4. Schlussbetrachtung

 

Die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung kann man in fünf Punkten fest­halten:

  1. Unsere Vermutung, daß die aktive Kompetenz der Schüler im Primarbereich gegen 0% geht, scheint bestätigt.
  2. Die relativ hohen Werte im Bereich der passiven Kompetenz waren so nicht vermutet worden.
  3. Die hohe Elternbeteiligung an der Umfrageaktion zeigt das starke Interesse am Er­halt der plattdeutschen Dialekte. Diese Erkenntnis wird bestätigt durch Angaben der Eltern im Bereich der Erwünschtheit des Dialekts in der Schule und in den Medien.
  4. Die Eltern trauen sich nicht, im Vorschulalter mit den Kindern in der Mundart zu sprechen, da sie schulische Nachteile für ihre Kinder daraus erwarten. Die Schule selbst allerdings soll nach Meinung von über 65% der Eltern (68% der Mütter) den Umgang mit dem Plattdeutschen bei den Kindern stärker fördern.
  5. Die (subjektive) Einschätzung der Dialektkompetenz der Kinder durch die Eltern, die in bisherigen Untersuchungen meist nicht durch (objektive) Sprachdaten über­prüft wurde, ist zum Teil sehr fehlerhaft.

Zwar wird dem Niederdeutschen schon seit geraumer Zeit der Untergang pro­phezeit, ohne daß er eingetreten wäre, allerdings haben solche deprimierenden Zahlen wie nach dieser Befragung bisher nicht vorgelegen. Möglicherweise wird es in den nächsten Generationen noch einige Enklaven des Plattdeutschen geben, bezogen auf den gesamten Landkreis Emsland jedoch muß mit einem endgültigen Aussterben dieser Mundart in der nächsten oder übernächsten Generation gerechnet werden, wenn nicht grundlegende Änderungen im Sprachverhalten der Bevölkerung eintreten. Diese Erkenntnis wird sich nicht auf das Emsland beschränken, sondern in weiten Bereichen des niederdeutschen Sprachraumes ebenfalls Gültigkeit haben.

Zwei Gegebenheiten werden diesen rasanten Verfall des Plattdeutschen begün­stigen:

  1. Die Landwirtschaft, die auch in unserer Untersuchung als Hauptdomäne des Niederdeutschen ausgewiesen wurde, befindet sich z.Zt. in einer enormen wirtschaftlichen Krise, die sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird, wenn die un‑abdingbare Angleichung der Agrarpreise an das Weltmarktniveau sich vollziehen wird. Schon jetzt sterben jeden Tag etwa 50 Höfe in der Bundesrepublik, wobei der Raum Weser-Ems überproportional beteiligt ist.
  1. Wenn man die Mundart als Kind nicht erlernt hat, wird man sie als Erwachsener kaum noch voll erlernen können — wir erfahren es in unserer Umgebung ja ständig, wie schwer der natürliche spätere Erwerb für Interessierte ist. Auch auf die Verwendung als typische Berufssprache, etwa in den verschiedenen Sparten des Bauhandwerkes, wird sich das negativ auswirken.

Folgende Veränderungen müßten unserer Meinung nach bewirkt oder gefördert werden (vgl. hierzu auch Kremer 1990 und Speckmann 1991):

  • Der plattdeutschen Sprache müßte mit entsprechenden Aktionen der Makel der Minderwertigkeit genommen werden, nach dem Motto: Wer plattdeutsch spricht, beherrscht eine Sprache mehr!
  • Das Verhaltensmuster des Plattsprechers gegenüber dem Lernenden muß sich ändern, d.h. der Plattsprecher darf nicht sofort ins Hochdeutsche überwechseln, wenn sein Gegenüber die Mundart (noch) nicht fließend beherrscht.
  • Die Lehrpersonen, die Schulaufsichtsämter, ja das Kultusministerium müßten sich verstärkt dieser offensichtlichen Plattdeutschmisere annehmen, da sie anscheinend immer noch von der falschen Annahme ausgehen, daß die Schüler in den ländlichen Regionen durch die im Elternhaus erfahrene sprachliche Sozialisation Plattdeutschsprecher seien, was mit dieser Untersuchung widerlegt sein dürfte.

Wir möchten über die reine Auswertung unserer Daten hinausgehen und es auch bei allgemeinen Schlußfolgerungen aus unseren Untersuchungsergebnissen bewenden lassen, sondern daneben eine Diskussion über didaktisch-methodische Konsequenzen und ihre — zumindest versuchsweise — schulische Umsetzung in Gang bringen. Daher sollen abschließend einige Punkte aus einem auswertenden Gespräch mit dem Heraus‑ geber eines plattdeutschen Lesebuchs, Schulamtsleiter Alfred Möllers (Osnabrück‑Land), referiert werden.

In bezug auf eine Neubewertung des schulischen Sprachpflegeauftrags für das Plattdeutsche sind zunächst folgende Fragen zu stellen:

  1. Kann es der Schule gelingen, im Rahmen der Grundschulzeit Kindern nicht nur zu einem passiven Sprachverständnis für das Plattdeutsche zu verhelfen, sondern sie zu aktiven Plattsprechern zu machen?
  1. Dient ein solcher Aufgabenansatz, der als Zweitsprachenerwerb einzustufen ist, den neueren Bemühungen des Kultusministeriums, Fremdsprachenerziehung in den Grundschulauftrag einzubeziehen?
  1. Ersetzt das Erlernen des Plattdeutschen wegen der hohen Sprachverwandtschaft zwischen dem Niederdeutschen. dem Niederländischen und dem Englischen sogar den Englischunterricht in der Grundschule? Vorliegende Forschungsergebnisse legen eindeutig nahe, daß durch das Erlernen einer zweiten Sprache — zumindest dann, wenn ein kontrastiver Sprachunterricht gegeben wird — das passive Sprach‑ verständnis für weitere Sprachen entscheidend grundgelegt wird (vgl. Anregungenzur Einbeziehung des Niederdeutschen etwa bei Kempen 1989).

    Möllers schlägt deshalb folgendes vor: Ein Schulversuch ist gegenwärtig der angemessene Weg, um in der Theorie-Praxis-Auseinandersetzung Erkenntnisse zu gewinnen, die einer Revision des augenblicklichen Plattdeutsch-Erlasses eine Grundlage geben können. In dem Schulversuch sollten Grundschulkinder vom zweiten bis zum Abschluß des vierten Schuljahres im Rahmen eines freiwilligen Zusatzangebotes pro Woche zwei Stunden Plattdeutschunterricht erhalten. Dieser Unterricht sollte nach den Gesichtspunkten der Fremdsprachendidaktik und -methodik erteilt werden. Das Curriculum müßte — vergleichbar dem Deutschunterricht — einen Grundwortschatz vermitteln, mit dessen Hilfe die Kinder solche Alltagssituationen sprachlich bewälti‑ gen können, wie sie z.B. den Units der Englisch-Lehrwerke zugrundeliegen (diese bedürfen selbstverständlich eines entsprechenden Zuschnitts auf die Bedürfnisse des hiesigen ländlichen Raumes).

    Da in den Regionen Emsland und Osnabrück plattdeutsche Lesebücher vorliegen, können Lehrer bereits auf geeignetes Lehrmaterial zurückgreifen. Die Konzipierung eines Curriculums kann gleichfalls in der Region geleistet werden, da hier bereits plattdeutsche Lehrer-Arbeitsgemeinschaften bestehen. Diese Lehrerschaft hat durch die Leitung von Plattdeutsch-Schülerarbeitsgemeinschaften zudem eine reiche didak‑ tische und methodische Erfahrung. Die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuches könnte durch ein Expertenteam aus der Lehrerschaft, der Schulbehörde und den Hochschulen im niederdeutschen Sprachgebiet (z.B. den Lehrstühlen für Niederdeutsch oder für Didaktik des Deutschen/Englischen) geleistet werden.

    Anmerkungen

    1 Die Befragung wurde von Kremer in Zusammenarbeit mit dem Schulamt des Kreises Borken im Jahre 1981 durchgeführt, die Ergebnisse wurden in zusammengefaßter Form veröffentlicht in Kremer 1983: 77ff.

    2 Der Leiter des Schulaufsichtsamtes Emsland, Herr Schulamtsdirektor Alfons Lögering, nahm dankenswerterweise die Idee der kombinierten Schüler- und Elternbefragung sofort auf und richtete zu ihrer Vorbereitung eine fünfköpfige Arbeitsgruppe unter seiner Leitung ein.

    3 Wir danken Herrn Frerk Möllers, Gen nanistisches Seminar der Universität Kiel, für seine Hilfe bei der datentechnischen Auswertung unserer Befragung.

    4 Die Ergebnisse wurden gegenüber der ursprünglichen, sehr differenzierten Einteilung zu insgesamt 6 Berufsgruppen zusammengefaßt (in der Tabelle fett gedruckt), um die Auswertung überschaubar zu halten und signifikante Aussagen zu ermöglichen.

    5 Diese Spanne erhöht sich noch auf 33% bei den Männern und 46,5% bei den Frauen (nicht tabelliert), wenn wir nur die Teilgruppe der Freien Berufe/selbst. Akademiker mit den Arbeitern korrelieren.

3.8. Wertschätzung

Nach all den zum größten Teil stark rückläufigen, statistisch belegten Werten —insbesondere im Gebrauch, aber auch in der Kompetenz des Niederdeutschen —überraschen die Ergebnisse im Bereich der Wertschätzung des Plattdeutschen. In unserer Enquete wurde zunächst nach der Erwünschtheit des Plattdeutschgebrauchs in den regionalen Medien gefragt. Außerdem — und das ist die wichtigere Fragestellung in bezug auf den Aussagewert der vorliegenden Untersuchung — sollte in Erfahrung gebracht werden, welchen Stellenwert das Plattdeutsche in den Schulen aus Sicht der befragten Eltern in Zukunft erhalten soll. Es könnten z.B. eigens dem Plattdeutschen gewidmete Stunden im Rahmen des Deutschunterrichtes angeboten werden, damit die Kinder auch plattdeutsche Texte lesen lernen und das Plattdeutsche so vielleicht erhalten bleibt.

Hier zeigt sich — wie auch bei der Untersuchung von Kremer (1983) — ein entgegengesetzt proportionales Bild: Während die Eltern nur noch 3% der Kinder eine aktive Kompetenz, also eine gute Beherrschung des Plattdeutschen, vermittelt haben, wünschen sich im Kreisdurchschnitt 65% der Eltern dieses Schülerjahrgangs mehr Plattdeutsch in der Schule.

Dabei rangieren die Mütter mit 68% (im Kreisdurchschnitt, aus Tab. 17 nicht ersichtlich) hier vor den Vätern. Ob das etwas mit schlechtem Gewissen gegenüber der bedrohten Mundart zu tun hat, darüber kann die statistische Auswertung des Fragebo­gens nichts aussagen. Es darf aber vermutet werden, daß die Eltern, nachdem sie ihre Kinder mehr oder minder gut ausschließlich in der Hochsprache bis ins schulfähige Alter erzogen haben, nun doch der Schule zubilligen oder sogar von ihr wünschen, daß sie die Heranwachsenden an die Mundart heranführe.

Der Vergleich mit der Umfrage von 1981 im Kreis Borken zeigt, daß die Schere zwischen Beherrschung der Mundart (durch die Kinder) und Erwünschtheit in den Schulen (Elternwunsch) noch weiter auseinanderklafft. Auffallend ist auch, daß nur 16% sowohl der Väter als auch der Mütter sich gegen einen Plattdeutschunterricht in der Schule aussprechen (bei Kremer 1983: 89 noch 28,5% der Männer und 30,6% der Frauen).

Das Faktum, daß nahezu 60% der Eltern sich ein stärkeres Lektüreangebot plattdeutscher Texte in der Tageszeitung und im Jahrbuch des Emsländischen Heimat­bundes wünschen, muß unbedingt den jeweiligen Verantwortlichen zur Kenntnis gebracht werden, damit die Wünsche weiter Bevölkerungskreise demnächst stärker berücksichtigt werden.

3.7. Berufs- und geschlechtsspezifisches Sprachverhalten

 

Ähnlich wie Kremer (1983: 91f.), der unter Berufung auf Mattheier (1980: 90) auf ein vorgegebenes Sozialschichtenmodell verzichtet, haben wir eine berufsgrup­penspezifische Aufteilung vorgenommen, aus der zwangsläufig auch sozialschichten-spezifische Erkenntnisse bei der Auswertung der Ergebnisse gewonnen werden. Zu beachten ist, daß die Gruppenbezeichnungen nur vage und unvollständige Bezeich­nungen für die durch sie abgedeckten Berufsgruppen sind (vgl. Tab. 9)4. Da wir die Auswertung teilweise nach Geschlechtern getrennt vorgenommen haben, lassen sich ebenfalls Aussagen zum geschlechtsspezifischen Sprachverhalten machen (vgl. Tab. 10 und 11).

Zeichnet sich aufgrund der Untersuchung Kremers aus dem Jahre 1981 die Gruppe der Landwirte durch eine nahezu 100%ige Beherrschung des Plattdeutschen aus (Kremer 1983: 93), so ergab die Selbsteinschätzung der Dialektkompetenz im Landkreis Emsland bereits einen Rückgang um ca. 15%: nur noch 85,2% der befragten Männer und 82,8% der Frauen gaben an, fließend Platt zu sprechen (vgl. Tab. 10 und 11).

Dennoch weisen die Landwirte erkennbar die höchste Kompetenz bezüglich des aktiven Mundartgebrauchs auf. Gegensätzlich dazu heben sich die Führungskräfte heraus: Sie weisen eindeutig sowohl die höchsten Prozentzahlen in der Rubrik „verste­hen und sprechen kein Platt” (13,0% Männer und 14,1% Frauen) als auch die niedrig­sten Werte bei der aktiven Kompetenz auf (40,2% Männer; 25,0% Frauen). Ihnen folgen die „kleinen Angestellten” als etwas kompetentere Gruppe (43,7% bei den Männern und 35,9% bei den Frauen).

Betrachtet man dagegen die Angaben der Facharbeiter mit 65,4% bei den Männern und 55.8% bei den Frauen, so ergibt sich von der Gruppe der Führungskräfte bis zu ihnen eine Spanne von 25,2% (Männer) bzw. 30,8% (Frauen)5. Sieht man diese und die dazwischenliegenden Berufsgruppen als vertikal gelagert an, dann läßt sich folgende Regel aufstellen: Je höher der Sozialstatus, desto niedriger die aktive Kompe­tenz (wobei jedoch ein Anstieg der passiven Kompetenz zu beobachten ist, der sich auf den verminderten Gebrauch der Mundart am Arbeitsplatz zurückführen läßt).

Geschlechtsspezifische Unterschiede ergeben sich bei einem Vergleich der Ta­bellen 10 und 11 hinsichtlich der aktiven Dialektkompetenz: Frauen zeigen deutlich niedrigere Werte als die Männer in der Spalte „fließend Platt”, was jedoch ausgegli­chen wird durch entsprechend höhere Zahlen im Bereich der passiven Kompetenz. Im Vergleich zu den Männern mögen die niedrigeren Werte der Frauen zurückzuführen sein auf eine geringere Übung im Plattsprechen oder auf strengere Maßstäbe hinsicht­lich dessen, was man unter „fließend Platt” zu verstehen hat.

Die oben erwähnte Regel hinsichtlich der Sozialschichten ist ebenfalls auf den Dialektgebrauch, hier zunächst der Großeltern untereinander, anzuwenden. Da sich im Sprachgebrauch in den meisten Berufsgruppen keine großen Unterschiede zwischen den Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits zeigen, führen wir in Tab. 12 nur die Daten der Großeltern mütterlicherseits auf.

Auch hier beim Sprachgebrauch zeigt sich wie bei der Dialektkompetenz eine fallende Linie von 84% bei den Eltern der Landwirte bis auf 26,1% „Nur-Platt”-Gebrauch bei denen der Führungskräfte. In umgekehrter Reihenfolge verlaufen die Zahlen für die Großeltern, die „nur Hochdeutsch” untereinander sprechen/sprachen. Eine kleine Abweichung zeigt sich nur bei der Gruppe der „mittleren Angestellten”. Ein eindeutiges Minimum wird bei der Untergruppe der freien Berufe/Akademiker erreicht (aus der Tabelle nicht ersichtlich): Lediglich 7% der Eltern der Mutter (dagegen 14% der Eltern der Väter) benutzen die Mundart untereinander.

Die zuletzt genannten Zahlen zwingen uns, etwas über geschlechtsspezifische Unterschiede anzumerken: Es gibt beim Sprachgebrauch der Großeltern untereinander kaum Differenzen bei den Angaben der Landwirte, Arbeiter und kleinen Angestellten, auffällige Unterschiede jedoch bei den Untergruppen der Freien Berufe/Akademiker, der mittleren Selbständigen und der leitenden Angestellten: Hier ergeben sich bei den Frauen zum Teil wesentlich niedrigere Zahlen zum „Nur-Platt”-Gebrauch ihrer Eltern untereinander als bei den Männern, dafür aber höhere Werte in der Rubrik „Überwie­gend Platt”. Es scheint, daß Frauen der sozial höheren Schichten eine deutlich reser­viertere Einstellung der Mundart gegenüber haben als die der unteren, denn objektiv gesehen dürften ja keine Unterschiede zwischen den Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits beim Gespräch untereinander auftreten.

Beim Gespräch mit ihren Kindern könnte das jedoch der Fall sein, wenn Eltern ihren Töchtern gegenüber ein anderes Sprachverhalten an den Tag legen als gegenüber den Söhnen. Tatsächlich ergab die Auswertung unseres Materials deutlich niedrigere Prozentzahlen bezüglich des Dialektgebrauchs der Großeltern mit der Mutter (hierfür keine Tabelle). Die Ursache für dieses Sprachverhalten liegt vermutlich in dem Umstand, daß man der Tochter durch eine solche „zweisprachige” Erziehung die Möglichkeit offenhalten wollte, gegebenenfalls auch jemanden „ut de Stadt” eheli­chen zu können, der des Plattdeutschen nicht mächtig ist.

Nun zu den Ergebnissen bei der Frage nach dem Dialektgebrauch der Großeltern mit den Eltern väterlicherseits (Tab. 13). Führend sind hier — wie in allen Bereichen des Mundartgebrauchs — die Landwirte: 73,0% aller Großeltern väterlicherseits spre-chen/sprachen nur Platt mit ihren Kindern, 66,8% der Mütter wurden von den Eltern rein plattdeutsch aufgezogen (letztere Zahl aus Tab. 13 nicht ersichtlich).

Wie in den Tabellen 11 und 12 zeigt sich wieder ein starker Abfall beim Mundartgebrauch zu den Führungskräften hin.

Der Mundartgebrauch der Großeltern mit den Eltern hat natürlich einen gewis­sen Einfluß auf die Benutzung des Dialekts der Eltern untereinander (vgl. Tab. 14). Obwohl die Werte innerhalb der Rubrik „sprechen nur Platt untereinander” teilweise gesunken sind, lassen sich Parallelen feststellen. Bei den Landwirten überwiegt mit 55,7% eindeutig der Gebrauch des Plattdeutschen (siehe ebenso Tabelle 13: „Dialekt­gebrauch der Großeltern mit den Eltern”). Bei den Arbeitern überwiegt bereits der Anteil der untereinander nur Hochdeutsch sprechenden Eheleute; betrachtet man die Spanne bis hin zu den Führungskräften, so erkennt man den bis auf ein Minimum zusammengeschmolzenen Bruchteil der Eltern, die lediglich Platt miteinander spre­chen (87% verwenden ausschließlich oder überwiegend Hochdeutsch). Auch unter diesem Aspekt läßt sich die These — etwas abgewandelt — anwenden: Je höher der Sozialstatus, desto niedriger der Dialektgebrauch untereinander.

Insgesamt schlägt sich natürlich nieder, daß in bestimmten Berufssparten Platt­deutsch am Arbeitsplatz weit verbreitet ist. Landwirte unterhalten sich fast durchweg untereinander in der Mundart.

 

Viele Arbeiter und Facharbeiter sprechen sogar an Arbeitsplätzen im städtischen Bereich Plattdeutsch miteinander. Im Bereich der Be­amtentätigkeiten und im Arbeitsumfeld der Angestellten dagegen ist die Standardspra­che gefordert, und sie wird auch zumeist in Institutionen gesprochen, wo auch Platt­deutsch möglich wäre.

Keine auffallenden, vom Sozialstatus abhängigen Unterschiede lassen sich bei der näheren Untersuchung des Mundartgebrauchs der Väter (Generation 2) mit den 10-jährigen Kindern feststellen (vgl. Tab. 15).

Ein verschwindend geringer Prozentsatz von Vätern, die nur Plattdeutsch mit ihren Kindern sprechen (Tab. 15), findet sich lediglich bei den Landwirten (3,3%), bei der Gruppe der Arbeiter (0,8%) und bei den mittleren Angestellten (0,6%). Diese beiden Berufsgruppen sind ebenfalls noch vertreten im Bereich „Väter sprechen überwiegend Plattdeutsch mit den Kindern” (Landwirte 10,7%, Arbeiter 2,9%). An­sonsten überwiegt in jedem Falle eindeutig der Gebrauch des Hochdeutschen.

Die obige Tabelle 16 „Dialektgebrauch der Kinder mit Kindern” spricht tür sicn selbst; sie stellt eindrucksvoll dar, wie besorgniserregend es um den Mundartgebrauch innerhalb der jüngsten Generatjon bestellt ist — unabhängig von den jeweiligen Berufs­gruppen (selbst bei den Landwirten, obwohl deren Kinder sich zu einem runden Viertel (27,5%) zumindest gelegentlich auf plattdeutsch untereinander verständigen).

 

 

3.6. Regionale Unterschiede

In dieser Dokumentation wollen wir auf die starken Unterschiede in der Mund­artkompetenz zwischen Ortskern und Bauerschaft, die Kremer (1983) in seiner Untersuchung herausgestellt hat und die aufgrund der gleichen Fragestellung auch hier herausgearbeitet werden können, nicht gesondert eingegehen — sie können aber für das Emsland ebenfalls bestätigt werden.

Bei der Beschäftigung mit den regionalen Unterschieden soll ein wichtiger Aspekt dieser emsländischen Untersuchung am Anfang stehen: die Testergebnisse der aktiven und passiven Kompetenz der 10-jährigen Schüler. Dann sollen diese Werte mit den Ergebnissen der subjektiven Elternaussagen zu den sprachlichen Fähigkeiten ihrer Kinder im Plattdeutschen verglichen werden.

Während die Gesamtergebnisse der Selbsteinschätzung der Eltern und der Schü­lertests bei der passiven Mundartkompetenz der Kinder (vgl. Tab. 2) im Bereich von „gut verstehen” (Testergebnis 42,3%, Selbsteinschätzung 32,4%) und „weniger gut verstehen” (Testergebnis 37,4%, Selbsteinschätzung 47,8%) um etwa 10% differieren, liegen die Werte im Bereich „gar nicht verstehen” mit 18,2% Testergebnis und 19,9% Selbsteinschätzung sehr nahe beieinander. Die fast völlige Übereinstimmung der Werte im Bereich der aktiven Sprachkompetenz (vgl. Tab. 1) — bezogen auf das gesamte Untersuchungsgebiet — haben anfangs die Vermutung aufkommen lassen, daß die Eltern recht gut die jeweiligen Kenntnisse ihrer Kinder im Bereich der plattdeut­schen Sprache einschätzen können.

Die nachfolgenden Ergebnisse zeigen jedoch im Gemeindevergleich insbeson­dere bei der Beurteilung der passiven Kompetenz, daß die Einschätzung der Eltern zum Teil sehr fehlerhaft ist. Daraus — und das dürfte diese Erhebung besonders deutlich gemacht haben — müßten entsprechende Rückschlüsse für die Aussagekraft anderer Untersuchungen gezogen werden, die sich auf die Selbsteinschätzung der Befragten stützen. Die Unterschiede im Bereich der aktiven Kompetenz sind im Gemeindevergleich ebenfalls sehr groß, fallen jedoch nicht so ins Auge, da die Zahlenwerte im Vergleich zur passiven Kompetenz niedrig ausfallen.

Im vorbereitenden Arbeitskreis zu dieser Untersuchung war vermutet worden, der regionale Schwerpunkt der noch vorhandenen Mundartkompetenz bei der zu untersuchenden Schülergruppe werde in den Gemeinden entlang der niederländischen Grenze (also in den Gebieten des frpheren Bourtanger Moores) mit einem Anstieg der positiven Ergebnisse in nördlicher Richtung liegen. Diese Annahme wird jedoch durch die vorliegenden Werte nicht voll bestätigt.

Zur ersten Spalte von Tab. 7 (passive Mundartkompetenz): Es ist kein Nord-Süd-Gefälle zu verzeichnen, die höchsten Prozentzahlen bei der passiven Kompetenz finden sich vielmehr im mittleren Bereich in den Gemeinden Haren (82,2%) und Twist (79,8%) im Westen des Kreises und auf der gegenüberliegenden östlichen Seite in den Samtgemeinden Herzlake (83,9%) und Haselünne (70,4%).

Während im folgenden insbesondere der Unterschied zwischen Test und Eltern­einschätzung aufgezeigt werden soll, wird an späterer Stelle diese Tabelle nochmals herangezogen werden müssen zum Vergleich der Kompetenzentwicklung der drei verschiedenen Generationen.

In fünf Gemeinden im Norden und Nordosten liegen die Testergebnisse zum Teil sehr deutlich unter der von den Eltern vermuteten Kompetenz (Sögel —21%). Im westlichen Bereich dagegen rund um Meppen ist genau das Gegenteil festzustellen. Um Haren herum sind die Werte sogar um 39% höher, als von den Vätern und Müttern vermutet. Nur in drei Gemeinden gab es eine Differenz von etwa 1%. In über der Hälfte der Gemeinden überschreitet die Fehleinschätzung 15%, davon wiederum liegen vier Gemeinden über 30%.

Insgesamt kann also bei der Gegenüberstellung der Befragungs- und Testergeb­nisse festgestellt werden, daß sich völlig ungeordnete Werte ergeben. Eine solch gravierende Fehleinschätzung war nicht vermutet worden und erstaunt umso mehr, als eine schlüssige Begründung dafür fehlt.

Bei der Gegenüberstellung von Testergebnissen und Elterneinschätzung hin­sichtlich der aktiven Mundartkompetenz der Schüler (Tab. 7, Spalte 2 und 3) wird gerade am Beispiel der Gemeinde Twist sehr deutlich, wie stark die Elterneinschät­zung von der realen Schülerkompetenz abweicht. Zwar sind die Zahlenwerte nicht so gravierend wie bei der passiven Kompetenz, in Prozentzahlen ausgedrückt ist die Fähigkeit der genauen Einschätzung durch die Eltern aber ebenfalls erstaunlich gering. Es finden sich auch hier Unter- bzw. Überschätzungen.

Dennoch kann man insgesamt feststellen, daß den Eltern deutlicher bewußt ist, welches Sprechvermögen ihre Kinder haben, im Vergleich zu dem Empfinden für das Verstehen der Mundart. Besonders fallen bei diesem Vergleich die Testergebnisse von Rhede und Sögel mit jeweils 0% auf, während die Eltern noch plattdeutsches Sprechvermögen (Rhede 2,5%, Sögel 2,9%) vermuten. In Dörpen dagegen liegen sie mit über 3% unter den tatsächlichen Werten. Auch im südlichen Landkreis zeigt sich die mangelnde Fähigkeit der Eltern, das Sprechvermögen ihrer Kinder richtig einzuschätzen. Nur in Geeste, Lengerich und Lingen sind die Werte ungefähr deckungsgleich. In Haselünne dagegen liegen die Testergebnisse nur halb so hoch wie die von den Eltern vermuteten Werte, in Emsbü-ren ist es genau umgekehrt. Die Karten 5 und 6 zeigen noch einmal alle Vergleichszah­len.

Bei der Gegenüberstellung von Sprachgebrauch und Kompetenz im Vergleich der drei Generationen beschränken wir uns auf die Zahlenwerte der Väter, da die Herkunftsübersicht der Befragungsergebnisse deutlich zeigt, daß mehr Väter (48,2%) als Mütter (31,7%) in ihrem jetzigen Wohnort geboren sind.

So soll zunächst der Sprachgebrauch der Großeltern in der regionalen Übersicht vorgestellt werden. Die tatsächlichen Kompetenzwerte für diese Generation liegen nicht vor, da sie nicht speziell erfragt worden sind, sie werden jedoch, wie in 3.5. bemerkt, um einige Prozentpunkte über den Werten des Sprachgebrauchs liegen (d.h. über 70%).

Betrachtet man zunächst die ersten drei Spalten der Tabelle 8 unter dem Aspekt des Verhältnisses der einzelnen Gemeinden zueinander, so fällt auf, daß sie weitge­hend korrelieren. Nur bei Lathen ist der Wert in der zweiten Spalte im Vergleich zu den beiden übrigen Werten verhältnismäßig niedrig. Der Übergang in der Kompetenz von Generation 1 zu Generation 2 entspricht also unseren Erwartungen: Sprechen die Großeltern platt, so können es auch deren Kinder, die jetzigen Eltern.

Bei der Kompetenz der Eltern (hier nur Väter) und dem Sprachgebrauch der Großeltern läßt sich ein Nord-Süd-Gefälle ausmachen. Damit ist gleichzeitig ausge­sagt, daß die Mundartkenntnis der Generationen 1 und 2 nicht mit der der Generation 3 korreliert (s. Tab. 7, Spalte 2). So finden wir bei den Eltern in Rhede, Nordhümmling, Werlte und Dörpen 80% aktive Dialektkompetenz, Twist liegt um 5% darunter. Bei der Generation 3 dagegen differieren die Werte stark: Rhede 0,0%, Nordhümmling 6,0%, Werlte 5,5%, Dörpen 6,9%. Twist dagegen weist die Höchstpunktzahl von 8,7% im gesamten Emsland auf.

Wenn wir nun den Mundartgebrauch der Eltern (untereinander) mit der aktiven und der passiven Kompetenz der Kinder vergleichen, fallen folgende Punkte auf (s. Tab. 8, Spalte 4, und Tab. 7):

Beim Sprachgebrauch der Generation 2 ist ebenfalls ein Nord-Süd-Gefälle zu verzeichnen, wobei Sögel hier nicht so tiefe Werte wie in den vorhergehenden Vergleichen aufweist und über Twist liegt, das ja bei der Schülerkompetenz ganz vorne anzutreffen ist.

In folgenden Orten besteht eine gewisse Korrelation zwischen dem Sprachge­brauch der Eltern und der aktiven Kompetenz der Schülergeneration (in Klammern: Elternsprachgebrauch / Schülerkompetenz in %): Nordhümmling (54,0 / 6,9), Werlte (43,6 / 5,5), Dörpen (35,1 / 6,9), Haren (31,9 / 5,4) und Twist (32,7 / 8,7). Diese Gemeinden sind ausschließlich in der Mitte bzw. im Norden des Emslandes zu finden. Unter dem erwähnten Gesichtspunkt fallen aus dem Rahmen: Sögel (35,3 / 0,0) und Rhede (30,0 / 0,0).

Im südlichen Kreisgebiet fallen Emsbüren und Salzbergen auf: Obwohl in Emsbüren der Gebrauch des Niederdeutschen bei der Generation 2 mit 17,8% nureinige Prozentpunkte unter dem Kreisdurchschnitt liegt, ist die Schülergeneration bei der aktiven Kompetenz mit 5,2% relativ stark im Emslandvergleich. Bei Salzbergen ist diese Erscheinung noch stärker ausgeprägt: Generation 2 nur 6,4%; Generation 3 dagegen 2,1% und damit nur 0,9% unter dem Kreisdurchschnitt.

Man muß natürlich bei solchen Zahlenvergleichen bedenken, daß es sich bei der untersuchten Bevölkerungsgruppe nur um einen begrenzten Personenkreis handelt. Bei den Ergebnissen der Samtgemeinde Sögel, die mit 0,0% bei der aktiven Kompe­tenz der Schüler doch auffällt, wurden deshalb nach der Auswertung nochmals die Schülertestbögen genau untersucht, und es bestätigte sich: Von 106 Kindern dieses Jahrgangs weist keines die nötige Punktzahl auf für die Qualifikation „gut sprechen können”.

Der Vergleich des Mundartgebrauchs der drei Generationen untereinander zeigt wiederum gravierende Einbrüche: Während die Väter zu 40% mit ihren Eltern aus­schließlich platt sprechen (Mütter 38%), liegt der Plattdeutschgebrauch in der jetzigen Eltern-Kind-Generation bei 0,7% (bezogen auf das gesamte Emsland). Die Ergebnisse in den einzelnen Samtgemeinden zeigen die Karten 7 und 8.

Als Ergebnis dieses Vergleiches können wir festhalten: Wo die Väter mit ihren Kindern plattdeutsch sprechen, dort finden sich entsprechende Werte auch bei den Müttern, in noch geringerem Maße sprechen auch die Kinder untereinander in der Mundart, allerdings nur zu 0,3% im Emsland-Durchschnitt. Wie sollen diese Kinder —wenn sie einmal Erwachsene sein werden — das Plattdeutsche an die nächste Genera­tion weitergeben?

 

3.5. Sprachgebrauch im Generationenvergleich

Aus der folgenden Tabelle 6 (rechte Spalte) geht hervor, daß nur noch 1% der Kinder heute ständig (0,3%) bzw. überwiegend (0,7%) im familiären Rahmen platt­deutsch spricht. Die 6,8%, die überwiegend Hochdeutsch sprechen, lassen sich im Zusammenhang mit den übrigen ermittelten Daten nur so deuten, daß diese Kinder zwar gelegentlich plattdeutsche Wörter und Wendungen gebrauchen, daß dies aber nicht als flüssiges Beherrschen der Mundart interpretiert werden kann (vgl. Tab. 3: Aktive Sprachkompetenz).

Da für die Generation 1 (Großeltern) keine Angaben über die aktive und passive Kompetenz aus dem Befragungsbogen abgelesen werden können, sind die drei Gene­rationen hier für den Gebrauch des Plattdeutschen einander gegenübergestellt worden.

Über einen Vergleich der Prozentzahlen mit der Kompetenz der Generationen 2 (Eltern) und 3 (Kinder) wird das einen gewissen Rückschluß auf die Mundartkompetenz der Generation 1 zulassen: Bei einem ausschließlichen Mundartgebrauch von 54,2% bzw. 51,7% der Großeltern untereinander darf wohl davon ausgegangen werden, daß in dieser Generation im gesamten Emsland eine aktive Kompetenz von über 70% vorhanden ist. Nach Janßen (1943: 58ff.) sprachen 1938/39 die Eltern zu 75-100% Plattdeutsch mit ihren Kindern, der heutigen Großeltern-Generation also, mit Ausnahme der Städte Lingen und Meppen (unter 50%) sowie weniger Gemeinden im Süden des Emslandes (50-74%). Es ist weiter zu bedenken, daß auch viele Flüchtlinge in der Nachkriegszeit berufsbedingt die Mundart erlernt haben, außerdem beherrschten die meisten Kaufleute und Handwerker in den Städten die plattdeutsche Sprache, die ihnen den Umgang mit den Landbewohnern und deren Kaufkraft erheblich erleichterte. In einigen Orten des Einslan­des beherrschte sozusagen jeder Bewohner das Niederdeutsche.

Angesichts der Zahlenreihen in der Tab. 6 soll gerade an dieser Stelle noch einmal an Stellmachers Auswertung der GETAS-Befragung erinnert werden: „Nieder­deutsch ist nicht tot, die Sprache lebt und — wie die Vergleiche mit älteren Untersu­chungen erbracht haben — sie hat in den letzten 20 Jahren keineswegs an Boden verloren” (Stellmacher 1987: 44). Ganz offensichtlich ist aber das Gegenteil der Fall, sowohl im Bereich der Kompetenz als auch im Sprachgebrauch, wie die vorliegenden Zahlen belegen.

Vergleich von GETAS-Befragung und Ergebnissen im Landkreis Emsland

3.4. Vergleich von GETAS-Befragung und Ergebnissen im Landkreis Emsland

Im Folgenden wollen wir einige Ergebnisse der GETAS-Befragung und unserer Befragung einander gegenüberstellen. Diese Zahlen weisen zugleich darauf hin, daß die ‘Aussagen der GETAS-Umfrage infolge mangelnder regionaler Differenzierung nur einen eingeschränkten Aussagewert haben.

Aus diesen Zahlen darf man sicherlich schließen, daß die aktive Mundartkompe­tenz der Kinder im gesamten Verbreitungsgebiet des Niederdeutschen ebenfalls unter dem emsländischen Niveau liegt, das mit 3% schon sehr niedrig ist.

3. 2. Passive Sprachkompetenz der Schüler

Bei der Beurteilung der passiven Kompetenz zeigt sich jedoch ein ganz anderes Bild (vgl. Tab. 2). Hier ist es offensichtlich, daß die Eltern das Verstehensvermögen ihrer Kinder nicht richtig einschätzen können. Sie liegen um nahezu genau 10 Prozent­punkte — bezogen auf die Gesamtwertung — in ihrer Beurteilung unter den tatsächli­chen Werten im Bereich von „gut verstehen” und „weniger gut verstehen”. Es ist also deutlich, daß die Eltern die passive Sprachkompetenz ihrer Kinder unterschätzen. Sie ist für die Väter und Mütter ja auch schlecht meßbar, zumindest weniger einschätzbar als die aktive Kompetenz, die sich in der Teilnahme an einem Gespräch äußert. Da die Eltern sich zwar nur zu 0,7% plattdeutsch mit ihren Kindern unterhalten, die Gesprä­che untereinander jedoch noch zu 20% auf Plattdeutsch geführt werden, bekommen die Kinder etliches mit, sind aber nicht der Adressat des Gesprochenen und werden somit auch nicht zu Äußerungen veranlaßt. Wie bei der Beurteilung der aktiven Kompetenz irren sich die Eltern auch hier mit ihrer Einschätzung von Ort zu Ort zum Teil recht deutlich, wie unter 3.6. noch gezeigt wird.

Bei der Gegenüberstellung der Testergebnisse (verstehen können — sprechen können), die mit dieser Untersuchung erstmals vorliegen, bestätigt sich die anfangs geäußerte Vermutung, daß sich die Mundartkenntnisse der Heranwachsenden gegen 0% bewegen. Für eine weitergehende Prognose über die zukünftige Entwicklung verweisen wir aber auf die Schlußdiskussion. Interessant ist aber an dieser Stelle noch der Vergleich mit den Ausführungen von Kremer (1983: 81):

„Über die Mundartkompetenz der in dieser Enquete mit angesprochenen neun- bis zehnjährigen Grundschüler läßt sich nur annähernd der Prozentsatz passiver Kompetenz ermitteln, der bei mindestens 33,7% liegen muß, denn in diesem Umfang sprechen die Eltern (vornehmlich die Väter), allerdings fast nur gelegentlich, mit den Kindern Platt. Die aktive Kompetenz dürfte irgendwo zwischen 14,6% und 33,7% liegen. In diesem Generationssprung von etwa 30 Jahren liegt also ein Kompetenz-Rückgang von 30-40%, der sich jedoch etwas verringern dürfte, da ja eine gewisse Zunahme der Mundartkennt­nisse mit wachsendem Alter, vor allem nach dem Berufseintritt, noch zu erwarten ist.”

Wenn man in unserer Untersuchung die Prozentwerte von “gut sprechen” und „weniger gut sprechen” zusammenfügt, kommt man etwa auf die obigen Werte der aktiven Kompetenz 1981 im Kreis Borken. Betrachtet man jedoch die Testbögen der Schüler und verbindet sie mit den Aussagen verschiedener Deutschlehrer zu den darin enthaltenen Hinweisen auf die tatsächlichen Sprachkenntnisse, so muß man sagen, daß nur etwa 3% der 10-Jährigen im Jahre 1989 ein Gespräch in flüssigem Plattdeutsch führen können.

3 Auswertung

3.1. Aktive Mundartkompetenz der Schüler

Unsere erste Frage richtet sich auf die aktive Dialektkompetenz der Schüler, wobei die Einschätzung der Kompetenz durch die Eltern und die Ergebnisse des Tests einander gegenübergestellt werden (vgl. Tab. 1).

Die Testergebnisse und die Werte der Elterneinschätzung liegen im Kreisdurch­schnitt erstaunlich nahe beieinander. Untersucht man jedoch die Ergebnisse der einzelnen Gemeinden, so irren sich die Eltern mit der Einschätzung der Fähigkeiten ihrer Kinder zum Teil ganz erheblich, wie noch im Abschnitt 3.6. „Regionale Unter­schiede” dargestellt wird.