Dr. Karl-Heinz Hense

Platt ist wie Fahrradfahren

Von Kindesbeinen an habe ich das Plattdeutschsprechen gelernt. Heute, nachdem ich in den letzten gut dreißig Jahren nur noch gelegentlich auf Besuch ins Emsland komme, spreche ich mit meiner Mutter oder mit verbliebenen Kumpels und Freunden aus der Volks­schulzeit wie ganz selbstverständlich immer noch platt. Plattdeutsch ist wie Fahrradfahren: wenn man es ein­mal kann, verlernt man es nicht mehr.

Ich habe einen Freund in Osnabrück, der ist Landma­schinenvertreter. Und er hat für diesen Beruf durchaus das passende physische und mentale Format. Aber er ist ein Stadtkind. „Wenn ich dich um etwas wirklich beneide”, pflegt er.zu mir zu sagen, „dann ist es dein Platt.” Wenn man platt spricht, gehört man in gewissen, meist ländlichen Kreisen dazu. Das war immer so – auch, als es in anderen gewissen Kreisen als unfein galt, platt zu sprechen. Für meinen Freund, den Landmaschinenvertreter, wäre es durchaus absatzfördernd, wenn er richtig platt könnte und nicht nur fast richtig. Richtig platt kann man aber nur, wenn man es von Kindesbeinen an gelernt hat.

Das emsländische Platt, wiewohl von Dorf zu Dorf verschieden, ist leider schon ei­ne dekadente Form des Plattdeutschen; im normalen Gebrauch ist es von vielen hochdeutschen und halbhochdeutschen Wörtern durchsetzt. Das ist in anderen Gegenden, in Ostfriesland etwa oder auch im Oldenburger Münsterland, anders. Da ist Platt noch eine richtige, eigene Sprache. Ich habe fünf Jahre in Oldenburg ge­lebt, und ich erinnere mich gern daran, daß ich damals noch den Entertainer Hein­rich Diers kennengelernt habe, der es wie kaum jemand verstand, sein Publikum auf original Oldenburger Platt zu unterhalten.

Das emsländische Platt ist vielleicht keine eigene Sprache mehr, aber es hat seine Eigenart. Für mich persönlich bereichert es die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks und der Verständigung auf eine sehr amüsante und liebenswerte Art und Weise. Viele plattdeutsche Wörter und Ausdrücke haben keine hochdeutsche Entsprechung. Wenn ich von einem gering zu schätzenden Sonderling sprechen will, dann nenne ich ihn auf Platt einen „Paijatz”; geht es gar um einen üblen Lum­pen und Beutelschneider, dann spreche ich von einem „Schmeerlapp”. Und wie­viel schöner ist es doch, einem Kind zu sagen: „Dat hestu aber mooi makt!” („mooi” je nach gewünschter Intensität auch mit drei oder noch mehr o zu schreiben und vor allem zu sprechen), als wenn ich es mit den Worten lobe: „Das hast du aber schön gemacht.” Auch das Wort „strumpeldune” sagt viel aus über emsländische Eigenheiten, während das ebenso gebräuchliche „scheißendicke” schon wieder ein Zwitter ist.

Schweinigeln läßt es sich auf Plattdeutsch natürlich auch viel besser und vor allem viel gesellschaftsfähiger als auf Hochdeutsch. Ein in richtig schönem Platt erzählter Witz darf ruhig ein bißchen schmutzig sein (manche meinen, er muß sogar schmutzig sein!), der Dialekt neutralisiert das Unanständige. Und erst das platt­deutsche Fluchen! Man möge in Bückers „Der Herzog und sein Kumpan” nachle­sen, dort ist viel darüber zu erfahren.

Aber ich will nicht verschweigen, daß Plattdeutsch für mich auch negative Kon­notationen und Konsonanzen hat. Das platte Emsland meiner Kindheit und Jugend ist leider nicht nur idyllisch, sondern auch bigott und intolerant, ja streckenweise chauvinistisch und reaktionär. Anders sein zu wollen, anders auszusehen und sich anders zu verhalten als der Durchschnitt, bedeutete in der plattdeutschen Gesell­schaft nicht selten, nahezu aussätzig zu sein. Mich hat vor allem die latente, manchmal auch manifeste Sympathie für Deutschlands braune Vergangenheit, die mir als Kind ganz normal vorkam, weil ich sie fast täglich erlebte, später sehr ge­stört – auch Antisemitisches und Chauvinistisches, das auf dem platten Lande selbstverständlicher, alltäglicher war als in anderen Gegenden Deutschlands, die ich inzwischen kennengelernt habe.

Sicher, das hat mit der plattdeutschen Sprache direkt nichts zu tun, aber ich asso­ziiere es sehr leicht, wenn ich das emsländische Platt höre. Auch kann ich die kri­tiklose Preisung von Emsland-Büchern wie dem eben genannten „Der Herzog und sein Kumpan” nicht nachvollziehen, die ich etwa auf dem Georgianum in Lingen von Lehrern häufig gehört habe; der darin verpackte Chauvinismus und Antise­mitismus sind (oder hoffentlich: waren) eben auch ein Kennzeichen des platten Emslands: Die schwindelnd hohe Auflage, die das Buch inzwischen erreicht hat, spricht Bände.

Trotz allem spreche ich gern platt. Einmal, auf einem akademischen Seminar, wo ‘sich allerhand gelehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Referentinnen und Re­ferenten tummelten, traf ich einen, der mindestens genausogut platt konnte wie ich. Die anderen konnten es alle nicht. Wir beide haben uns dann abends beim gemütlichen Teil des Seminars, apres etudes` sozusagen, so richtig schön mitten in die kleine Kneipe gesetzt und uns nichtendenwollend auf Platt unterhalten, aber so, daß alle es hören mußten. Wir haben angegeben wie die Sülzsäcke. Es war zu einer Zeit, als es gerade wieder einmal schick war, Dialekt zu sprechen. Mein Gott, hat man uns respektvoll zur Kenntnis genommen! Wer eine solch schöne Sprache könne, sei doch beneidenswert, meinte man. Wir fühlten uns kulturell und über­haupt bedeutend.

Möge also das Platt nicht aussterben und möge es an Menschen nicht mangeln, die sich der Mühe unterziehen, auf Platt zu schreiben. Denn das kann ich nicht, jedenfalls nicht richtig. Ich habe zur Vorbereitung dieses kleinen Textes nochmal Fritz Reuter konsultiert, den Goethe der Mundartdichtung, das ist nun leider wie­der Mecklenburger Platt, ganz was anderes als Emsländer Platt. Aber meine Reuter-Ausgabe hat ein schönes kleines Wörterbuch als Supplement, in dem man nachschlagen kann. Ich weiß nicht, ob es so etwas auch schon für das Emsländer Platt gibt; wenn nicht, dann sollten die Edlen es sich ihren Schweiß wert sein las­sen, etwas entsprechendes anzufertigen. Dann kämen vielleicht auch manche in­zwischen weitgehend vergessene Wörter wieder ans Licht und zu Ehren, wie zum Beispiel „föddelk” oder „klössen”, „puchen” oder „ampatt”. – In diesem Sinne: Munterholn!

Sch`manks

sch`morgens

sch`mirrages

sch`nommirrages

sch`noms

sch`nachens

sch maitiets

Margret Heuking-Seeger

Abgewöhnen ging nicht


Plattdeutsch zu sprechen und in sehr vielen Situationen auch zu denken, zeigt mir bis heute immer wieder mei­ne Wurzeln. Ich bin zehn Jahre nach Kriegsende gebo­ren und gehöre bestimmt zu der Generation, der man das Plattdeutsche eigentlich „abgewöhnen” mußte, da­mit sie – wie es in den sechziger Jahren allgemein ge­sellschaftlich und wirtschaftlich der Fall war – „aufstre­ben” konnte, damit sie es „besser haben” meine Eltern, meine drei Brüder und ich wohnten – wie meine Großeltern und deren Vorfahren – in einem kleinen emsländischen Dörf­chen (Wettrup). So ein Dorf ist eine abgeschlossene Welt, in der jeder jeden kennt. Bis auf den Pfarrer und die Lehrer (damals hatten wir noch zwei in unserer klei­nen Volksschule) sprachen alle dieselbe Sprache -Plattdeutsch. Öffnete sich unse­re Welt einmal und fuhren wir (mein Vater erwarb sein erstes Auto, als ich sieben Jahre alt war) zu Verwandten oder Freunden, gab es auch dort keine Änderung in der gegenseitigen Verständigung: Man sprach plattdeutsch. Lediglich bei Einkäu­fen – in Lingen beispielsweise – hörte ich meine Eltern hochdeutsch sprechen und stellte als Kind deutlich fest: Das ist die Fremde, und es verschwand jene Art von Sicherheit oder Geborgenheit, die wir Kinder ansonsten kannten.

Ostern 1962 wurden wir eingeschult, meine Cousine und ich. Wir erwarteten die­sen Tag voller Vorfreude und Spannung – im Unterschied zu einigen Mitschülern, die voller Ängstlichkeit auf ihre Mütter schauten. Woher aber kam unsere unge­trübte Vorfreude? Wir hatten doch bereits Hochdeutsch geübt, das heißt, wir gehör­ten nicht zu den Schulneulingen, die in die Lage kommen konnten, ihre neue Leh­rerin eventuell nicht zu verstehen! Und tatsächlich war es so: Am ersten Schultag mußte sich unsere Lehrerin besonders große Mühe geben, sich verständlich zu machen; daß sie sich auch einiger plattdeutscher Ausdrücke bediente, um den Kin­dern den Schulanfang zu erleichtern, rief besonders bei uns sechs Mädchen Gelächter hervor, sprach sie doch alle plattdeutschen Wörter völlig falsch aus. Noch heute erinnere ich mich an die gemeinsamen Schulwege der ersten Tage: Hochdeutsche Sätze wie „Darf ich deinen Griffel nehmen?” oder „Meine Fibel hat einen neuen Umschlag” wurden akzentuiert ausgesprochen beziehungsweise geübt.

Von nun an wuchsen wir also „zweisprachig” auf – aber mit Beginn meiner Schul­zeit machten meine Eltern mir immer mehr deutlich, daß die plattdeutsche Spra­che mir eines Tages im Wege stehen werde. Sehr zum Leidwesen meiner Großel­tern gehörten auch meine Eltern zu denjenigen, die überzeugt waren, das Plattdeutsche verhindere einen höheren Schulabschluß. Allerdings wagten sie es nicht, innerhalb der Familie, der Verwandtschaft und Nachbarschaft das Hochdeutsche einzuführen – denn das hätte Ärger mit den Großeltern beziehungsweise die Iso­lation im eigenen Dorf bedeutet.

Als Kind spürte ich die Diskrepanz trotzdem sehr stark. Meine Großeltern, beson­ders meine Großmutter, waren gute Erzähler. Ihre Stärke bestand im Erzählen von lustigen Begebenheiten und Anekdoten aus den vorherigen Generationen. Wir Kinder lernten Onkel und Tanten unserer Eltern kennen mit all ihren Liebens­würdigkeiten und Schwächen. Manchmal zeigte meine Großmutter uns dazu auch noch die passenden Fotos. Ich erinnere mich daran, daß sie teilweise völlig andere Ausdrücke gebrauchte, als ich sie von meinen Eltern kannte. Bei ihr gab es „koatmaude” Blusen, die bei meiner Mutter „koatärmelich” waren – und besonders diese noch älteren Wörter reizten mich, hörten sie sich doch so gut an und hatten keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hochdeutschen.

Im Jahre 1963 – ich war acht Jahre alt und ging bereits über ein ganzes Jahr zur Schule – hatte ich (so sehe ich es heute) eine Art Schlüsselerlebnis mit der platt­deutschen Sprache. Da ich ziemlich untergewichtig war, sollte ich zwölf Wochen zur Kinderkur fahren, um (so war vielleicht die Vorstellung) als pausbackiges, ker­niges Kind zurückzukommen. Ich fuhr nach Oberammergau und sprach in der ge­samten Zeit dort kein einziges plattdeutsches Wort. Dort lernte ich einen anderen Dialekt kennen, das Bayrische, und habe erfahren, wie schnell eine Dialektfärbung (besonders bei Kindern) erfolgen kann. Zwölf Wochen Trennung von der gewohn­ten Umgebung, von Eltern und Geschwistern waren für mich damals eine halbe Ewigkeit. Erst einen Tag vor meiner Abreise aus Oberammergau kam mir er­schreckend klar zu Bewußtsein, daß ich nicht mehr plattdeutsch sprechen konnte. In all der Zeit dort hatte ich nur schriftlichen Kontakt mit Zuhause gehabt, und der war selbstverständlich hochdeutsch (an diese Briefe meiner Eltern, die nicht die ge­wohnte Wärme und Anteilnahme ausdrücken konnten, erinnere ich mich – da ich dort sehr unter Heimweh litt – schmerzlich). Mein ältester Bruder drückte nach meiner Ankunft sein eher entsetztes Erstaunen darüber in seiner Frage „Kanns du denn goa kien Plattdütsk mehr” aus, die ich nie vergessen habe.

Ich fühlte mich plötzlith fremd. Ich weiß heute nicht mehr, wie lange es dauerte, bis ich mich wieder heimisch fühlte; aber eine für mich wichtige Begebenheit ha­be ich noch klar vor Augen. Meine Mutter hatte es tagelang beobachtet, daß ich Schwierigkeiten mit dem Plattdeutschen hatte. Teilweise lachte sie über meine „Mischmasch-Sätze” (wie sie sie nannte). Und dann machte sie mir den Vorschlag, der doch drängenden Charakter hatte, beim Hochdeutschen zu bleiben. Für die Schule und mein späteres Leben sei das sowieso besser, und jetzt sei der günstig­ste Zeitpunkt für eine Umstellung. Ich glaube nicht, daß meiner Mutter damals überhaupt bewußt war, was sie mir da riet. Ich erinnere mich daran, daß ich die­sen Vorschlag – wohl wissend, was er bedeutete – kategorisch abgelehnt habe. Noch mehr und häufiger weilte ich bei meiner Großmutter und folgte ihr auf Schritt und Tritt, um mir mein plattdeutsches heimisches Gefilde wieder zurück­zuerobern (wobei meine Großmutter, die Mutters „Vorschlag” wohl vernommen hatte, mir besonders freudig half).

Im Laufe der nächsten Jahre war die Frage Plattdeutsch oder Hochdeutsch nach und nach unwichtig geworden, da meine Eltern merkten, daß wir Kinder mühelos das Plattdeutsche und Hochdeutsche miteinander vereinbaren konnten. Allerdings ist mir sehr gut in Erinnerung geblieben, daß wir in vielen Gesprächssituationen außerhalb unseres Dorfes nicht unbedingt zu erkennen geben sollten, daß wir des Plattdeutschen mächtig waren; Plattdeutschsprechen war wohl gleichzusetzen mit völliger Rückständigkeit, einem Dasein jenseits von Kultur und Bildung. Wir Kin­der erspürten diese Situation, wenn wir, mit unseren Eltern unterwegs waren, ganz intuitiv – ein Verbot, plattdeutsch zu sprechen, ist nie ausgesprochen worden.

Ich habe dann später „trotz” plattdeutscher Sprache das Abitur gemacht und zu­dem ausgerechnet Germanistik studiert. Nachteile hat mir persönlich die platt­deutsche Sprache nicht gebracht; ich möchte eher auf meine Vorteile im Englisch­unterricht und später im Studium beim Übersetzen des Mittelhochdeutschen hin­weisen. Zudem heben mit Sicherheit viele Ausdrucksmöglichkeiten, die ich be­nutze, ihren festen Platz im plattdeutschen Sprachgebrauch.

Heute spreche ich fast ausschließlich hochdeutsch; ich bin Lehrerin und unter­richte das Fach Deutsch in der Erwachsenenbildung. In den Jahren meiner Unter­richtstätigkeit ist es allerdings einmal vorgekommen, daß ich einen Schüler hatte, der zu Unterrichtsbeginn fast kein Hochdeutsch sprach, und diesem Schüler konn­te ich durch mein Plattdeutsch die anfänglichen Barrieren abbauen. Inzwischen leite ich eine Seniorenarbeitsgruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die sogenannte „alte Zeit” zum Leben zu erwecken. In einer 60minütigen Radiosendung (Ems-Vechte-Welle) mit dem Titel „Fröher gaft dat nich…” berichten die Senioren – natür­lich auf Plattdeutsch – aus ihrer Zeit. Diese Arbeit macht mir sehr viel Freude – se­he ich dadurch oft wieder das kleine Mädchen vor mir, das gespannt lächelnd sei­ner aus alten Zeiten erzählenden Großmutter lauschte.

Soziale und kulturelle Komponenten sind immer eng verbunden mit der Sprache, die diese im großen Maße bedingen, wobei dieser „Dialekt” nicht unmittelbar in eine „andere Sprache” transferiert werden kann, haben doch „Übersetzungen” le­diglich approximativen Charakter, wobei die eigentliche Semantik (Assoziationen, Konnotationen, Denotationen) häufig „auf der Strecke” bleiben muß. Demgemäß sehe ich die plattdeutsche Sprache als wichtiges Medium an, das alte „Werte”, sprich Kulturgüter, im Original rettet. Dabei kommt der zunehmende Trend, Platt­deutsch wieder salonfähig zu machen, diesem Ansinnen sicherlich sehr entgegen.

Auf den Punkt gebracht: Wenn wir unseren Kindern eine Vorstellung vom Leben ihrer Vorfahren erhalten wollen und ihnen damit ermöglichen, ihre Existenz als Kontinuum zu begreifen, müssen wir vor allen Dingen die Sprache ihrer Vorfahren erhalten.

Hubert Hüring

So richtig emsländisches Urgestein

Frage: Herr Hüring, welche Beziehungen haben Sie zur plattdeutschen Sprache?

Anwort: Meine Eltern haben untereinander nur platt­deutsch gesprochen, mit uns Kindern wurde jedoch ausschließlich hochdeutsch geredet. Ich nehme an, daß hauptsächlich mit Blick auf die spätere Schullaufbahn die Entscheidung gegen das Plattdeutsche gefallen war. Ich habe also die plattdeutsche Sprache nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Wenn ich heute platt spreche

– ich meine eigentlich, daß ich das einigermaßen kann -, dann sagen mir meine plattdeutschen Gegenüber, so zum Beispiel Gerd Gerdes, der früher beim SV Mep pen spielte: „Hör up, du kaas dat nich!” Ich bin also doch wohl kein Plattdeutscher im herkömmlichen Sinne.

Aber eine gewisse Zuneigung zu dieser Sprache scheinen Sie doch zu hegen?

Es ist eine Vorliebe von mir, Witze, die eigentlich nur auf plattdeutsch wirken, zum besten zu geben. Ich habe diese zumeist von Bernhard Hoveding, der war eine Zeitlang Chef auf der Freilichtbühne in Meppen. Ein Witz fällt mir spontan ein: Ein Bauer geht mit seinem neuen Jagdhund auf die Jagd und schießt über einem See ei­ne Ente ab. Daraufhin befiehlt er seinem Hund: „Apport”. Der läuft schnurstracks über das Wasser, kommt zurückgelaufen mit der Ente im Maul und legt sie neben dem erstaunten Herrn ab. Das geschieht zum wiederholten Male. Diese Errun­genschaft des Hundes will er am nächsten Tag seinem Jagdgenossen Gerd zeigen und nimmt ihn am Abend ebenfalls mit zur Entenjagd. Sie kommen wieder an den See, der Bauer schießt eine Ente, der Hund rennt auf Kommando über das Wasser und bringt die Jagdbeute seinem Herrn zurück. Gerd denkt: „Verdüllt, dat kann doch nich!” Aber er sagt nichts. Nach einer Weile wiederholt sich das Schauspiel: Schuß! Der Hund flitzt über das Wasser und bringt das tote Federwild sofort zu sei­nem Herrn zurück. Als Gerd sich noch immer nichts anmerken läßt, fragt ihn der erfolgreiche Jäger: „Gerd, fallt di an miene Rüe nix up?” Gerd krault sich an sei­nem Bart und antwortet bedächtig: Jao, ick woll die dat nich so seggen, man ick glöwe, dien Hund, de kann gar nich schwömmen!”

Sie stammen aus Lathen. Haben denn Ihre Klassenkameraden damals denn nicht in der Mehrzahl platt gesprochen?

Einige haben plattdeutsch gesprochen, aber nicht die Mehrzahl meiner Altersge­nossen.

Wilhelm Horstmeyer

De Duwen in Köln

Wer Platt spricht, spricht eine Sprache mehr! Dieser Grundsatz hat sich in meinem Leben – sowohl im privaten als auch beruflichen – und bei der Übernahmahme von Ämtern im öffentlichen Bereich immer wieder bestätigt und bewährt.

Aufgewachsen bin ich in Ostfriesland in einer Familie, in der nicht grundsätzlich plattdeutsch gesprochen wur­de. Mein Vater unterhielt sich in Platt, wenn seine Ge­schwister zu Besuch kamen, aber meine Mutter war nicht mit dieser Sprache aufgewachsen.

Selbst lernte ich Plattdeutsch nach meiner Einschulung in Emden kennen und vor allem sprechen. Es war fastselbstverständlich, daß in der Pause auf dem Schulhof unter den Schülern die neuesten Erlebnisse in dieser Sprache ausgetauscht wur­den. Besonders bemerkbar machte sich das bei dem  Besuch des Gymnasiums, als mehr Klassenkameraden vom Lande zu uns kamen. Plattsprechen war für uns ein Gegengewicht gegenüber dem Lateinischen und Griechischen, was wir zu büffeln hatten. Freude bereitete es uns, wenn wir Lehrer „aus Deutschland” hatten, die mit dem Plattdeutschen nichts anzufangen wußten. Manche Spitznamen unserer Lehrer kamen auch aus dem Plattdeutschen, und ich habe nicht den Namen „Schaapkäs” vergessen.

Beim Eintritt in das praktische Berufsleben als Schiffbau-Volontär bei den Nord­seewerken in Emden wäre ich ohne Plattdeutsch kaum weitergekommen. Der Ge­selle, dem ich zugeteilt wurde, fragte mich einfach „Woar heest du?” und „Wat maakt dien Vader” oder „Hest all’ mal ‘nen Hamer in’t Hand hat?”

Gleiche Erlebnisse hatte ich während meiner Wehrdienstzeit bei der Marine. Oft waren viele Norddeutsche an Bord, und selbstverständlich wurde auch hier platt­deutsch gesprochen. Erst recht bekam ich nach 1945 mit der plattdeutschen Spra­che zu tun, als ich meine Ausbildung in der Landwirtschaft begann. Schiffbau hat­te nach Kriegsende keine Zukunft, und eine Weiterführung des Studiums war für mich aussichtslos. In der ostfriesischen Marsch begann ich meine Lehre.

Neue Ausdrücke des Plattdeutschen lernte ich kennen – Ausdrücke, die nicht ins Hochdeutsche übersetzt werden können. An dem ostfriesischen Stelzpflug befin­det sich, um den von Pferden gezogenen Pflug weit an die Grabenkanten führen zu können, „dat ruum End”. Jeder Fachmann weiß, was das ist, aber „ein raumes Ende” ist in der hochdeutschen Sprache nicht zu verstehen. Besonders in der Land­wirtschaft und im ländlichen Raum hat das Plattdeutsche meines Erachtens heute noch ein Zuhause.

Unter den norddeutschen Studenten war Plattdeutsch auch während meiner anschließenden landwirtschaftlichen und pädagogischen Studierzeit die Umgangs­sprache. Warum sollte man seine Heimatsprache verleugnen? Während des Pädagogikstudiums zum Landwirtschaftlichen Berufsschullehrer wurde uns die Bedeutung des Plattdeutschen im Unterricht auch immer wieder mit Beispielen klar gemacht. Ich erinnere mich an eine Vorlesung, in welcher der Professor uns erzählte, daß während seiner Lehrerzeit in einer Grundschule plötzlich ein Junge ohne Worte die Klasse verließ und wegrannte. Als er nach einiger Zeit ins Klas­senzimmer zurückkehrte und gefragt wurde, wo er denn gewesen sei, habe er ge­antwortet: „Ick haar vergeten, mien Kaninen to fooren.” „Was hätte ich”, – so der Professor – „in dem Jungen an Pflichtbewußtsein zerstört, wenn ich ihn nicht ver­standen und gemaßregelt hätte.”

Ähnliche Beispiele kann ich aus meiner eigenen Unterrichtstätigkeit erzählen. Auf der Fahrt mit einer Ihrufschulklasse an den Rhein machten wir in Köln Halt. Die Höhe und bauliche Ausstrahlungskraft des Domes und auch die Größe des Haupt­bahnhofes beeindruckten die Fahrtteilnehmer kaum. Plattdeutsche Worte wie „Mußt eben kieken, doar sind Duwen” und die Frage „Düren wie hier ok platt prooten” waren viel wichtiger. Eine Schülerin erzählte nach Verlassen des Domes von anderen Besuchern: „De hebbt uns fragt, of wie Hollanders wären”.

Im Jahre 1956 kam ich in den Landkreis Grafschaft Bentheim, um hier die Leitung der Landwirtschaftlichen Berufsbildenden Schulen zu übernehmen. Bei dieser Aufgabe, den vielen Elternbesuchen und Verhandlungen mit den Vertretern von landwirtschaftlichen Organisationen, kamen mir ebenfalls meine plattdeutschen Sprachkenntnisse zugute. Im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern war Plattdeutsch eine Brücke zum gegenseitigen Verständnis. Neben der Schule her begannen wir gemeinsam mit der Landjugendarbeit, und bei dieser Arbeit stand das plattdeutsche Laienspiel mit im Mittelpunkt. Seit dem Jahre 1960 spielt die Landjugend Nordhorn – wie auch andere Landjugendgruppen im Kreisgebiet – in je­dem Winterhalbjahr ein plattdeutsches Stück und zählt bei etwa acht Aufführun­gen tausende Besucher.

Ist Plattdeutsch überholt und eine zurückgehende Sprache? Die vorliegenden Zah­len beweisen meines Erachtens das Gegenteil. Leider sind zu wenige plattdeutsche Stücke im Grafschafter Platt geschrieben. Und werden sie aus anderen Regionen übernommen, besteht die Gefahr, daß nichttypische Grafschafter Ausdrücke mit einfließen.

Um das Plattdeutsche zu fördern, habe ich seit etwa 30 Jahren im zweijährigen Turnus als Vorstandsmitglied des Heimatvereins in Verbindung mit der Kreissparkasse und dem Schulaufsichtsamt die Organisation von plattdeutschen Lesewett bewerben übernommen. Wider Erwarten zeigt die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler bei jedem Wettbewerb eine steigende Tendenz, so daß wir seit elnl gen Jahren vor den Kreisentscheiden in den einzelnen interessierten Schulen Vor entscheide einführen mußten. Beim letzten Wettbewerb haben in den Voreilt scheiden von 36 Schulen etwa 530 Schülerinnen und Schüler teilgenommen, von denen sich 140 für den Kreisentscheid qualifizieren konnten.

Änderungen in den Bevölkerungsstrukturen durch Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen und auch Änderungen im Schulsystem durch Einführung von zentralen Schulen, Kindergärten und Spielkreisen haben in den letzten Jahrzehn­ten für die Beibehaltung des Plattdeutschen negative Spuren hinterlassen. Sollen und müssen wir aber auf das, was hier in unserer Region eigenständig und ge­wachsen ist, verzichten? Für heimatverbundene Organisationen, Elternhäuser und schulische Einrichtungen besteht zur Erhaltung des Plattdeutschen nach meiner Auffassung eine besondere Verpflichtung! Plattdeutsch darf in der Schule zum Bei­spiel nicht als „Fach” unterrichtet werden, sondern muß Unterrichtsprinzip sein. Das setzt voraus, daß an den Schulen Lehrkräfte als Ansprechpartner (Obleute) zur Verfügung stehen, die sich verstärkt für die Erhaltung der regionalen Sprache ein­setzen.

Viele Jahre hindurch war ich im kommunalpolitischen Bereich tätig und hatte auch führende Ämter übernommen. Wenn auch im offiziellen Bereich die hochdeut­sche Sprache Amtssprache war, so war im Gespräch mit den Menschen vor Ort vielfach das Plattdeutsche vorherrschend. Gerne denke ich an Besuche bei älteren Mitbürgern zurück, wenn sie Geburtstage hatten oder Ehejubiläen feiern konnten. Die Berichte von früher wurden meistens im Grafschafter Platt vorgetragen, und ich bedaure im nachhinein, daß ich kein Tonbandgerät bei mir hatte, um die Er­lebnisse aus früheren Zeiten aufnehmen zu können. Berichte aus den landwirt­schaftlichen Betrieben und aus den Anfängen der Textilindustrie sowie dem Wach­sen der Stadt Nordhorn, der Anbindung an den Verkehr, der Entwicklung von Handel und Wandel in der Stadt und im Kreisgebiet, dem Fertigwerden mit den Grenzproblemen – einschließlich des Schmuggels – auf Grafschafter Platt vorgetra­gen, sind leider unwiederbringliche Kostbarkeiten, und ich kann nur darauf hin­weisen, in dieser Hinsicht f4tzuhalten, was heute noch festzuhalten ist.

Wie sehr gerade die plattdeutsche Sprache vermag, Menschen anzusprechen und sich mit ihren Problemen dem Gesprächspartner anzuvertrauen, habe ich als Bür­germeister von Nordhorn in meinen wöchentlichen Sprechstunden erfahren kön­nen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Sozialhilfeempfängerin, die eine Jahresabrechnung von den Versorgungsbetrieben nicht begleichen konnte, weil ihr der geringe Betrag fehlte. Wie muß die Frau sich selbst überwunden haben, um überhaupt ins Rathaus zu kommen und mir das vorzutragen. Sie meinte, ihr Pro­blem hochdeutsch mitteilen zu müssen, und erst als ich sie ermuntert hatte, mir das Anliegen plattdeutsch zu erzählen, war die Scheu überwunden. Daß ihr zu helfen war, war in diesem Falle zweitrangig, aber in dem dann weiterführenden Ge­spräch stellte sich heraus, daß sie auch noch andere Sorgen in der Familie und in der persönlichen Lebensführung hatte, bei denen ich ihr raten und einige Vor­schläge unterbreiten konnte. Diese Unterhaltung hat mir in besonderer Weise ge­zeigt, wie wichtig es ist, plattdeutsch zu verstehen und zu sprechen, und daß es hilft, Menschen aufgeschlossener und freier werden zu lassen.

In der Zeit meiner öffentlichen Ämter habe ich einige Male auswärtige Gäste in plattdeutscher Sprache begrüßt. Das löste in manchen Fällen Erstaunen aus, den sogenannten „Aha-Effekt”, auf den keiner gefaßt war. Während einer Tagung des plattdeutschen „Schrieverkrings” wurde ich von den Gästen gebeten, bei einer Rundfahrt die Stadt Nordhorn in Platt vorzustellen. Diese Bitte habe ich als per­sönliche Herausforderung verstanden und sie befolgt. Es geht! •

Grafschafter Platt und das Platt aus der benachbarten Twente in den Niederlanden sind sehr miteinander verwandt. Als die Räte der Stadt Nordhorn und der Ge­meinde Denekamp NL im Jahre 1993 nach Öffnung der Grenze zum ersten Male zusammen tagten, um gemeinsam über Fragen der Grenzöffnung und des ge­meinsamen Europas zu beraten, hielt ein Wethouder (Dezernent) der Nachbarge­meinde sein Referat auf Twenter Platt. Verkehrsfragen, Straßenführungen, Vor-und Nachteile des Wegfalls der Grenzkontrollen usw. wurden auch in dieser Re­gionalsprache von allen verstanden.

Erlebt habe ich bei einem Empfang von Grafschaftern, die nach dem Kriege in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren und zu einem Besuch in ihrer alten Hei­mat weilten, wie sie heute – nach über 45 Jahren – noch untereinander plattdeutsch sprechen. Nur bei der nachwachsenden Generation nimmt das Englische als Um­gangssprache zu. Bei dem offiziellen Empfang der Gruppe durch die Stadt Nord­horn wurde vom Plattdeutschen ins Englische und umgekehrt gedolmetscht. Wo hat es so etwas bei Empfängen auf diplomatischer Bühne schon gegeben!

Und privat? Meine Frau und ich sprechen nur plattdeutsch miteinander und teilen darin auch Freude und Sorgen. Selbst wenn ich aus naher oder weiter Entfernung zu Hause anrufe, schalte ich unwillkürlich auf das Plattdeutsche um. Die Mehrzahl unserer Kinder und Enkelkinder sind leider nicht mehr in der Grafschaft Bentheim, da sie beruflich anderswo ihre Arbeit gefunden haben. Sie sprechen nicht platt­deutsch, verstehen es aber sehr gut. Die Enkel haben damit größere Schwierigkei­ten. Das darf uns hier in unserer engeren Heimat aber nicht dazu verleiten, die bei uns als bodenständig geltende Sprache zu vernachlässigen. Wir müssen sie als un­wiederbringliches und unersetzliches Kulturgut weiterhin beibehalten und för­dern.

Johannes Hayunga

„Ick häb di uppen Trecker int Radio hört”

Obwohl ich zu jenen Menschen gehöre, deren Wiege nicht im Emsland oder in der Grafschaft Bentheim ge­standen hat, will ich versuchen, die Bedeutung der emsländischen Mundart aus meinem Sichtwinkel zu beschreiben. Ich gehöre also zu jener Menschengrup­pe, die man gemeinhin „tolopen Volk” nennt. Ich bin al­lerdings nicht aus freien Stücken ins Emsland und spä­ter in das Bentheimer Land gezogen, sondern die Mei­nung meiner Dienstherren brachte mich in diese Regio­nen, und, um es gleich vorweg zu sagen, ich habe das nicht bedauert.

Meine Heimat, in der ich meine Kinder- und Jugendjah­re verbracht habe, ist aber gar nicht so weit von mei­nem heutigen Lebensbereich entfernt. Sie liegt etwas nördlicher, zwischen der Ems und der niederländi­schen Grenze, ist ein Teil Ostfrieslands und nennt sich das Rheiderland. Die dort übliche plattdeutsche Sprache unterscheidet sich nicht wesentlich vom emsländi-schen Platt.

Meine über 37jährige berufliche Tätigkeit als Landvermesser bei den Katasteräm­tern in Sögel, Papenburg und Nordhorn und der damit verbundene Kontakt mit der Bevölkerung dieser Landstriche haben mir deutlich gemacht, daß die platt­deutsche Umgangssprache bürokratische Klippen leichter überwinden kann als die hochdeutsche Amtssprache. Verschweigen will ich aber nicht, daß die regio­nalen Unterschiede in der plattdeutschen Sprechart bei mir manchmal zunächst auf Unverständnis stießen, die sich aber meistens humorvoll auflösten.

Im einzelnen möchte ich auf mein berufliches, mein gesellschaftliches und mein kirchliches Umfeld eingehen.

Im beruflichen Bereich: Als Vermessungsbeamter hat man auf eine besondere Art mit der Bevölkerung zu tun. Man muß „vor Ort” seine Tätigkeit ausüben und un­ter den dort gegebenen Bedingungen mit den Grundeigentümern und denen, die es werden sollen, verhandeln. Auch die Grenznachbarn sind in diesen Prozeß ein­bezogen, weil es in den meisten Fällen um Grenzen geht, die sich je nach dem Ver­halten der Menschen verfestigt oder verändert haben. Den Abschluß der Arbeiten dokumentiert eine schriftlich formulierte Verhandlung, bei der sich die Beteiligten mit den festgestellten Grenzen einverstanden erklären oder auch nicht.

Bei amtlichen Vermessungsarbeiten für Menschen, die verhältnismäßig wenig mit Behörden zu tun haben, ist das Vertrauensklima zwischen dem „Beamten” und den „Betroffenen” entscheidend wichtig. Darüber hinaus kommt der Beamte zu den Menschen in deren vertraute Umgebung, in der sie sich freier fühlen und in der die ungewohnte und beklemmende „Büroluft” ihr Verhalten nicht einschnürt. Schon die ersten Minuten der Begegnung ebnen oder versperren den Weg zu ei­nem ausgewogenen „Miteinander”.

Wenn der Beamte in einer der Landbevölkerung ungewohnten Weise auftritt, müs­sen zuerst Hemmnisse weggeräumt werden. Wenn der Beamte jedoch die Betei­ligten gleich in Plattdeutsch anspricht, sind oft schon wesentliche Klippen beseitigt. Nach meiner Erfahrung ist die Aussage: „Dar, dar mudden Se unnerschrieven!” wirkungsvoller als die förmliche Aufforderung zur Namensunterschrift; dabei ist die bei plattdeutschen Fernsehsendungen heute so oft gebräuchliche anbiedernde „Du-Anrede” meines Erachtens durchaus nicht immer vertrauenbildend. Ich habe erfahren, daß der vorsichtige plattdeutsche Umgang mit Menschen Vertrauen weckt; bis dahin, daß ich manchmal auch für rein private Probleme ins Vertrauen gezogen wurde.

Im gesellschaftlichen Raum: Hier verhält es sich nach meinen Erfahrungen so, daß Menschen mit gleicher Mundart sich schnell zusammenschließen. Das ist beson­ders ausgeprägt bei Landsleuten, die in einer ihnen fremden Umgebung leben müssen. Der Aufruf von ein paar beherzten Leuten an ihre Landsleute aus Ost­friesland, die als „Butenostfriesen” in der Grafschaft Bentheim leben, hatte zum Beispiel eine so große Wirkung, daß heute, nach über 20 Jahren, diese Zusam­menkunft zu einer Institution geworden ist, in der sich nicht nur ehemalige Ost­friesen wohl fühlen. Nach meiner Kenntnis ist das nicht nur im Emsland so. Die plattdeutsche Sprache ist eben ein Verbindungsglied, das Menschen zusammen­führt, auch wenn sie sich in ihrer alten Heimat nicht näher gekommen waren.

Für den Fortbestand der heimatlichen Mundart spielt die Presse eine bedeutende Rolle, weil sie die Gemeinschaft Gleichgesinnter wirkungsvoll öffentlich macht.

Im kirchlichen Bereich: Als ordinierter Ältestenprediger in der Evangelisch-refor­mierten Kirche sträube ich mich jedoch, in der Grafschaft Bentheim plattdeutsch zu predigen, weil ich befürchte, daß rein mundartliche Besonderheiten der Predigt einen eigenartigen Klang geben könnten. Ich habe da meine Erfahrungen: An mei­nem 65. Geburtstag, einem Sonntag, klingelte schon vor sieben Uhr das Telefon. Statt eines Glückwunsches bat mich ein Grafschafter Kollege, ihn bei der anbe­raumten plattdeutschen Predigt zu vertreten, weil er aus gesundheitlichen Grün­den nicht auf die Kanzel gehen könne. Nach dem Gottesdienst haben sich mir wohlgesinnte Gottesdienstbesucher liebevoll für die Predigt bedankt, sie haben mir aber auch gesagt, daß sie manche meiner Redewendungen nicht verstanden hätten. Das ist für mich ein Grund, mich auf das Wagnis einer plattdeutschen Pre­digt in der Grafschaft nur im äußersten Notfall einzulassen.

Heinz Jansen

„De kanns nemmen”

Am 30. Juni 1998 hatte ich in Meppen die Möglichkeit, eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren aus den Ortsteilen Bookhof, Felsen und Neuenlande der Ge­meinde Herzlake in Meppen begrüßen zu können. Ich wollte ihnen die Stadt zeigen und spürte plötzlich, daß es mir sehr leicht fiel, auch teilweise in Plattdeutsch mit diesen Gästen zu sprechen. Ich merkte, wie wir uns  durch die plattdeutsche Sprache .emotional näherten, und je mehr ich diese Gemeinschaft und Sympathie spürte, je stärker sprach ich plattdeutsch. Wir haben sehr viel gelacht und auch viel erzählt. Nur, so glaube ich, ohne die plattdeutsche Sprache wäre es zu dieser emotionalen und sympathischen Begegnung nicht gekommen.

Ich habe nicht oft den Mut, plattdeutsch zu sprechen, weil ich es nicht von Beginn an gelernt habe und darum nicht im vollen Umfang sprechen kann. Als ich vor 31 Jahren aus Bochum, wo ich geboren und aufgewachsen bin, hierher nach Mep-pen als Kreisjugendpfleger kam, amüsierten sich alle über meinen Ruhrgebietsdia­lekt. Ich sprach wie der aus dem Fernsehen bekannte Jürgen von Manger, der die Ruhrgebietssprache ebenfalls pflegte und der sich durch entsprechende Gegeben­heiten und Anekdoten sehr bekannt machte. Auch heute merkt man durchaus noch, daß ich aus dem Ruhrgebiet komme.

Ich bin natürlich ein begeisterter Anhänger der plattdeutschen Sprache geworden. Nachdem ich einige Monate hier in Meppen gewohnt habe, bin ich durch die Ver­mittlung des jetzigen Stadtdirektors Schultejanns aus Haren auf einen Bauernhof nach Wesuwe gezogen. Ich wurde sofort in die ganze Familie integriert und muß­te natürlich auch plattdeutsch reden lernen. Ich lernte, daß Mutterschweine nicht Sauen, sondern Mutten hießen; daß Ferkel als „Biggen” und der Eber als „Bär” be­zeichnet wurde. Ich mußte lernen, daß der Bürgermeister nicht Hermann Schulte, sondern Conrads Herrn hieß. Ich brauchte natürlich eine lange Zeit, um zu begrei­fen, daß der Name, mit dem man jemanden ansprach, nicht der tatsächliche Name war.

Jedenfalls mußte ich bei meinen vielfältigen und guten Kontakten in Wesuwe ler­nen, plattdeutsch zu verstehen und auch zu sprechen. Im Laufe der Zeit ging mein Dialekt schon ins Plattdeutsche über. Natürlich waren besonders auch Anekdoten und Witze in Plattdeutsch etwas, was mich ganz besonders begeisterte. In Wesu-we wohnte ich ja auf einem Bauernhof, wo die Familie nur plattdeutsch sprach.

Der kleine Sohn des Hauses war an einem Dienstag am späten Nachmittag unter die Dusche gegangen. Plötzlich stand sein kleiner Freund vor mir und fragte auf Plattdeutsch: „Is Heinz-Hermann in Hus?” Ich antwortete: Ja, aber er steht unter der Dusche!” Da guckte er mich treuherzig an und sagte: „Wieso, is denn vandao ge Saoterdag?”

Einer meiner Lieblingswitze, den man nur auf Plattdeutsch richtig begreifen kann, geht so: Auf einem Bauernhof in Wesuwe lebt eine verwitwete Bäuerin mit ihrer 30jährigen ledigen Tochter. Die Mutter sagt an einem Wochenende zu ihr: „Agnes, Du gaihst vandaoge nao Hebelermeer naohl Schützenfest un kiekst di maol ‘nen Kerl an, dat endliks äiner hier int Hus kump.” Agnes geht auch hin, kommt spät wieder, und am Sonntagmorgen fragt die Mutter: „Na Agnes, wu was dat dann?” Agnes segg: „Ick häb wall ‘nen Kerl kennenlernt, aber de hät nur roket und roket und hät nich mehr uphört zu roken.” Darauf die Mutter: „Den Kerl moss nich näm-men, dat wäd mit de Tied immer döller.” Eine Woche später muß Agnes zum Schützenfest nach Altharen. Sie geht hin, und am Sonntagmorgen fragt die Mut­ter: „Agnes, wu was dat dann? Häst ,nen Kerl kennenlernt?” Joa”, segg Agnes, „häb ick. He hät nur supet und supet und hörde nich up.” „Den Kerl moss nich nämmen, dat wäd mit de Tied immer döller”. Am nächsten Samstag sagt Mutter: „Agnes, vandaoge gaihst de noaht Schützenfest naoh Wesuwe”. Agnes geht hin. Am Sonntagmorgen fragt die Mutter wieder: „Wu was dat dann? Häst ‘nen Kerl kennenlernt?” „Dat häb ick”, segg Agnes, „hei hät mi griepet und grapet und hör-de gar nicht mehr up daomet”. „Den Kerl moss nähmen, dat wät met de Tied im­mer minner”, segg de Moder.

Während meiner ersten Zeit im Kreistag wunderte sich meine Frau, daß ich immer der Letzte war, der nach den Sitzungen nach Hause kam. Ich muß auch gestehen, daß der Grund darin lag, daß ich mit großer Begeisterung immer den Reden der Kollegen zuhörte, die plattdeutsch sprachen. Ich erinnere mich noch gerne an die Dönkes und Anekdoten von Nottbergs Herrn oder unserem Landrat Strodt Aloys, von Otto Sube aus Neuenlande, Hubert Mödden aus Lastrup, um nur einige zu nennen. Sie alle hatten eine herrliche Gabe, auf Plattdeutsch zu erzählen. Leider weiß ich bis heute immer noch nicht, ob all das, was sie an Dönkes und Gegeben­heiten erzählten, überhaupt immer stimmte. Jedenfalls war ich einer ihrer begei­sterten Zuhörer.

Und so muß ich insgesamt sagen, daß die plattdeutsche Sprache mir richtig ans Herz gewachsen ist und ich manchmal bedauere, daß ich bei meinen Besuchen in Bochum keinen habe, mit dem ich plattdeutsch sprechen kann, um den Ruhrge-bietlern zu zeigen, wie stolz ich auf diese Sprache bin, die ich schätze, pflegen und sprechen möchte.

 

Friedrich Kirschner

Advokaten – Platt

Im Herzen des Emslandes auf einem Bauernhof geboren, habe ich erstaunlicherweise erst recht spät Zugang zur plattdeutschen Sprache gefunden. Platt wurde in der Familie fast gar nicht und auf dem elterli­chen Hof, das heißt unter den übrigen Hofbewohnern, nur wenig gesprochen.

Das tägliche Leben wie Einkaufen und Schulbesuch war wegen der Stadtrandlage des Hofes auf die Stadt Meppen ausgerichtet. Kinder und Jugendliche in der Stadt sprachen praktisch überhaupt kein Plattdeutsch. Plattdeutsche Töne drangen daher recht selten an meine Kinderohren. Unbewußt dürfte dieses sogar Bestand­teil des Erziehungskonzepts meiner Eltern gewesen sein. Die Kinder, die mit „Platt” aufwuchsen, sollten nach seinerzeit verbreiteter Auffassung Sprachproble­me in der Schule bekommen, da dort ausschließlich Hochdeutsch gefragt sei. So vergingen die Grundschuljahre mehr oder minder in der Erkenntnis, daß der platt­deutschen Sprache kein hoher Stellenwert beizumessen sei.

Erst in den Folgejahren stellte sich peu a peu für mich die eigentliche Bedeutung des Niederdeutschen heraus. Auf dem Gymnasium fanden sich viele Mitschüler mit ländlicher Abstammung, die sich mit zunehmendem Alter jedenfalls unterein­ander zu ihrer Abstammung bekannten und platt sprachen. Verstehen konnte ich alles; nur wie dumm, wenn man sich am Gespräch nicht so recht beteiligen konn­te. Für die Städter war ich der Bauernsohn, für die Schüler aus dem ländlichen Um­feld eher das Stadtkind.

Dieser Identitätskrise galt es Paroli zu bieten. Circa ab Untertertia nahm ich jede Gelegenheit wahr, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Als mein Lehrer fungierte ein emsländisches Urgestein, ein mit ungemein tiefgehenden Lebens­weisheiten ausgestatteter Hofbewohner, der sich dem Zeitgeschehen als Frührent­ner intensiv widmen konnte und mir das Rüstzeug für mein späteres Plattdeutsch lieferte. Nach dem Mittagessen leistete ich ihm beim Priemen Gesellschaft. Mein Gesprächspartner sägte das Brennholz, und ich hatte alle Mühe damit, dessen plattdeutschen „Ergüsse” richtig zu verarbeiten. So hätte ich hiernach bei stärke­ren Regengüssen befürchten müssen, „dat wi alle versupet”. In dieser Zeit wurde der Grundstein für meine plattdeutsche Anekdotensammlung gelegt, die nicht von hohem Niveau, so doch von bedeutendem Unterhaltungswert ist. Auf jeden Fall hilft mir heute der gelegentliche Rückgriff hierauf bei dem Wunsch, den Eindruck zu vermitteln, ein aktives Mitglied der niederdeutschen Sprachgemeinde gewor­den zu sein.

Als das Interesse am anderen Geschlecht wach wurde, hatten ländliche Tanzver­anstaltungen als Kontrast zum Diskothekeneinerlei gelegentlich auf mich hohe An­ziehungskraft. Ob bei Vennemann in Lehrte oder Cantzen in Groß Hesepe, die Ge­spräche mit den Damen wurden auch schon mal auf Platt geführt und ich von die­sen sehr schnell der fehlenden originären Sprachzugehörigkeit überführt. Der Stel­lenwert des Plattdeutschen wuchs. Ich wollte dabeisein. Ab dieser Zeit habe ich es als noch mißlicher empfunden, ein emsländischer Bauernsohn zu sein, der in ge­wissen Lebenssituationen mit doch eher schlechter Kommunikationsmöglichkeit ausgestattet war. Immer wieder wurde ich nämlich eines unsauberen Platts über­führt.

Dennoch darf ich davon erzählen, während meines ersten Semesters in Berlin ge­meinsam mit zwei emsländischen Studienfreunden in einer Gaststätte vom Thre-senpublikum plattsprechenderweise angetroffen worden zu sein, wobei wir in die­ser Schöneberger Insiderkneipe für waschechte Niederländer gehalten wurden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt glaube ich, den Durchbruch geschafft zu haben. Wir begriffen uns als durch die gemeinsame Sprache miteinander besonders ver­bunden. Die anderen 1hresengäste haben wir dennoch nicht in ihrem Irrglauben belassen.

Mittlerweile hat das Plattdeutsche sowohl in meinem beruflichen Leben als auch in meiner Freizeit einen nicht mehr wegzudenkenden hohen Stellenwert. Es ver­geht kaum ein Tag, an dem nicht zumindest ein paar Sätze platt gesprochen wer­den. Als in mittleren Jahren stehender Rechtsanwalt und Notar findet sich in mei­ner Kanzlei zunehmend Klientel aus dem dörflichen Bereich ein. Gerade bei Bera­tungsgesprächen für letztwillige Verfügungen oder Hofübertragungen erlebe ich es häufig, daß meine Gesprächspartner es dankbar annehmen, sich mit mir platt­deutsch unterhalten zu können. Erst im Platt finden viele Ältere die Möglichkeit, aus sich herauszukommen.

Häufig wendet sich das Gespräch, wenn es vom Hochdeutschen weg in die ver­traute Mundart geht. Man erfährt Dinge, die ansonsten nicht ausgesprochen wür­den. Das Familiengeflecht mit seinen für Außenstehende oft nur schwer zugängli­chen Strukturen läßt sich für den Zuhörer viel besser erschließen. Unterschwellig vorhandenen Begehrlichkeiten von nicht zu bedenkenden Angehörigen oder auch Nachbarn, die sich etwas „ausgerechnet” haben, kann viel besser begegnet wer­den. Der Einblick geht tiefer. Gesprächshürden werden abgebaut. Das im Platt selbstverständliche „Du” findet Eingang in das Gespräch und sorgt für eine größe­re Vertrauensbasis. So ist es nichts Ungewöhnliches, wenn ich von älteren Man­danten geduzt werde, die ich hingegen mit dem „Sie” anspreche.

Als Jäger ist für mich die plattdeutsche Sprache aus meinem Leben gar nicht mehr wegzudenken. Sie ist bei und gerade auch nach der Gesellschaftsjagd das „Salz in der Suppe”. Die Vorträge auf Platt stellen beim Schüsseltreiben einen Hochgenuß für Teilnehmer der Jagdgesellschaft dar. Die Witze unter Männern wirken, auf Platterzählt, fast nie gewöhnlich und wären selbst für Damenohren geeignet, was  bei einer hochdeutschen Ausgestaltung derselben kaum der Fall sein dürfte.

Das Platt stellt für den von Hektik geplagten Zeitgenossen eine Bereicherung dar, auf die Folgegenerationen nicht verzichten sollten. Wünschen wir der plattdeut­schen Sprache ein dauerhaftes Blühen, Wachsen und Gedeihen.

Helmut Korte

Mecklenburgisch und Emsländisch

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1942 bin ich mitten im Krieg in Lingen geboren. Mein Vater war Soldat. Um den stärker werdenden Luftan­griffen beziehungsweise der Gefahr der Luftangriffe auf Lingen zu entgehen, ging meine Mutter mit meinem äl­teren Bruder und mir im Januar 1943 in ihre mecklen­burgische Heimat zurück, in der zu dieser Zeit noch tief­ster Friede war. Hier habe ich meine Kontakte mit der plattdeutschen Sprache bekommen, bin praktisch platt­deutsch aufgewachsen bis zum Jahr 1947. Mein Großvater b,. eine Landwirtschaft in Mecklenburg in der Nähe von Woldegk. Es wurde ausschließlich Mecklenburger Platt gesprochen. Hochdeutsch war dort keine Verständigungsform.

Im Jahr 1947 kamen wir nach Lingen zurück. Meine Eltern betrieben eine kleine Gastwirtschaft und einen Lebensmittelladen in der Kivelingsstraße. Später wurde eine Kegelbahn dazugebaut. Unsere Kunden und Gäste sprachen zu einem großen Teil plattdeutsch, dennoch mußte ich mich umgewöhnen, weil es eine völlig ande­re Mundart war, als ich von Mecklenburg her gewöhnt war. Mit der Einschulung 1949 wurde die plattdeutsche Sprache schlagartig aus meinem Leben gebannt. Auch meine Mutter sprach mit mir jetzt nur noch hochdeutsch. In den 50er Jah­ren galt es nach meiner Erinnerung als nicht mehr sehr fein, plattdeutsch zu spre­chen. Auch in unserer Gaststätte wurde die plattdeutsche Sprache zunehmend vom Hochdeutschen verdrängt.

Heute kann ich Platt zwar sehr gut verstehen, aber beim Sprechen habe ich doch so meine Schwierigkeiten. Nach meiner Meinung ist Plattdeutsch eine andere Sprache insofern, als ich Liebenswürdigkeiten und Grobheiten beispielsweise viel nuancierter ausdrücken kann als im Hochdeutschen. Beruflich komme ich mit dem Plattdeutschen heute nur sehr marginal in Berührung.

Die soziale und kulturelle Bedeutung dieser Sprache liegt für mich im Gefühl der Zusammengehörigkeit eines Volksstammes, der sich in den einzelnen Idiomen des Plattdeutschen ausdrückt. Die echten Kenner wissen zum Beispiel, ob jemand Loh-ner Platt oder Elberger Platt spricht, abgesehen vom Hümmlinger Platt, das sich wiederum ganz anders anhört als das Platt im Emsland.

Für mich hat die Sprache nach wie vor einen etwas heimeligen Charakter. Insofern höre ich gerne Plattdeutsch sprechen. Die Gemütlichkeit einer plattdeutschen Ge­sprächsrunde ist sofort greifbar.

Dr. Bernard Krone

„Der hat noch nicht abgehoben”

Frage: Herr Krone, Sie sind einer der größten privaten Arbeitgeber im Emsland mit den Standorten in Speile und Werlte. Stellen Sie bei Ihren Aufenthalten in Ihren Produktionshallen, Werkstätten und Verkaufsniederlas­sungen einen Unterschied im Gebrauch des Plattdeut­schen bei älteren und jüngeren Mitarbeitern fest?

Antwort: Die älteren Mitarbeiter können fast durchweg Platt, und sie sprechen auch bei der Arbeit unter­einander plattdeutsch. Bei den Jüngeren sieht das bei uns ganz anders aus. Die kla­re Feststellung meinerseits ist – und das wurde mir auch von Fachkundigen aus beiden Betriebsstätten bestätigt: Die älteren Beschäftigten schalten im Gespräch mit jüngeren Kollegen auf Hochdeutsch um, weil letztere das nicht mehr so gut oder gar nicht sprechen können. Es liegt also eine eindeutige Dominanz des Hoch­deutschen zuungunstern des Plattdeutschen vor. Es besteht nach meinen Erkennt­nissen die Gefahr, daß „dat Plattdüske utlöpt”.

Sprechen Sie mit einigen Ihrer Beschäftigten regelmäßig oder gelegentlich platt­deutsch?

Ja, ich stelle es bei mir oft fest, daß ich in betrieblichen Besprechungen vom Hoch­deutschen ins Plattdeutsche wechsele und umgekehrt, etwa in Gesprächen mit dem Betriebsrat. Wenn allerdings Gespräche anstehen mit Controllern zum Bei­spiel, die aufpassen, daß wir nicht pleite sind, ohne es zu merken, da kann ich natürlich kein Plattdeutsch anwenden. Düsse Controllers, fröher gav’t de nich. Use Papa, de wüss ga nich, wat datt was. De ha sien Controlling in so’n Böksken. Doar häb ick noch een paar van. Düsse Dage söch ick, datt he 1954 in so’n Reklameböksken van Fendt schreben ha, wat sonnen Trecker doarmals kosten moss.

Wenn wir in meiner Altersgruppe – auch noch die etwas jüngeren Mitarbeiter – un­tereinander sind im Betrieb, dann kommt es häufig vor, daß wir in offiziellen Be­sprechungen, wo es um bestimmte Strategien geht, diese Punkte auch in Platt­deutsch abhandeln, so ganz selbstverständlich.

Führen Sie geschäftliche Verhandlungen auch ab und zu in Plattdeutsch?

Wenn ich mit Bauern – und mehr und mehr mit Lohnunternehmern – geschäftlich zu tun habe, ist die vorherrschende Sprache Plattdeutsch. Aber mein Vater hat die Weichen so für mich gestellt, daß ich Fabrikant geworden bin und den Verkauf mehr anderen überlasse, so daß der Kundenkontakt nicht ständig vorhanden ist. Selbstverständlich rufen mich allerdings auch Landwirte hier in Spelle oder Werlte an, wenn sie Sorgen und Nöte haben, und fangen das Gespräch auf Plattdeutsch zumeist so an: „Krone, Ih häbt säch, wenn wi wat häbt, dann könn wi bi Ju anroapen!” Dann erwidere ich prompt: Joah, mann loss, wat giv’t dann…?”

Ja, das ist bei uns Familientradition, meine Eltern haben mir das so anerzogen – so habe ich es von ihnen vorgelebt bekommen -, daß ich mit jedermann hier aus der Gegend genauso reden und zuhören kann wie beispielsweise mit dem Präsiden­ten vom Bauernverband.

Bei einem Firmenjubiläum sah und hörte ich Sie leidenschaftlich mit einigen Land­wirten auf Platt diskutieren. Bereiten Ihnen solche Gesprächsrunden in der hiesi­gen Sprache Freude?

Selbstverständlich, da gehöre ich zu jener extrovertierten Personengruppe, der es Freude bereitet, sich anderen mitzuteilen. Ich spreche jeden Tag irgendwann platt, und solche Runden, die Sie da ansprechen, bereiten mir besondere Freude; da brin­ge ich mich leidenschaftlich gerne ein. Ich vermisse es sogar, daß meine heutigen beruflichen Tätigkeiten und Eingebundenheiten es mir kaum ermöglichen, mal bei einem Bauern anzuhalten, um ein spontanes Gespräch auf Platt zu führen.

Wenn mein Vater beispielsweise früher in Freren vorbeifuhr, dann war es selbst­verständlich, daß er im Hotel Roth einkehrte und mit den Bauern, Handwerkern und Kaufleuten (ganz besonders erinnere ich mich dabei noch an Schnöckelers Karl) beim Bier auf Plattdeutsch Neuigkeiten austauschte. Wenn dann dort auch Lehrer der damaligen Mittelschule anwesend waren und er sich nebenbei nach meinem Leistungsstand in der Schule erkundigte, verging ihm regelmäßig der Bier­durst, weil ich wohl ein eher fauler Schüler gewesen sein muß…

Was schätzen Sie besonders am Plattdeutschen?

Neben dem bisher Erwähnten denke ich – und das habe ich bei mir selbst erfah­ren -, daß einem der Zugang zu anderen Sprachen leichter fällt. So habe ich neben dem Englischen auch relativ leicht das Niederländische erlernt, und ich höre bei meinen Kontakten mit unseren Grenznachbarn häufig: „U spreekt heel goed nederlands, meneer!” Für mich ist es selbstverständlich – und da müssen viele Deut­sche sicherlich noch umdenken – in einem Gastland, vor allem wenn es vor unse­rer Tür liegt, auch die dortige Sprache zu sprechen. Ich zahle dort auch grundsätz­lich in Gulden.

Die Besonderheiten des Plattdeutschen im Hinterkopf, hat es mich während mei­nes Ingenieurstudiums in Köln auch gereizt, den Kölner Dialekt zu probieren. Nach einigen Glas Kölsch wurde auch die Sprache zunehmend kölsch. Das stelle ich überhaupt in anderen Teilen Deutschlands im Gegensatz zu den Plattsprechern fest: Wie selbstverständlich man sich dort auch Auswärtigen gegenüber ungeniert der Mundart bedient. Da können wir hier einiges lernen.

Was schätze ich sonst noch am Plattdeutschen? Über diese unsere norddeutsche Sprache ist es bedeutend einfacher, mit den heimischen Mitmenschen ins Ge­spräch zu korrimen. Es ist einfacher „Ih” als „Sie” zu sagen, man kommt schneller an das Innere des Gesprächspartners. Dort ist eine Vertrautheit. Ich kann durch meine plattdeutsche Sprache auch meine innere Überzeugung kundtun, daß die Leute ehrlich davon überzeugt sind, „der Krone” ist noch bodenständig, er gehört zu uns Emsländern, der gehört zu uns Bauern, der hat noch nicht abgehoben.

Haben Sie auch unliebsame Erfahrungen mit der plattdeutschen Sprache gemacht?

Nein, überhaupt nicht!

Wie beurteilen Sie die Zukunft dieser Sprache?

Ich bedauere es, daß das Plattdeutsche offensichtlich ein Auslaufmodell ist, „dat et utschlitt”. Das hat sicherlich auch damit zu tun, daß wir nicht auf Plattdeutsch re­gelmäßig im Alltagsgeschäft lesen und schreiben.

Dr. Hermann Kues

Omas Kulturschock

Plattdeutsch ist meine Muttersprache. Ohne Platt­deutsch hätte ich mich in den 50er Jahren in dem da­mals circa 300-Einwohner-Dorf Holthausen bei Lingen gar nicht verständigen können. Es war keine Frage von „Identität” oder „kultureller Vielfalt”, nein, das war ge­wissermaßen auch schlicht eine Überlebensfrage.

Sehr gut in Erinnerung habe ich noch die Art und Wei­se, wie meine Großmutter väterlicherseits, die mit uns im Haushalt lebte, die Konfrontation mit dem Kultur­schock „Hochdeutsch” verarbeitete, also die Konfrontation mit Menschen, die nur hochdeutsch sprachen, oder aus ihrer Sicht: Die als plattdeutsche Analphabeten nur Bahnhof verstehen. Wir gehörten damals zu den wenigen Haushalten mit einem öffentlichen Telefonanschluß. Wenn sie mit uns Kindern allein zu Haus war und sich gezwungen sah, das Telefon zu bedienen, pflegte sie nach dem Abnehmen des Hörers das noch nicht begonnene Gespräch mit dem Hinweis zu beenden: „Hier ist keiner zu Hause.” Gespräche meiner Oma mit einer Altersgenossin, die als Folge der Kriegswirren und der anschließenden Vertreibung mit uns im gleichen Hause wohnte und im Gegensatz zu ihr kein Wort Platt, sondern nur Hochdeutsch sprach, habe ich so in Erinnerung, als wenn ein Deutscher erstmalig versucht, mit einem Japaner in Kontakt zu treten.

Für mich selbst gehörte ausschließlich Plattdeutsch zu meiner Vorstellungswelt. Als ich eingeschult wurde in die zweiklassige Volksschule Holthausen, änderte sich dieses. Wir mußten aber, da sich vier Jahrgänge in einem Raum befanden, re­lativ wenig reden, und wir waren es als Kinder ohnehin gewohnt, den Mund zu halten. In den Pausen sowie ab mittags ging es plattdeutsch weiter. Fast parallel da­zu lernte ich als Meßdiener – eigentlich wurde jeder Junge nach der Erstkom­munion Meßdiener – die ersten Brocken Latein. Erfahrene Meßdiener wußten al­lerdings, daß bei Teilen des Stufengebets der laut gesprochene Anfang und das laut gesprochene Ende in Latein dem Priester als Antwort genügten.

Für die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium wurde ich von meiner Lehrerin, der ich im Nachhinein so richtig dankbar dafür bin, im privaten Wohnzimmer „auf hochdeutsch” getrimmt. Es reichte für die Aufnahme. Auf dem Gymnasium selbst spielten wir allerdings als diejenigen, die vom Lande kamen, eine Sonderrolle. Das Leben außerhalb der Schule ging bis zur Oberstufe mehr oder weniger an uns vor­bei. Wir fuhren mittags wieder in unsere Dörfer zurück und zu unserer plattdeut­schen Sprache. Ich spreche bis heute mit meiner Mutter und meinen älteren Ge­schwistern im wesentlichen plattdeutsch. Mit Rücksicht auf die weniger sprachbegabten Angeheirateten wird bei Familientreffen nicht selten kombiniert zwi­schen Plattdeutsch und Hochdeutsch. Es macht mir Freude, zum Beispiel mit ost­friesischen Kollegen im Bundestag am Rande platt zu küren. Artverwandtschaften verbinden hier stärker, als unterschiedliche Parteizugehörigkeiten trennen.

Eigentlich braucht man Plattdeutsch, um klarzukommen. Das wird deutlich an der kleinen Geschichte von den drei alten Leuten, die am Sonntag vor der Kirche sit­zen, als ein Auto vorfährt mit einem Hamburger Kennzeichen und die Frage ge­stellt wird: „Können Sie mir sagen, wo es hier nach Emden geht?” Die Leute sagen nichts. Dann fragt der Fahrer: „Excuse me, can you show me the way to Emden?” Sie antworten wieder nicht. Der Fahrer versucht es auf Französisch, ohne Erfolg. Da gibt er Gas und fährt los. Eine Viertelstunde später nimmt der eine seine Pfeife aus dem Mund und sagt zu den anderen: „Det was ‘n kloken Kerl, de konn drei Spraoken.” Daor sech de annre: „Un wat hef he doarvon hat?”

Auf politischen Veranstaltungen rede ich noch heute gelegentlich platt, wenn es paßt. Als ich nach mehrjähriger Abwesenheit aus dem Emsland 1994 auf einer Ortsversammlung in Schwartenpohl in einem Feuerwehrhaus sprach und dabei hörte, wie sich einige Teilnehmer zwischendurch auf Plattdeutsch unterhielten, ha­be ich selbst ebenfalls platt angefangen. Das Eis, soweit es da war, war endgültig geschmolzen. Auch bei Grußworten anläßlich von Dorfjubiläen kommt mir gele­gentlich Platt zur Hilfe. Als der niederländische Bund, der die in Deutschland an­sässigen Niederländer organisiert, seine Jahrestagung im Kloster Frenswegen in der Grafschaft Bentheim abhielt, habe ich in meinem Grußwort darauf hingewie­sen, daß mich meine Muttersprache mit ihnen verbindet. Ich wurde dann demon­strativ aufgefordert, doch weitet plattdeutsch zu sprechen, sie würden mich schon verstehen. Und so war es auch. Die Sprache verbindet einfach, schafft regionale Identität auch über nationale Grenzen hinweg, sie gibt ein Stück Halt.

Durch nichts ist die Anschaulichkeit der plattdeutschen Sprache zu ersetzen und die Möglichkeit, komplizierte Sachverhalte einfach auszudrücken. Wenn von je­mandem gesagt wird, daß er ein „mojer” Kerl ist, kann dieses kaum passend über­setzt werden. Zu sagen, er wäre ein schöner Mann, gibt das Gemeinte kaum wie­der, ebensowenig wie der Hinweis, er sei ein anständiger Kerl. „Moj” ist ein Stück mehr Liebenswürdigkeit.

Plattdeutsch verbindet mich im Bundestag auch heute mit Kollegen aus Mecklen­burg-Vorpommern. Als ich jemanden halb platt reden hörte und ihn befragte, ob er nicht gebürtig wohl aus dem Westniedersächsischen komme, antwortete er mir entwaffnend: „Nein, ich komme gebürtig aus Mecklenburg-Vorpommern. Meinst du etwa, wir seien weniger sprachbegabt als ihr?” Wir sollten da, wo es geht, das Plattdeutsche pflegen. Ich stelle fest, daß unsere Kinder höchst neugierig darauf sind und sich auch dafür interessieren. Plattdeutsch wird angeblich von acht Mil­lionen Menschen gesprochen. Es geht darum, auf möglichst natürliche Art und Weise das Generationenstaffelholz weiterzugeben.