Dr. Albert Genrich

Gerichtssprache Platt

Obwohl in Hannover geboren, bin ich infolge der Kriegswirren auf dem Dorf in Schleswig-Hostein groß­geworden. Dort habe ich die entscheidenden und prä­genden Eindrücke meiner Kindheit erfahren.

Selbstverständlich war damals Platt die einzige und allgemeine Umgangssprache. Selbst der Arzt bediente sich im Umgang mit seinen Patienten nur des Plattdeutschen. Da meine Mutter bis dahin nur hochdeutsch mit mir sprach, hatte ich zunächst einige Verständigungs­schwierigkeiten; aber nicht nur ich. Von meiner Mutter darauf angesprochen, war­um ich nicht mit den anderen Kindern spiele, mußte ich eingestehen: Sie sagen, sie können mich nicht verstehen. Von da ab wurde auch bei uns zu Hause nur noch platt gesprochen. Ich erlernte die Sprache dadurch sehr schnell und galt von da an nicht mehr als Fremder.

Für die anderen Kinder kam allerdings der große Einschnitt in ihrem Leben, als nach monatelanger Pause die Schule wieder eröffnet wurde. Unterrichtssprache war Hochdeutsch. Nur wenn der Lehrer in unserer einklassigen Dorfschule sich überhaupt nicht mehr verständlich machen konnte oder uns nachhaltig zur Ord­nung rufen mußte, benutzte er wieder seine Muttersprache.

Daß ich später mit dem Erlernen neuer Sprachen nicht allzu große Schwierigkei­ten hatte, führe ich auch darauf zurück, als Kind zweisprachig aufgewachsen zu sein.

Welche überraschenden Wirkungen sich mit dem Plattdeutschen erzielen lassen, zeigte mir in späteren Jahren ein merkwürdiges Erlebnis. Einer meiner Vettern, ein Bauer, hatte Streit mit einem Viehhändler und lag mit ihm vor Gericht. Ich war da­mals schon fertiger Assessor. Mein Vetter bat mich, den Gerichtstermin für ihn wahrzunehmen. Ich merkte sehr bald, daß sich die Fronten total verhärtet hatten. Der Richter wollte auf einen Vergleich hinaus. Aber es wollte durchaus nicht ge­lingen. Ich gab meinem Unmut durch einen kräftigen plattdeutschen Satz Aus­druck. Der Viehhändler sah mich erst groß und erstaunt an, verfiel dann aber ebenfalls ins Platt. Nun redete uns auch der Richter auf Platt gut zu. Gerichtsspra­che war auf einmal statt Hochdeutsch die gemeinsame Muttersprache geworden. Damit war eine Vertrauens- und Verständnisbasis geschaffen, die vorher nicht vor­handen gewesen war. Es dauerte nicht lange, bis ein Vergleich zustande gekom­men war. Mein Vetter war mit dem Ergebnis hochzufrieden.

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 69

Fenne Friedrich

Wir würden heute anders entscheiden

Ein Lehrer gibt in einem 1. Schuljahr eine Vertretungs­stunde. Als erstes nimmt er sich das Klassenbuch vor und geht die Namen der Kinder durch. Ihn interessie­ren die Neuzugänge an seiner Schule. Dabei stößt er auf einen Nachnamen mit ungewohnter Schreibweise. „Doerenbos, Jenni, wer ist denn das? Wie spricht man deinen Namen aus?” – Keine Reaktion. Auch auf Nach­frage nicht. Da meldet sich ein Mädchen: „Herr M., die Jenni versteht das nicht. Das ist eine Plattdeutsche!” – So geschehen in einer Schule in Nordhorn im Jahre 1962. Diese kleine Begebenheit vor über 30 Jahren war einmal typisch für die Erfahrungen, die Landkinder bei der Einschulung machten:

Hochdeutsch war für sie die erste Fremdsprache. Allerdings war es schon eher eine Ausnahme, daß ein Kind in Stadtnähe kein Hochdeutsch verstand.

Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem flachen Lande hatte seit den fünfzi­ger Jahren ein Umdenken bezüglich der Mundart eingesetzt. Zwei Gründe mögen zu diesem Meinungswandel geführt haben: Einmal die Erfahrung, daß man – bis­her nur mit Plattdeutsch aufgewachsen – in der Schule große Nachteile gegenüber „hochdeutschen” Kindern in der Beherrschung der hochdeutschen Sprache erle­ben mußte. Und diese Nachteile sollten den eigenen Kindern erspart bleiben. Der zweite Grund ist wohl eher in einem allgemeinen Stimmungswandel zu suchen: Das Grafschafter Platt, über Jahrhunderte hinweg die Sprache des einfachen Man­nes und des alltäglichen Lebens, war mit einem Mal nicht mehr „fein” genug.

Dieser Umdenkungsprozeß zeigt sich auch in meiner eigenen Biographie. Ich bin 1939 geboren. Meine Eltern kommen beide aus der Grafschaft Bentheim und sind selbstverständlich mit Plattdeutsch aufgewachsen. Sie sprachen auch miteinander plattdeutsch, aber mit uns Kindern hochdeutsch. Da wir auf dem Lande bei Nord­horn wohnten, lernten wir so nebenbei natürlich auch platt sprechen und unter­hielten uns mit anderen Dorfbewohnern selbstverständlich auf Plattdeutsch.

Ich heiratete 1965 nach Uelsen. Mein Mann, dem die Pflege des Grafschafter Platt sehr am Herzen liegt, und ich reden mal hochdeutsch, mal plattdeutsch miteinan­der. Manchmal wechseln wir mitten im Satz mühelos von einer Sprache in die an­dere. So verwachsen sind wir mit beiden Sprachen. Wenn es allerdings um kom­plizierte Sachverhalte geht, geben wir dem Hochdeutschen den Vorzug.

Mit der Entscheidung, wie wir mit unseren Kindern reden sollten, haben wir uns schwergetan. Wir haben uns für die hochdeutsche Sprache entschieden. Plattdeutsch haben sie zwar auch gelernt, aber es ist mehr eine Übersetzung vom Hochdeutschen ins Plattdeutsche. Heute würden wir eine andere Entscheidung treffen. Wir würden mit ihnen platt sprechen. Das Hochdeutsche würden sie von selbst lernen. Es ist heute – anders als früher – allgegenwärtig durch die Umgebung, durch die Medien.

Nicht nur die Bürger in Stadt und Dorf, sondern auch viele Bauern haben sich in den letzten Jahrzehnten dafür entschieden, mit ihren Kindern hochdeutsch zu sprechen. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich Bauernkinder nur hochdeutsch re­den höre. Die Gefahr, daß der Grafschafter Dialekt verloren geht, besteht durch­aus. Es zeichnet sich aber eine Trendwende ab. So stelle ich mit Erstaunen und Freude fest, daß in manchen Geschäften, Bankinstituten oder auch Krankenhäu­sern Wert darauf gelegt wird, daß – soweit möglich – ihre Mitarbeiter mit den Kun­den beziehungsweise Patienten platt sprechen. Es spricht sich so viel leichter! Und es entsteht sofort Nähe.

Wilhelm Buddenberg aus Nordhorn, gebürtig aus Neuenhaus, ein Mann mit vie­len öffentlichen Ämtern, war ein großer Liebhaber des Grafschafter Platt. Er hat zu der Frage, ob mit Kindern besser hoch- oder plattdeutsch gesprochen werden soll­te, folgenden guten Rat gegeben: „Leewe Lö, wenn unse Platt nich unnergoahn sall, dann mot i all met de kläine Kinner platt proaten. Natürlek motz` se gut hochdütsch leähren, men wenn se ock gut platt proat`, dann proar se eene Sproake meähr. In de Vergangenhäit wodde wal is seggt, dat unse Platt bloß wat föar dum­me Lö was, men dat is nich woahr. lck bin Rektor, Borgemester, Landrat un in’ Landtag wesst un hebbe altied gerne platt proar.” („Liebe Leute, wenn unser Platt nicht untergehen soll, dann müßt ihr schon mit den kleinen Kindern platt spre­chen. Natürlich müssen sie ein gutes Hochdeutsch lernen, aber wenn sie auch gut platt sprechen, dann können sie eine Sprache mehr sprechen. In der Vergangen­heit hieß es, daß unser Platt nur etwas für dumme Leute sei, aber das stimmt nicht. Ich bin Rektor, Bürgermeister, Landrat und Landtagsabgeordneter gewesen, und ich habe immer gern platt gesprochen.”)

Ich wünsche mir, daß wir uns wieder mehr auf den Wert des Plattdeutschen be­sinnen und daß dieser schöne alte Dialekt in der Grafschaft und andernorts wieder mehr zu Ehren kommt.

Aus: Wat de kann Platt? Emsländer und  Grafschafter über ihre Mundart

Hrsg: Theo Mönch-Tegeder/Bernd Robben

Emsbüren 1998   Verlag Mönch & Robben

Seite 62

Werner Franke

 Begegnungen

Ganz unterschiedlich sind die Begegnungen mit der plattdeutschen Sprache, an die ich mich erinnere:

Es war in den Notzeiten der Nachkriegsjahre. Irgendwo am Rande des Moores nördlich der Stadt Osnabrück wohnte Heinrich Reutepöhler – Bauer, ehemals Infante­rist bei den „78ern”. Mein Vater kannte ihn noch aus den Kämpfen vor Verdun. Sie hatten sich immer gut verstanden, waren „Fründe”, die miteinander platt spra­chen. „Wusst Du oak ‘n Fund Botter mitniämen?”

Heinrich Reutepöhler wußte ja, weshalb wir die 30 Ki­lometer mit dem Fahrrad gefahren waren. Vor dem Kriege und noch in den ersten Kriegsjahren hatte er die „Tüffelkes” zu uns und anderen Kunden in die Stadt ge­bracht. Mit denen sprach er selbstverständlich platt, damals nichts Besonderes. Unsere Nachbarn sprachen es, meine Mitschüler auf dem Gymnasium, die „vom Lande” waren, und wir sprachen es alle, wenn wir besonders in Stimmung waren. Doch der Tonfall der Jungen aus den südlichen Dörfern des Emslandes war anders als der derjenigen aus dem Osnabrücker Land.

Auch wenn ich nicht aus einer „plattdeutschen” Familie stamme, lernte ich die Sprache doch bald lieben und so weit sprechen, daß mir das Verständnis keine Schwierigkeiten machte. Und in den Hungerjahren erwies es sich als überaus wertvoll, in gewissem Sinne sogar lebenswichtig, platt zu sprechen.

Viel später, Anfang der 70er Jahre, stand da hinter Haselünne ein Handwerksge­selle, wohl ein Maler, an der Straße. „Fährst Du naoh Berßen?” Er stieg zu mir in den Wagen, er arbeitete tatsächlich als Maler auf einem Neubau und wollte heim, nach Esterwegen. Wir kamen ins Gespräch, zunächst ein wenig mühsam, bis mir klar wurde, daß mein Fahrgast kaum Hochdeutsch verstand und nur platt sprach. Natürlich kann ich kein Esterweger Platt sprechen, aber immerhin verstehe ich es einigermaßen. Und so verstanden wir uns, bis er in Sögel ausstieg.

Winter 1983. Es war bitterkalt an diesem Abend. Mit dem hannoverschen Profes­sor Wilhelm Landzettel, der einen Aufsatz für das Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes schreiben wollte, war ich unterwegs nach Holte-Lastrup. Dort hielt an diesem Winterabend der Heimatverein seine Jahresversammlung ab. Dönkes wurden erzählt, natürlich in Platt, man unterhielt sich in derselben Sprache. Im Gespräch mit meinem Nachbarn kam die Rede auf benachbarte Dörfer: „Heel än-nere Lüe”, hieß es. Man spreche anders und denke anders.

Sommer 1998: In der Küche des Bauernhofes sitzen Nachbarn zusammen. Einer aus der Nachbarschaft wird 85, und man berät, wann und wie die „Naoberschup” gratulieren soll. Alle reden erst einmal durcheinander, in Platt, versteht sich. Vor­schläge werden gemacht: „Wat nemmt wie met un wat willt wi gewen? Wat hebbt wi’t leste Maol daone?”

 

Die da sprachen, waren zwischen dreißig und achtzig, fielen gelegentlich ins Hoch­deutsche, besonders wenn sie mit mir sprachen, aber schnell glitt man wieder hinüber in die vertraute Welt des Plattdeutschen. „Wi möt em oak ‘n Blömken metnemmen. Is einen dorkegen?” Nein, niemand war dagegen. Die Unterhaltung dieses Abends habe ich genossen, die Herzlichkeit dieser Sprache, die Vielfalt der Ausdrücke, den feinen Humor, der immer wieder einfloß. All das schuf eine At­mosphäre starker Gemeinsamkeit. So, dachte ich, muß das früher auf den Höfen gewesen sein, als man noch Zeit hatte und sie sich nicht vor dem Fernsehschirm stehlen ließ. Damals, als es noch Erzähler gab, die von Begebenheiten grauer Vor­zeiten berichteten, von Aulken und Riesen.

Februar 1992: Wir waren zu zweit auf einer Fahrt durch die Wüste Namibias vom rechten Wege abgekommen, kurz, wir hatten uns restlos verfahren, kamen in ein trockenes Flußtal, der Abend nahte. Was tun? Zwei Liter Wasser an Bord und kaum etwas zu essen. Endlich einige Ziegen, gehütet von einem schwarzen Hirten. Eng­lisch verstand er nicht. Deutsch? Auch das nicht. Ich versuchte es auf Platt. Da leuchteten seine Augen auf, er antwortete auf Afrikaans, beschrieb den Weg, „die Pad”. Wir hatten uns verstanden. Vor einer kalten Nacht waren wir noch einmal davongekommen.

Begegnungen mit einer Sprache sind immer Begegnungen mit Menschen. Da gibt es sichere Sprecher, die sich nicht um den Wortschatz bemühen müssen, denen keine niederländische oder englische Vokabel unversehens in die Rede fließt. Es gibt andere, die meinen, ein gutes Platt vertrage deftige Ausdrücke; das mag sein. Aber Anzügliches, Zweideutigkeiten, das ist nicht in der plattdeutschen Sprache, ist nicht traditionell begründet und auch nicht entschuldbar. Die „plattdeutschen Hu­moristen”, die uralte Witze mühsam ins Plattdeutsche übertragen – was die Schlüpfrigkeit nicht mindert -, bringen ihre Zuhörer meist nur zu einem mehr oder minder gequälten Lächeln.

Wie Humor fein und listig auf Platt vorgetragen werden kann, das habe ich vor gut 25 Jahren an einem Sommerabend auf Schloß Clemenswerth erlebt. Maria Mönch-Tegeder las aus ihrem soeben veröffentlichten Aufsatz über Nachbar­schaftsbräuche vor. „Up Noabers Patt dröf kien Gress wassen”. Durch eines der Fenster im Rundsaal fiel das Licht auf ihr feingekräuseltes silbergraues Haar, hinter dicken Brillengläsern funkelten die Augen, und in deren Winkeln saß der Schalk, als sie mit dem Sprichwort endete: „En guden Naober is mehr wert as en wieden Frönd.”

Hermann Fenbert

Selbstbewußtsein zeigen!

Plattdeutsch ist meine Muttersprache. Die ersten Wör­ter, die ich mir als Kind unbewußt einprägte, waren aus dem Plattdeutschen. Mit meinen Eltern und Geschwi­stern fand die Kommunikation auf Plattdeutsch statt. Hochdeutsch habe ich bewußt erst nach der Einschu­lung gelernt. Und ich gebe zu, das inhalierte Platt­deutsch war für die Umstellung auf Hochdeutsch eine Hürde. Zur Zeit meiner Kindheit wurde zu Hause in der Familie, aber auch im Dorf und in der dörflichen Umge­bung plattdeutsch gesprochen.

Erst mit meinem Eintritt ins Internat in Papenburg wurde Hochdeutsch auch zur täglichen Umgangssprache. Der Übergang vom Hochdeutschen ins Plattdeutsche erfolgt immer noch ansatzlos. Plattdeutsch habe ich hin und wieder zu schreiben versucht. Die Schreibweise und Grammatik ist nicht so exakt definiert, daß das Schreiben flüssig von der Hand geht. Dies beruht wohl auch darauf, daß das Platt­deutsche von Dorf zu Dorf – also auf engstem Raum – variiert. Es ist eine Sprache, die mündlich weitergegeben wird, die sich gleicher schriftlicher Fixierung selbst für eine Region entzieht (Dietrich Ohlmeyer hat dies in „Dat grode Plattdütsch-Book”, Verden/Aller, 1997, sehr plausibel beschrieben)

Als ich aus beruflichen Gründen nach Süddeutschland zog und nach einigen Jah­ren aufgrund regionaler Zuordnung der Aufgaben wieder nach Norddeutschland, insbesondere ins westliche Niedersachsen kam, war das Plattdeutsche nicht selten der Türöffner zum Geschäftspartner. Ich habe das Plattdeutsche dann auch bei of­fiziellen Veranstaltungen für Begrüßungen oder für Grußworte eingesetzt. Die Bausparkasse Schwäbisch Hall in Verbindung mit Plattdeutsch führte direkt zu Nachfragen, Wieso und Warum, und war nicht nur Gesprächsstoff, sondern bot Anknüpfungspunkte für weitere Beziehungen.

Die gute Verbindung zum Plattdeutsch-Fan und Herausgeber des oben erwähnten Buches, Herrn Dietrich Ohlmeyer, den ich beim Genossenschaftsverband Hanno­ver kennenlernte und der später als Wirtschaftsprüfer Jahresabschlüsse der Bausparkasse Schwäbisch Hall testierte, als ich für das Rechnungswesen der Bausparkasse zuständig war, beruht sicher auch auf unserer gemeinsamen Spra­che Plattdeutsch.

Auffällig für mich war, daß immer dann, wenn wir uns auf dem Weg von Schwä­bisch Hall ins Emsland Münster näherten oder passiert hatten, wir unbewußt unsere Unterhaltung ins Plattdeutsche wechselten. In Schwäbisch Hall sprechen wir in der Familie nicht plattdeutsch; sind wir im Emsland, fließen schon plattdeutsche Sätze ein. Bestimmte Aussagen lassen sich in Plattdeutsch besser sagen als auf Hochdeutsch.

Plattdeutsch ist zu pflegen, wenn es erhalten bleiben soll. Während meiner Kind­heit war es die Sprache in der Familie und in der Umgebung. Heute spreche ich mit gleichaltrigen Bewohnern in Hesselte plattdeutsch, mit jüngeren ohne Über­gang Hochdeutsch. Plattdeutsch ist selbst in landwirtschaftlichen Haushalten nicht mehr die Tagessprache. Also: Pflege tut Not, wenn die Sprache erhalten bleiben soll. Es ist eben keine Mundart, also ein eingefärbtes Hochdeutsch, sondern eine Sprache, die verlangt: Entweder spreche ich hochdeutsch oder plattdeutsch. Daher ist die Pflege der Sprache erforderlich.

Bisherige Veröffentlichungen auf Plattdeutsch und weitere Veröffentlichungen al­lein werden die Sprache nicht erhalten können. Es muß wieder eine mündliche Überlieferung einsetzen! Und es gibt eigentlich keinen Grund, sich dieser Sprache zu schämen. Mit dem wachsenden Selbstbewußtsein über die wirtschaftliche Ent­wicklung in Norddeutschland wird hoffentlich auch das Selbstbewußtsein für das Plattdeutsche wieder wachsen.

Mariele Fasselt

Gell, Öhme, dös is fei guat!

Als Vorsitzende des Kulturkreises Impulse e.V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, neue kulturelle Akzente in der Region Emsland zu setzen, habe ich zur platt­deutschen Spache ein zwiespältiges Verhältnis. Einer­seits verkörpert sie für mich Tradition, nicht über den Tellerrand blicken, das Beharren auf Strukturen. In vie­len – nicht allen – Texten plattdeutscher Mundart kann man diesen Denkansatz wiederfinden.

Andererseits bin ich selbst Emsländerin, geboren in Freren, und plattdeutsche Klänge bedeuten für mich ein Stück zu Hause. Ich bin in einer Großfamilie aufge­wachsen, und meine Oma, die vom Bauernhof Afting in Speile stammt und von uns Kindern liebevoll Öhme genannt wurde, sprach mit uns plattdeutsch. Eine wunderbare Mischung von Mundarten erklang jedesmal, wenn unsere bayeri­schen Cousins zu dem von uns lang ersehnten Besuch in den Sommerferien ein‑

trafen. „Gell, Öhme, dös is fei guat!”

Über eine wirklich wahre Geschichte aus dem Leben meiner Großeltern haben wir in unserer Familie immer herzlich gelacht und sie immer wieder in allen Va­riationen erzählt. Der Molkereibesitzer und „wirbelnde” Unternehmer Heinrich Brüne (er stammte nicht aus dem Emsland) und seine Ehefrau Anne, geb. Afting, waren auf einer Urlaubsreise in Freiburg. Dort soll es an einem Tag viele Unstim­migkeiten gegeben haben. Mein Opa wollte den Abend harmonisch beenden und kaufte zwei Theaterkarten. Er redete mit „Engelszungen” auf seine Frau ein, mit ihm in die Vorstellung zu gehen. Meine Oma aber ließ sich nicht erweichen. „Watt soll ick met Theater? Goh mi wech doarmet. Theater, Theater, ick hebb vandage all Theater nooch hatt!” – Für mich ein lebendiges Stück Familiengeschichte.

Interessant finde ich die Ähnlichkeit der plattdeutschen Sprache mit dem Nieder­ländischen und Englischen unserer europäischen Nachbarn. So könnte Platt­deutsch zu einer grenzübergreifenden Gemeinsamkeit im „neuen Europa” wer‑

den.

Josef Grave

Begegnung auf dem Meppener Markt

Textbeitrag in Wat, de kann Platt aus dem Jahre 1998

 

Die „plattdeutsche” Woche hatte es in sich gehabt

Da hatten die Texte für das nächste Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes zur Bearbeitung angestanden: Die Durchgängigkeit der Schreibweise war zu überprü­fen gewesen, über eine plausible Anwendung des Apo­strophs hatte man sich schlüssig werden müssen; die Interpunktion – ein Stiefkind so manchen plattdeut­schen Autors – war zu modifizieren gewesen. Zu allem Überfluß waren wir von der Schriftleitung nicht umhin gekommen, einen Autor auf das übernächste Jahrbuch zu vertrösten, einen weiteren Lyriker um eine Überar­beitung seines Gedichtes zu bitten, und einem dritten Plattdeutsch-Schreiber schließlich hatte man eine höfli­che, aber bestimmte Absage zukommen lassen müs­sen. Ein leidiges, immer wiederkehrendes Problem erübrigte jegliche Diskussion über einen in Frage kommenden Abdruck: Ein Text hat noch lange keinen literarischen Wert, nur weil er auf Plattdeutsch geschrieben ist.

Zudem hatte die Woche einmal mehr gezeigt, daß niederdeutsche Autoren zum Teil ausgesprochen empfindliche Individualisten sind. Werkkritik zu üben ist eine schöne Sache, sie jedoch einstecken zu müssen, löst alles andere als Begeisterung aus, provoziert rasch harsche Reaktionen.

Am Ende der Arbeitswoche: Seele baumeln lassen auf dem alten Meppener Markt, Kaffee trinken in Sichtweite des Rathauses, Wahrzeichen dieser lange Zeit kleinen, halt ackerbürgerlichen, aber alten und auch selbstbewußten Stadt.

Das Sinnieren über die Begegnungen mit der plattdeutschen Sprache im Verlauf des letzten Jahrzehnts macht Halt bei so manchem Erlebnis der besonderen Art; einem wohlgemeinten und an sich auch durchaus erfolgreichen Plattdeutsch-Fe­stival beispielsweise, das vor einer Reihe von Jahren in der emsländischen Kreis­stadt durchgeführt wurde. Die vom Ausrichter beauftragte „Full-Service-Agentur” aus Hannover und die Projektleiterin – sinnigerweise eine Neuseeländerin – hatten im Vorfeld dieses Autorenwettbewerbes einen enormen Wirbel veranstaltet. Pla­kate hingen aus, Handzettel und Aufkleber wurden verteilt, die Presse berichtete „headline”. Nur an eines hatte man nicht gedacht: Die Zahl der von den einzelnen Teilnehmern einzusendenden Geschichten zu begrenzen. Die Folgen waren kräf­tezehrend: Tagelang, ja ein ganzes Wochenende im Harz, hatte ich als Jurymitglied damit zugebracht, plattdeutsche Texte, darunter gute Literatur, aber auch um­ständlich erzählte Dönkes und zahllose Gelegenheitsgedichte, zu lesen.

Die unerfreulichen Auseinandersetzungen bei der Gründung eines Autorenkreises gehen mir durch den Kopf. Die dabei zu Tage getretene Intoleranz gegenüber Platt­deutsch-Schreibern aus einer Nachbarregion war erschreckend gewesen. Die im­mer wiederkehrenden Auseinandersetzungen um das „richtige” Platt, die „richti­ge” Schreibweise hatten ermüdend gewirkt.

Schließlich gab es auch im Bereich des Niederdeutschen den im kulturellen Leben heute alltäglichen Vorgang der Ausgrenzung nach dem Motto „WIR – will heißen ICH – besetze(n) das Thema”. Kompetenz: zweitrangig; Konzeption: interessiert nicht; kultureller Alleinvertretungsanspruch: Maß aller Dinge!

Sicherlich, es gab auch die schlichtweg erfreulichen Ansätze: den Ruck, der durch die Schulen gegangen war, als das plattdeutsche Lesebuch vom Landkreis veröf­fentlicht und verteilt wurde. Auch die Qualität etlicher emsländischer Autorinnen und Autoren hatte sich enorm entwickelt. Zu Recht erfreute sich so mancher emsländische Schriever mittlerweile der Anerkennung in überregionalen Vereinigun­gen wie dem Schrieverkring und kam auf diesem rutschigen Terrain gut zurecht. Mit der unvergessenen Maria Mönch-Tegeder war die Kette lesenswerter platt­deutscher Schreiber nicht endgültig abgerissen. Bücher wurden in den letzten Jah­ren wieder gedruckt, zum Teil sogar geschmackvoll gestaltet, danach gekonnt und mit der nötigen Sorgfalt hergestellt – Bücher, die man gern zur Hand nimmt.

Namentlich in Meppen, aber auch andernorts – beispielsweise in Thuine – waren in den letzten Jahren Musikgruppen entstanden, die – unerwartet – Furore mach­ten, mit ihren neuen, teilweise selbst getexteten und komponierten Liedern begei­sterten, mühelos Säle wie den Kossehof füllten.

Und auch in der niederdeutschen Theaterszene tat sich einiges: Niederdeutsche Theatergruppen zeigten einfach besseres Theater, spürten in zunehmendem Maße ihre Bedeutung für das kulturelle Leben im Dorf. Ihre Ankündigungen, ihre Ju­biläumsfeiern waren Spiegelbild gewachsenen Selbstbewußtseins. Ein nieder­deutscher Theaterwettbewerb war Initialzündung für zwei bemerkenswerte neue Inszenierungen: „Liek moket” und „Der Bettelpfarrer”. Von einer Hümmlingerin geschrieben und von einer engagierten Theatergruppe auf die Bühne gebracht, hat­te das Stück unter der Regie eines jungen Theatermachers des Theaterpädagogi­schen Zentrums der Emsländischen Landschaft viele Besucher von Lingen bis Papenburg beeindruckt und Betroffenheit ausgelöst. Auch die Begeisterung nament­lich junger Menschen auf einem plattdeutschen Wochenende in der Nordhorner Kornmühle war mir in allerbester Erinnerung geblieben.

Trotzdem, die Förderung der plattdeutschen Sprache hatte sich im Laufe der Jahre als ein schwieriges Feld erwiesen, mit vielen Komplikationen und der immer wie­derkehrenden Frage: „Lohnt sich das Ganze noch, wo doch kaum noch Kinder und Jugendliche bei uns zu finden sind, die zweisprachig, also hochdeutsch und nie­derdeutsch aufwachsen. Und außerdem: Ist der Aufwand vertretbar angesichts der enormen Dynamik in den Bevölkerungs- und Sozialstrukturen des Emslandes, der zunehmend problematischer werdenden Lage wachsender Randgruppen und der Tatsache, daß das Emsland mit dem unabweisbaren ökonomischen Modernisie­rungsdruck auch die typischen gesellschaftlichen Modernisierungslasten erfährt?”

Die Stimme, die ich von einem Nachbartisch plötzlich höre, kommt mir bekannt vor, kenne ich doch aus längst vergangenen Tagen in Freren, von gemeinsamen Zeiten im Kindergarten an der Goldstraße, Jahren in der Franziskus-Demann-Schule. Wir hatten zusammen gespielt auf dem Bauernhof seiner Eltern auf dem Lünsfeld, später gemeinsam eine katholische Jugendgruppe geleitet, unvergessene Fe­ten zusammen gefeiert und waren in jugendlichem Enthusiasmus gemeinsam und nachhaltig in ein paar Fettnäpfchen des nach unserer Meinung allzu behäbigen Städtchens getreten. Dann, in Studienzeiten, waren noch gelegentlich Besuche vorgekommen, schließlich hatten wir uns aus den Augen verloren. Er war Lehrer geworden an einer berufsbildenden Schule in Ostfriesland. Ein engagierter Pädago­ge, der über die Schule hinaus sich als langjähriger Leiter des Arbeitskreises „Re­gionalentwicklung” im Regionalen Pädagogischen Zentrum der Ostfriesischen Landschaft einen Namen gemacht hatte. 1996 war ihm für dieses Engagement der „Upstalsboom-Taler” verliehen worden.

Ein zwangloses, aber intensives Gespräch folgt. Es gibt viel zu erzählen, Privates und Berufliches, von Interessen und Projekten, aus Ostfriesland und dem Emsland. Ein Gespräch in unserer Sprache: Plattdeutsch. Wir hatten immer plattdeutsch mit­einander gesprochen – in der Sprache, mit der wir in unseren Elternhäusern groß geworden waren. Alles andere war gar nicht denkbar. Sogar in der Straßenbahn in Braunschweig zwischen Berliner Straße und Katharinenkirche hatten wir uns in heimischem Platt unterhalten. Damals, Mitte der 70er Jahre, gab es – ohne daß wir es zunächst merkten – unter den Fahrgästen eine Reihe verblüffter Gesichter.

Auch wenn nur wenig Zeit ist, das Gespräch hat mich berührt, auch ob seiner Un­kompliziertheit und der sich rasch wieder einstellenden Vertrautheit. Nicht nur die gemeinsame Erinnerung, auch die Sprache, ist Schlüssel zu vergessen geglaubten Bildern, aber auch zum offenen Austausch über Sorgen und Probleme.

Diese Sprache ist nun einmal ein Kernbestandteil unserer Identität, der gemeinsa­men Kultur! Allemal also verlangt ein Blick in ihre Zukunft zunächst einmal schlichte Ehrlichkeit. Das bedeutet: Wohl kaum wird man auch meine Zweifel aus­räumen können, daß das Niederdeutsche als „gesprochene” Sprache in unserem Alltag die nächsten Jahrzehnte überstehen wird! Aber deshalb nichts machen? In der zuweilen allzu partikularen kulturellen Landschaft des Emslandes wird immer noch zu wenig für das Niederdeutsche getan. Gelegentliche Blicke nach Ostfries­land machen bei aller Kenntnis der unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen zuweilen geradezu beschämend die Unterschiede deutlich. Dabei geht es den Emsländern doch nicht anders als ihren Nachbarn. Das Verschwinden des Platt­deutschen würde uns ein Stück heimatloser machen.

Heinrich Hanneken

Tägliche Umgangssprache

Das Plattdeutsche ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes die „Muttersprache”. Mein Elternhaus steht in der Hümmlinggemeinde Esterwegen. Mein Vater, der in seinem Heimatdorf Esterwegen eine Manufaktur-und Kolonialwarenhandlung eröffnete, sprach selbst­verständlich plattdeutsch, ebenso meine Mutter, eine gebürtige Aschendorferin. Der hochdeutschen Sprache bedienten sich nur die Geistlichen, Lehrer und Lehre­rinnen. Ich pflege bis heute noch Freundschaften, die in den Kindertagen erwuchsen. Bei Besuchen und Treffen wird plattdeutsch gesprochen – auch wenn diese Be­gegnungen weit von Esterwegen stattfinden.

Unsere Eltern waren allerdings darauf bedacht, daß wir, wenn wir uns der hochdeutschen Sprache bedien­ten, diese korrekt sprachen. Es kam zu einem Test, als ich als Zwölfjähriger das Bischöfliche Konvikt in Meppen bezog und dort das staatliche Gymnasium be­suchte. Ich freute mich zwar über jeden Mitschüler, mit dem ich mich in platt­deutscher Sprache unterhalten konnte, doch ich erlebte keineswegs dadurch Nachteile, daß bislang das Plattdeutsche meine Umgangssprache gewesen war. Meine Schwächen waren die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer. In den Fächern Deutsch, Latein, Griechisch und Englisch erhielt ich durch­weg gute Noten.

Wenn ich in meiner Tätigkeit als Priester erlebe, daß sich Menschen plattdeutsch unterhalten – und das geschieht oft -, nehme ich jedesmal die Gelegenheit wahr, meine Kenntnis der plattdeutschen Sprache zu demonstrieren. Das schafft sofort Kontakte. Zwar habe ich als Pfarrer einer Emslandgemeinde in der Regel mit den Menschen hochdeutsch gesprochen. Ich hatte immer den Eindruck, daß man es auch vom Pastor erwartete. Doch gerade ältere Menschen waren dankbar, wenn der Pastor sich mit ihnen in plattdeutscher Sprache unterhielt.

Das Plattdeutsche ist für mich heute tägliche Umgangssprache. Meine Schwester führt unseren Haushalt. Es würde auf uns als befremdend wirken, wenn wir uns nicht in unserer Muttersprache unterhielten. Selbstverständlich läuft bei Geschwi­stertreffen die Konversation auf Plattdeutsch. Es stimmt mich etwas traurig, daß die nachfolgende Generation in meiner Verwandtschaft diese Sprache nicht mehr ge­lernt hat.

Mir sind allerdings auch die Grenzen dieser Sprache bewußt geworden. Ich habe fast 20 Jahre für den NDR plattdeutsche Morgenandachten gehalten und vom NDR die Aufgabe übertragen bekommen, die Ansprachen der katholischen Auto­ren zu korrigieren. Mir hat es große Mühen bereitet, spirituelle und theologische Inhalte in plattdeutscher Sprache auszudrücken. Mir wurde bald klar, daß ich die Sätze nicht zunächst hochdeutsch vordenken und vorformulieren durfte, um sie dann ins Plattdeutsche zu übersetzen. Ich mußte theologische Begriffe mit Sätzen umschreiben. Mir wurde deutlich, daß Hauptsätze mehr der plattdeutschen Denk­weise entsprechen als Nebensätze, vor allem, wenn diese in größerer Zahl in ei­nem Satzgefüge auftauchen.

Ich wurde in meiner Zeit als Landjugendseelsorger des Bistums öfter zu plattdeut­schen Gottesdiensten eingeladen. Ich habe aufgrund der Erfahrung mit dieser Art der Gottesdienste den Entschluß gefaßt, solche Einladungen nicht mehr anzuneh­men. Es war ausgesprochen mühsam, liturgische Gedanken, Formulierungen und Sätze plattdeutsch auszudrücken. Schließlich kam es dann doch immer wieder zum „germanisierten Platt”. Ich hatte den Eindruck, daß ich damit weder dem Gut der plattdeutschen Sprache diente noch der Erbauung der Gläubigen.

Als sich in Hannover der neugewählte Landtag konstituierte, sprach der Präsident, dem die Eröffnungszeremonie oblag, einleitend einige Gedanken in plattdeutscher Sprache. Er wollte sicher damit unserer Muttersprache einen guten Dienst erwei­sen. Doch als ich diese Eröffnung im Fernsehen verfolgte, wurde mir noch einmal deutlich, daß sich beim besten Willen gewisse Sachbereiche nicht plattdeutsch for­mulieren lassen. Der Präsident mußte – ob er wollte oder nicht – sich mehrerer hochdeutscher Begriffe bedienen. Um den Eigenwert der plattdeutschen Sprache zu erhalten, würde ich in einer solchen Situation lieber nur hochdeutsch sprechen.

Nicht ganz ohne Probleme sind für mich die Aufführungen plattdeutscher Thea­terstücke. Sie erfreuen sich zwar einer hohen Akzeptanz. Sie haben durchaus ei­nen hohen Unterhaltungswert. Sie sind sicher auch ein Betätigungsfeld für schau­spielerische Naturtalente. Doch wird in solchen Stücken das eigentliche plattdeut­sche Lebensgefühl wiedergegeben? Es werden nie Stücke aufgeführt, die zum Nachdenken anregen. Immer sind es Lachnummern. Wer den Alltag der ländli­chen Familie erlebt hat, weiß um die Sorgen, um Krisen und um schmerzliche Le­bensentscheidungen. Ich möchte mit diesen kritischen Anmerkungen nicht die vielen Frauen, Männer und Jugendlichen verletzen, die sich mit großem Engage­ment um das Laienspiel bemühen. Doch ist es mir sicher erlaubt, einige Fragen zu stellen, die sonst kaum gestellt werden.

Ich wünschte, daß die plattdeutsche Sprache als lebendige Sprache erhalten bleibt. Die Schule kann ihren Beitrag dazu leisten. Doch dieser Beitrag kann nur subsidiär sein. Das Eigentliche muß in den Familien geschehen. Ich habe großes Verständ­nis dafür, daß Eltern ihre Kinder zunächst in die hochdeutsche Sprache einführen. Doch muß das ausschließen, daß die Kinder von einem gewissen Alter an auch plattdeutsch sprechen, ja, diese Sprache zu ihrer Umgangssprache machen?

In der plattdeutschen Sprache wird ein bestimmtes Lebensgefühl zum Ausdruck gebracht: Sie birgt den Geruch des Dorfes in sich. Damit ist Nähe und Vertrautheit ausgedrückt. Es verbindet sich damit die Vorstellung von Feldern, Gärten, Wald und unbetonierten Wegen. Immer mehr Menschen schätzen das Leben dieser Art. Es lohnt sich, eine Sprache zu erhalten, die in besonderer Weise dieses Leben in Worte faßt.

Josef Hanekamp

Die Großeltern als Sprachlehrer

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In Werlte aufgewachsen, begann meine Erfahrung mit der Hümmlinger Mundart im Elternhaus. Mit mir, dem männlichen Nachwuchs, wurde Mundart, mit meinen drei Schwestern dagegen hochdeutsch gesprochen. Selbst bei Tisch klappte diese unterschiedliche Unter haltung problemlos. In Mundart war der Sohn ange­sprochen, in Hochdeutsch die Töchter. Die ältere Schwester wurde mit der Mundart über Nachbarn und Freundinnen bekannt, die jüngeren später weniger. In der Schulzeit waren die Verhältnisse ähnlich denen in der Familie.

Jungen untereinander sprachen Mundart, mit den Mädchen wurde hochdeutsch gesprochen. Im Berufsleben als Bierverle­ger mit einem Kundenkreis in einem Raum von 15 Kilometern besuchte ich über­wiegend Gaststätten, wo fast ausschließlich Mundart gesprochen wurde. Dabei er­fuhr ich, daß oftmals schon von Ort zu Ort unterschiedliche Ausdrücke für be­stimmte Gegenstände verwandt wurden.

Einige Beispiele: reden ist proten, rääden, snacken
Kartoffeln heißen Tuffeln, Tüwweken, Tüffeln
Ferkel: Biggen, Faerken, Ficken

In den zum Land Oldenburg gehörenden Nachbargemeinden wurden wir stets mit folgendem Satz gehänselt: Lat den Wagen man up dei Straate stahn, dau dor nen Pahl vor etc. In Oldenburger Mundart wurde statt a ein o benutzt. Die Hümm-linger Mundart wurde in den späteren Jahren auch auf dem Hümmling immer wei­ter zurückgedrängt. Mit unseren Kindern habe auch ich keine Mundart gespro­chen – auch nicht mit meinem Sohn. Heute bedauern wir dieses Verhalten.

Gibt es ein Zurück zur emsländischen Mundart? In einem Ort wie Werlte, in dem seit 1989 mehr als 20 Prozent Neubürger zugezogen sind, wird eine Renaissance der Mundart doppelt schwierig, aber auch nötig sein. Wir sollten uns bemühen. Die Bereitschaft ist meiner Meinung nach vorhanden.

Abschließend eine Begebenheit, die eventuell einen möglichen Weg aufzeigt. In einem Cafe im ostfriesischen Leer kam ein junges Ehepaar mit zwei noch nicht schulpflichtigen Kindern zu meiner Frau und mir an den Tisch. Die Mutter sprach mit ihren Kindern hervorragend in ostfriesischer Mundart. Als ich der Mutter da­zu gratulierte, erwiderte diese: „Das Lob muß ich an meine Mutter weitergeben. Die hat unseren Kindern die Mundart vermittelt, und ich habe sie durch meine Kinder wieder gelernt.” Wäre das eine Möglichkeit?

Adelheid Hanneken-Heidelberg

Papenburg, die Völkermühle an der Ems

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„Das müßtest du eigentlich aufschreiben”, hieß es oft, wenn ich einmal wieder eine Geschichte von früher er­zählte. Warum eigentlich nicht? Und als ich mich be­sann, was bei mir so alles hängengeblieben war von früher, fiel mir auf: das habe ich plattdeutsch gehört, und wenn es gut ankommen soll, muß es plattdeutsch geschrieben werden!

Bald wurde mir klar, Plattdeutsch ist keine Schriftsprache. Um mein Papenburger Platt aufzuschreiben, mußte ich in mehrere Wörterbücher schauen. Meine Hei­matstadt war durch Torfgewinnung und Schiffbau zu einer Art Völkermühle an der Ems geworden. Oldenburger, Ostfriesen, Niederländer und auch Franzosen und Engländer haben hier ihre Spuren hinterlassen. Zum Glück fand ich Anschluß an Leute aus dem Emsland und Ostfriesland, die sich zu einer „Schreibwerkstatt” zu­sammengetan hatten.

Im Gespräch mit den Schreibern stellte ich folgendes fest: Leute, die aus kleineren Ortschaften stammen, haben einen viel größeren plattdeutschen Wortschatz als die aus größeren. Für Papenburg kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß man viele Ausdrücke weggelassen und lieber eine „Übersetzung” aus dem Hochdeutschen vorgenommen hat. Man galt als grob und ungebildet, wenn man die überkomme­ne Sprache wortgetreu sprach. Beispiel: Tofel – Tisch – Disk.

Das Plattdeutsche galt auch in meiner Kinderzeit als Zeichen, wenig begütert und angesehen zu sein. Das wollte man vermeiden. Dadurch gerieten viele typisch plattdeutsche Ausdrücke, die sich eben nicht so einfach übersetzen ließen, in Ver­gessenheit. In Ostfriesland dagegen ist das Plattdeutsche viel präsenter. Die Ost­friesen sind für die Bewohner unserer Straße unmittelbare Nachbarn, uns trennt nur ein Graben. Von daher muß ich zum Thema „Plattdeutsch im Emsland” auch die Entwicklung bei unseren Nachbarn heranziehen.

Wie war die sprachliche Entwicklung bei mir? Ich wuchs als Einzelkind bei Onkel und Tante auf. Man sprach mit dem Kind hochdeutsch, wahrscheinlich die Höhe­re Schule schon im Hinterkopf. Es war ein Hochdeutsch, das plattdeutsch gedacht war und daher grammatikalisch falsch sein mußte. Meine Umgebung sprach platt; so wuchs ich zweisprachig auf.

Tatsächlich konnte ich dann das Gymnasium besuchen und mußte beim Sprechen oft korrigiert werden. Mit dem Schreiben ging es besser, schließlich wurde ja Rechtschreibung gelehrt. Mit der Zeit hatte ich auch im mündlichen Ausdruck kei­ne Schwierigkeiten mehr. Nun aber fiel es mir auf, wenn ich meine Familie die ty­pischen Fehler sprechen hörte. Ich war unklug genug, sie mit meinem „Besser-wissen” (wie sie sagte) zu verärgern. Warum sprach man nicht so, wie man’s am besten konnte?

Viel später fand ich die Antwort. Im Plattdeutschen kennt man die Artikel „der, die, das” nicht, nur „de”. Ja, wie dann nun? Den Artikel einfach weglassen! So kamen Sätze zustande wie „Ich geh nach Kirche”. Oder die Mutter zum Kind: „Lauf nicht auf Straße!” Ich vermute, durch die seit Generationen geführte Zweisprachigkeit hält sich dieser Fehler hartnäckig – auch bei denen, die hochdeutsch sprechen; sie übernehmen den falschen Satzbau.

Heute ist die Umgangssprache in meiner Familie und näheren Umgebung Platt­deutsch. Natürlich habe auch ich mit meinen Kindern hochdeutsch gesprochen ­gleichzeitig mit anderen plattdeutsch. So wuchsen meine Kinder auch zweispra­chig auf. Es laufen meist Gespräche, bei denen – je nach Bedarf – munter von Hoch zu Platt gewechselt wird, und man bemerkt es meistens nicht einmal. Wenn mir im Hochdeutschen mal der treffezde Ausdruck fehlt, wechsele ich kurzerhand ins Plattdeutsche. Mitunter ist der Ausdruck viel treffender und meistens nicht so scharfkantig, verletzend.

An einem schönen Sommertag machten wir eine Auto-Fahrradtour von Ditzum aus. Als wir am Deich Rast machten, hörte ich nebenan eine Oma mit ihrer Enke­lin platt sprechen. Wir kamen ins Gespräch. „Ja”, meinte sie, „meine Enkel sollen plattdeutsch sprechen. Inzwischen darf man das ja wieder.” „Darf?” „la, Platt­deutsch ist wieder in. Bei meinen Kindern war das noch anders. Der Lehrer mei­nes Sohnes erklärte mir eines Tages: ,Ihr Kind beherrscht seine Muttersprache nicht.’ – ,Sien Maudersprook, de kann he heil fix, kann ween, dat he mit de Amts-sprook noch nich torecht kummt, habe ich gesagt.”

Das ist es, was ich mir wünsche. Leute, die plattdeutsch denken und träumen, müssen auch so sprechen dürfen, frei und offen. Es ist ihre Muttersprache!

Dr. Karl-Heinz Hense

Platt ist wie Fahrradfahren

Von Kindesbeinen an habe ich das Plattdeutschsprechen gelernt. Heute, nachdem ich in den letzten gut dreißig Jahren nur noch gelegentlich auf Besuch ins Emsland komme, spreche ich mit meiner Mutter oder mit verbliebenen Kumpels und Freunden aus der Volks­schulzeit wie ganz selbstverständlich immer noch platt. Plattdeutsch ist wie Fahrradfahren: wenn man es ein­mal kann, verlernt man es nicht mehr.

Ich habe einen Freund in Osnabrück, der ist Landma­schinenvertreter. Und er hat für diesen Beruf durchaus das passende physische und mentale Format. Aber er ist ein Stadtkind. „Wenn ich dich um etwas wirklich beneide”, pflegt er.zu mir zu sagen, „dann ist es dein Platt.” Wenn man platt spricht, gehört man in gewissen, meist ländlichen Kreisen dazu. Das war immer so – auch, als es in anderen gewissen Kreisen als unfein galt, platt zu sprechen. Für meinen Freund, den Landmaschinenvertreter, wäre es durchaus absatzfördernd, wenn er richtig platt könnte und nicht nur fast richtig. Richtig platt kann man aber nur, wenn man es von Kindesbeinen an gelernt hat.

Das emsländische Platt, wiewohl von Dorf zu Dorf verschieden, ist leider schon ei­ne dekadente Form des Plattdeutschen; im normalen Gebrauch ist es von vielen hochdeutschen und halbhochdeutschen Wörtern durchsetzt. Das ist in anderen Gegenden, in Ostfriesland etwa oder auch im Oldenburger Münsterland, anders. Da ist Platt noch eine richtige, eigene Sprache. Ich habe fünf Jahre in Oldenburg ge­lebt, und ich erinnere mich gern daran, daß ich damals noch den Entertainer Hein­rich Diers kennengelernt habe, der es wie kaum jemand verstand, sein Publikum auf original Oldenburger Platt zu unterhalten.

Das emsländische Platt ist vielleicht keine eigene Sprache mehr, aber es hat seine Eigenart. Für mich persönlich bereichert es die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks und der Verständigung auf eine sehr amüsante und liebenswerte Art und Weise. Viele plattdeutsche Wörter und Ausdrücke haben keine hochdeutsche Entsprechung. Wenn ich von einem gering zu schätzenden Sonderling sprechen will, dann nenne ich ihn auf Platt einen „Paijatz”; geht es gar um einen üblen Lum­pen und Beutelschneider, dann spreche ich von einem „Schmeerlapp”. Und wie­viel schöner ist es doch, einem Kind zu sagen: „Dat hestu aber mooi makt!” („mooi” je nach gewünschter Intensität auch mit drei oder noch mehr o zu schreiben und vor allem zu sprechen), als wenn ich es mit den Worten lobe: „Das hast du aber schön gemacht.” Auch das Wort „strumpeldune” sagt viel aus über emsländische Eigenheiten, während das ebenso gebräuchliche „scheißendicke” schon wieder ein Zwitter ist.

Schweinigeln läßt es sich auf Plattdeutsch natürlich auch viel besser und vor allem viel gesellschaftsfähiger als auf Hochdeutsch. Ein in richtig schönem Platt erzählter Witz darf ruhig ein bißchen schmutzig sein (manche meinen, er muß sogar schmutzig sein!), der Dialekt neutralisiert das Unanständige. Und erst das platt­deutsche Fluchen! Man möge in Bückers „Der Herzog und sein Kumpan” nachle­sen, dort ist viel darüber zu erfahren.

Aber ich will nicht verschweigen, daß Plattdeutsch für mich auch negative Kon­notationen und Konsonanzen hat. Das platte Emsland meiner Kindheit und Jugend ist leider nicht nur idyllisch, sondern auch bigott und intolerant, ja streckenweise chauvinistisch und reaktionär. Anders sein zu wollen, anders auszusehen und sich anders zu verhalten als der Durchschnitt, bedeutete in der plattdeutschen Gesell­schaft nicht selten, nahezu aussätzig zu sein. Mich hat vor allem die latente, manchmal auch manifeste Sympathie für Deutschlands braune Vergangenheit, die mir als Kind ganz normal vorkam, weil ich sie fast täglich erlebte, später sehr ge­stört – auch Antisemitisches und Chauvinistisches, das auf dem platten Lande selbstverständlicher, alltäglicher war als in anderen Gegenden Deutschlands, die ich inzwischen kennengelernt habe.

Sicher, das hat mit der plattdeutschen Sprache direkt nichts zu tun, aber ich asso­ziiere es sehr leicht, wenn ich das emsländische Platt höre. Auch kann ich die kri­tiklose Preisung von Emsland-Büchern wie dem eben genannten „Der Herzog und sein Kumpan” nicht nachvollziehen, die ich etwa auf dem Georgianum in Lingen von Lehrern häufig gehört habe; der darin verpackte Chauvinismus und Antise­mitismus sind (oder hoffentlich: waren) eben auch ein Kennzeichen des platten Emslands: Die schwindelnd hohe Auflage, die das Buch inzwischen erreicht hat, spricht Bände.

Trotz allem spreche ich gern platt. Einmal, auf einem akademischen Seminar, wo ‘sich allerhand gelehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Referentinnen und Re­ferenten tummelten, traf ich einen, der mindestens genausogut platt konnte wie ich. Die anderen konnten es alle nicht. Wir beide haben uns dann abends beim gemütlichen Teil des Seminars, apres etudes` sozusagen, so richtig schön mitten in die kleine Kneipe gesetzt und uns nichtendenwollend auf Platt unterhalten, aber so, daß alle es hören mußten. Wir haben angegeben wie die Sülzsäcke. Es war zu einer Zeit, als es gerade wieder einmal schick war, Dialekt zu sprechen. Mein Gott, hat man uns respektvoll zur Kenntnis genommen! Wer eine solch schöne Sprache könne, sei doch beneidenswert, meinte man. Wir fühlten uns kulturell und über­haupt bedeutend.

Möge also das Platt nicht aussterben und möge es an Menschen nicht mangeln, die sich der Mühe unterziehen, auf Platt zu schreiben. Denn das kann ich nicht, jedenfalls nicht richtig. Ich habe zur Vorbereitung dieses kleinen Textes nochmal Fritz Reuter konsultiert, den Goethe der Mundartdichtung, das ist nun leider wie­der Mecklenburger Platt, ganz was anderes als Emsländer Platt. Aber meine Reuter-Ausgabe hat ein schönes kleines Wörterbuch als Supplement, in dem man nachschlagen kann. Ich weiß nicht, ob es so etwas auch schon für das Emsländer Platt gibt; wenn nicht, dann sollten die Edlen es sich ihren Schweiß wert sein las­sen, etwas entsprechendes anzufertigen. Dann kämen vielleicht auch manche in­zwischen weitgehend vergessene Wörter wieder ans Licht und zu Ehren, wie zum Beispiel „föddelk” oder „klössen”, „puchen” oder „ampatt”. – In diesem Sinne: Munterholn!

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