänge mein Deutschlehrer war. Dieser hat in mir die Liebe zur plattdeutschen Sprache geweckt. Erstaunt hör­ten wir aus seinem Munde, daß Plattdeutsch ein wichtiges, erhaltenswertes Kul­turgut sei und wir uns glücklich schätzen sollten, diese Sprache zu beherrschen. Unser Englischlehrer Andreas Rump verstand es, uns mit Beispielen auf die enge Verbindung Englisch/Plattdeutsch aufmerksam zu machen, und so trug auch sein Unterricht erfolgreich dazu bei, daß wir unsere Muttersprache ins Herz schlossen.

Meinen erlernten Beruf als Verwaltungsangestellte habe ich bis zur Geburt unse­res ersten Kindes im Jahr 1970 ausgeübt und bin seit 1971 als Mitarbeiterin bei der Ems-Zeitung tätig. Das Aufsatzdeutsch, das ich mühsam erlernt hatte, war nicht mehr gefragt, und ich mußte mich auf Zeitungsdeutsch umstellen. Bei schwierigen Texten habe ich mich an das alte plattdeutsche Sprichwort gehalten, was da heißt: „Doun deit leren”, und mit der Zeit ging mir das Schreiben von Berichten schnel­ler von der Hand.

Meine Zeitungstätigkeit führte mich häufig zu dem bekannten Loruper Heimatfor­scher Hans Meyer-Wellmann. Ich versorgte ihn gelegentlich mit Bildmaterial und holte mir dort Rat für die Heimatarbeit. Dieser war es dann, der mich regelrecht zum Plattdeutschschreiben drängte. Zweimal habe ich gesagt: „Nein, das kann ich nicht”, beim dritten Mal begriff ich, wie ernst ihm sein Anliegen war. Ich habe ihm daraufhin versprochen, es wenigstens zu versuchen.

Auch dieser Neubeginn war nicht leicht, denn ich stellte fest, daß sich mein Den­ken und Reden sehr verhochdeutscht hatten. Während der Haus- und Gartenarbeit suchte ich intensiv nach Wörtern aus meiner Kinderzeit und spitzte die Ohren, wenn ältere Menschen sich in ihrem urwüchsigen Platt unterhielten, und schon bald hatte ich die ersten Ideen für kleine Geschichten und Gedichte. Ich brachte sie zu Papier und faßte sie 1990 in meinem Buch „Diene Hand in miene” (Gold-schmidt-Druck Werlte) zusammen. Auch die Zweitauflage war schnell vergriffen.

Inzwischen habe ich solch große Freude am Plattdeutschschreiben gefunden, daß ich mir ein Leben ohne diese Tätigkeit nicht mehr vorstellen kann. Noch heute sind meine Texte umfeldbezogen, wobei sich das Themenfeld aber ständig erwei­tert. Als der Landkreis Emsland im Jahre 1991 einen plattdeutschen Theaterwett­bewerb ausschrieb, habe ich mich nach anfänglichem Zögern doch noch beteiligt und das Dokumentarspiel „Liek moket” eingereicht, welches die traurige Ge­schichte des Hümmlingdorfes Wahn behandelt, das während des zweiten Welt­krieges dem Kruppschen Schießplatz hat weichen müssen. Daß ich für dieses Stück den ersten Preis zuerkannt bekommen habe, war das schönste Erlebnis, seit­dem ich als „Schrieverske” tätig bin. Unter der Regie von Jörg Meyer (Theater­pädagogisches Zentrum Lingen) und unter Mitwirkung hochmotivierter Darstel-ler(innen) aus verschiedenen Orten des Hümmlings hat „Liek moket” 2850 Besu­cher verzeichnen können.

Mein zweites Dokumentarspiel „Der Bettelpfarrer”, welches Leben und Wirken des einstigen Friedlandpfarrers Monsignore Wilhelm Scheperjans beschreibt, ist überwiegend in hochdeutscher Sprache verfaßt. In den Szenen im Elternhaus wird dagegen plattdeutsch gesprochen. Auch dieses Stück ist unter der Regie von Jörg Meyer erfolgreich aufgeführt worden.

Gelegentlich werde ich zu Lesungen eingeladen. Hierbei stelle ich immer wieder fest, daß das Publikum am liebsten Geschichten und Gedichte hört, mit denen es sich identifizieren kann. Je nach Wunsch trage ich Heiteres oder Besinnliches vor. Der Kontakt ist meistens schnell hergestellt, und so höre ich auch gern zu, wenn mir jemand über seine Schreibtätigkeit berichtet. Ich sporne dann zum Weiterma­chen an und mache auf unseren Arbeitskreis „Plattdeutsche Sprache” im Emslän-dischen Heimatbund aufmerksam. Zweimal im Jahr treffen sich dort durchschnitt­lich 12 bis 15 Schrievers, um ihre neuen Texte vorzutragen und sie der Werkkritik zu unterstellen.

Unverzichtbar ist für mich auch die Mitgliedschaft im Schrieverkring Weser-Ems. Hier treffen sich zweimal im Jahr rund vierzig Schrievers aus den unterschiedlich­sten Regionen des nordwestdeutschen Raumes zum Gedankenaustausch und auch zur Werkkritik. Mit unseren Unterschriften haben wir uns an der Aktion zur Anerkennung der plattdeutschen Sprache als Minderheitensprache in der Eu­ropäischen Sprachencharta eingesetzt und hoffen derzeit, daß das Land Nieder­sachsen einen Plattdeutschbeauftragten benennt.

Literatur

Literatur

Baader 1954

Theodor Baader, Mundarten. In: H. Pohlendt (Hg.), Der Landkreis Lingen. Bremen-Horn 1954,

234-242.

Janßen 1943

Hans Janßen, Leben und Macht der Mundart in Niedersachsen. Oldenburg 1943 (Forschungen

zur Landes- und Volkskunde. 11,14).

Kempen 1989

Josef Kempen, Westniederdeutsche Grenzraum-Mundarten als Bildungspartner im Fremdsprachenunterricht. In: Kremer 1989, 90-96.

Kremer 1983

Ludger Kremer, Mundart im Westmünsterland. Aufbau, Gebrauch, Literatur. Borken 1983

(Schriftenreihe des Kreises Borken, 5).

Kremer 1989

Ludger Kremer (Hg.), Niederdeutsch in der Schule. Beiträge zur regionalen Zweisprachigkeit.

Münster 1989 (Schriftenreihe des Westfälischen Heimatbundes, Fachstelle Schule, 14).

Kremer 1990

Ludger Kremer, „Damals wurde nur Plattdeutsch gesprochen…”. Zum Verlauf des nieder‑

deutsch-hochdeutschen Sprachwechsels in Westfalen. In: Heimatpflege in Westfalen 3 (1990),

  1. 5, 1-4.

Mattheier 1980

Klaus J. Mattheier, Pragmatik und Soziologie der Dialekte. Einführung in die kommunikative

Dialektologie des Deutschen. Heidelberg 1980 (UTB, 994).

Schönhoff 1908

Hermann Schönhoff, Emsländische Grammatik. Laut- und Formenlehre der emsländischen

Mundarten. Heidelberg 1908 (Germanische Bibliothek. I. Abteilung. I. Reihe, 8).

Schuppenhauer 1976

Claus Schuppenhauer (Bearb.), Niederdeutsch heute. Kenntnisse — Erfahrungen — Meinungen.

Leer 1976 (Schriften des Instituts für niederdeutsche Sprache. Dokumentation, 4).

Speckmann 1991

Rolf Speckmann (Hg.), Niederdeutsch morgen. Perspektiven in Europa. Beiträge zum Kongreß

des Instituts für niederdeutsche Sprache, Lüneburg, 19.-21.10.1990. Leer 1991 (Schriften des

Instituts für niederdeutsche Sprache. Dokumentation, 16).

Dieter Stellmacher, Wer spricht Platt? Zur Lage des Niederdeutschen heute. Eine kurzgefaßte

Nederlandse samenvatting

In deze studie wordt verslag gedaan over de resultaten van een enqu8te die met behulp van de schoolinspectie in de Landkreis Emsland in 1989 werd uitgevoerd. Het onderzoek was gericht op het vaststellen van dialectcompetentie, dialectgebruik en de houding tegenover het dialect in de gezinnen van leerlingen van de vierde klas in het basisonderwijs.

De meest belangrijke resultaten zijn de volgende:

  1. Onze hypothese, dat de actieve dialectcompetentie bij de leerlingen in het basison-derwijs tegen de 0% loopt, werd bevestigd. Daarmee worden optimistische progno-sen over de toekomst van het Nederduits, zoals die b.v. in de bespreking van de resultaten van de GETAS-enqu&e tot uiting komen, gerelativeerd.
  2. Ondanks deze ontwikkeling werd een onverwacht hoge graad van passieve dialect-competentie aangetroffen, wat een potentieel voor het bewuste aanleren van een actieve beheersing van het Nederduits zou kunnen vormen.
  3. De enquete kende een zeer hoge graad van medewerking door de betrokken ouders, waaruit een grote belangstelling voor het behoud van het Nederduits dialect blijkt. Deze indruk wordt bevestigd door de antwoorden van de ouders op de vraag of het aanbod van dialectonderwijs in de scholen, en van dialectteksten in de pers, vol-doende geacht wordt.
  4. De ouders durven tegen hun kinderen geen dialect meer te spreken omdat zij anders verwachten dat deze moeilijkheden op school zouden hebben. Volgens meer dan 65% van de ouders zou de school zelf daarentegen de omgang van de leerlingen met het dialect moeten bevorderen.
  5. Het (subjectieve) oordeel van de ouders m.b.t. de dialectcompetentie van hun kinderen, dat in tot nu toe verricht onderzoek meestal niet door (objectieve) taaldata gecontrolleerd werd, blijkt in menig opzicht fout te zijn.

Een hele tijd al wordt voor de ondergang van het Nederduits gewaarschuwd, zonder dat het tot nu toe zover gekomen is. De onderhavige studie heeft echter gegevens verzameld die wel aan iets dergelijks binnen afzienbare tijd zouden doen denken. Tenminste in het onderzoeksgebied van deze enqute, het Eemsland, maar ook in andere delen van het Nederduits taalgebied lijkt het uitsterven van het Nederduits met de volgende generatie niet onmogelijk, indien dit niet binnen korte tijd door geschikte maatregels wordt verhinderd. Er worden verschillende mogelijkheden daartoe vermeldt, verder wordt een begeleidend schoolonderzoek voorgesteld.

 

Schlußbetrachtung

4. Schlußbetrachtung

Die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung kann man in fünf Punkten fest­halten:

  1. Unsere Vermutung, daß die aktive Kompetenz der Schüler im Primarbereich gegen 0% geht, scheint bestätigt.
  2. Die relativ hohen Werte im Bereich der passiven Kompetenz waren so nicht vermutet worden.
  3. Die hohe Elternheteiligung an der Umfrageaktion zeigt das starke Interesse am Er­halt der plattdeutschen Dialekte. Diese Erkenntnis wird bestätigt durch Angaben der Eltern im Bereich der Erwünschtheit des Dialekts in der Schule und in den Medien.
  4. Die Eltern trauen sich nicht, im Vorschulalter mit den Kindern in der Mundart zu sprechen, da sie schulische Nachteile für ihre Kinder daraus erwarten. Die Schule selbst allerdings soll nach Meinung von über 65% der Eltern (68% der Mütter) den Umgang mit dem Plattdeutschen hei den Kindern stärker fördern.
  5. Die (subjektive) Einschätzung der Dialektkompetenz der Kinder durch die Eltern, die in bisherigen Untersuchungen meist nicht durch (objektive) Sprachdaten über­prüft wurde, ist zum Teil sehr fehlerhaft.

Zwar wird dem Niederdeutschen schon seit geraumer Zeit der Untergang pro­phezeit, ohne daß er eingetreten wäre, allerdings haben solche deprimierenden Zahlen wie nach dieser Befragung bisher nicht vorgelegen. Möglicherweise wird es in den nächsten Generationen noch einige Enklaven des Plattdeutschen gehen, bezogen auf den gesamten Landkreis Emsland jedoch muß mit einem endgültigen Aussterben dieser Mundart in der nächsten oder übernächsten Generation gerechnet werden. wenn nicht grundlegende Änderungen im Sprachverhalten der Bevölkerung eintreten. Diese Erkenntnis wird sich nicht auf das Emsland beschränken, sondern in weiten Bereichen des niederdeutschen Sprachraumes ehenfalls Gültigkeit haben.

Zwei Gegebenheiten werden diesen rasanten Verfall des Plattdeutschen verfestiegen:

  1. Die Landwirtschaft, die auch in unserer Untersuchung als Hauptdomäne des Nie­derdeutschen ausgewiesen wurde, befindet sich z.Zt. in einer enormen wirtschaftli­chen Krise, die sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird, wenn die un­abdingbare Angleichung der Agrarpreise an das Weltmarktniveau sich vollziehen

wird. Schon jetzt sterben jeden Tag etwa 50 Höfe in der Bundesrepublik, wobei der Raum Weser-Ems überproportional beteiligt ist.

  1. Wenn man die Mundart als Kind nicht erlernt hat, wird man sie als Erwachsener kaum noch voll erlernen können — wir erfahren es in unserer Umgebung ja ständig, wie schwer der natürliche spätere Erwerb für Interessierte ist. Auch auf die Verwen‑

dung als typische Berufssprache, etwa in den verschiedenen Sparten des Bauhand­werkes, wird sich das negativ auswirken.

Folgende Veränderungen müßten unserer Meinung nach bewirkt oder gefördert wer­den (vgl. hierzu auch Kremer 1990 und Speckmann 1991):

  • Der plattdeutschen Sprache müßte mit entsprechenden Aktionen der Makel der Minderwertigkeit genommen werden, nach dem Motto: Wer plattdeutsch spricht, beherrscht eine Sprache mehr!
  • Das Verhaltensmuster des Plattsprechers gegenüber dem Lernenden muß sich ändern, d.h. der Plattsprecher darf nicht sofort ins Hochdeutsche überwechseln, wenn sein Gegenüber die Mundart (noch) nicht fließend beherrscht.
  • Die Lehrpersonen, die Schulaufsichtsämter, ja das Kultusministerium müßten sich verstärkt dieser offensichtlichen Plattdeutschmisere annehmen, da sie anscheinend immer noch von der falschen Annahme ausgehen, daß die Schüler in den ländlichen Regionen durch die im Elternhaus erfahrene sprachliche Sozialisation Plattdeutsch-sprecher seien, was mit dieser Untersuchung widerlegt sein dürfte.

Wir möchten über die reine Auswertung unserer Daten hinausgehen und es auch bei allgemeinen Schlußfolgerungen aus unseren Untersuchungsergebnissen nicht bewenden lassen, sondern daneben eine Diskussion über didaktisch-methodische Konsequenzen und ihre — zumindest versuchsweise — schulische Umsetzung in Gang bringen. Daher sollen abschließend einige Punkte aus einem auswertenden Gespräch mit dem Heraus­geber eines plattdeutschen Lesebuchs, Schulamtsleiter Alfred Möllers (Osnabrück ‑ Land), referiert werden.

In bezug auf eine Neubewertung des schulischen Sprachpflegeauftrags für das Plattdeutsche sind zunächst folgende Fragen zu stellen:

  1. Kann es der Schule gelingen, im Rahmen der Grundschulzeit Kindern nicht nur zu einem passiven Sprachverständnis für das Plattdeutsche zu verhelfen, sondern sie zu aktiven Plattsprechern zu machen?
  1. Dient ein solcher Aufgabenansatz, der als Zweitsprachenerwerb einzustufen ist, den neueren Bemühungen des Kultusministeriums, Fremdsprachenerziehung in den Grundschulauftrag einzubeziehen?
  1. Ersetzt das Erlernen des Plattdeutschen wegen der hohen Sprachverwandtschaft zwischen dem Niederdeutschen, dem Niederländischen und dem Englischen sogar den Englischunterricht in der Grundschule? Vorliegende Forschungsergebnisse legen eindeutig nahe, daß durch das Erlernen einer zweiten Sprache — zumindest dann, wenn ein kontrastiver Sprachunterricht gegeben wird — das passive Sprach­verständnis für weitere Sprachen entscheidend grundgelegt wird (vgl. Anregungen zur Einbeziehung des Niederdeutschen etwa bei Kempen 1989).Möllers schlägt deshalb folgendes vor: Ein Schulversuch ist gegenwärtig der angemes­sene Weg, um in der Theorie-Praxis-Auseinandersetzung Erkenntnisse zu gewinnen, die einer Revision des augenblicklichen Plattdeutsch-Erlasses eine Grundlage geben können. In dem Schulversuch sollten Grundschulkinder vom zweiten bis zum Ab­schluß des vierten Schuljahres im Rahmen eines freiwilligen Zusatzangebotes pro Woche zwei Stunden Plattdeutschunterricht erhalten. Dieser Unterricht sollte nach den Gesichtspunkten der Fremdsprachendidaktik und -methodik erteilt werden. Das Curriculum müßte — vergleichbar dem Deutschunterricht — einen Grundwortschatz vermitteln, mit dessen Hilfe die Kinder solche Alltagssituationen sprachlich bewälti­gen können, wie sie z.B. den Units der Englisch-Lehrwerke zugrundeliegen (diese bedürfen selbstverständlich eines entsprechenden Zuschnitts auf die Bedürfnisse des hiesigen ländlichen Raumes).

    Da in den Regionen Emsland und Osnabrück plattdeutsche Lesebücher vorlie­gen, können Lehrer bereits auf geeignetes Lehrmaterial zurückgreifen. Die Konzipie­rung eines Curriculums kann gleichfalls in der Region geleistet werden, da hier bereits plattdeutsche Lehrer-Arbeitsgemeinschaften bestehen. Diese Lehrerschaft hat durch die Leitung von Plattdeutsch-Schülerarbeitsgemeinschaften zudem eine reiche didak­tische und methodische Erfahrung. Die wissenschaftliche Begleitung des Schulversu­ches könnte durch ein Expertenteam aus der Lehrerschaft, der Schulbehörde und den Hochschulen im niederdeutschen Sprachgebiet (z.B. den Lehrstühlen für Nieder­deutsch oder für Didaktik des Deutschen/Englischen) geleistet werden.

    Anmerkungen

     

    1 Die Befragung wurde von Kremer in Zusammenarbeit mit dem Schulamt des Kreises Borken im Jahre 1981 durchgeführt, die Ergebnisse wurden in zusammengefaßter Form veröffent­licht in Kremer 1983: 77ff.

    2 Der Leiter des Schulaufsichtsamtes Emsland, Herr Schulamtsdirektor Alfons Lögering, nahm dankenswerterweise die Idee der kombinierten Schüler- und Elternbefragung sofort auf und richtete zu ihrer Vorbereitung eine fünfköpfige Arbeitsgruppe unter seiner Leitung ein.

    3 Wir danken Herrn Frerk Möllers, Germanistisches Seminar der Universität Kiel, für seine Hilfe bei der datentechnischen Auswertung unserer Befragung.

    4 Die Ergebnisse wurden gegenüber der ursprünglichen, sehr differenzierten Einteilung zu insgesamt 6 Berufsgruppen zusammengefaßt (in der Tabelle fett gedruckt ), um die Auswer­tung überschaubar zu halten und signifikante Aussagen zu ermöglichen.

    5 Diese Spanne erhöht sich noch auf 33% bei den Männern und 46,5% hei den Frauen (nicht tabelliert), wenn wir nur die Teilgruppe der Freien Berufe/selbst. Akademiker mit den Arbei­tern korrelieren.

Vorwort zu “Wat, de kann Platt?”

Die plattdeutsche Sprache steht am Scheideweg – auch in der Grafschaft Bentheim und im Emsland.

Entweder wird sie in absehbarer Zeit ihre Existenzberechtigung verlieren und in den Zustand einer ganz und gar toten Sprache zurückfallen, oder aber sie findet doch noch die Kraft, sich von ihrem Siechtum zu erholen. So wahr­scheinlich auch erstere Möglichkeit erscheint, sie ist nicht zwangsläufig. Als Sprachträger spielen wir, die Menschen dieser Region, die entscheidende Rolle; wir haben das Schicksal durchaus in der Hand.

Uns, den Herausgebern dieses Sammelbandes, liegt das Plattdeutsche am Herzen, das – soweit wir es sehen – unter einem fatalen Mißverständnis leidet: dem Makel des Minderwertigen. Dem wollen wir entgegentreten. Die beste Werbung ist stets das authentische Zeugnis. Darum luden wir zu Beginn des Jahres 1998 Persön­lichkeiten ein, der Öffentlichkeit von ihren Erfahrungen mit der Ursprache des hie­sigen Raumes zu erzählen. Sie alle stehen mit dem Emsland und der Grafschaft Bentheim in enger Verbindung – sei es, daß sie hier aufgewachsen sind und nun hier leben, sei es, daß sie von außerhalb hierherzogen, sei es, daß sie als Emsländer und Grafschafter nun irgendwo außerhalb tätig sind. Prominente und ge­wöhnliche Bürger; Bauern, Handwerker und Akademiker; Unternehmer und Ar­beiter – sie alle verbindet die plattdeutsche Sprache.

Wir waren überwältigt von der Resonanz auf unsere ungewöhnliche Bitte. Es war geradezu mit den Händen zu fassen, daß unser Anliegen sich mit Überlegungen deckte, die in vielen Köpfen heranreifen. Die Kapazität, die für ein solches Werk angemessen ist, mußte bis zur letzten Seite ausgeschöpft werden, um in immer neuen Varianten stets eines auszudrücken: Hoalt fast an’t Platt. Hier manifestiert sich eine ganz besondere Art Bürgerinitiative.

Die plattdeutsche Sprache ist eines unserer wichtigsten Kulturgüter. Dieser Land­strich ist nicht sehr reich damit gesegnet. Jahrhundertelang lag er fernab von Poli­tik, gesellschaftlichem Leben und Bildung; er führte sein bescheidenes Eigenleben. Geschichte wurde hier mehr erlitten als erlebt. Die Kargheit der Landschaft, die harte Arbeit der Menschen, alles Freud und Leid ihrer Lebenserfahrung hat sich in ihre Mundart eingegraben. Aber das Emsland und die Grafschaft Bentheim haben etwas aus sich gemacht. Sie können mit Stolz und Selbstbewußtsein auf ihre Ent­wicklung, ihre Leistungen und die ihrer Mitbürger blicken. Nun haben sie allen Grund, die überlieferten kulturellen Leistungen mit dem gleichen Selbstbewußt­sein, das sie sich in den vergangenen Jahrzehnten erworben haben, zu bewahren und das Erbe nach Kräften zu mehren.

In der Tat nehmen das Emsland und die Grafschaft Bentheim ihre kulturellen Chancen mit einem hochzuschätzenden Eifer wahr. Die entstehende Museums­landschaft, das hochaktive künstlerische Leben, aber auch die Heimathöfe mit ihrem regen Treiben, die Formensprache der Architektur sowie der Dorf- und Städ­teplanung – überall zeigt sich eine produktive Auseinandersetzung mit der Ge­schichte, aus der eine regionale Identität erwächst.

Die Möglichkeiten, die der plattdeutschen Sprache innewohnen, werden dabei je­doch noch nicht voll ausgeschöpft. Sicherlich hat die Mundart an Ausdrucksstärke verloren, an vielen Punkten den Anschluß an die neuen Zeitverhältnisse verpaßt. Dennoch: Ihr Wert wird auch unterschätzt. Da ergeht es der Mundart nicht anders als viele Jahre zuvor den alten Bauern- und Bürgerhäusern. Man ließ sie verfallen, degradierte sie zu Ställen und Scheunen. Man schämte sich ihrer, sie galten als un­modern. In der Tat waren sie oft unpraktisch, weil sie sich dem Einzug des Fort­schritts widersetzten. Doch irgendwann erkannte man, daß reine Nützlichkeit zu kurz greift. Man wurde sich der ideelen Werte und der besonderen Atmosphäre bewußt, die in den alten Mauern zu finden waren. Seither wird kräftig in den Er­halt der alten Häuser investiert; sie sind der ganze Stolz ihrer Besitzer, und viele Neubauten nehmen bewußt Stilelemente des niedersächsischen Ackerbürger-und Hallenhauses auf. So entwickeln das Emsland und die Grafschaft Bentheim zu einem gewissen Grade wieder einen eigenen, landschaftsprägenden Baustil. Eine schon totgeglaubte Tradition lebt wieder auf.

Der ideelle und atmosphärische Wert der regionalen Sprache steht dem der Archi­tektur, der Alltagskultur und der Kunst in nichts nach. Nirgends ist eine ernstzu­nehmende Rechtfertigung zu erkennen, die plattdeutsche Sprache gering zu schät­zen. Im Gegenteil: Dialekte sind lebendiger Ausdruck des gewachsenen Wesens der Menschen einer Region. Die Mundart entspricht der Emotion und dem Fühlen besser als das Hochdeutsche – oder anders ausgedrückt: Sie läßt Saiten zum Klin­gen kommen, die mit der hochdeutschen Sprache nicht berührt werden können.

Dieses Bewußtsein – so zeigen die Beiträge dieses Buches – findet zunehmenden Anklang. Die Aufholjagd bei der Angleichung der Lebensverhältnisse wurde eben nicht nur mit Vorteilen erkauft. So wichtig es war, Sprachbarrieren zu beseitigen, so unnötig ist die Tendenz, dem Plattdeutschen den Todesstoß zu versetzen. In vie­len der Lebensbeschreibungen der Autoren findet sich der schleichende, schmerz­lich empfundene Traditionsbruch wieder, als die Eltern zumeist auf Veranlassung der Schule das Plattdeutsche beiseite räumten und sich vornehmlich des Hoch­deutschen bedienten. Mit der Sprache wurde oft ähnlich rigoros verfahren wie bei Flurbereinigungen mit der Landschaft.

Der Unterschied ist jedoch: Die Landschaft erholt sich. Die geschlagenen Wunden wachsen zu. Bis zu einem gewissen Maß hat ein Rückbau eingesetzt. Die platt­deutsche Sprache hat es schwerer. Sie verliert in der Bevölkerung mit rasanter Ge­schwindigkeit ihre Basis. Wie schnell, darüber gab zuletzt eine Schüler- und El­ternbefragung zum Stand des Plattdeutschen im Emsland aus dem Jahre 1990 Aus­kunft. Diese wohl bisher umfangreichste Regionaluntersuchung, die mit erhebli­cher Unterstützung des damaligen Schulaufsichtsamtes und des Landkreises Emsland durchgeführt werden konnte, erfaßte alle damals zehnjährigen Kinder von Salzbergen im Süden bis hinauf nach Papenburg (insgesamt 3184 Mädchen und Jungen). Leider war seinerzeit die Grafschaft Bentheim nicht beteiligt. Das nüch­terne, aber sicherlich auch schockierende Ergebnis lautet: Nur noch drei von hun­dert Kindern konnten gut plattdeutsch sprechen, 42 Prozent unsere Mundart frei­lich noch gut verstehen.

Da auch die Eltern- und Großelterngeneration in die Untersuchung einbezogen war, konnte so erstmals der drastische Rückgang von 70 Prozent Plattsprechern bei den Großeltern über 55 Prozent bei den Eltern hin zu dem erschreckenden Er­gebnis bei den Kindern nachgewiesen werden.

Die Befragung gab jedoch auch Indizien dafür, daß es für eine Wiederbelebung noch nicht unbedingt zu spät ist. Unerwartet viele Väter und Mütter – die Rück-laufquote betrug 94 Prozent – bearbeiteten den ihnen zugestellten umfangreichen Fragebogen sehr genau und dokumentierten damit ihr Interesse am Erhalt des Kul­turgutes Plattdeutsch. Zugleich wurde die Wertschätzung dieser Sprache darin deutlich, daß sechs von zehn Elternpaaren (einschließlich der „Hochdeutschburgen” Lingen, Meppen und Papenburg) sich eine intensive Beschäftigung ihrer Kin­der mit dem Plattdeutschen in der Schule wünschten.

Das legt den Schluß nahe: Die überwiegende Mehrzahl der Eltern wagt es nicht, mit ihren Kindern in der Vorschulzeit plattdeutsch zu sprechen, da sie dann schu­lische Nachteile befürchten. Ist jedoch der Nachwuchs erst einmal in der Schule, sollte er nach dem Wunsch der Eltern möglichst schnell – so nebenbei – die heimi­sche Sprache erlernen. Es ist natürlich illusorisch anzunehmen, die Schule könne dies leisten. Hier können nur – wie in vielen anderen Bereichen auch – Elternhaus, Schule und Lebensumfeld gemeinsam etwas erreichen.

Wichtig wäre zum Beispiel, wenn die Großeltern-Generation an ihren Enkeln das Versäumnis wiedergutmachen würde, das sie heute im Bezug auf ihre Kinder be­klagt. Sie könnte die jüngste Generation noch am besten bewußt in die plattdeut­sche Sprache einführen. Für die damals umgehende Furcht vor schulischen Fehl­leistungen gibt es heute keine Berechtigung mehr. Lebensumfeld, Eltern und Me­dien sorgen in jedem Fall dafür, daß Plattdeutsch heute nicht mehr als Erst-, son­dern nur als Zweitsprache erworben wird.

Eine weitere wichtige Erkenntnis scheint dabei zu sein, daß wir in unserer Region mit einer ungeschriebenen Regel brechen müssen, die offensichtlich im außerge­wöhnlichen Respekt vor Fremden und Amtspersonen ihre Wurzel hat: Mit wem man einmal hochdeutsch redet, mit dem spricht man immer hochdeutsch. Die Beiträge dieses Buches und ihre Autoren sind eine Aufforderung, diese Attitüde ab­zulegen. Es ist keineswegs mehr ein Zeichen von Rückständigkeit, sich zu seiner Muttersprache – die es bei den aktiven Sprechern zumeist noch ist – zu bekennen. Im unmittelbaren Kontakt mit dem Plattdeutschen sind Leitungspersönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur herangewachsen, die keinen Vergleich im In- und Ausland zu scheuen brauchen. Platt sprechende Emsländer und Grafschafter machen ihren Weg – auch davon legt dieses Buch Zeugnis ab.

Der Sammelband besticht durch seinen Facettenreichtum. Die Autoren nähern sich dem Thema aus den mannigfaltigsten Perspektiven. Biografisches wechselt mit Kultur- und Sprachgeschichtlichem, Politischem, Pädagogischem. Neben Wit­zen und Dönkes stehen lyrische Texte sowie sehr durchdachte Überlegungen zu Gegenwart und Zukunft. Kurz: Entstanden ist ein bunter Blumenstrauß sprachli­cher Eindrücke und Erfahrungen – so bunt wie die Sprache selbst.

Wir danken allen, die zum Gelingen beigetragen haben. Von den Autoren erhiel­ten wir vielfältige Anregungen, die oft weit über den Rahmen dieses Buches hin­ausgingen. Ganz besonders hervorheben möchten wir Herrn Grave vom Emsländischen Heimatbund und Herrn Horstmeyer aus Nordhorn, die das Projekt mit Rat und Tat begleiteten und uns manche Tür öffneten. Ebenso Herrn Professor. Dr. Pott aus Nordhorn, der dem Buch mit seinen Illustrationen eine besondere optische No­te gibt.

Wenn so viele Menschen so intensiv über die Zukunft des Plattdeutschen nach­denken – wie kann einem da um die Sprache bange sein!

Emsbüren, im August 1998

Theo Mönch-Tegeder                           Bernd Robben

Paul Germer

Von den plattdeutschen Sahnehäubchen

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Als ich 1933 eingeschult wurde, war bis dahin meine gebrauchte Sprache das Wietmarscher Platt. Die junge Lehrerin, noch nicht lange in Wietmarschen und eine feine junge Dame, brachte uns die ersten hochdeut­schen Worte bei. In der ganzen Schule waren etwa fünf bis acht hochdeutsch sprechende Kinder; sie waren zu­gezogen.

Selbst der Hauptlehrer und Pastor, beide schon lange am Ort, sprachen platt und wurden auch so angespro­chen. Dagegen kannten junge Lehrkräfte, die hierher kamen und oft braun ange­haucht waren, nur den plattdeutschen „Schlachtruf”: Lewer dot es Slaw. Der Orts­polizist wiederum, seit 1932 im Ort, verstand bald das Platt, sprach es aber nicht. Dann gab es etwa zehn sogenannte Landhelfer, die zum Teil für Jahre bei den Bau­ern eingesetzt wurden. Sie stammten aus dem Kohlenpott und lernten recht bald die plattdeutsche Sprache zu verstehen. Ende 1939 kamen für etwa vier Monate Soldaten zur Einquartierung, und schon herrschte in den Gaststätten das Hoch­deutsche vor. Im folgenden Jahr wurden schon die ersten Kriegsgefangenen (Bel­gier) bei den Bauern eingesetzt. Diese fremden Menschen lernten ein abgehacktes Plattdeutsch. Da sie auch Radio hörten, kam nach einigen Jahren eine sonderbare Sprachmischung zustande. Es war ein Gefangenendeutsch, und ich verfalle noch nach über 50 Jahren in diesen „Slang”, wenn ich mit Belgiern in den Ardennen spreche. Gegen Ende des Krieges als Soldat und Kriegsgefangener zählte nur die hochdeutsche Sprache. Traf man jedoch einen Plattdeutschen, so war es gleich et­was heimatlicher.

Nach dem Krieg hatte sich vieles verändert. Vertriebene und Flüchtlinge waren auf dem Lande, und auf den Höfen kam man mit dem Plattdeutschen nicht mehr aus. Aus „Erpel gaddern” wurde „Kartoffel klauben” oder „Kartoffel lesen”. Später, während der Umschulung vom Landwirt zum Gärtner, herrschte das Hochdeut­sche vor. Mit vielen Menschen und Dialekten kam ich damals in Berührung, fand aber immer wieder zum heimatlichen Platt zurück.

In der Zeit um 1950 begann für unsere Sprache der große Wandel. Plötzlich sprach man mit den Kindern die hochdeutsche Sprache. Dies war auch für die Eltern und Großeltern eine große Umstellung, die unter sich noch das Platt benutzten. Mei­ne Kinder erlernten noch die Sprache der Eltern, aber es war selbstverständlich, daß sie mit vielen fremden Menschen, Radio und Fernsehen in Berührung kamen und so das Hochdeutsche ganz von allein erlernten. In der Schule hatten sie kei­ne Nachteile und konnten auch zu weiterführenden Schulen gehen.

Schon vor dem Krieg gab es viele plattdeutsche Schreiber in der Grafschaft und im Emsland. Es müssen Idealisten gewesen sein, war doch das Althergebrachte noch gar nicht in großer Gefahr. Ihnen ist es sicher leichter gefallen, die überlieferte Sprache zu bewahren, denn sie konnten bei alten Menschen nachfragen. Anfang der 50er Jahre, als sich der Verfall in unserer schönen Sprache deutlich zeigte, grif­fen wiederum Männer und Frauen zur Feder. Daher habe ich den Eindruck, daß wohl kaum eine Region so viel für das alte Platt getan hat wie die unsrige. Hei­matvereine versuchen, der alten Sprache immer wieder neue Würze zu geben. Auch das Sammeln von alten Wörtern und Redensarten ist nützlich. Bedenken ha­be ich allerdings gegen das Umsetzen neuer Wörter in unser Plattdeutsch: zum Bei­spiel für Fernsehen „Kiekkasten” oder „Huhlbessen” für Staubsauger. Es hat sich erwiesen, daß dabei nichts Einheitliches erzielt werden kann.

Seit etwa 20 Jahren mache ich Führungen im Stiftsbezirk und neuerdings auch im Packhaus (Heimathaus) von Wietmarschen. Je nach Wunsch halte ich die Vorträge in Hochdeutsch oder Platt und finde viele zufriedene Besucher. Holländische Be­sucher aus der Grenzregion werden immer in Platt angesprochen. Ganz ohne hochdeutsche Worte kommt man jedoch selten aus. Andererseits sind auch hoch­deutsche Führungen oft mit platten Ausdrücken und Sätzen durchsetzt. Ein Lehrer bestätigte mir erst kürzlich, daß die plattdeutschen Ausdrücke die „Sahnehäub­chen” meines Vortrags gewesen seien.

Plattdeutsche Theaterstücke, Vorträge und auch Beiträge in örtlichen Zeitschriften sollten immer im jeweiligen Ortsplatt gehalten werden. Die Aussichten für unser Platt in den Schulen schätze ich gering ein. Der Sprachschatz wird immer weniger. Der tägliche Umgang mit der Technik läßt eine plattdeutsche Sprache fast nicht mehr zu. Für mich ist und bleibt es jedoch immer eine Freude, unser Plattdeutsch zu sprechen, auf kleine Unterschiede – sogar in der Gemeinde – zu achten und bei fremden Plattsprechern zu erraten, wo sie wohl herkommen.

Anita Gödiker

 

Schlüsselerlebnisse

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Bi us in Huse prot wie platt! Das war gegen Ende der 50er Jahre so, und das ist auch heute noch so – dank un­serer Mutter. Bis zum Schulalter kannte ich tatsächlich nur die plattdeutsche Mundart, was sich in unter­schiedlicher Weise und in verschiedenen Lebensab­schnitten auswirken sollte…

So begab sich meine erste „große Reise” kurz vor mei­ner Einschulung von Westerloh nach Holte-Lastrup – di­rekt ins Krankenhaus zur Leistenbruchoperation, die ich mir weniger schlimm vorstellte als den Umstand, daß mich dort bestimmt „kieneine versteiht”. Ich sprach doch kein Wort hochdeutsch. Gut ausstaffiert mit dem auswendig gelernten Satz „Mir ist schlecht” – für alle Fälle – landete ich in einer Welt, die mir dann durchaus sprachlich sympathisch war, denn dort sprach man beides. Diese kleine Episode nahm mir zunächst den Respekt vor den „Hochdeutschen”, was sich in der Schu­le sofort positiv auswirkte. Vor allem genoß ich hin und wieder den hilfreichen Gleichklang der plattdeutschen Worte mit meinen zu lernenden Englischvokabeln. Ansonsten war selbstverständlich Plattdeutsch verpönt. Dieses subjektive Gefühl, durch Plattdeutschsprechen in eine Schublade der „bitken wat Blöden” zu geraten, sollte mich noch sehr lange begleiten. So vermied ich es denn tunlichst, mit dieser Mundart auch nur im geringsten in Verbindung gebracht zu werden. Außerhalb der Reichweite meiner Mutter gelang das auch…

…aber da waren ihre Anrufe. Selbstredend in Plattdeutsch gehalten. Ihr gegenüber wollte ich nicht arrogant wirken, und so glitt ich regelmäßig in einen halb-platt­halb-deutsch-Mischmasch in Flüsterton ab. Das beeindruckte sie überhaupt nicht. Immer bemüht, solche Telefongespräche möglichst rasch zu beenden, konnte ich es aber nicht immer verhindern, daß unfreiwillige Mithörer meiner „Schande” ge­wahr wurden. Ein Mitglied der Freilichtbühne wurde 1979 zu einem solchen un­freiwilligen Zuhörer. Er kam unverzüglich, nachdem der Hörer krachend auf die Gabel niedersauste, auf mich zu und fragte mich in feinstem kölsche Hochdütsch, ob ich noch mehr von der plattdeutschen Sprache zusammenbrächte. Das war der Beginn einer Wende nicht nur in meinem Leben, sondern auch in meinem Ver­halten und in meinem Empfinden gegenüber meiner plattdeutschen „Herkunft”.

Quasi über Nacht wurde ich Mitglied der Spielschar und spielte bis zu meinem Umzug 1986 nach Bremen nicht nur, aber vorzugsweise in den plattdeutschen Stücken mit. Das war eine wunderbare und wichtige Zeit in meinem Leben, für die ich sehr dankbar bin. Weit weg war die jugendliche Verdrängung der Frage, war‑

um denn eigentlich das Plattdeutsche vermeintlich so negativ ist. Sehr nahe war nach und nach die Auseinandersetzung mit der Herkunft, der Kultur, dem Witz und auch der Wichtigkeit dieser Mundart. Es war ein wahres Vergnügen, plötzlich voller Selbstbewußtsein und Souveränität zu sagen: „Ja, ich beherrsche die platt­deutsche Sprache, und ich freue mich darüber”. Vielleicht lag es auch ein wenig daran, daß immer weniger Kinder Plattdeutsch lernten und sprachen, es bestenfalls noch verstanden. Diese Entwicklung der hochdeutschen Kommunikation zwi­schen Eltern und Kindern bescherte meinen Ohren hin und wieder Auswüchse ganz besonderer Art…

Eine Mutter versucht, ihr Kind an den Mittagstisch zu bekommen. „Rolf, kommst du bitte zum Essen?” Es interessiert Rolf nicht. „Rolf, kumms du?” Rolf rührt sich nicht. „Rolf, känns du nich hörn, kumms du zum Essen?” Rolf ist unbeeindruckt. „Rolf, zum letzen Mal, kommst du her?” Rolf kennt keine Gnade – und Mutter auch nicht: „Rolf, du Blickshund du Dübel, wenn ick di tau packen kriege, kriss erst de Mors full”. Rolf mußte lachen – und ich auch. Diese lustigen Erlebnisse sollten sich später noch häufen. In der Großstadt…

In Bremen vermuteten die Kolleginnen und Kollegen nun wirklich keinen Platt­deutschen unter sich. Mein „Coming out”, wie das ja heute wohl heißt, verur­sachte wieder einmal meine Mutter – per Telefon natürlich. Plattdeutsch in Rein­kultur mit Lachsalven als Einlage verzauberte am frühen Montagmorgen mein Büro, das ich mit fünf Männern – jawohl! – teilte. Die Herren Kollegen wußten bis dahin nichts von meiner Sprachgewandtheit. Fünf Augenpaare richteten sich lang­sam auf mich, die Gesichtszüge entglitten ebenso wie die Kugelschreiber den Hän­den. Der Kollege zu meiner Rechten fand als erster die Sprache wieder „Liehe Kol­legin, Sie hätten ruhig sagen können, daß Sie außerirdisch sprechen”. Damit war der Tag endgültig gerettet. Voller Stolz erzählte ich von der Gabe, noch Plattdeutsch sprechen zu können, von dem Genuß, diese ja mittlerweile fast alte „Tradition” noch zu können. Sie wundern sich sicher nicht, wenn ich Ihnen, liebe Leser, jetzt sage, daß meine Kollegen die Selbstverständlichkeit, mit der ich mich zu meiner „Herkunft” bekannte, mit Respekt anerkannten. Sie fanden mich kein bißchen blöd und meine Haltung gut.

Nun kommt ja bekanntermaßen seit elf Jahren ein neues Volk in meine Runde. Die Berliner. Hier finden nun meine Befürchtungen von damals, als Kleinkind auf dem Weg nach Holte-Lastrup, ihre Bestätigung. Meine plattdeutschen Dönekes zu ge­gebener Zeit in lustiger Runde verstehen nun wirklich nicht alle. „Wat is ‘n det für ne Spraache, wa, is det holländisch oder von Skandinavien irjentwo, oder wo komm ‘se eijentlich her, Frau Jödiker?” Nun, nicht alle vermuten mitten in Berlin eine heimatverbundene und plattdeutsch sprechende Emsländerin. Zu meiner jüngsten Begebenheit — im Herzen Berlins…

…wo ich ja im Juni 1997 das EMSLAND HAUS BERLIN eröffnet habe. Pünktlich wie bestellt machte sich ein großer LKW mit Büromöbeln eines namhaften Herstellers aus dem Ruhrgebiet nach Berlin auf. Dank meiner guten Anfahrtbeschreibung hatte der Fahrer das unvermeidliche Baustellengewirr des Potsdamer Platzes gut im Griff und brachte Möbel wie drei Monteure unbeschadet zum CHECK­POINT CHARLIE – allerdings erst gegen Abend. Nachdem der Wagen schnell ent­laden war, begann die eigentliche Arbeit. Ermüdungserscheinungen trat man mit reichlich Kaffee entgegen. Plötzlich vernahm ich vertraute Töne. Alle drei sprachen Plattdeutsch und kamen aus Gronau. Das hatte ich nicht erwartet. Mit einem Grin­sen mischte ich mich in das Gespräch ein – in Platt natürlich. Das hatten sie nicht erwartet. Was dann kam, war beispiellos. Bis tief in die Nacht wurde geschraubt und montiert. Mit einer Kiste Bier in der Mitte, dem Gesang von „Maries Bohnen­pott”, Dönekes und Lachen wollten sie alles tun – „för dät emsländske Wicht mid den in Berlin, de so gaud plätt proten känn”. So wurde selbst der Start des EMS-LAND HAUSES BERLIN zu einer Begegnung mit der plattdeutschen Vergangen­heit – nein, Gegenwart.

Es bedarf schon lange keiner großen Erlebnisse mehr, die meine tiefe Verbunden­heit zur plattdeutschen Sprache stärken müßten. Sie hat mich Zeit meines Lebens begleitet. Wie, mit welchen Auswirkungen und mit welchem Wandel läßt sich, glaube ich, aus den kurz beschriebenen (Schlüssel-)Erlebnissen, erfühlen. Auch wenn ich mehrfach von „Mundart” gesprochen habe, ist Plattdeutsch eher eine ei­gene Sprache. Die Tendenz, daß immer weniger Menschen diese Sprache lernen und können, stimmt mich sehr traurig, weil meines Erachtens ein hoher kulturel­ler Wert im wahrsten Sinne des Wortes „ausstirbt”. Ich halte es für wichtig und er­strebenswert, diese Sprache weiter lebendig zu halten. Denn über die Sprache fin­det eine Identifizierung statt. Was wäre ein Volk ohne Sprache? Die Möglichkeiten, persönliche und auch soziale Entwicklungsstufen durch Sprachen zu forcieren, müssen besser genutzt werden. Damit meine ich durchaus auch Fremdsprachen. Denn über die Sprache als erstes Mittel des Ausdruckes entsteht Kommunikation. Und Kommunikation ist in der heutigen Zeit, in der Wertschätzung und Wichtig­keiten an Bedeutung verloren haben, ein notwendiges Instrument für Wachstum.

Auch wenn ich nicht ständig die Gelegenheit habe, platt zu sprechen und mit mei­nen beiden Brüdern aus mittlerweile jahrelanger Gewohnheit deutsch spreche, ist es mir ein ganz besonderer Wert, daß ich es noch kann. Eine jedoch läßt sich nicht abbringen — meine Mutter. Selbst auf meinen „neimödsken” Anrufbeantworter spricht sie platt, so daß wir beide voller Überzeugung sagen können…

…bi us in Huse prot wi platt!

Bernd Gels

Wichtiger als Latein

Gebete lernten wir in Hochdeutsch. Sonst sprachen wir nur plattdeutsch in unserem Dorf Bramsche. Merkwür­digerweise gab es keine plattdeutschen Gebete. Dann kam im Gottesdienst das Latein dazu. Komisch, wir be­teten doch sonst nur hochdeutsch. Erst im Religions­unterricht lernten wir dann: Gott ist allwissend. Also konnte er doch auch plattdeutsche Gebete verstehen. Aber auch der Pastor sprach neben dem Latein in der Kirche nur hochdeutsch, ebenso der Lehrer und die Lehrerin, der Polizist und die Flüchtlingsfamilien. Aller­dings verstanden sie alle die plattdeutsche Sprache, be­nutzten sie aber nicht, obwohl Pastor und die Lehrpersonen sie auch sprechen konnten. Einige Flüchtlinge versuchten diese Sprache zu erlernen, dabei kam es oft zu lustigen Formulierungen. Mein Vater stammte aus Brögbern und sprach ein et­was anderes Platt als wir. Die Kirche heißt bei uns in Bramsche „Keike” und in Brögbern „Kerke”. So sind die Wörter von Ort zu Ort verschieden, deshalb kann man an der Sprache die Herkunft der Leute erkennen. „Deine Sprache verrät dich.” (Mt 26,73)

Als ich dann eingeschult wurde, mußte ich, wie alle anderen Kinder, die hoch­deutsche Sprache erlernen. Da ging zuerst vieles durcheinander, und unsere Leh­rerin wird sich öfters köstlich amüsiert haben. Lesen und schreiben mußten wir in Hochdeutsch, und wir erlernten die Sprache schnell, denn so fremd war das Hoch­deutsch nun doch nicht. Einiges war im Plattdeutschen einfacher. Zum Beispiel „mir” und „mich” kann im Plattdeutschen nicht verwechselt werden, da gibt es nur „mi”. Manchmal hatten wir als Kinder den Vogel, nur noch hochdeutsch zu spre­chen, weil das als feiner galt, aber geschimpft wurde doch auf Platt. Ältere Leute brachten uns dann wieder auf den Teppich: „Proat man röstig platt, dat is ok ne fie-ne Sproke”, Ich hatte oft den Verdacht, daß ältere Leute das Hochdeutsche wieder verlernt hatten, denn sie sprachen nicht gerne hochdeutsch. Wer hochdeutsch sprach, galt als eingebildet: „De will wall wat betteres wennen, he weet nich mehr, wo he herkoump”.

Später in der Berufsschule in Lingen trafen wir mit den Jugendlichen aus der Stadt zusammen, und die sprachen natürlich kein Platt, aber wenn wir Jugendliche aus Bramsche uns trafen, sprachen wir untereinander platt. Und es ist bis heute für mich unmöglich, mit den Bramschern, mit denen ich aufgewachsen bin, hoch­deutsch zu sprechen, das geht einfach nicht. Später im Studium sprachen nur we­nige platt, aber auch wir unterhielten uns hochdeutsch. Einmal haben wir ver­sucht, einen plattdeutschen Abend zu gestalten, aber das ging gründlich daneben.

Schon nach wenigen Sätzen waren wir wieder beim Hochdeutschen. Ich glaube, wir kannten uns nicht gut genug und waren es einfach nicht gewohnt, uns auf Plattdeutsch zu unterhalten, und „auf Befehl” klappte es nicht.

In meinem jetzigen Beruf als Priester ist die plattdeutsche Sprache von ungeheurer Wichtigkeit. „Kaplon, könn Ih ok platt?” Wenn ich das bejahe, dann ist oft das Eis gebrochen. Besonders ältere Leute tauen auf, wenn sie mit einem Geistlichen platt sprechen können. Ein älterer Priesterfreund aus dem Emsland sagte mir, daß die plattdeutsche Sprache wichtiger sei als das Latein. Für das Emsland gilt das mit Si­cherheit. Ich habe dadurch, daß ich platt verstehe und auch spreche, sehr viel er­fahren. Ältere Leute scheuen sich sehr oft, wenn sie auf Hochdeutsch erzählen sol­len, aber auf Platt geben sie ihr Wissen gern preis. Sie erzählen von früheren Zei­ten, von alten Sitten und Bräuchen, von Begebenheiten und Erfahrungen, die nur sie erzählen können. Sie stellen dann auch Glaubensfragen, oft auch Fragen, die sie quälen. „Nun mok ju doch es wat froagen.” Auf Platt trauen sie sich und wer­den vertrauter.

Jetzt in Bremen spreche ich wieder nur hochdeutsch. Manchmal höre ich auf dem Bremer Marktplatz Leute platt sprechen, das ist dann oft wie Musik in meinen Oh­ren. Unsere Pfarrsekretärin, die weder plattdeutsch versteht noch spricht, staunt immer, wenn jemand auf Plattdeutsch eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hat. „Da ist eine Geheimsprache, ich weiß nicht, was der will.” Ich weiß dann aber, das ist jemand von zu Hause.

Ich erzählte schon zu Beginn, daß die Gebete immer nur in Hochdeutsch waren, und es ist merkwürdig, daß es mir schwerfällt, eine Messe auf Plattdeutsch zu ze lebrieren. Ein Brautpaar hatte sich das einmal gewünscht, und ein Onkel des Paa­res hatte die Messe ins Plattdeutsche übersetzt. Die Feier war sehr schön, und die Leute waren begeistert. Aber für mich war das doch etwas Fremdes, wohl auch, weil ungewohnt. Mit dem lieben Gott hatte ich eben immer nur hochdeutsch ge­sprochen.

Ich weiß, daß die plattdeutsche Sprache nicht eine beherrschende Sprache ist und sein wird, aber ich denke, daß es doch gut wäre, sie zu erhalten und zu pflegen. Sicher ist es heute wichtiger, daß Kinder Englisch, Französisch oder sonst eine der Weltsprachen lernen. In unserer Zeit, da die Welt immer mehr zusammenwächst, ist es sicher wichtig und sogar notwendig, sich mit Menschen anderer Länder und Kulturen unterhalten zu können. Dabei ist es nicht schädlich, auch die alte Spra­che der Heimat zu kennen, um auch mit den Menschen. hier, besonders auch den älteren, Gespräche führen zu können. Denn obwohl beide Sprachen vieles ge­meinsam haben, gibt es doch auch Unterschiede.

So kann ein plattdeutscher Witz nicht einfach ins Hochdeutsche übersetzt werden, er verliert dann oft seine Pointe. Auch sonst kann vieles ja nur sinngemäß über­setzt ‘werden, und dabei geht der tiefere Sinn vielfach verloren. Ich spreche gern

platt und fühle mich in dieser Sprache zu Hause. Deshalb lese ich mit Vorliebe Bücher und Geschichten in plattdeutscher Sprache, zum Beispiel von Maria Mönch-Tegeder. Die Wörter und Ausdrücke, die sie verwendet, haben noch etwas Uriges und Urwüchsiges an sich, sie sind noch nicht „verhochdeutscht”, wie das heute oft geschieht.

Ich freue mich besonders, daß heute viele Lehrer sich dieser Sprache annehmen, sie selber pflegen und versuchen, sie zu erhalten.

Maria Gerdes

Beim „Grand Prix der Volksmusik”

Ich bin im ersten Weltkrieg geboren. Mein Vater war als Soldat in Bialistok. Er bekam zwar sofort Sonderurlaub, doch dauerte es noch zehn Tage, bis er zu Hause ankam und seine jüngste Tochter in den Arm schließen konnte. Inzwischen war ich schon beim Standesamt angemeldet und getauft. Die Nachbarn waren behilflich und haben dabei ein klein wenig geschummelt. Meine Mutter feierte am Tag nach meiner Geburt, am 19. Februar, Geburtstag, und so hatten sie entschieden: „Wi häbt dät Kind ok up`n 19. Februar anmeldet, dann könn ih immer moij tauhope Geburtsdag Eiern.”

Ich wuchs auf einem Bauernhof mit der plattdeutschen Sprache auf. Und viele klei­ne Geschichten aus dieser Zeit sind mir bis heute unvergessen geblieben. Bade­wannen gab es damals nicht in unseren Häusern; die Mutter wusch uns die Haare in einer großen Schüssel. Weil das Nachbarkind Grete so schöne Locken hatte, fragte ich meine Mutter eines Tages danach, wie sie dieses krause Haar bekommen habe. Mutter antwortete: „Ihre Mutter gibt ihr Kräuselwasser ins Haar.” Ich hielt es für ein Wundermittel. Doch dann kam die Enttäuschung. Beim Nachbarn stand ein Holzfaß mit Wasser, und eines Tages im Sommer brachte ich alle Nachbarkin-der, die mit mir zusammen spielten, dazu, sich darin die Haare zu waschen. Alle steckten wir die Köpfe ins Wasser; wir waren klatschnaß. Doch Grete behielt ihre Locken, als die Haare wieder trockneten. Kein Kräuselwasser.

Als Schulkinder mußten meine Geschwister und ich selbstverständlich auch „Tuf-fein krabben”. Als wir von fern einen Bekannten herankommen sahen, packte meinen Bruder der Übermut, und er rief: „Schnell die dicksten Kartoffeln her.” Die kamen in die Erde, eine soeben gerodete Kartoffelpflanze wurde oben draufgesetzt – fertig. Nun war der Mann angekommen und fragte: „Na, brängt de Tuffeln gaud an?” Mein Bruder zog den besagten Stamm hoch, und siehe da: nur dicke Kartof­feln! „Prächtig”, staunte der Mann, und wir lachten uns ins Fäustchen.

Nun dichte und reime ich, und das kam so. 1960 waren wir zu einer Hochzeit ein­geladen. Ich versuchte, ein Gedicht zu machen; es fiel mir leicht. Nach dieser Er­fahrung kamen wie von allein viele andere Gedichte hinzu. Es wurde mein Hobby. Nach einer geraumen Zeit fiel mir bei der Arbeit eine Melodie zu einem Text ein. Ich hatte keine Zeit, das Lied auszuarbeiten, darum summte ich es immer wieder vor mich hin. Nach Feierabend setzte ich mich hin und versuchte, daraus ein Volkslied zu machen. Der Refrain paßte, und es dauerte nicht allzu lange, bis ich auch drei Strophen hinzu gefunden hatte. Ich habe keine Notenkenntnisse, darum habe ich das Lied oft gesungen, um die Melodie nicht zu vergessen. Ein Aufnah­megerät hatte ich nämlich auch nicht. Es dauerte nicht lange, da fiel mir ein See­mannslied ein, und so ging es weiter. Ich komponierte Kirchen- und weltliche Lie­der zu den verschiedensten Anlässen. Später bekam ich ein Tonbandgerät. Und dann hat meine Tochter, die ein Musikstudium absolviert hatte, die Lieder mitsamt Noten zu Papier gebracht.

Insgesamt habe ich 80 Gedichte, 120 Lieder (darunter 40 Kirchenlieder) ein Krip­penspiel und drei plattdeutsche Geschichten geschrieben. Etliches davon findet man in dem Büchlein „Ein Wanderer zieht ins Moor – Die alte Zeit”. 1988 feierte das Kirchspiel Rütenbrock-Lindloh-Schwartenberg das 200jährige Bestehen. Aus diesem Anlaß wurde eine Chronik erstellt, in die auch ich aufgenommen wurde. Der Kirchenchor trug zum ersten Mal mein Lied „Oh Emsland hoch in Ehren, wo meine Wiege stand” vor. Im Jahr 1997 war ich mit diesem Lied beim „Ersten Grand Nix der emsländischen Volksmusik” in den Emslandhallen in Lingen ver­treten. An jenem Abend wurde ich durch den Conferencier, Herrn Rickermann, der Öffentlichkeit mit meinen Werken vorgestellt.

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